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Wir kamen mit der Mayflower
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eBook484 Seiten6 Stunden

Wir kamen mit der Mayflower

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Über dieses E-Book

England 1620: Die 17-jährige Priscilla Mullins ist Teil jener Glaubensgemeinschaft, die man später die Pilgerväter nennen wird und die mit der Mayflower zu den Kolonien der Neuen Welt in eine ungewisse Zukunft aufbrechen.
Obwohl ihr die katastrophalen Zustände auf dem Schiff und die zahlreichen Gefahren der Reise zusetzen, erlebt Priscilla den Zauber der ersten Liebe, zu dem charismatischen Militärkapitän Miles Standish. Doch auch John Alden, der zur Besatzung der Mayflower gehört, spielt eine maßgebliche Rolle in ihrem Leben.
Als die Pilger endlich Neuengland erreichen wissen sie nicht, dass ihnen das Schlimmste noch bevorsteht. Geplagt von Hunger und der ständigen Angst vor Übergriffen der Indianer, werden sie auch noch von einer schrecklichen Seuche heimgesucht, die zahlreiche Leben fordert.
Inmitten der dramatischen Lebensumstände der frühen Siedler Amerikas, findet sich Priscilla plötzlich hin und hergerissen zwischen zwei imponierenden Männern, die sie zur Frau begehren.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum29. Apr. 2021
ISBN9783753186733
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    Buchvorschau

    Wir kamen mit der Mayflower - S.C. Bauer

    Prolog

    Ok­to­ber 1619, Dor­king/ Sur­rey, Eng­land

    Der Herbst ist mir schon im­mer die liebs­te Jah­res­zeit.

    Ich fin­de es schön, wenn bun­te Blät­ter von den Bäu­men fal­len und die Welt am Mor­gen in Ne­bel ge­taucht ist. Da­bei er­in­ne­re ich mich mit woh­li­gem Schau­dern an die Ge­schich­ten der Feen und Erd­geis­ter, die über die dunk­le Zeit des Jah­res herr­schen.

    Es ist eine mei­ner Eigen­schaf­ten, mir über sol­che Din­ge Ge­dan­ken zu ma­chen, und mei­ne Mut­ter Ali­ce schilt mich oft des­we­gen.

    »Mäd­chen, was hast du nur im Sinn? Dei­ne Arbeit er­le­digt sich nicht durch träu­men«, meint sie und schüt­telt vor­wurfs­voll den Kopf.

    Mein Va­ter gibt ihr Recht. Er ist ein stren­ger Mann und spart nicht mit Er­mah­nun­gen. Hin und wie­der greift er auch zur Ru­te, da­mit wir uns sei­ne Wor­te gut ein­prä­gen. Mein Bru­der Jo­seph und ich ge­ben uns gro­ße Mü­he ihn zu­frie­den­zu­stel­len. Es ge­lingt uns aber nur sel­ten.

    Manch­mal be­su­chen wir Ver­wand­te in Lon­don, das nicht weit ent­fernt liegt. Wenn ich Zeit fin­de, ge­he ich zur Them­se und se­he mir die Schif­fe an. Dann stel­le ich mir vor, wie ich da­mit in fer­ne Län­der seg­le und zahl­rei­che Aben­teuer er­le­be.

    Aber ich bin kein Jun­ge und so wird das nie­mals ge­sche­hen. Wie ge­sagt ich träu­me ger­ne.

    »Unser Platz in die­ser Welt ist vor­her­be­stimmt. Al­les liegt in Got­tes Hand und nicht in unse­rem Er­mes­sen«, sagt mei­ne Mut­ter.

    Uns geht es im Gegen­satz zu vie­len an­de­ren Fa­mi­lien recht gut.

    Mein Va­ter Wil­liam fer­tigt so­li­des Schuh­werk an und das bringt uns ge­nug Brot auf den Tisch. Unser Glau­be ge­bie­tet uns je­doch, dass wir uns be­gnü­gen. So le­ben wir spar­sam und fas­ten häu­fig bei Was­ser und Brot.

    Ich ha­be eine heim­li­che Lei­den­schaft für Sü­ßig­kei­ten, die ich be­kämp­fe, aber ich bin nicht im­mer er­folg­reich da­mit.

    Ja­kob, der Sohn eines Bä­ckers aus der Nach­bar­schaft, bringt mir manch­mal Le­cke­rei­en. Es ist Ho­nig­ge­bäck und ich ge­be mich dem Ge­nuss hem­mungs­los hin, ob­wohl ich mich hin­ter­her da­für schä­me.

