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SCIENCE-FICTION-SOMMER 2018: Science-Fiction-Romane und -Erzählungen auf über 1000 Seiten!
SCIENCE-FICTION-SOMMER 2018: Science-Fiction-Romane und -Erzählungen auf über 1000 Seiten!
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eBook1.203 Seiten16 Stunden

SCIENCE-FICTION-SOMMER 2018: Science-Fiction-Romane und -Erzählungen auf über 1000 Seiten!

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Über dieses E-Book

Der Sammelband SCIENCE-FICTION-SOMMER 2018 beinhaltet auf über 1000 Seiten vier Romane und acht Erzählungen internationaler Spitzen-Autoren wie Douglas R. Mason, James E. Gunn, A. E. Van Vogt, James White, Roger Dee, Gordon R. Dickson, Brian W. Aldiss, John Rackham, Colin Kapp, Michael Moorcock und Chelsea Quinn Yarbro. Dabei reicht das Spektrum von Space Opera über New-Wave-SF bis hin zur düsteren Dystopie.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum20. Juli 2018
ISBN9783743874916
SCIENCE-FICTION-SOMMER 2018: Science-Fiction-Romane und -Erzählungen auf über 1000 Seiten!

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    Buchvorschau

    SCIENCE-FICTION-SOMMER 2018 - Michael Moorcock

    Das Buch

    Der Sammelband SCIENCE-FICTION-SOMMER 2018 beinhaltet auf über 1000 Seiten vier Romane und acht Erzählungen internationaler Spitzen-Autoren wie Douglas R. Mason, James E. Gunn, A. E. Van Vogt, James White, Roger Dee, Gordon R. Dickson, Brian W. Aldiss, John Rackham, Colin Kapp, Michael Moorcock und Chelsea Quinn Yarbro. Dabei reicht das Spektrum von Space Opera über New-Wave-SF bis hin zur düsteren Dystopie.

    Douglas R. Mason: DER ZEIT-EFFEKT (Dilation Effect)

    1.

    Dogood trommelte ein Solo auf den Rand der Sichtscheibe und schaute über eine flache, schmutzfarbene Landschaft zur glatten, leeren Kurve des Horizonts. Dreimal in drei Minuten hatte er den Sucher verlassen, und das war ein Zeichen seiner Nervosität.

    Auf Copreus war es immer gleichmäßig zwielichtig. Im schattenlosen Licht der Kommandokabine spiegelte sich sein Bild in der Plexiglasscheibe. Sein Gesicht wirkte wie das eines missmutigen Engels. Er war groß und breitschultrig und hatte auf der linken Brusttasche seines weißen, gegürteten Overalls eine blaugoldene stilisierte Erdkarte. Die Schulterstücke wiesen ihn als Controller aus.

    Weitgesetzte graue Augen starrten ihn an. Der Haarschopf über der hohen Stirn war braun, und die Brauen waren dicke, gerade Stricke. Er hatte ein schmales Gesicht mit einer langen, wissensdurstigen Nase. Es war ein noch vertrautes Gesicht, und das hieß schon etwas, wenn man nahezu am Ende des allmählich auslaufenden Kontinuums war.

    Nachdem er sich über diesen Punkt beruhigt hatte, kehrte er zu seiner Konsole zurück, um weiterzutrommeln. Dieses Trommeln beschleunigte keineswegs die Annäherung des langweiligen Beibootes, auf das er so dringend wartete, doch es bewahrte ihn vor dem Zähneknirschen.

    Schließlich schob er den elfenbeinfarbenen Schreibstift in seinen Schlitz und fand etwas anderes für seine müßigen Hände. Er wusste, dass dies alles nur Ersatzbeschäftigungen waren, denn er verspürte den dringenden Wunsch, seine abwesende Kollegin mit einem Splisseisen zu verprügeln.

    Ein Blick auf die Energiekonsole ergab, dass alle Systeme liefen. Die Centaur war zum Abheben bereit, und sein Finger schwebte zum letzten Countdown über dem Verzögerungsknopf. Zwei Minuten nachdem das Beiboot angedockt hatte, konnten sie diesen Aschenhaufen mit Kurs Zeta-Leuchtfeuer verlassen, um auf dem ersten kurzen Bein rationalisierter Zeit zu stehen.

    Er ließ sich zum Funktisch treiben und fuhr die Antenne aus. Der Erkennungston des Beibootes kam klar in Stärke neun herein, und er ließ die Antenne kreisen wie seit ihrer Landung.

    Der einzige organisierte Laut, den er je gehört hatte, war der Peilton des Robotstrahls gewesen; er schaute verdutzt drein, als plötzlich ein völlig fremdes Geräusch hereinkam. Doch der Autorecorder hatte ihn schon aufgenommen. Ein schmales Band schob sich aus seinem Ausgabeschlitz.

    Unvermittelt blieb das Band wieder stehen, und dann kam aus irgendeiner ungeheuren Feme eine Antwort, die nicht einmal der auf Hochtouren laufende Verstärker verständlich machen konnte.

    Zwei Schiffe bewegten sich also in dieses riesige, leere Niemandsland zwischen Rand und innerem Ring des IGO-Raumes hinein. Vor Jahren noch wären es höchstens ein paar Patrouillenboote gewesen, doch die Tage der Kanonenbootdiplomatie waren längst vorüber. Die überwältigende Überlegenheit der Inter Galactic Organization war schon vor langer Zeit so weit reduziert worden, dass sie gerade noch ein fragwürdiges Gleichgewicht erhalten konnte; im Übrigen hatte sie sich auf jene Gebiete zurückgezogen, die sie noch halbwegs zu beherrschen vermochte.

    Die Kräfte der Outer Galactic Alliance befanden sich nun auf dem Vormarsch. Ein Jahrtausend lang war sie von den hochentwickelten Kulturen der IGO in Schach gehalten worden, doch jetzt hatte sie außerhalb der Galaxis neue Verbündete gewonnen. Ein hochentwickeltes System stand einem barbarischen Rivalen gegenüber, und die Zeit schenkte ihre Gunst den Barbaren.

    Dogood gab die Daten zum Dekodieren ein. Das schmale Textband, das aus dem Fuß des Hauptscanners rockte, stellte fest, dass das Original in scotischer Sprache gehalten war. Das nähere Schiff lag außerhalb der rationalisierten Zeit und war vierzig Minuten von der Gravisphäre von Copreus entfernt.

    Obwohl während der ganzen letzten Zeit mit Rücksicht auf die Geheimhaltung der Mission Funkstille geherrscht hatte, musste jemand eine kleine Kopfrechnung gemacht und ein Schiff ausgeschickt haben, das ein wenig herumschnüffeln sollte.

    Nim, Copreus konnten sie haben. Eine Woche sorgfältigster Überprüfung hatte keinen Beweis für nützliche oder wertvolle Minerale erbracht, die eine Geste der Stärke gegenüber der OGA gerechtfertigt hätten. Jetzt musste man nur lebend wieder zurückkehren, wenn auch mit leeren Händen.

    Er nahm seinen Raumanzug aus dem Schrank und begann sich mit raschen, geschickten Bewegungen anzuziehen. Mit einem Auge überwachte er den Text.

    Es war ein Routinebericht an einen Vorgesetzten über Position und Kurs. Aus dieser Entfernung mussten sie schon Größe und Status des Schiffes auf Copreus kennen. Die Bestätigung dafür kam auch sofort: Achtung, ziviles Schiff zerstören. Mindestens zwei Crewmitglieder für Vernehmung am Leben lassen. Ende.

    Ende des Funkspruchs und öffnen der Einstiegsluke fielen zusammen. Ausgefüllte Zeit erscheint einem viel kürzer als Wartezeit. Das Beiboot hatte angedockt und den Passagier in die Kommandokapsel entlassen. Dr. Ava Mallam schob ihren Helm zurück und schüttelte ihre rotgoldene Mähne aus. Auf ihrem Handschuh lag ein faustgroßer Klumpen eines silberadrigen Minerals, und sie lachte über das ganze Gesicht.

    »Die Spektralanalyse war recht ordentlich«, berichtete sie mit ihrer tiefen, warmen Stimme. »Es gibt genug Infrangom. Jedes Baby in der ganzen Galaxis kann seinen Nachttopf daraus bekommen. Auf dem Rückweg habe ich es ausgerechnet.«

    Sie war die Statistikexpertin und musste wohl Recht haben. Da er sie kannte, wusste er, dass sie wahrscheinlich die Kalkulation in den Bericht auf nehmen würde.

    »Fein, Ava«, sagte er. »Großartig. Du hast noch zwanzig Sekunden Zeit, dich in deine Hängematte zu schwingen. Wir haben nämlich Besuch. Scoten.«

    Das war der Tod ihrer Freude, und er hätte es ihr vielleicht doch ein wenig taktvoller beibringen können. Man sollte nicht so tollpatschig sein, wenn gerade der Expeditionszweck erfüllt wurde. Sie schnallte sich schweigend an, und erst als sie damit fertig war, drohte ihre Honigstimme jede Düse zu verstopfen. »Und was könnte die Scoten in diese Gegend bringen, Bob?«

    »Vielleicht nur eine schlaue Vermutung«, meinte er. »OGA- Agenten könnten sich den Kurs der Centaur ausgerechnet haben. Ein Glück, dass wir reisefertig sind. Hoffentlich können wir das Glück auch noch ausnützen und Zeta erreichen. Danach müssten sie Wahrsager sein, wenn sie uns über Radio noch ausmachen wollten.«

    »Das kommt mir aber merkwürdig vor.«

    »Was denn?«

    »Dass OGA so weit im neutralen Raum das Leuchtfeuer in Betrieb hält. Die IGO-Patrouillen haben sich doch zurückgezogen.« Sie bemühte sich sehr um einen ruhigen, normalen Unterhaltungston, und er spielte mit, obwohl er ihr nichts entgegenhalten konnte, was sie nicht selbst wusste.

