MAD-MIX2: Corona-Shorts: Geschichten & Gedichte aus der Pandemie
Von Mari März
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Über dieses E-Book
Der Lockdown war nicht nur scheiße, oder?
Wir haben unsere Kleiderschränke aufgeräumt, unsere Garagen oder Keller entrümpelt, unsere Wohnungen renoviert, gegebenenfalls Beziehungen ausgemistet und den Garten oder Balkon auf Vordermann gebracht. Immerhin!
Wir haben unsere Kinder besser kennengelernt, ihren Tagesablauf, ihre Bedürfnisse, ihren Alltag, ihre Sorgen und vielleicht ihre geheimen Wünsche.
Wir haben verstanden, wie wertvoll Herzenswärme ist, wie wichtig eine Berührung, aber auch wie lebensrettend Abstand sein kann.
Wir haben gelernt, dass die Welt nicht hinter Aachen, Schwedt, den Alpen oder der Ostsee aufhört. Die Pandemie zeigte uns, wie groß aber auch wie klein die Welt ist und wie mächtig die Natur.
Wir haben erfahren, wie korrupt Politiker sein können, wie eigensinnig Ministerpräsidenten, wie fragil unsere Freiheit und wie schützenswert unsere Demokratie.
Und wir haben hoffentlich kapiert, dass die Menschheit nicht die Krone der Schöpfung ist, wenn uns ein winziger Virus global in die Knie zwingen kann.
Das Positivste für mich und meine Leser ist wohl, dass ich 2020/2021 so viel geschrieben habe wie noch nie. Der Lockdown kostete mich Nerven, diverse Aufträge, jede Menge Geld, aber er schenkte mir auch Zeit, die nicht bezahlbar ist.
Viel Spaß mit meiner literarischen Aufarbeitung der Pandemie. Geschichten, Gedanken und Gedichte, die ich in der Corona-Zeit schrieb.
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Buchvorschau
MAD-MIX2 - Mari März
INHALT
INHALT
LOCKDOWN
ZEITENWENDE
MEMO
Wir schreiben zu Hause
HOLLYWOODSYNDROM
Die Sehnsucht nach dem Verfall
BROKEN MINDS
Tränen
Angst
Sascha
Würde
Zweifel
Taten
Henkersmahlzeit
Antikörper
Anmerkung zu Broken Minds
HOLLYWOODSYNDROM
Die Suche nach dem Traummann
DANNY
Die Mord(s)lustigen
Chapter 1
Chapter 2
Chapter 3
Chapter 4
Chapter 5
Chapter 6
Chapter 7
Chapter 8
Chapter 9
Chapter 10
NERVUS MAXILLARIS
KAUSALITÄTEN KRASSER KOPULATION
SOHN DER SÜNDE
DER PORREE UND FRAU BRIEST
GÖTTERDÄMMERUNG
Anmerkung zu Götterdämmerung
Heißhunger
Ein kulinarischer Lese-Quickie
Nachschlag?
Hörbücher
LOCKDOWN
Was machst du den ganzen Tag?
Du hast doch Zeit, da kannst du doch mal ...
Im ersten Lockdown 2020 verstummten all jene Besserwisser, die glaubten, Home-Office wäre eine aufgeblasene Bezeichnung für ein sonst nicht definierbares Gammel-Dasein zwischen Haushalt und gepflegt die Füße in die Sonne halten. Na ja, ich arbeite gern in verbeulter Jogginghose und auch gern in der Sonne – diesbezüglich möchte ich den Klugscheißern sogar rechtgeben. Und wisst ihr was? ICH LIEBE ES! Warum das Home-Office dennoch nichts für Feiglinge ist?
Es bedarf Selbstdisziplin, Zeitmanagement und den Mut zur Lücke. Man muss auch mal nein sagen können, Prioritäten setzen – gegenüber dem eigenen Perfektionsdrang aber auch gegenüber Freunden, der Familie, dem Haushalt.
Als ich begann, im heimischen Büro zu arbeiten, war mein Sohn elf. Ich musste also nicht nur zwischen Haushalt, Job, Postboten, Callcenteranrufen und den notwendigen Alltagsherausforderungen um Ruhe ringen, sondern mich auch einem Jungen widmen, der ein Recht hatte, dass man ihm Aufmerksamkeit schenkte, sich für seine Sorgen interessierte, ihm bei den Hausaufgaben half. All das, was jetzt so vielen da draußen zu schaffen machte.
Klare Regeln helfen! Mehr will ich dazu nicht sagen, ich bin Autorin – kein Therapeut oder Coach.