    Mei­ne El­tern ha­ben mich Pri­scil­la ge­nannt und ich mag den Na­men. Außer mir ken­ne ich nie­man­den, der so heißt. Selbst in den Er­zäh­lun­gen von John Ly­ly und Tho­mas Kyd, die ich heim­lich le­se, kommt er nicht vor.

    Mein Va­ter ver­bie­tet sol­ches Schrift­werk. »Wir ler­nen le­sen, um die Schrift des Herrn zu stu­die­ren«, sagt er. King James hat die Bi­bel aus dem La­tei­ni­schen in die eng­li­sche Spra­che über­set­zen las­sen, da­mit sie von al­len ge­lesen wer­den kann. Er ist das Ober­haupt der Kir­che Eng­lands, die den Leh­ren Mar­tin Lu­thers folgt.

    Mein Freund Ja­kob kann we­der le­sen noch schrei­ben. Er ist Ka­tho­lik und tut, was der Papst in Rom von ihm ver­langt. »Wir sol­len das Wort des Herrn von den Pries­tern hö­ren, denn sie ver­ste­hen, es zu deu­ten«, er­klärt er mir vol­ler Über­zeu­gung.

    Hier gibt es nur we­ni­ge Ka­tho­li­ken.

    Mein Va­ter ver­ach­tet sie: »Sie sind gott­los und ver­dor­ben«.

    Vie­le Eng­län­der sind sei­ner Mei­nung. Sie ste­hen treu zum ang­li­ka­ni­schen Glau­ben, im Gegen­satz zum Fest­land, wo die Ka­tho­li­ken in der Über­zahl sind.

    Ich weiß, dass seit zwei Jah­ren ein Krieg tobt, im Hei­li­gen Rö­mi­schen Reich. Zu­erst er­schien ein Ko­met als bö­ses Vor­zei­chen am Him­mel und dann wur­den drei ho­he spa­ni­sche Her­ren in einer Stadt na­mens Prag aus dem Fens­ter ge­wor­fen. Zwei Ar­meen be­kämp­fen sich seit­dem bis aufs Blut, we­gen ihres unter­schied­li­chen Glau­bens. Sie ver­wüs­ten das Land und stür­zen die Be­völ­ke­rung in Ar­mut und Not.

    In Eng­land herrscht zum Glück Frie­den.

    Ich be­nei­de die Ka­tho­li­ken. Sie dür­fen sün­di­gen und wenn sie es ihrem Pfar­rer er­zäh­len, so spricht er sie von ihren Sün­den los und ihre See­le ist wie­der rein.

    Wir müs­sen in je­der Stun­de unse­res Le­bens ein gott­ge­fäl­li­ges Da­sein füh­ren, um nicht der Ver­damm­nis an­heim­zu­fal­len. Je­der von uns ist durch sein Han­deln zum le­ben­di­gen Zeug­nis des Evan­ge­liums be­stimmt.

    Der Kauf­mann soll ein ehr­li­cher Kauf­mann sein, die Mut­ter soll eine gu­te Mut­ter sein und ihr Kind nicht ver­nach­läs­si­gen oder ver­zie­hen. Der Va­ter soll ein auf­rich­ti­ger, treu­er Ehe­mann sein. So ge­ben wir Chris­tus die Eh­re und pre­di­gen durch unse­re Ta­ten. Selbst der Ge­dan­ke an Sün­de ist Sün­de.

    Wir le­ben got­tes­fürch­tig und eh­ren den Höchs­ten mit unse­rer Hän­de Werk.

    Mein Va­ter ist der An­sicht, dass man stets sei­ne Hän­de be­schäf­ti­gen muss, um sei­ne Ge­dan­ken zu zü­geln. Unser Haus ist sehr sauber und mei­ne Mut­ter putzt und scheu­ert un­ab­läs­sig. Ich bin für die Wä­sche ver­ant­wort­lich und bürs­te und schrub­be sie, bis mei­ne Fin­ger rau und wund sind. Wenn mein Va­ter nur einen ein­zi­gen Fleck da­rauf fin­det, wirft er al­les in den Schwei­ne­ko­ben und ich muss von vor­ne an­fan­gen.

    Wir arbei­ten von Son­nen­auf­gang bis Son­nen­unter­gang. »Mü­ßig­gang ist die Tu­gend des Teu­fels«, sagt mein Va­ter und Re­ve­rend Tho­mas gibt ihm recht.

    Am Sonn­tag ruht die Arbeit und wir wid­men uns ganz dem Ge­bet. Wir be­su­chen mor­gens und abends den Got­tes­dienst, der ei­ni­ge Stun­den dau­ert.