    »Ist doch ganz einfach. Der Funkweg ist nicht der einzige Weg hinaus, nur der einzige hinein. Wenn sie ihn zerstören, dann schlagen sie ihre Tür vor ihrer eigenen Nase zu. Und sie brauchen Jahrhunderte, um diesen Leitstrahl wieder aufzubauen. Übrigens, das Zeta-Leuchtfeuer hat einen eingebauten Zerstörungsfaktor. IGO muss vielleicht zu machen.«

    »Rückzug der Legionen. Ist früher auch schon vorgekommen.«

    »Diesmal haben sie aber jede Chance, die Barbaren auszusperren.«

    Die Centaur setzte sich in Bewegung, und darauf mussten sie sich nun konzentrieren. Dogood navigierte genau nach dem Handbuch und aktivierte jedes Instrument, bis alles blinkte, was blinken sollte. Selbst bei normaler Geschwindigkeit konnte die Centaur jedem Militärschiff im Raum davonlaufen. Sie war als schnelles Überwachungsschiff gebaut, hatte nur Platz für eine Crew von zweien, dafür aber eine ungebärdige Kraft. Dogood ließ sie rennen. Wie ein Komet stieg sie aus dem Zwielicht von Copreus auf.

    Der Kommandant der Scoten beobachtete den Start auf seinem Scanner. Mit einem Zorn, dem das trockene Geklapper und atonale Geklicke seiner Sprache nichts von seiner Wucht nahm, wandte sich Entemena an seinen Navigator. Noch fünf Minuten, dann wäre das fremde Schiff auf Copreus eine hockende Ente ohne Fluchtmöglichkeit gewesen. Jetzt würde es eine wilde Jagd zwischen den Sternen werden, die noch dazu wenige Aussichten bot. Die Argon konnte, wenn sie auch ein eben erst zugelassener brandneuer Kreuzer war, keine solchen Geschwindigkeiten erreichen.

    Entemena versuchte es erst gar nicht. Er befahl eine Kursänderung, die selbst seine Reptiliencrew an den Rand der G-Toleranz brachte, und machte sich am Schenkel eines Dreiecks entlang auf zum fernen Funkfeuer.

    Gleichzeitig signalisierte er der sich sammelnden Squadron, dass die Beute ausgemacht sei. Weit solle sie nicht kommen. Er gab den Befehl aus, ihr die Lebenslinie, den Funkleitstrahl, nicht abzuschneiden, aber sonst ließ er alles offen. Irgendwann einmal musste ja das Erdenschiff Zeit verlieren, wenn es beim

    Einschwenken auf die Station die Geschwindigkeit reduzieren musste. Dann bekam man es zu fassen. Sein bitterer Geist delektierte sich an dieser Möglichkeit.

    Ava Mallam unterbrach ihre Routinearbeit am Navigationstisch, um die ganze Funkskala abzutasten. Eine sehr einfühlsame Suche brachte die Argon auf den Scanner wie einen Lachs ins Netz. Fünfunddreißig Sekunden Arbeit an ihrer narrensicheren TK-1/500 erbrachten einen gestochen scharfen Hochglanzabzug, den sie am Scanner befestigte.

    »Ist schon in Ordnung. Die schaffen es nie. Wir erreichen Zeta zwei Stunden früher als die Eidechsen. Wir werden schon Lichtjahre voraus sein, wenn sie sich zeigen.«

    Dogood machte sich nicht die Mühe, das nachzuprüfen. Wenn sie das sagte, so genügte es ihm. Sie sah hinreißend aus und hatte gelegentlich eine etwas verrückte Art, aber sie war die beste Mathematikerin, die er kannte. Einen gewissen Vorbehalt behielt er für sich. Es hatte keinen Sinn, sich vorzeitig Gedanken zu machen.

    Die kalten Reptil-Scoten waren Söldner der OGA, hominoid, aber blasse Zerrbilder von El-Greco-Verzerrungen menschlicher Körperlichkeit ohne erkennbare menschliche Regungen. Ihnen lebend in die Hände zu fallen wäre der sichere Tod für ihn, für die Statistikerin jedoch ein langes, qualvolles Sterben. Wenn sie sich schon die Mühe machten, der Centaur den Weg abschneiden zu wollen, dann würden sie auch nicht aufgeben. Die Centaur war also immer in Gefahr, bis sie die Gravisphäre der Erde erreichte.

    Ava Mallams Verständigungsgeschick war nicht auf die kosmische Skala beschränkt. Sie hatte die Harmonie in Dogoods Verhaltensmuster erfasst und die Quelle begriffen. »Mach dir keine Sorgen, Controller«, sagte sie in der förmlichen, protokollarischen Art, der sie seit der ersten Stunde ihrer Mission gefolgt war. »Ich weiß Bescheid. Die kriegen mich nicht. Ich habe hier meine Pille.« Mit einem schlanken Finger deutete sie auf die Schulter. »Ich behaupte nicht, es sei an der Zeit, den menschlichen Leib abzustreifen, denn eine solche Einstellung würde auf meine Gesellschaft abfärben, und wo blieben dann die gesellschaftlichen Imperative? Ich lese jedoch das Kleingedruckte, wenn ich Verträge unterschreibe, und deshalb verspreche ich dir, dass ich dann keine gefühlsschwangere Szene hinlegen werde.«

    Dogood nahm diesen Ton auf. »Damit rechnete ich auch nicht, Dr. Mallam. Da du schon davon sprichst, muss ich wohl erwähnen, dass es vielleicht nötig wird. Ich glaube nicht, dass sie uns so einfach durch wischen lassen. Sie sind weit von ihrem Territorium entfernt, und der Zufall ist kein Auslöser. Ich möchte deinen Erfolg wirklich nicht herunterspielen, aber Copreus nützt uns nichts. Innerhalb einer Woche wird eine Invasionseinheit der OGA dort sein mit einer Squadron, die scharf schießt. Ohne heißen Krieg könnten wir nicht ein Gramm Erz dort wegholen.«

    »Aber den Fund werden wir doch berichten?«

    »Klar. In Zeta haben wir dafür genug Zeit. Selbstverständlich werde ich deinen außerordentlichen Beitrag zum Erfolg unserer Mission gebührend herausstreichen. Ich bin überzeugt, dass du den Bollinger-Preis bekommst.«

    Posthum natürlich, hätte sie am liebsten geantwortet, doch sie ging auf seinen Ton ein. »Das wären fünfzigtausend Credits, und ich kann mir einen Studienurlaub von fünf Jahren gönnen. Einen prähistorischen Kurs. Diese Periode fasziniert mich, besonders die letzten Abschnitte, als der Mensch begann, nach draußen zu schauen. Kannst du dir den Rummel vorstellen, als sie endlich eine winzige Kapsel von Konservendosengröße zum Mond schossen? Ich möchte wissen, wie es war, damals gelebt zu haben.«

    »Was man so hört, war es für die meisten Menschen ziemlich ungemütlich.«

    »Das ist es für einige heute auch noch.«

    Ava Mallam schwieg dann und verkapselte ihre Libido, um sich einer neuen Feineinstellung zu widmen. Diesmal war es das Zeta-Leuchtfeuer, das sie aus der großen Leere fischte und auf den Hauptscanner bannte.

    Das war nach Copreus geradezu eine Erfrischung. In Farbe glühte es wie eine keltische Schulterspange auf schwarzem Samt. Dieses Leuchtfeuer war das letzte einer ganzen Reihe, ging vom Sonnensystem mit dem Heimatplaneten Erde aus und war das leistungsfähigste und raffinierteste der ganzen Serie. Es war wie eine riesige geodätische Kuppel, und jede Facette trug Wappen und Devise eines Planeten der Inter Galactic Organization.

    Bei Ava Mallam löste es Pessimismus aus. Es war von unvorstellbarer Energie, aber sie rechnete nicht mit einer ähnlich großen Stabilität. Sie sah die Motten im Gewebe.

    Vielleicht fiel bald der Vorhang für die humanoiden Kulturen. Sie waren so weit gekommen, wie man es sich nicht vorzustellen gewagt hatte, nachdem das Glück in der Vergangenheit eher einem Ein- und Ausatmen geglichen hatte. Oder wie einem Schritt rückwärts, um Anlauf zu nehmen für einen Sprung vorwärts. Aber diesmal würde es ein Rückzug vom weitest entfernten Punkt sein, der je erreicht werden konnte. Vielleicht war dann der Kreis geschlossen. Jetzt begann der lange Abstieg, bis die letzte Landkreatur wieder durch Nebel und Sumpf in die See watschelte. Der Exit des homo sapiens, der von einem Quastenflosser verfolgt wurde.

    Sie fand, dies sei sehr schade, da sie dem sensitiven Typ angehörte; wenn man das so wie ein Gott von außen sah... Es war gut, dass Dogoods Stimme sie aus ihren Überlegungen riss, ehe sie sich in Selbstmitleid verlor.

    Er hatte sie schon zweimal angesprochen und legte nun etwas an Lautstärke zu, um ihre Versonnenheit zu durchbrechen. »Ava?«

    »Ja, hier.«

    »Nur eine Nanosekunde deiner Zeit. Kannst du den Scoten zu direkter Rede veranlassen?«

    »Hältst du das für klug?«

    »Er weiß, wo wir sind, und er weiß, dass wir wissen, wo er ist. Ich möchte gern wissen, was er zu sagen hat.«

    »Das sind alles nur Lügen.«

    »Selbst Lügen und Irrtümer sind primitive Verständigungsmittel.«

    »In Ordnung.«

    Erst bekamen sie keine Antwort, doch sie ließ nicht locker.

    Die Argon saß wie ein Käferchen oben links im Hauptscanner.

    »Erdenschiff Centaur mit IGO-Lizenz«, rief Dogood mit monotoner Stimme. »Wir bitten vom Konvergenzkurs abzugehen. Bitte bestätigen.«

    Nach der dritten Wiederholung ruckte das Band aus dem Aufnahmegerät. »Scotisches Schiff Argon, Reduziert Geschwindigkeit und ändert Kurs meine Richtung. Sonst zerstöre ich das Funkfeuer. Nach Besprechung wird euch Weiterreise gestattet.«

    »Ihr habt kein Recht, ein Zivilschiff anzuhalten. Dies ist laut Interstellarvertrag neutraler Raum. Ich werde IGO von der Anwesenheit einer militärischen Einheit unterrichten.«

    »Das ist naiv. IGO hat keine Schiffe in diesem Gebiet. Denkt doch realistisch. Wenn ihr unserem Befehl nicht gehorcht, wird euer Schiff vernichtet.«

    »Würden sie wirklich das Funkfeuer vernichten?«, fragte Ava.