Dafür Profi in den eigenen vier Wänden, die auch bisweilen mobil sind. Nach dreiundzwanzig Jahren im öffentlichen Dienst arbeite ich seit nunmehr acht Jahren in meiner selbstgewählten Freiheit, was bedeutet, dass ich die komplette Pubertät mit meinem Sohn erleben durfte. Es hat geklappt. Nicht immer harmonisch, aber letztlich doch recht ordentlich. Der junge Mann geht jetzt zur Uni.
Da mein Arbeitstag gegen 8:00 Uhr beginnt und meist erst nach 20.00 Uhr endet, sind da ausreichend Stunden, in denen ich alle möglichen »Ablenkungen« hinnehmen muss. Insofern kann ich selbstverständlich nachvollziehen, wie es all jenen geht respektive ging, die im Lockdown ihre Kinder betreuen und »nebenbei« im Home-Office oder auch an der Front ihren Job meistern mussten. Was mich nervt, ist die einseitige Darstellung im TV und ja ... letztlich das Jammern auf höchstem Niveau.
Diese leidliche Debatte beispielsweise, dass Mütter und Väter mit ihren Kindern überfordert sind oder Hausfrauen ihre Arbeit bezahlt haben wollen. Von wem? Was ist mit all jenen, die den Haushalt neben Kind und Karriere auf die Reihe kriegen?
Wenn ich also solche Beiträge im TV sehe, schwillt mir die Galle beim Gedanken an jene Frauen, die misshandelt, missbraucht, gedemütigt werden und es leider nicht schaffen, sich aus dem Teufelskreis zu befreien.
Deshalb schrieb ich BROKEN MINDS, das war mein Ventil, mit dieser kollektiven Aufregung klarzukommen. Während der Corona-Lockdowns gab es Millionen Einzelschicksale – von den wirtschaftlichen Konsequenzen ganz zu schweigen. Ich denke an die unzähligen Firmeninsolvenzen, an zig Unternehmer weltweit, deren Lebenswerk den Bach runterging – die ökonomischen Spätfolgen stehen uns noch bevor. Wie ging es Menschen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt waren und immer noch sind, wie all jenen, die unter Depressionen oder psychischen Krankheiten leiden? Wie denen, die Angehörige an oder durch Covid-19 verloren haben?
Auch wenn es hier keine Pauschalaussagen gibt, glaube ich, dass all jene, denen das Wasser tatsächlich bis zum Hals steht, keine Zeit und auch keine Kraft haben, öffentlich zu jammern.
Aber nun mal weg vom Negativen. Home-Office ist und bleibt eine Herausforderung. Man muss Grenzen und Prioritäten setzen können, multitaskingfähig sein und über jede Menge Selbstdisziplin verfügen – gern auch mal sieben Tage die Woche und weit über die durchschnittliche Arbeitszeit hinaus. DAS ist u.a. für mich das Positive, was uns Corona und sogar die Jammerbeiträge beschert haben: Die Arbeit am heimischen Schreibtisch ist mindestens genauso viel wert wie in einer Firma. Es ist RICHTIGE Arbeit!
Und was hat Corona noch mit mir/uns gemacht? Zum Beispiel mit der Buchbranche?
Immer öfter lese ich, dass Autoren nicht mehr schreiben, weil die Einnahmen fehlen. Selbst namhafte Autoren und Verlage verschieben Buchveröffentlichungen und werben neuerdings offensiv online. Veranstalter mussten massive Verluste durch knapp zwei Jahre Verbot hinnehmen. Tja, das ist wohl kein gutes Zeichen. Man könnte glauben, die Menschen hätten im Lockdown mehr Zeit zum Lesen gehabt. Hatten sie sicherlich, nur sinken die Verkaufszahlen trotzdem, auch bei mir.
Aber es gibt auch einige positive Aspekte, die ich der Pandemie abgewinnen kann. Als jemand, der wie meine #MissVerständnis Menschen – vor allem in größeren Mengen und mit engem Körperkontakt – nicht unbedingt mag, geht es mir momentan mit den Abstandsregeln nicht sooo schlecht. Okay, ich sehne mich danach, wieder öffentlich lesen zu dürfen, Freunde und Kollegen zu treffen, in Berlin ohne Mundschutz einen Kaffee zu trinken und shoppen zu gehen. Aber das sind letztlich Luxusprobleme.
Der Mangel im Lockdown hat mich und hoffentlich einige mehr zurück auf den Boden der Tatsachen gebracht. Ich sagte seinerzeit ja gern süffisant, dass es wie in der DDR sei: Nüscht im Regal und reisen jeht och nich.
Der Überfluss wird erst in Zeiten des Mangels deutlich, nicht wahr? Klar war es nervig, nach Klopapier anzustehen, aber auch verdammt lehrreich.