    Den rest­li­chen Tag ver­brin­gen wir im per­sön­li­chen Ge­bet. Unse­re Ge­mein­de ist klein, aber stark im Glau­ben. Mei­ne El­tern sind got­tes­fürch­ti­ge Leu­te. Sie ver­trau­en auf den Herrn und bit­ten um sei­ne Füh­rung. Wir sind an­ge­se­hen in unse­rer Ge­mein­de.

    Den­noch füh­ren wir ein un­si­che­res Le­ben. Ins­ge­heim sind wir Pu­ri­ta­ner und leh­nen vie­le Ri­ten der Kir­che von Eng­land ab. Unse­re Ge­mein­de unter der Füh­rung von Re­ve­rend Tho­mas, will die ang­li­ka­ni­sche Kir­che von den ka­tho­li­schen Ele­men­ten säu­bern, die in der Hei­li­gen Schrift durch kein Wort be­legt sind.

    »Lasst euch nicht ver­der­ben von den Irr­leh­ren, die nir­gend­wo in der Bi­bel be­zeugt wer­den: Das Kreuz­zei­chen ist heid­ni­scher Aber­glau­be und das Bi­schofs­amt ist eine Er­fin­dung des Teu­fels, die Män­ner un­na­tür­lich er­höht, die doch in De­mut und Be­schei­den­heit wir­ken sol­len«, er­mahnt uns Re­ve­rend Tho­mas. Er spricht von uns als den Ver­fech­tern des wah­ren Glau­bens.

    Kö­nig James nennt uns je­doch Sek­tie­rer und lässt uns scharf ver­fol­gen.

    Im Win­ter vor zwei Jah­ren ha­ben Sol­daten mei­nen Va­ter ge­holt und ihn ins Ge­fäng­nis ge­bracht. Wir hat­ten gro­ße Angst.

    Ich ha­be nicht er­fah­ren, was man ihm vor­ge­wor­fen hat, aber ich den­ke, es hat­te mit unse­rem Glau­ben zu tun. Er war mehr als drei Mo­na­te fort, be­vor sie ihn auf Eh­ren­wort wie­der ent­las­sen ha­ben.

    Seit­dem wird unser Haus über­wacht und wir müs­sen sehr vor­sich­tig sein, wenn wir uns mit unse­ren Glau­bens­brü­dern zum Got­tes­dienst tref­fen. Über­all lau­ern Spit­zel, die nur da­rauf war­ten, dass wir einen Feh­ler be­ge­hen und sie uns den Sol­daten mel­den kön­nen.

    Ja­kob kommt zu mir ge­lau­fen und er­zählt mir auf­ge­bracht: »Die Sol­daten wa­ren bei uns. Man hat mei­nen El­tern eine Frist ge­setzt, sich zur Kir­che Eng­lands zu be­ken­nen. Sie ha­ben mei­nem Va­ter an­ge­droht in zu ver­haf­ten, wenn er sich wei­gert«.

    Sei­ne Stim­me zit­tert vor Angst. »Ich will nicht, dass mein Va­ter wie Wil­liam Dorm­ner en­det.«

    Ich er­in­ne­re mich mit Schau­dern an Mr. Dorm­ner, den ka­tho­li­schen Schmied, der letz­ten Win­ter von den Sol­daten ge­holt wur­de. 6 Wo­chen spä­ter brach­ten sie ihn heim. Man hat­te ihm al­le Fin­ger­nä­gel aus­ge­ris­sen und bei­de Bei­ne mehr­mals ge­bro­chen. Nach­dem sei­ne Bei­ne schwarz wur­den, leb­te er nur noch kur­ze Zeit unter gro­ßen Qua­len, be­vor er starb.

    Mei­ne El­tern sind in gro­ßer Sor­ge, dass auch mein Va­ter wie­der ins Ge­fäng­nis kommt. Sie sind über­zeugt, dass er die­ses Mal nicht un­ver­sehrt zu­rück­keh­ren wird. Doch trotz ihrer Angst wol­len sie ihre Über­zeu­gun­gen nicht auf­ge­ben. Mein Va­ter sucht nach einem Aus­weg und schließ­lich fasst er den Ent­schluss, dass wir Eng­land ver­las­sen.

    Reisevorbereitungen

    Mein Bru­der Jo­seph ist jetzt den gan­zen Tag draußen und hackt Brenn­holz klein für den Win­ter. »Das Haus muss mit Werg ab­ge­dich­tet wer­den. Der Wind pfeift durch al­le Rit­zen«, meint mei­ne Mut­ter.