    »Niemals! Es ist viel zu nützlich.«

    »Also nur ein Bluff?«

    »Richtig.«

    »Dann würde ich es es ihm sagen.«

    Ehe Dogood noch darauf reagieren konnte, ergoss sich die süße Honigstimme schon in den leeren interstellaren Raum. »Ihr werdet gebeten, euren Kurs zu ändern. Die wahnsinnige Drohung, das Funkfeuer zu zerstören, wird voll Verachtung zur Kenntnis genommen. Ende.«

    »Schade.«

    »Wieso? Wir haben doch sonst nichts zu sagen.«

    »Schade, weil sie jetzt wissen, dass dieses Schiff ein sehr weibliches Besatzungsmitglied hat. Jetzt werden sie's noch nachdrücklicher versuchen.«

    »Das spielt doch keine Rolle. Wenn sie uns fangen, ist mein Sitz frei.«

    Ava Mallams Kalkulation differierte nur um eine halbe Minute. Die Centaur dockte am Zeta-Funkfeuer an, und der heraneilende Scote näherte sich mit zwei Stunden Abstand in einem sich ständig verkleinernden Winkel. Aber Dogood verlor keine Zeit. Ehe das Schiff noch zur Ruhe gekommen war, befand er sich mit einem vorbereiteten Bericht und einem Auszug aus dem Log in der Druckkammer.

    »Mach die Tür nicht auf und lass keine Fremden ein«, sagte er.

    In der Kuppel eilte er einen schwankenden Steg entlang, der zum Zentrum führte, wo wie ein ungeheurer Kern der Generator hing. Darüber lagen die Versorgungsbuchten; es gab auch ein Dock, in dem die Schiffe Meteoritenschäden ausbessern oder Energievorräte auffüllen konnten.

    Früher, als die IGO-Patrouillen noch regelmäßig unterwegs waren, konnte man die Station fast als gemütliches Heim und sichtbaren Vorposten der Zivilisation betrachten. Jetzt war sie düster, ein zum Untergang bestimmter Außenposten, ein von der Legion aufgegebenes Fort.

    Im Kontrollraum war davon nichts zu bemerken. Die Androiden-Operateure ließen an Tüchtigkeit nichts zu wünschen übrig. Dogood sah zu, wie seine Mitteilung kodiert und über einen Prioritätenkanal weitergeleitet wurde. Er hielt die Daten ja auch für, ungeheuer wichtig. Sobald sie durchgegeben waren, wurden die Originale im Reaktor vernichtet. Nur Luzifer persönlich konnte sie dort wieder herausholen.

    Er sah zu, wie die ersten kodierten Gruppen durchgegeben wurden, ehe er sich an den leeren Funktisch setzte. Früher hätte er seine Ankunft ankündigen und dann mit einem halben Dutzend anderer Schiffe warten müssen, bis er an der Reihe war, und die Zeit hätte er dazu benützt, in den zollfreien Läden allerhand Andenkenkram zusammenzukaufen und in der Stationskantine zu essen.

    Methodisch trug er sämtliche Daten der Centaur ein, bis zum Körpergewicht der Besatzung. Ein zeitlicher Irrtum von einem Prozent hätte die Erledigung dieser Angelegenheit ohne Belästigung seitens der Scoten gestattet. Er war also gar nicht überrascht, als Ava Mallam ihm über Sprechfunk zurief:

    »Bob, beeil dich! Sie ziehen alle Register und kommen schnell heran!«

    »Bin gerade fertig. Willst du nicht einen Sprung an den Strand tun und deine Krone gerade zurechtrücken?«

    »Die kann ruhig schief hängen. Beeil dich nur. Du machst mich nervös.«

    Dogood überlas noch einmal seinen Eintrag. Wenn er jetzt auf den Unterbrecherknopf drückte, hatte er genau tausend Sekunden Zeit, um zur Centaur zurückzukehren und sie auf dem Strahl umzudrehen. Er rannte zur nächsten Boutique und musterte das dort ausgestellte Spielzeug. Die Erde war durch einen großen, weißen Koalabären mit rosa Seidenschleife und Hufeisen vertreten. Er schob seine Kreditkarte in den Schlitz und holte den Bären mit dem Greifhaken von seinem Sitzbaum herab.

    Dann war er schon wieder am Tisch, setzte das zusätzliche Gewicht noch ein und drückte auf den Operationshebel.

    Ein gedämpftes orchestrales A erfüllte die Kuppel, und eine Außenampel blinkte rot und gelb. Als er die Luftschleuse der Centaur hinter sich hatte, war das A zum As geworden, und der gelbe Blinker ging langsam auf blau-grün über. Zweihunderfünfzig seiner tausend Sekunden waren abgelaufen.

    Fünfzehn brauchte er, um den Bären auf Mallams Konsole zu setzen. »Ein kleiner Tribut an eine charmante Partnerin«,

    sagte er. »Eigentlich hättest du einen stieläugigen Wassergeist aus Corona bekommen sollen, aber ich dachte, im Moment würdest du doch die irdische Fauna vorziehen.«

    Sie war verpackt wie das Reklamebild eines Raummannes, so dass dem glücklichen Gewinner keine freudige Demonstration möglich war. Sie tat aber einen entzückten Schrei, der ihn veranlasste, nach seinem Tonstärkeregler zu greifen, und er war recht zufrieden, dass sein Geschenk »auf fruchtbaren Goden gefallen« war.

    Ava Mallam war äußerst praktisch veranlagt. »Du hast ihn doch sicher in deinem Protokoll erwähnt?«, fragte sie.

    »Natürlich«, versicherte er ihr.

    Noch hundert Sekunden. Die Centaur schwebte langsam auf dem ausgehenden Leitstrahl dahin. In der Kontrollkabine war der Summer doppelt so laut zu hören wie in der Kuppel und schon zu einem grellen C geworden. Die pulsenden Farbquadrate am Scanner waren nur noch einen Hauch weit von Grellrot entfernt.

    Die Argon sah sehr nahe aus. Dogood wusste natürlich, dass der Kommandant ihn leicht mit seinen Waffen erreicht hätte. Aber an diesem Punkt war der Streuwinkel sehr groß, und ein einziger Treffer genügte zur Zerstörung des Funkfeuers. Für Dogood war das Grund genug, daran zu glauben, dass keine Vernichtung der Funkglieder beabsichtigt war.

    Die Centaur tat einen ordentlichen Satz, als sie den Leitstrahl verließen und die Schirme dunkel wurden. Ava Mallam schob ihren Helm zurück, um ihren Glücksbären ein wenig genauer anzusehen; da war das Scotenschiff schon ein halbes Lichtjahr entfernt.

    Es war eine Mischung aus Erleichterung und großer Freude, die nun auf ein Relais tippte, das die Psychologen mit einer Sperre versehen hatten. Sie schob sich von ihrem Tisch weg und ließ sich zu ihrem Kommandanten treiben.

    Ehe ihm eine ausweichende Reaktion möglich war, hatte sie sich schon über seine Konsole gebeugt und ihm einen Kuss auf seine intelligente Stirn gehaucht.

    Mit ihrer Aureole glänzenden, weichen Haares sah sie kühl und anemonenhaft aus, und das war eine große Versuchung für sein konditioniertes Nervensystem. Ein spekulatives Nervchen umging jedoch die Sperre; schade, dass das Signal deshalb zu spät im Zentrum ankam, denn als das Greif- und Festhaltekommando seine Hände erreichte, war sie schon wieder außer Reichweite.

    Er kalkulierte so: selbst der Sekundenbruchteil des körperlichen Kontakts musste sich tagelang in ihrem Behälter rationalisierter Zeit halten, und so konnte die winzigste Geste zur kosmischen Bedeutung gelangen. Dieser Gedanke verstärkte wenigstens andeutungsweise die allmählich zusammensackenden psychischen Barrieren, welche die Crew als erotische Objekte - und Subjekte - abschirmte. Geistesgegenwärtig verwandelte er die besitzergreifende Bewegung in ein großmütiges Winken. »Ah, ist doch gar nicht der Rede wert. Betrachte das Ding als Ausdruck meines Edelmutes. Und überdies kannst du eine kleine Pause einlegen und ein Jahr oder auch zwei schlafen. Ich rode das Dickicht schon, bevor du von den Spinnweben ganz eingeschlossen bist, aber ich blase vorher eine Warnung in mein Jagdhorn.«

    »Oh, du kannst dann alles verwenden, was du in der Hand hast.«

    Dogood zog den Anzug aus und hängte ihn sorgfältig in seine Nische. Anschließend prüfte er sämtliche Konsolen nach und blieb etwas länger an Ava Mallams Funktisch stehen. Ein ganz schwacher, zarter, kultivierter Duft nach Sandelholz hing noch darüber. Es kostete ihn einige Anstrengung, nicht an sie zu denken.

    Es gab eine Theorie, nach der eine entsprechend konditionierte gemischte Crew für eine lange Reise wesentlich vorteilhafter sei als eine eingeschlechtliche, doch die schwankte mm ein wenig.

    Plötzlich schien die Centaur einen Schlag versetzt zu bekommen und seitlich wegzurutschen, so dass er automatisch nach einem Halt an der Decke griff. Gleichzeitig ging sein Gehirn in eine langsame Drehbewegung innerhalb des Schädels über.

    Als sich die Szene wieder stabilisiert hatte, war alles so wie vorher. Mit zwei Schritten war er an seinem Tisch, bevor das Schiff denselben Hüpfer nach der anderen Seite tat. Er biss die Zähne zusammen, um seinen revoltierenden Magen zu beruhigen und versuchte den Alarmknopf für alle Stationen zu erreichen. Er sah seine Hand langsam über die Instrumentenkonsole kriechen, und dann war es auf einmal nachtschwarz um ihn.