Reisen geht nun halbwegs wieder und verhungern werden wir auch nicht. Die Umwelt konnte sich erholen, das ist doch was. Vielleicht zieht es die Menschen tatsächlich aufs Land, sollte sich das Home-Office etablieren. Es wäre letztlich eine Win-win-Situation für Großstädte, Gemeinden, unsere Work-Live-Balance und die Natur.
Der Lockdown war also nicht nur scheiße, oder?
Wir haben unsere Kleiderschränke aufgeräumt, unsere Garagen oder Keller entrümpelt, unsere Wohnungen renoviert, gegebenenfalls Beziehungen ausgemistet und den Garten oder Balkon auf Vordermann gebracht. Immerhin!
Wir haben unsere Kinder besser kennengelernt, ihren Tagesablauf, ihre Bedürfnisse, ihren Alltag, ihre Sorgen und vielleicht ihre geheimen Wünsche.
Wir haben verstanden, wie wertvoll Herzenswärme ist, wie wichtig eine Berührung, aber auch wie lebensrettend Abstand sein kann.
Wir haben gelernt, dass die Welt nicht hinter Aachen, Schwedt, den Alpen oder der Ostsee aufhört. Die Pandemie zeigte uns, wie groß aber auch wie klein die Welt ist und wie mächtig die Natur.
Wir haben erfahren, wie korrupt Politiker sein können, wie eigensinnig Ministerpräsidenten, wie fragil unsere Freiheit und wie schützenswert unsere Demokratie.
Und wir haben hoffentlich kapiert, dass die Menschheit nicht die Krone der Schöpfung ist, wenn uns ein winziger Virus global in die Knie zwingen kann.
Das Positivste für mich und meine Leser ist wohl, dass ich 2020/2021 so viel geschrieben habe wie noch nie. Der Lockdown kostete mich Nerven, diverse Aufträge, jede Menge Geld, aber er schenkte mir auch Zeit, die nicht bezahlbar ist.
ZEITENWENDE
MARI MÄRZ © 2020
Schneller!
Weiter!
Nur nicht zurückschauen!
Immer im Kreis.
Die Zeit ist gefangen
in einem Hamsterrad der Ewigkeit.
Termine.
Deadlines.
Nur nicht zu spät kommen!
Immer im Stress.
Wir sind gefangen
in einer Endlosschleife der Ansprüche.
STOPP!
Stillstand!
Isolation!
Was bedeutet Zeit im Nirwana der Angst?
Die Welt ist gefangen
im Strudel der globalen Ernüchterung.
Hamstern!
Jammern!
Verschwörungstheorien!
Das Haupt der Schöpfung ist leer.
Wir klammern uns an Götzenbilder,
unser Spiegelbild trägt keine Krone mehr.
Zeit für das Wie. Zeit für das Was.
Zeit für das Wohin.
Wie soll ich leben? Was macht mich glücklich?
Weiß ich, wer ich bin?
Chancen!
Taten!
Helden des Alltags!
Wer oder was ist relevant fürs System?
Gemeinschaft ist, was uns längst verbindet.
Nur konnten wir das bisher nicht sehn.
Länder!
Menschen!
Was ist die Welt?
Erkenntnis frohlockt – es ist noch nicht zu spät.
Entschleunigung bringt uns die Kraft des Wandels.
Wir drehen uns nicht mehr, aber mit uns der Planet.
Zeit für das Wie. Zeit für das Was.
Zeit für das Wohin.
Wie soll ich leben? Was macht mich glücklich?
Weiß ich, wer ich bin?
Die Zeit ist da, schon immer gewesen.
Die Uhr tickt für jeden gleich.
Was fangen wir an, ist die Menschheit genesen.
Wohin wird die Reise geh’n?
Schneller, weiter sind Begriffe von gestern.
Heute zählt nicht das Wann.
Zeit für das Wie. Zeit für das Was.
Zeit für einen neuen Plan.
So will ich leben. Das macht mich glücklich.
Ich weiß jetzt, wer ich bin.
MEMO
Auch erschienen in der Anthologie
von Sebastian Fitzek (Hrsg.)
#wirschreibenzuhause
#wirschreibenzuhause: 100 Quarantäne-Kurzkrimis für einen guten Zweck von [Sebastian Fitzek]Glitzer und Staub – zwei Dinge, die nicht zusammengehören und doch hier an diesem Ort vereint sind wie ein Paar Socken, von denen eines ein Loch hat. Ich bin die Socke mit dem Loch, war es immer gewesen. Ich bin der Staub, den man gern unter den Teppich kehrt wie unliebsame Wahrheiten.
Melissa kehrt nach fünfzehn Jahren an jenen Ort zurück, wo sie ihre Kindheit verbrachte. Ihre Mutter überreicht ihr einen Karton, in dem ein altes Handy liegt. Es empfängt Nachrichten, die nicht real sein können.