    Mein Va­ter schüt­telt den Kopf: »Das lohnt sich kaum mehr«.

    Er hat unser Haus vor kur­zem an Mr. Bot­hell ver­kauft. Es dau­ert nun nicht mehr lan­ge, bis wir fort­ge­hen.

    Ich be­lau­sche ein Ge­spräch mei­ner El­tern und er­fah­re, dass mein Va­ter zu­frie­den ist mit dem Ver­kauf. Er will die 280 Pfund, die er für unser Haus ge­kriegt hat, in eine Ge­sell­schaft in­ves­tie­ren, die von einer Grup­pe von Kauf­leu­ten ge­grün­det wur­de. Die Mer­chant Com­pa­ny fi­nan­ziert unse­re Rei­se.

    Ich weiß nicht ge­nau, wo wir hin­ge­hen und auch Jo­seph, mein jün­ge­rer Bru­der hat kei­ne Ah­nung. Wir ha­ben nur er­fah­ren, dass es ein Land ist, das sehr weit von Eng­land ent­fernt liegt. Wir sind bei­de neu­gie­rig und auch ein we­nig ängst­lich, weil wir nicht wis­sen, was uns dort er­war­tet.

    Mein Va­ter nimmt Jo­seph mit auf den Markt, wo er zwei Zie­gen und sechs Hüh­ner kauft. Von unse­ren Schwei­nen hat er fast al­le ver­kauft, nur vier jun­ge Säue be­hal­ten wir. »Wir neh­men die Tie­re mit, wenn wir auf­bre­chen«, sagt er.

    Es wird unser letz­ter Win­ter in Dor­king sein. Im nächs­ten Früh­ling fah­ren wir. Mei­ne Mut­ter ist be­schäf­tigt mit Pa­cken. Wir müs­sen Werk­zeu­ge, Klei­dung und Haus­rat mit­neh­men. »Dort, wo wir hin­ge­hen, gibt es kei­nen Markt auf dem wir et­was kau­fen kön­nen«, sagt sie.

    Ich schaue sie un­gläu­big an.

    Jo­seph hat von mei­nem Va­ter er­fah­ren, wo­hin unse­re Rei­se geht. »Wir se­geln mit einem gro­ßen Schiff in die Ko­lo­nien, der Neu­en Welt. Dort le­ben noch nicht vie­le Men­schen und nie­mand stört sich an unse­rem Glau­ben«, er­zählt er mir auf­ge­regt. Ich bin be­geis­tert, dass sich mein Wunsch auf einem Schiff in fer­ne Län­der zu se­geln, nun doch er­fül­len wird.

    »Wie ist wohl das Le­ben in den Ko­lo­nien?«, fra­ge ich Jo­seph. Er weiß es nicht und fragt mei­nen Va­ter da­nach. Mein Bru­der er­fährt, dass wir uns erst ein Haus bau­en müs­sen und dass mein Va­ter ja­gen und fi­schen wird, da­mit wir zu es­sen ha­ben. Wir neh­men auch Saat­gut mit, so­dass wir Ge­trei­de an­pflan­zen kön­nen.

    Ich ha­be tau­send Fra­gen, be­herr­sche mich aber. Mei­ne Mut­ter be­merkt mei­ne Neu­gier­de. »Mach dir nicht so vie­le Ge­dan­ken, da­von be­kommst du Kopf­weh. Ver­trau lie­ber auf Gott den Herrn«, ruft sie mich zur Ord­nung.

    An einem Sonn­tag, nach dem Got­tes­dienst hö­re ich wie Re­ve­rend Tho­mas sich mit mei­nem Va­ter und einem groß­ge­wach­se­nen Mann mitt­le­ren Al­ters unter­hält. Er heißt Christ­oper Mar­tin und ist einer unse­rer Rei­se­ge­fähr­ten.

    Er spricht sehr von oben he­rab mit mei­nem Va­ter und ich fin­de ihn nicht sehr sym­pa­thisch. Mein Va­ter scheint sich an sei­ner Ar­ro­ganz aber nicht wei­ter zu stö­ren und ich be­hal­te mei­ne Ge­dan­ken für mich.

    »Mr. Mul­lins, ihr müsst end­lich Mr. Wes­ton ken­nen­ler­nen. Er hat so viel für unser Unter­neh­men ge­tan. Kommt doch mit nach Lon­don, wenn wir uns dort nächs­te Wo­che mit Ro­bert Cush­man und John Car­ver tref­fen«, lädt er mei­nen Va­ter ein.