    Ein letzter Gedanke, der wie ein Insekt in ein Stück Bernstein eingebettet war, trug ihn in die Bewusstlosigkeit: Er hatte den Scoten also doch unterschätzt. Jemand pfuschte am Funkleitstrahl herum. Sie konnten unendlich lange daran auf gehängt bleiben; Ava schlief in ihrem Gurtbett, und er selbst trieb handlungsfähig in einem Halbschlaf dahin.

    Dogood machte die Augen auf, denn ein Ton, den er im Raum nie zu hören erwartet hatte, weckte ihn auf. Er war ein schöner Beweis dafür, dass er noch am Leben war.

    Er identifizierte ihn als ein Amselsolo, und er wusste, er war zu Hause.

    Auf den rechten Ellenbogen gestützt schaute er sich um. Es war ein Raum von viermal sechs Metern, und ihm war, als sehe er ihn zum ersten Mal. Ihm schien, er sei mit einem Lift tief in den Keller hinabgefahren und nun sei er wieder auf dem Weg nach oben. Dieses Gefühl ließ sich nicht abschütteln.

    Er wusste aber auch, dass dies sein eigenes Zimmer war, das er eine ganze Weile bewohnt hatte. Er stand von seinem Bett auf und ging zum Ankleidetisch, um sich durch persönlichen Augenschein davon zu überzeugen, dass es ihn tatsächlich und hier gab.

    Gewichtslos und von einer schlafenden Oberfläche sanft eingehüllt warf er die Papierbettwäsche in die Abfallklappe, ehe seine verzögerten Reflexe den Unterbrecherknopf drücken konnten.

    Ein Teil seines Geistes wusste das alles. Es war früh, doch er musste aufstehen und Energie verströmen. Das war jetzt schon das zweite Mal in dieser Woche, dass er das Bettzeug zu früh wegwarf, und es war doch ausgeschlossen, dass sein Vorrat vor Monatsende aufgefrischt werden konnte. Also würde er bald ohne sein Papiernest sein.

    Die Cybernat International Inc. war wirklich nicht geizig, doch die Anforderung einer Extragarnitur musste ja sämtliche Kanäle durchlaufen. Er konnte sich gut vorstellen, wie der Verwalter des Männerschlafblocks H das Formular ausfüllte: Zimmer 216, Dr. Ben Duguid verlangt Auffüllung seines Bettzeugs. Grund: zerstreuter Irrer... Die ganze Firma hatte dann tagelang etwas zu belächeln.

    Auf seinem Persönlichkeitsblatt konnte es sich auch niederschlagen als Verhaltensmuster. Nur ein solcher Tropfen täglich in eine Kanne, dann läuft sie auch einmal über und fällt der Conform, dem niemals schlafenden Auge, auf.

    Ein Knopfdruck öffnete die Jalousietüren; barfuß ging er hinaus auf den warmen, thermoplastischen Fliesenboden seiner privaten Veranda, deren Winkel ihm einen ungehinderten Ausblick gestattete.

    Viel zu sehen war ja nicht. Einige dünne, kadmiumgelbe Stangen wuchsen aus dem Horizont, soweit es einen gab, und die großen Blöcke der Wohnhäuser zeichneten sich als schwarzgraue Vierecke mit sauberen Kanten ab. Es war noch nicht hell genug, um Farben hervortreten zu lassen. Alles war nackt und unnatürlich, etwa so, als habe der Mensch des einundzwanzigsten Jahrhunderts die bunten Flicken noch nicht fest aufgenäht.

    Und dann traf es ihn wie ein Schlag zwischen die Augen: Dann war er also Duguid? Ben Duguid? Das schien er zu wissen und gleichzeitig nicht zu wissen.

    Er atmete tief die natürliche, unkonditionierte Luft ein und fand sie ein bisschen zu scharf und auch für seinen Geschmack ein bisschen zu feucht. Trotzdem richtete er seinen Geist auf das Hier und Jetzt aus. Nach langer Zeit hatte er also diesen Traum wieder zu träumen begonnen. Vielleicht hatte er damit niemals aufgehört, aber es war schon lange her, dass er mit einer so klaren Erinnerung daran aufgewacht war. Selbst als Kind war er ein bemerkenswerter Träumer gewesen, der sich an das immer gleiche Zukunftsthema gehalten hatte. Allerdings war dies das erste Mal, dass er ein so scharf umrissenes Bild des Mädchens zurückbehalten hatte, praktisch ein Bild von allen Seiten. Da musste er aufpassen! Wenn Conform diese Verwirrung in seine Personalakte brachte, dann bekam er diese Missgeburten niemals mehr von seinem Rücken.

    Er ging wieder hinein und spielte auf der Servicekonsole eine Frühstückssonate: Kaffee, Brötchen, gegrillter Hering. Das Warnlicht, das wieder einmal zu spät kommen würde, übersah er großzügig.

    Während der gute Servicegeistautomat seine Wünsche erfüllte, duschte er und schlüpfte in seinen weißen, gegürteten Overall mit der großen Aufschrift CYBERNAT quer über den Schultern. Um sie zu sehen, musste er sich vor dem Spiegel den Hals ausrenken. Die Identitätsplakette auf der linken Brusttasche war dafür umso besser zu sehen, und er nahm sie ab, um sie genau zu studieren.

    Der Schlafnebel hob sich immer mehr, und edles erschien wahrscheinlicher. Da war er also nun, und er sah sich in Person und in Farbe, als sei er sein eigener Steckbrief. Dr. Ben Duguid, Cybernat. Department K, Sektor Operative Forschung. Alter: einunddreißig. Identifikationsserie TX/M/938/DC/9.

    Es war ein Tag wie jeder andere, nur dass es früher war als sonst.

    Diese Tatsache ließ sich nicht ableugnen. Er schaute wieder in den Spiegel, hauchte ihn an und entdeckte, dass der Kondensfilm seine untere Gesichtshälfte verdeckte. Ober dem Nebel starrten ihn weitgesetzte grüne Augen mit grauen Flecken an; über der hohen Stirn lag dichtes, braunes Haar; das Gesicht war schmal und hatte eine dünne, lange, gerade Nase. »Du bist ein gutaussehender Teufel«, sagte er zu seinem Spiegelbild und drehte den Kopf so, dass er sich im Profil betrachten konnte. Haarschnitt? Wieso brauchte er einen Haarschnitt?

    Der Raumservice machte Ding, weil das Frühstück in der Klappe stand. Aber erst musste er durch sein Tagebuch blättern. Ah, da war es. Gestern, genau um zehn Uhr, war er in Thelmas Tonsory gewesen und hatte sich den überfälligen Haarschnitt verpassen lassen. Schwarz auf weiß - das konnte nicht lügen. Jede zweite Woche war er vorgemerkt.

    Der Raumservicewecker machte ungeduldig Ding-ding, denn auch ein Mechanismus hat seinen Stolz, und er setzte sich zum Essen.

    Dann trieb er also langsam vom Programm weg? Musste wohl eine unausgewogene Drüsenfunktion sein. Haarschnitt nach dem Rezept Zeitlupe.

    Das passte aber zu seinem Doppelleben. Jekyll und Hyde, oder Jekyll eins und Jekyll zwei; schließlich wies sein altes ego keine aus dem Rahmen fallende Züge auf.

    Er aß nur die Hälfte und signalisierte, dass abserviert werden könne. Erst als er auf seine Armbanduhr sehen wollte, fiel ihm ein, dass er sie ja abgelegt und auf dem Tisch neben der Wegwerfkaffeekanne vergessen hatte.

    Von seinem Raum im Wohnturm aus ließ er sich im Elevatorschacht nach unten treiben. Dogood rutschte immer wieder in die Dimensionen seines Traumes zurück. Hai Bladon teilte mit ihm die Kabine. Er war ein kleiner, stämmiger Mensch, der

    aus lauter Kreisen zu bestehen schien. Sein schwarzes Haar fiel in matten Locken um sein schwarzes Gesicht. »Geht's dir auch gut, Ben?«, fragte er.

    Die Kabine hatte sich zu einem Ballon gerundet und mit raffinierten Instrumenten gefüllt; sie schrumpfte abrupt zu den ihr gemäßen Dimensionen zusammen, und Dogood musterte seinen Gefährten so scharf, als habe dieser gerade eine Sexumwandlung hinter sich.

    »Was hast du gesagt, Hai?«

    »Ob es dir auch gutgeht. Ich dachte schon, du siehst aus, als wolltest du jeden Moment glatt auf den Rücken fallen.«

    »Na, na, das klingt ja ein bisschen... neckisch, was?«

    »Nein, im Ernst. Du hast richtiggehend benommen ausgesehen.«

    »Mir geht's aber ganz gut.«

    »Vielleicht brauchst du nur eine Brille. Herrje, ich hatte scheußliche Schwierigkeiten, bis ich meine Linsen bekam. Geh lieber zum Arzt. Lass dich doch mal gründlich überholen für all die Steuern, die zu zahlst. Er meint, bei der Cybernat hat ein Irrer die ganze Einrichtung geschaffen. Diesen Schrumpfköpfen hat er schon lange den Krieg erklärt. Oder vielleicht übst du zu viel. Die vielen Trainingsstunden im Kleinkaliberschießen! Conform wird allmählich denken, du bereitest eine Revolution vor.«

    Dogood hielt es für einen Schicksalsschlag, nach einem so frühen Tagesbeginn ausgerechnet den redefreudigsten Bewohner des H-Blockes als Kabinengefährten zu haben. Er war dann froh, als er auf die Außenbahn des Expressbandes umsteigen musste, um zum Cybernat-Turm zu gelangen.

    Geschickt bediente er sich der Ausweichbuchten und erreichte sein Ziel mit einem Strom, der in kaleidoskopischen Farben aus dem Frauenschlafblock G quoll. Bladon wurde von der Flut weggespült. Das war Strategie! Jetzt fühlte er sich auch etwas stabiler, als habe seine Aktivität die sich lockernde Psyche wieder in ihr Loch zurückgeschüttelt.