Oder doch?
Erinnerungen sind subjektive Wahrnehmungen, die unser Gehirn speichert. Aber was, wenn dieser Speicher defekt ist?
MEMO – ein düsterer Seelentrip von Mari März.
Eine Kurzgeschichte, die dank des überwältigenden Leservotums auch in Sebastian Fitzeks Anthologie WIR SCHREIBEN ZU HAUSE veröffentlicht wurde.
Wir schreiben zu Hause
Im ersten Lockdown 2020 rief Sebastian Fitzek unter dem Hashtag #wirschreibenzuhause seine Instagram-Follower zu einer Schreibsession auf. Ich muss zugeben, dass ich bis dato kein Fitzek-Follower war. Natürlich las ich einige seiner Bücher, aber ich besitze null Fan-Attitüde. Eine Autorenkollegin erzählte mir von jenem Schreibwettbewerb, und da die Erlöse des geplanten Werkes der gebeutelten Buchbranche zugutekommen sollten, war ich durchaus interessiert. Also schrieb ich einen düsteren Seelentrip und MEMO kam dank zahlreicher Gutfinder in besagte Charity-Ausgabe.
Wie bei Anthologien im Allgemeinen üblich, gab es natürlich ein bis fünf Vorgaben in Bezug auf Thema, Setting, Inhalt etc. Herr Fitzek dachte sich die folgenden aus (ich zitiere):
1. Die Geschichte soll unter dem Thema »Identität« stehen.
2. Jemand findet ein fremdes Handy, auf dem er/sie Bilder von sich selbst entdeckt.
3. Die Hauptfigur hat ein dunkles Geheimnis.
4. Das Handlungsmotiv des Gegners ist Rache.
5. Unter dem dunklen Geheimnis leidet der Gegner noch heute.
So weit – so gut. Wer Gegner und wer Hauptfigur ist, durfte ich proaktiv entscheiden, was durchaus günstig war, denn ich mag bekanntlich kein reines Schwarz und Weiß.
Das Thema »Identität« brachte mich spontan zur Schizophrenie und Psychose. Ich begann zu recherchieren und fand unter anderem die Symptome Wahnvorstellungen, Desorientierung sowie bizarres Verhalten bis hin zum Realitätsverlust. Und natürlich wollte ich wie immer keine Klischees bedienen und plakativ dem Bösewicht die psychische Erkrankung andichten. Nein. Wie schon in PSYCHO-PAT und auch MISS VERSTÄNDNIS erzähle ich eine (wenngleich kurze) Geschichte über die Krankheit.
Wie fühlt es sich an?
Weshalb kam es dazu?
Was muss passieren, bis eine Seele bricht?
Und genau deshalb endet diese Geschichte, wie sie eben enden muss. Mari-März-Fans wissen mit Doktor Kramer, dem Therapeuten aus dem BLISS, etwas anzufangen. Nicht wahr?
Aber nun genug der langen Vorrede. Stürzen wir uns in die düsteren Erinnerungen einer Frau, die ebenjene aus bestimmten Gründen verdrängen musste ...
MEMO
MARI MÄRZ © 2020
Was sagt ein Haar über einen Menschen aus? Ist etwa ähnlich wie bei Jahresringen eines Baumes feststellbar, welches Leben dieser Mensch führte? Ich lasse ein solches Haar durch meine Finger gleiten.
Es ist meins.
Lang und blond.
Die Farbe ist nicht echt.
Wie so vieles an mir nicht echt ist.
Die letzten Zentimeter sind brüchig.
Ein Indiz, das mein Leben auszeichnet.
»Mel-Schätzchen, was tust du denn da? Iss lieber was von dem Kuchen, du bist viel zu dünn!«
Essen. Wie kann meine Mutter jetzt an Essen denken? Sie flaniert durchs Wohnzimmer, serviert ihren Gästen Getränke und Häppchen, als wäre das hier eine beschissene Party. Aber das hier ist keine Party, es sind auch nicht ihre Gäste.
Meine Schwester ist keinen Deut besser. Sie benimmt sich wie Mutter, als würde sie mit ihr wetteifern. Schon als kleines Mädchen hat sie das getan. Die billige Kopie einer Frau, die selbst keine Bereicherung für diese Welt darstellt.
»Lass die Kleine doch. Sie trauert und hat wahrscheinlich keinen Appetit.«
Onkel Dieter. Was weiß der schon über mich? Fünfzehn Jahre war ich nicht hier gewesen, habe versucht, mein Leben zu leben. Ohne dieses Haus und ohne diese Familie. Aber heute musste ich wohl kommen, um Abschied zu nehmen.
»Sie hat ihren Vater doch so geliebt«, höre ich meine