    Ein Stück weiter oben und vor ihm wechselten zwei Mädchen auf eine andere Bahn über, die spiralig auf die seine führte. Dazu gratulierte er sich.

    Den einen Kopf mit dem rotgoldenen, wellig wippenden Haarschopf kannte er doch; er griff verblüfft nach dem nächsten senkrechten Halt. »Darf ich vielleicht?«, fragte eine Brünette mit dem Etikett CINE SUPPLY ein bisschen indigniert, doch das hörte er nicht. Allen Zubringergesetzen zum Hohn drängte er sich vor, bis er hinter dem rotgoldenen Leuchtfeuer war.

    »Ava, dann bist du also auch hier?« Er verstand seine Frage aber selbst nicht. Und das fragende, verständnislose Gesicht, das sich ihm zuwandte, ließ sein eigenes Wissen noch nebelhafter erscheinen.

    Natürlich war es Ava. Es war dasselbe Oval mit den vollen, schwellenden Lippen, die jetzt leicht vor Staunen geöffnet waren. Ein weniger intelligentes Wesen hätte so ausgesprochen dumm ausgesehen.

    In den strahlenden braunen Augen flackerte kein Erkennen auf. Aber Dogood war ein Mensch von bemerkenswerter Sensivität und spürte, dass es hier ein eigenes Problem gab. Eine etwas heisere, leise, tiefe Stimme löste bis zu einem gewissen Grad das Problem der Verständigung. »Was soll das mit dieser Ava und so? Muss ihr wohl ähnlich sein. Kenne ich Sie vielleicht von Cybernat her?«

    2.

    Dogood besah sich die Inschrift auf ihrem blass-apricotfarbenen Kasak. Diese Plakette log nicht. In unauffälliger, hübsch geschwungener Schrift stand da Cybernat. Ehe sie ihn noch einen Psychopathen nennen konnte, hatte er sich schon wieder aufgerichtet.

    »Wie lange sind Sie denn schon bei Cybernat?«

    »Soll das etwa eine Meinungsumfrage sein?«

    »Hab' ich Sie nicht schon mal gesehen?«

    »Na, ist ja schließlich auch ein riesiges Unternehmen.«

    »Ich hätte Sie schon mal in den Hallen oder auf den Laufgängen sehen müssen. Sie braucht man doch nur einmal zu sehen, dann vergisst man Sie für alle Zeiten nicht mehr. Jawohl.«

    »Jawohl?«

    »Nur gewissermaßen eine altmodische Redensart, um den Schlag der Frühmorgenschmeichelei zu lindem.«

    Der Schlag war jedenfalls kräftig genug, um ihre Atmung zu beschleunigen, ob vor Freude oder Zorn konnte er nicht recht feststellen, denn der hübsche Anhänger an einer feinen Elektrumkette lag an einem strategisch besonders interessanten Punkt.

    Schließlich gelang es ihm doch, die Legende zu lesen. Averil Marlowe. Cybernat. Department OG. Produktspezifikation TY/F/414/DC11 las er laut.

    »Ah, Sie können ja lesen!«

    »Nicht besonders gut, wenn sich dieses Medaillon ständig bewegt. Das stört ungeheuer.«

    Die Aussteigbuchten für den Cybernat-Turm lagen rechts. Sie trat vom Expressweg herab und war schon drei Meter vor ihm, ehe er überhaupt bemerkt hatte, was vorging. In der allerletzten Sekunde folgte er ihr und stellte fest, dass Hai Bladon ihn wieder eingeholt hatte.

    »Was ist denn heute mit dir los?«, fragte Hai. »Du bist heute unruhig wie eine Springbohne.«

    Das sagte er im Wesentlichen zur leeren Luft, denn Dogood hatte sich seinem Ziel inzwischen wieder genähert.

    »Flucht in panischer Angst bringt Sie auch nicht weiter. Sind Sie nicht doch überzeugt, dass wir uns schon mal gesehen haben?«

    Zum ersten Mal schien ihre Haltung ein wenig erschüttert zu sein, etwa so, als sei sie ordentlich verblüfft.

    »Ich bin überzeugt, dass wir uns noch nie gesehen haben. Oder... ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Erinnern kann ich mich jedenfalls nicht. Ist es denn so wichtig?«

    »Sehr wichtig.«

    Jetzt wirkte sie fast verstört, als habe ihr Geist etwas aus einem Haufen herausgezogen, das nicht so leicht zu begreifen war. »Entschuldigen Sie bitte. Vielleicht sollte ich sagen, dass ich gerade ein paar Wochen im Krankenhaus hinter mir habe. Anpassungsschwierigkeiten. Sehr wirksam, weil ich nämlich nicht einmal genau weiß, was sie nun wie angepasst haben. Sie haben sehr gründlich gearbeitet. Vielleicht kenne ich Sie wirklich, wenn Sie's schon behaupten. Das Gedächtnis kann nämlich sehr darunter leiden.«

    »Kennen Sie etwa eine Ava Mallam?«

    Diesmal las er etwas wie panische Angst in ihren Augen, und sie wich so weit vor ihm zurück, wie es die Balustrade gestattete.

    Dogood ließ nicht locker. »Sie kennen sie also?«

    »Ava Mallam? Sie sagten Ava zu mir, als Sie mir nachkamen. Was soll denn das alles? Ehrlich, ich weiß es nicht. Der Name klingt bekannt, aber er ist dem meinen ja auch ähnlich. Und wenn ich ja sage? Wohin gehen Sie von hier aus? Zeit haben wir ja keine, weil wir beim Tor sind.«

    Das stimmte, und sie schwamm im Hauptstrom mit, ehe er noch etwas sagen konnte. Hai Bladon verkündete wieder seine Meinung.

    »Was willst du überhaupt von der, Ben? Ich dachte, du hättest einen langfristigen Paarungskontrakt mit dieser Dunklen von PR?«

    Dogood blieb stehen und sah Bladon an. Das war richtig, obwohl er sich dessen noch vor einer Minute nicht bewusst gewesen war. Aber Averil Marlowe war schon verschwunden. »Ich hab' sie mit einer anderen verwechselt«, behauptete er. »Mein Gedächtnis hat mir einen Streich gespielt. Eine Wucht ist sie trotzdem. Wo ist eigentlich Department OG?«

    »Nie gehört. Frag mal bei der Information nach. Arbeitet sie dort?«

    Viel zu spät fiel ihm ein, dass er schon zu viel gesagt hatte. Bladon war freundlich, aber eine alte Klatschbase. Die ganze Geschichte, mit erotischen Fransen und Schnörkeln verziert, hatte garantiert bei Cybernat die Runde gemacht, ehe noch der halbe Vormittag um war.

    »So wichtig ist das auch wieder nicht«, antwortete er.

    Die Gewohnheit lenkte Dogoods Schritte zu seinen Büroräumen. Halb unbewusst las er sein Türschild. Operative Forschung K. Lab. Direktor - Dr. Ben Duguid.

    Hinter der Doppelschwingtür lag der Empfangsraum mit einem halben Dutzend Schalenstühlen aus Plastik, die auf hohen, biegsamen Säulen standen und vollauf geblühten Tulpen glichen. Auf dem Boden lag ein ovaler, puderblauer Wuschelteppich. An einer Konsole arbeitete ein auf eine Säulenplatte montierter Android, der vom Nabel aufwärts der klassischen Aphrodite nachgebildet war. Eine Schwingtür aus Korbgeflecht arbeitete wie ein Ventil, das die Klienten vor der Maschinerie schützen sollte.

    Als er durch die Schwingtür ging, drehte sich der Android langsam um, nahm seine Persönlichkeit und seine elektrische Aura auf und hob einen eleganten Finger, um Aufmerksamkeit zu finden. Dogood bekämpfte den plötzlichen Drang, diesen Finger am Knöchel abzubeißen.

    »Was ist denn los?«, fragte er.

    Es klickte samten, summte diskret, und eine Stimme, die nur das Bestreben zu gefallen kannte, sagte: »Direktor, für Sie liegen zwei Mitteilungen vor. Miss Cain telefonierte von Public Relation, und die Sekretärin des Vorsitzenden rief von Hull City aus an. Die entsprechenden Informationen finden Sie auf Ihrem Band.«

    »Danke.«

    »Ich soll Sie daran erinnern, dass die Produktionsdirektoren um zehn Uhr zur Vorführung kommen.«

    »Dann tu's doch.«

    »Verzeihung, Sir. Was soll ich tun?«

    »Mich daran erinnern.«

    »Woran?«

    »Ich hab' doch nicht den ganzen Tag zu verschwenden, um mit einem verblödeten Torso zu reden.«

    Das war ein billiger Sieg, und Dogoods Triumphgefühl überlebte nicht einmal die paar Schritte zu seinem Schreibtisch.

    Zuerst nahm er sich Deborah Cain vor, die auf seinem Bildschirm erschien. Sie hatte hoch aufgetürmtes schwarzes Haar und regelmäßige Züge, die dem kritischen Auge etwas schwer Vorkommen mochten, vielleicht sogar missmutig. Oder hämisch. Er musste von allen guten Geistern verlassen gewesen sein, als er ausgerechnet mit ihr einen Paarungskontrakt einging.

    »Ah, da bist du ja, Ben«, sagte sie. »Endlich. Seit Tagen versuche ich dich zu erreichen. Du weißt doch, wir müssen bei der Bevölkerungskontrolle einzahlen. Vor dem Vierzehnten, sonst verfällt der Kontrakt, und wir müssen ganz von vorne anfangen.«

    Dogood schaute auf seinen Terminkalender. »Das wäre also morgen.«

    »Ich weiß, dass es morgen ist. Sag mal, was ist mit dir los? Wir treffen uns wie gewöhnlich in der Verwaltungskantine. Dreizehn Uhr. Aber Punkt! Wenn du dich verspätest, zersteche ich dein Bild mit Nadeln.«

    »Hässlich von dir, sehr hässlich! Das ist ja Leichenschändung und nicht weniger.«

    »Sei nicht so schmutzig, sondern lieber da.«

    Sie schaltete ab, und er durfte einen blanken Bildschirm bewundern.

    Nachdenklich spielte er alle Einzelheiten des Anrufes aus Hull durch. Er sollte also sofort Koestler anrufen.

    James Koestler, der Sekretär des Vorsitzenden, redete schon, ehe sich sein Bild auf dem Schirm richtig herausgeformt hatte. »Dr. Duguid, bitte schalten Sie Ihren Zerwürfler ein.«

    Als er das getan hatte, erschien statt des Gesichtes eine sich langsam drehende Windmühle, die gegenüber Koestlers Blaubartwangen und Ochsenaugen ein wesentlicher Fortschritt war. Die Mitteilung erwies sich dagegen als recht kummerbeladen.

    »Der Vorsitzende hat für heute siebzehn Uhr eine Konferenz angesetzt. Mit Ihrer Abteilung hat sie nichts zu tim, aber sie wird dort stattfinden. Das dürfte nicht schwierig sein, denn solche Konferenzen haben Sie schon öfter abgehalten. Es ist dieselbe Demonstration vorgesehen wie für die Produktionsingenieure heute früh. Bereiten Sie sich auf zwanzig Teilnehmer vor, die Sie als eine Gruppe von Tochtergesellschaften des Nordwestens vorstellen. Und sprachen Sie mit keinem darüber, außer mit denen von Ihren Leuten, die es unbedingt wissen müssen. Sorgen Sie dafür, dass am Nachmittag Ihre Abteilung leer ist, falls jemand zu früh ankommen sollte und die Gefahr besteht, dass er erkannt wird.«

    Der Nachteil des Zerwürflers war der, dass man nicht dazwischenreden konnte; das heißt, man konnte es wohl, wenn es auch der andere nicht hörte. Deshalb konnte er Koestler auch nicht bremsen, bis er seinen Antwortknopf drückte. Dogood fischte eine Zigarette aus einer Schreibtischlade.

    »Damit Sie nicht unnütz über den Sinn der Sache nachzudenken brauchen«, fuhr Koestler fort, »sage ich Ihnen, dass die Teilnehmer nur indirekt mit Cybernat zu tun haben. Es ist eine Blaustern-Sicherheitsangelegenheit. Sogar die Tatsache der Zusammenkunft würde schon Spekulationen auslösen. Ich rate Ihnen daher, die Vorbereitungen zu treffen, um sie dann sofort zu vergessen. Klar?«

    »Klar, Dr. Koestler. Muss ich dabei sein?«

    »Das müssen Sie, als Alibi für die Benützung Ihrer Abteilung. Zum Glück sind die Produktionsbesprechungen sowieso grundsätzlich vertraulich, und es fällt daher kaum auf, wenn der Konferenzraum abgeschlossen wird. Im Informationssilo muss Ihre Anwesenheitsplakette hängen, damit jeder sieht, dass Sie noch arbeiten. Sonst noch etwas?«

    »Was ist mit Erfrischungen? Für Kleinigkeiten gibt es einen Automaten, aber für so viele Leute reicht er nicht.«

    »Also tun Sie was. Aber seien Sie überaus vorsichtig.«

    Dogood dachte einige Minuten lang darüber nach. Koestler hatte zwar versucht, gerade diese Möglichkeit auszuschalten, doch die Versuchung war bei den tausend Möglichkeiten viel zu groß.

    Die Zeit hatte einen großen Mund und würde doch alles verraten.

    Er machte eine kleine Runde durch sein Reich. Erst ging er ins Labor, das sich als langes Viereck an den Empfangsraum, sein eigenes Büro und den Zentralbüroraum mit sechs Mitarbeitern und Schreibtischen anschloss. Die Maschine, an der sie gearbeitet hatten, war operationsbereit und mit einer Reihe von Diagrammen und statistischen Zeichnungen bestückt. Sie bezeichneten jenen Punkt, an dem ein Produkt zu kompliziert wurde, als dass es von einem vollautomatisierten Gerät bearbeitet werden konnte. Er meinte dazu, diese Maschine sei die bisher beste Nachbildung.

    Gestern noch war er darauf stolz gewesen, doch schließlich hatte er eine Panne konstruiert, die sie für eine Woche beschäftigt halten würde. Jetzt konnten sie auf den Boden stampfen und die Fäuste schütteln, weil sie den ganzen Kram noch einmal durchexerzieren mussten.

    Etwas von der Magie der Maschine war verschwunden, wenn auch ein fast zärtlicher Klaps auf das schlanke, angenehm gerundete Gehäuse den Eindruck vermitteln konnte, es sei einem hübschen, exponierten Körperteil eines Renoir-Aktes nachgebildet. Den Klaps versagte er sich und ging zum Konferenzraum weiter, dem größten und elegantesten Raum seiner Abteilung, der mit dreißig Pullman-Sesseln ausgestattet war.

    Alles war in Ordnung. Jede Armstützenkonsole zeigte das grüne Wartelicht. Am Podium drückte er sämtliche Knöpfe durch und ließ schließlich die Trennwand zum Labor in die Wand verschwinden.

    In diesem Moment ging die Tür zum Hauptbüro auf, und ein kleines, zierliches, hübsches Mädchen in einem schwarzgrauen Kasak und mit kornblumenblauer Schleife im blonden Haar erschien. Es war seine Assistentin Sue Bairstow, die das Heim der Abteilung im Auge behielt. »Ah, Sie sind's, Direktor.«

    »Wer hätte es sonst sein sollen?«

    »Nim, irgendjemand, und dem hätte ich gesagt, er soll nicht an der Anlage herumpfuschen, weil ich sie durchgeprüft habe.«

    »Und das sagen Sie nicht, weil's ich bin. Sind alle da?«

    »Klar. Und begierig, Ihren Befehlen zu lauschen, Meister.«

    Dogood stieg vom Thron herab und lehnte sich an die Bürotür. Drei standen am Fenster. Trudy Gale und Jim Kent arbeiteten am Zeichenbrett, und das war charakteristisch für sie. Sue Bairstow blieb in seiner Nähe und lauschte ihm voll übertriebener Aufmerksamkeit, um, wie es schien, sofort nach allen Rieh hingen davonzuspritzen, wenn er es verlangte.

    »Jim und Trudy, euch beide hätte ich gerne für die Demonstration um zehn. Um siebzehn Uhr kommt eine Besuchergruppe, aber die übernehme ich selbst. Das heißt also, dass wir heute nicht abhauen können, doch ein Problem ist das nicht. Für die nächsten drei Tage ist weiter nichts vorgesehen. Ihr könnt also alles so lassen, wie es ist, und am Nachmittag macht ihr blau.«

    »Ich habe noch einige Ablagerückstände«, sagte Sue Bairstow. »Ich bleibe also, falls Sie mich brauchen sollten. Etwa um Ihnen ein parfümiertes Handtuch auf die Stirn zu legen.«

    »Ein nettes, großzügiges Angebot und trotzdem: nein. Ihren Eifer können Sie bei anderen Gelegenheiten sicher noch beweisen. Sie hängen besser Ihren Bleistift an den Nagel und gehen wie ein liebes Mädchen nach Hause.«

    »Welche Gruppe ist es denn, Chef?« Die Frage klang unschuldig, und Reg Fodens dunkles, schmales Gesicht sah ebenso füchsisch aus wie sonst. Er wollte nur immer alles genau wissen.

    »Keine Details bekannt. Ein paar von den Außenstellen wollten mit den Eierköpfen persönlich reden. Macht nichts, wenn die Leute das erfahren, das erspart uns später vielleicht Probleme.«

    Dogood hatte das Gefühl, keine besondere Arbeitswut zu verspüren. Es kostete ihn schon Anstrengung, den Sichtschirm einzuschalten, und die Mühe, den sich langsam bewegenden Mitarbeitern einen Schritt voraus zu bleiben, war auch nicht gering.

    Er malte Männchen auf seine Schreibunterlage. Die meisten Angelegenheiten konnte das Hauptbüro selbst erledigen, und es nahm volle zwanzig Minuten in Anspruch, bis er zwei Vorgänge mit seinen Initialen abgezeichnet hatte, die mit allen verfügbaren Daten wieder an ihn persönlich zurückgehen sollten, damit sie von ihm selbst bearbeitet werden konnten.

    Es wurde aber immer schwieriger, seine introspektiven Überlegungen in Schach zu halten. Er hatte etwas zu tim, und die Gedanken in seinem Kopf liefen in eine ganz andere Richtung; das trieb ihm Schweißtropfen auf die Stirn. Und ein wenig benommen fühlte er sich auch. Ein parfümiertes Handtuch wäre gar keine schlechte Idee.

    Übrigens lagen Spuren eines feinen Duftes in der Luft, die schwer zu identifizieren waren, auf keinen Fall aber zu Sue Bairstow gehörten, die sich an Lavendel und Pfirsich hielt. Der Duft hatte etwas mit Sandelholz zu tun und erinnerte ihn an Averil Marlowe.

    Seine Hand lag schon am Knopf des Sprechgerätes, um den Informationssilo anzurufen, doch die Vorsicht warnte ihn. Alle Gespräche zwischen den Abteilungen wurden überwacht. Man musste immer damit rechnen, dass man in die Verlegenheit kam, sich das Playback anhören zu müssen. Er drückte lieber auf die Sprechtaste für Sue. »Halten Sie die Festung mal für eine Weile, ich muss ausgehen«, sagte er.

    »Erwarten Sie jemanden?«

    »Nein. Vielleicht kommt neu: eine Anfrage zur zweiten Konferenz. Da geben Sie nur den üblichen Weg an. Eintritt vom E-Korridor aus.«

    »In Ordnung.«

    »Kommen Sie mal einen Moment in mein Büro.«

    »Mit einem parfümierten Handtuch?«

    Dogood kam ihr zur Tür entgegen und umrundete sie schnuppernd. Sie folgte ihm mit dem Kopf und drehte ihn dann schnell zur anderen Seite, als er aus dem toten Winkel hinter ihr herauskam. Sie sah ihm mit ungläubig geöffnetem Mund nach, als er kommentarlos zur Außentür ging.

    »Was soll denn das Schnuppem?«, fragte sie, als er die Tür aufmachte. »Dürfen wir hoffen, dass eine zarte Jungfrau an ihrem Schreibtisch nicht mehr sicher ist?«

    »War nur Routine. Hier riecht es irgendwie merkwürdig, und ich wusste nicht, ob es Ihr Duft ist. Jetzt sind Sie aber freigesprochen.«

    »Die Damen vom Rotary-Club lassen Ihnen das aber nicht durchgehen. Die jagen Sie mit Schimpf und Schande zur Stadt hinaus.«

    Dogood musste im Informationssilo auf eine freie Zelle warten. Er war überlaufen von einer Horde Mädchen in schwarzen, enganliegenden Trikots. Er kam sich vor wie eine Nonne beim Hexensabbat, die man für diesen Zweck genau nach Größe, Farbe, Rang und Geschlecht ausgesucht hatte. Sie kicherten nur deshalb nicht hinter vorgehaltenen Fächern über ihn, weil sie in ihren Trikots keine Fächer verstecken konnten.

    Selbstverständlich wäre es einfacher gewesen, sich an die Spitze der Schlange zu drängen, statt sich hinten anzustellen, doch das Fairness-Syndrom hielt ihn am Schwanz der Schlange fest. Aber er hätte ja jetzt am Schreibtisch sitzen und arbeiten sollen. Wenn er sich schon auf den Marktplatz stellte, musste er sich wenigstens an gewisse Spielregeln halten.

    In der Zelle verlor er keine Zeit; er drückte auf den Knopf nicht aufgezeichnete Anfrage und tippte dann Averil Marlowe, Department O. G. TY/F/414/DC11.

    Die vorherige Benutzerin hatte einen schweren Duft nach wilden Rosen hinterlassen, und so musste er eine Zigarette anzünden, um die aufdringlichen Rosen zu dämpfen. Deshalb sah er nicht, wie sich das Band aus dem Informationsschlitz schob, doch als er den ersten Zug an der Zigarette tat, war es da: Details zurückgezogen. Conform.

    Eine volle Minute lang schaute er das Band an. Sein geistiges Auge sah sie, wie er sie vom Expressband her in Erinnerung hatte. Sie musste also gewusst haben, dass Conform interessiert war und hatte ihn vielleicht sogar für einen anderen gehalten. Conform war ja überall; vielleicht hatte er sogar in seinem eigenen Büro einen Spitzel sitzen. Etwa Reg Foden. Wenn es eine Conform-Angelegenheit war, konnte jede weitere Anfrage gefährlich werden.

    Er tippte: Cybernat, Dept. O. G.

    Diesmal wurde der Bildschirm von Zuckungen befallen und lieferte ihm das Diagramm eines teilweisen Zusammenbruches der Sektion. Sie war aufgeführt als Dritte in der Hierarchie einer Gruppe von zwölf Spezialisten, die mit Programmieren und der Sammlung von Produktenmustern beschäftigt war; dazu gehörte eine ausgezeichnete berufliche Qualifikation, und die Öffentlichkeit hatte viel in sie investiert. Conform wäre natürlich außerordentlich interessiert, falls sie je als unzuverlässig angesehen werden müsste.

    Diese Gruppe saß im anderen Turm. Deshalb hatte er sie vorher auch noch nie gesehen. Der Cybernat-Komplex war in Zwillingstürmen untergebracht, die in jedem zehnten Stockwerk durch überfliegbare Lufttunnels miteinander verbunden waren. Jeder Turm war jedoch eine selbständige Einheit mit eigener Kantine und Erholungsanlage. Wenn man nicht gerade direkt miteinander zu tun hatte, konnte man denken, man arbeite für eine ganz andere Firma.

    Department O. G. lag im vierundzwanzigsten Stock; das hieß, dass man im eigenen Gebäude bis zum zwanzigsten Stock nach oben fahren, den Lufttunnel benützen und die nächsten vier Stockwerke im anderen Turm zurücklegen konnte.

    Er musste herausbekommen, was Ava vorhatte. Ava, da war schon wieder dieser Name. Das war ihr Name, auch wenn sie es ableugnete, und sie wusste es.

    Im Lift hatte er wieder einen Anfall von Übelkeit, und plötzlich erschien seine Traumwelt plastisch und sehr solid um ihn herum. Als er zur Halbtür gehen und Ava Mallam aufwecken wollte, trat er im zwanzigsten Stockwerk auf den Fliesenboden der Halle hinaus und musste sich an einer Topfpalme festhalten.

    Vielleicht war genau dies auch Averil Marlowe zugestoßen. Conform hatte nicht nur ein ausgeklügeltes Sicherungssystem, sondern auch einen Hospitalflügel. In den höheren Rängen war es nämlich ungeheuer wichtig, dass nicht einmal Zufallsfehler vorkamen.

    Die vier letzten Stockwerke legte er zu Fuß über die Treppe zurück. Die körperliche Bewegung brachte ihn wieder in die Gegenwart zurück. Als er den Empfangsraum des O.-G.-Sektors erreichte, war er nichts als Duguid, der nicht recht sicher war, ob er nicht doch umkehren und in sein Büro zurückgehen sollte.

    Der Empfangsroboter war hier nur eine glatte, rechteckige Konsole mit einem einzigen flexiblen Arm, der mit einem Greifer ausgestattet war. Er schrieb seine Anfrage auf einen Block, riss das Blatt ab und schob es in einen dafür vorgesehenen Schlitz.

    Sein eigenes Modell war viel moderner und besser, und er hämmerte schließlich mit beiden Fäusten auf das Museumsstück. »Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte von oben her eine blechern-kehlige Stimme. »Miss Marlowe wird in zwei Minuten hier sein.«

    Dogood trug einen Stuhl zur Trennwand, deren untere Hälfte aus undurchsichtigem Glas bestand. Vom Stuhl aus konnte er in ein großes Büro spähen, in dem die Sklaven der O.-G.-Sektion schufteten.

    Dann ging eine Tür auf, und Ava kam heraus. Sie schaute auf und bemerkte ihn, als habe sie seinen Kopf genau dort zu sehen erwartet.

    Sie wirkte ernst und nachdenklich und keineswegs vergnügt. Ihr langes Haar schwang elastisch, und die Hände ließ sie wie eine Schlafwandlerin hängen.

    Als sie an der Ecke verschwand, stieg er vom Stuhl herab und ging ihr entgegen. Ihm erschien es ganz natürlich, dass er ihr die Hand entgegenstreckte, als sei es ein ganz formelles Zusammentreffen.

    Irgendeine Gedankenverbindung ließ ihn den galanten Satz heraussprudeln: »Allein diese weiche Hand ist schon eine ganze Frau.«

    Sie versuchte die Hand zurückzuziehen, doch das ließ er nicht zu. »Was wollen Sie, Dr. Duguid?«, fragte sie. »Ich nehme nicht an, dass sie mich holen ließen, um mir das zu sagen. Und ich habe Ihnen schon erklärt, dass ich Ihre Ava Mallam nicht kenne.«

    »Sagen Sie ihn noch einmal. Nur den Namen. Sagen Sie Ava Mallam und sagen Sie's immer wieder.«

    »Ava Mallam. Ava Mallam. Ava Mallam.« Sie betete den Namen herunter wie ein Lama seinen heiligen Spruch. Dann wurde ihre Stimme leiser, bis sie nur noch ein Wispern war. Dazu bewegte sie den Kopf im Rhythmus ihres Herzschlages. Endlich schwieg sie und ließ den Kopf sinken, so dass ihr Haar wie ein schimmernder Wasserfall nach vorne fiel. »Ich kann nicht mehr. Warum zwingen Sie mich, das zu tun? Wer sind Sie überhaupt? Bitte, lassen Sie mich in Ruhe. Ich rufe sonst den Sicherheitsdienst.«

    Der Empfangsroboter hatte sonst kein reiches Gefühlsleben, schützte jedoch die Rechte der Sektion. »Ich habe den Direktor informiert, dass es hier eine Störung gibt«, sagte die Blechstimme. »Der Sicherheitsdienst ist unterwegs.«

    Und das stimmte. Dogood ließ ein wenig zu spät ihre Hand los und drehte sich zu ihnen tun, als sie ankamen.

    Sie waren erstaunt, wie ruhig es hier zuging, denn sie hatten mindestens einen rabiaten Amokläufer mit einer Axt erwartet. Und übrigens war auch das Rangabzeichen ein Hinweis darauf, dass man besser vorsichtig wäre.

    Der Anführer der Gruppe in der blaugrauen Uniform der Cybernatinternen Sicherheitskräfte war ein breitbrüstiger Bursche mit einem Piranhagebiss und roten Stoppeln, die aggressiv aus seinen Ohren starrten.

    »Wo gibt's Ärger, Direktor?«, fragte er.

    »Keinen Ärger. Ihr Empfangsroboter muss etwas missverstanden haben. Vielleicht ist seine Geräuschempfindlichkeit schlecht eingestellt. Wir versuchten nur eine Wiedergabe bestimmter Silben. Es tut mir leid, dass Sie überflüssigerweise gerufen wurden.«

    »Das macht nichts. Dafür werden wir ja bezahlt. Stimmt das alles, Miss Marlowe?«

    »Sie kennen also Miss Marlowe?«

    »'türlich. Sie ist ja schon ein paar Jahre in der Sektion.« Und er holte sich auch gleich die Bestätigung. »Stimmt doch, Miss?«

    »Ja. Ist schon recht, Carter. Dr. Duguid geht jetzt sowieso. Der Ruf war überflüssig.«

    Dogood hörte sich sagen: »Ich habe mittags hier zu tun. Ich erwarte Sie also um halb eins, wie vereinbart, in der Kantine.«

    Er fürchtete schon, damit würde er nicht wegkommen. Carter war intelligent genug, die winzige Pause und eine gewisse Spannung zu bemerken, denn er sah scharf von einem zum anderen.

    »Gut«, antwortete sie. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Ihre Freundin zu finden. Ich werde nachfragen.«

    Dogood erschien kurz bei der ersten Konferenz, die glatt ablief. Dann schloss er sich in seinem Büro ein und arbeitete voll wütender Konzentration bis zum Mittag an ein paar laufenden Angelegenheiten. Punkt zwölf Uhr schoss er in die Servicestation hinab und ließ sich die Haare schneiden. Anschließend eilte er in den anderen Turm und war um halb eins in der Kantine. Zwei Runden musste er machen, bis er ihr rotgoldenes Haar entdeckte. Sie saß allein vor einem Tischautomaten mit vier Plätzen. Sie erschrak, als er sie ansprach.

    »Sie sind aber sehr pünktlich, Dr. Duguid«, sagte sie.

    »Ben. Oder Bob.«

    »Bob?«

    »Sagt Ihnen der Name etwas? Macht nichts. Im Moment ziehe ich Ben vor. Dachten Sie etwa an etwas anderes?«

    »Es gibt etwas, das ich Ihnen erzählen sollte, doch mit Ihrem Problem hat das nichts zu tun. Es ist eine persönliche Angelegenheit. Ich sagte Ihnen ja schon, dass ich im Hospital war. Und wenn ich Ihnen nun noch den Grund sage, werden Sie nicht annehmen, dass ich eine sehr verlässliche Zeugin bin.«

    »Versuchen Sie's einmal.«

    »Ich weiß nicht, in welcher Geistesverfassung ich war, ehe ich in Behandlung kam. Mit ihrer Therapie hatten sie jedenfalls

    Erfolg. Ich nehme an, dass ich in einem kritischen Angstzustand war, der ausgefallene somatische Effekte zur Folge hatte. Sie kennen doch diese Körper-Geist-Sache. Niemand sieht da je richtig durch. Und niemand hat je immer alle Tassen im Schrank. Ich hätte es selbst nicht geglaubt, aber bei mir ist es amtlich festgehalten.«

    »Was ungefähr?«

    »Es war so, als rutsche mein Zeitschema nach rückwärts. Angegangen ist es damit, dass ich dachte, wir hätten den vorhergehenden Tag, und da versuchte ich mich nun zu überzeugen. Für mich war es auch der vorhergehende Tag, und der richtige Tag war in meinem Kopf da wie ein Vorwissen der Zukunft, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

    »Und diese somatischen Effekte?«

    »Das ist ja das, was mir Angst machte. Ein paar Beispiele sind auf der Karte eingetragen. Es scheint, als hätte ich eines Tages meine Nägel ganz kurz geschnitten und sie lindgrün lackiert, so dass sie zu einem neuen Kaftan passten, den ich abends tragen wollte. Das war gegen elf Uhr in der Vormittagspause. Gegen Mitte des Nachmittags saß ich an meinem Schreibtisch, und da hatte ich plötzlich das Gefühl, es sei der falsche Tag. Als ich nach einem Mikroband im Regal griff, bemerkte ich, dass meine Nägel lang und elektrumblau lackiert waren.«

    »Halluzination. Eine sehr lebhafte Vorstellungskraft.«

    »Aber sie blieben so«, erklärte sie. »Danach ging ich zum Arzt. Nun ja, gegangen wäre ich sowieso, denn die Sektion machte einen Bericht. Man hätte mich ja doch aufgefordert.«

    Sie streckte eine schlanke, aber sehr energische Hand aus, als wolle sie etwas beweisen.

    Dogood reagierte sehr schnell, nahm sie, fand sie warm, glatt und sehr menschlich. Sein Computergeist lochte allerdings das Gefühl einer kleinen Kränkung, weil sie die Nägel zum neuen Kaftan passend lackiert hatte, in dem sie Gott weiß wen hatte treffen wollen. Ihre Augen waren jedoch sehr ernst und ziemlich besorgt, so dass er dieses Gefühl unterdrückte und sehr sanft blieb.

    »Das ist aber außerordentlich störend. Man hat immer gleich das Gefühl, als verliere man den Verstand oder werde zu einem Monster. Am schlimmsten ist es, wenn man glaubt, ganz auf sich allein gestellt zu sein, irgendwo auf einem Ast zu sitzen und von allen Menschen und jeder Verständigungsmöglichkeit mit ihnen abgeschnitten zu sein. Aber ganz so ist es ja nicht. Auf etwas gemäßigte Art ging es mir ähnlich. Ich will nicht behaupten, dass ich es verstünde, aber ich habe das Gefühl, dass ich es eines Tages tun werde und nichts Unheimliches daran ist. Ich denke, wir leiden an der gleichen Krankheit. Das ist eine Angelegenheit des Wissens. Die Erde war trotzdem rund, wenn auch die Flacherdlinge sie für flach hielten.«

    Das heiterte sie doch ein wenig auf. »Es klingt ja ganz so, als seien Sie die rechte Hand von Ursache und Wirkung.«

    Wie eine Wahrsagerin hielt er noch immer ihre Hand, und beide wurden sich dessen gleichzeitig bewusst. Sie zog sie zurück, und er fühlte, wie eine einzigartige Identität ihn wie ein Gewand einhüllte. Etwas verspätet fiel ihm dann ein, dass Deborah Cain in einem anderen Teil des Kantinenwaldes auf ihn wartete.

    Er schaute auf sein Handgelenk - die Uhr war nicht da. »Wie spät ist es?«, fragte er sie.

    Das war eigentlich eine einfache Frage, die keine Panik hätte auslösen dürfen; aber zwei ungebetene Gäste hatten sich zum Picknick gesellt.

    Beide waren schwarz gekleidet; der eine war ein dünner, dunkler Mann mit gegürteter Uniformjacke und dem CS-Monogramm auf den Epauletten, seine Gefährtin war blass und blond, trug eine Art kurzen Kaftans und die gleichen Insignien auf der linken Brust, weshalb sie zu genauerer Inspektion einluden.

    An der Zentralkonsole wählten sie ihre Mahlzeit aus; nichts Besonderes, weder dürftig, noch raffiniert. Um ihren Adleraugen etwas Gutes zu tun, bestellten sie je ein Glas Karottensaft. Dogood beugte sich ein wenig über den Tisch und redete weiter, als habe er nur aus Höflichkeit eine Pause eingelegt. Das war mit den Fremden am Tisch nicht ganz einfach. Es war auch danach, doch etwas Besseres konnte er nicht aus dem Ärmel schütteln.

    »Wie ich schon sagte, gab es ein ziemliches Durcheinander im Terminkalender, und seine Sekretärin sagte zu ihm: Ich fürchte, ich habe für Sie bei einer Besprechung von Produktionsberatern und für ein Essen der Damen vom Rotary Club gleichzeitig zugesagt. Und darauf antwortete der Abteilungsleiter: - Dogood grinste von einem Ohr zum anderen -: Nun, dann lieber die Damen, weil sie für meine Füße so ausgezeichnet sind

    Die Reaktion war gemischt. Averil gelang ein etwas schiefes Lächeln, womit sie den Versuch belohnte. Das CS-Mädchen riss ungläubige blassblaue Augen auf, etwa so, als kandidiere sie um die Präsidentschaft beim Damen-Rotary und das hier sei eine kalkulierte Verunglimpfung. Der Seniorpartner nahm ein winziges Schlückchen Karottensaft, war davon deutlich erfrischt und fragte ohne jede Vorrede: »Sie sind doch Miss Marlowe von Cybernat, was?«

    Ihre Augen suchten Hilfe bei Dogood, und er fühlte so sehr mit ihr, als habe sich ihr Adrenalin in seinen eigenen Kreislauf geschmuggelt. Ihre instinktive Bitte an ihn berührte ihn tief. Für ihn gab es nicht den geringsten Zweifel daran, dass alles, was ihr zustoßen könnte, auch ihn beträfe.

    »Ja, das stimmt«, antwortete sie.

    »Lasmech, Controllern: Lasmech, C. S. Meine Assistentin Gerda Sibley.«

    »Ja?«

    »Nur ein Wort, Miss Marlowe.«

    Der Ton schloss Dogood automatisch von diesem Dialog aus, und es schien erwartet zu werden, dass er sich unauffällig zurückzog.

    Averils braune Augen suchten jedoch wieder Hilfe.

    »Duguid«, sagte er. »Auch von Cybernat. Machen Sie nur weiter. Mich könnten Sie übersehen. Miss Marlowe und ich sind uralte Freunde. Ich bereite eben eine Versetzung vor, so dass sie künftig in meiner Abteilung arbeiten wird. Sie ist nämlich eine der besten Statistikerinnen in unserem Geschäft, und ich brauche sie ganz dringend.«

    Damit drückte er aus, dass Cybernat seine Leute beschützte und Lasmech sich streng an den Buchstaben zu halten habe.

    Gerda Sibley hatte eine freche, schrille Keifstimme. »Das muss aber eine ganz neue Entwicklung sein, denn in ihrer Akte steht nicht ein Wort davon, dass sie aus dieser Sektion versetzt werden soll.«

    Also hatten sie sich vor diesem Besuch gut informiert.

    Averil zögerte, und Dogood hoffte, sie möge keine zu lange Pause machen. »Ja, es ist tatsächlich eine ganz neue Entwicklung«, antwortete sie. »Erst jetzt habe ich ihr zugestimmt. Das Firmenkomitee muss erst noch seine Einwilligung geben. Reden Sie nur weiter. Was hier gesprochen wird, sollte Dr. Duguid sowieso hören.«

    »Sind Sie sich dessen bewusst, dass es etwas geben könnte, was CS interessieren könnte?« Lasmech sprach eintönig, so dass es ebenso eine Feststellung wie eine Frage sein konnte. Er begann zu essen und kaute bedächtig auf einem Happen Nusskotelett mit Gemüseersatz herum.

    »Nein«, sagte sie.

    »Nun, Sie könnten Recht haben. Aber wir sorgen uns um Ihre Gesundheit. Ausgefallene

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