    Mr. Cush­man und Mr. Car­ver sind die Ver­tre­ter einer pu­ri­ta­ni­schen Ge­mein­schaft aus Lei­den in Hol­land, die sich uns an­schlie­ßen wird.

    Lang­sam däm­mert es mir, dass wir eine gro­ße Grup­pe von Leu­ten sein wer­den, die auf zwei Schif­fen in die Neue Welt se­geln. Ich fin­de es be­ru­hi­gend, dass die Pu­ri­ta­ner aus Lei­den, den glei­chen Glau­ben ha­ben, wie wir. Ich hof­fe, dass wir uns gut ver­ste­hen und uns gegen­sei­tig hel­fen wer­den.

    Na­tür­lich bin ich neu­gie­rig mehr über sie zu er­fah­ren. So­bald mein Va­ter aus Lon­don zu­rück­kehrt, lau­schen Jo­seph und ich an der Tür, als er mei­ner Mut­ter von ih­nen be­rich­tet. »Stell dir vor Ali­ce, es sind Se­pa­ra­tis­ten. Wir den­ken, wir sind ver­mes­sen, weil wir ver­schie­de­ne In­hal­te unse­rer Kir­che ab­leh­nen. Aber die­se Leu­te, die im Exil in Lei­den le­ben, sind noch dras­ti­scher in ihren An­sich­ten. Sie wol­len die Kir­che Eng­lands ver­las­sen, wol­len gar nicht zu einer zent­ra­len Kir­che ge­hö­ren, son­dern je­de Ge­mein­de soll eine Kir­che für sich sein. Sie den­ken, wir ha­ben al­le die glei­chen Rech­te und kei­ner steht über dem An­de­ren. Sie nen­nen sich selbst Saints, da­zu aus­erwählt, Gro­ßes zu voll­brin­gen im Na­men Got­tes.«

    Die Ant­wort mei­ner Mut­ter ist zu lei­se, als dass ich sie ver­ste­hen kann. Ich ha­be fürs Ers­te ge­nug ge­hört.

    Dun­kel er­in­ne­re ich mich da­ran, dass die Se­pa­ra­tis­ten­be­we­gung von Re­ve­rend Brown vor gut 40 Jah­ren ge­grün­det wur­de. Da­mals herrsch­te über Eng­land noch King James Vor­gän­ge­rin die gro­ße Kö­ni­gin Eli­za­beth, die eine li­be­ra­le Pro­tes­tan­tin war. Doch die Leh­ren von Brown wa­ren auch ihr zu ra­di­kal.

    Die Se­pa­ra­tis­ten leh­nen nicht nur Weih­nach­ten, Os­tern und al­le Hei­li­gen­ta­ge ab, son­dern stel­len die ge­sam­te Kir­chen­hie­rar­chie ein­schließ­lich al­ler Ri­ten außer Abend­mahl und Psal­men in­fra­ge. Selbst das »Va­ter unser« wol­len sie nicht als bi­bel­treu gel­ten las­sen.

    Ihr Schick­sal war schließ­lich be­sie­gelt, als sie auch noch die Au­to­ri­tät der Kö­ni­gin als Kir­chen­ober­haupt an­zwei­fel­ten. Queen Eli­za­beth ließ Brown und sei­ne An­hän­ger, Bar­row, Green­wood und Pen­ry ver­haf­ten und we­gen Hoch­ver­rats hin­rich­ten.

    Ich bin be­un­ru­higt zu hö­ren, dass unse­re neu­en Rei­se­ge­fähr­ten die­ser ext­re­mis­ti­schen Leh­re an­hän­gen, und ma­che mir Sor­gen, wie wir mit ih­nen aus­kom­men wer­den. Aber ich be­hal­te mei­ne Ge­dan­ken für mich. Mei­ne Mut­ter hält Sor­gen für über­flüs­si­gen Bal­last, der unse­ren Geist ver­wirrt. »Die We­ge des Herrn sind un­ab­än­der­lich. Wir müs­sen uns sei­ner Füh­rung beu­gen wie ein Blatt im Wind, sonst wer­den wir zer­schmet­tert.«

    Ei­ni­ge Wo­chen spä­ter be­glei­ten wir mei­nen Va­ter, als er sich wie­der nach Lon­don auf­macht und ich ler­ne Mr. Car­ver und Mr. Cush­man ken­nen. Bei­de er­schei­nen mir freund­lich und höf­lich und ich kann in ihrem Auf­tre­ten nichts Fa­na­ti­sches er­ken­nen, was mich ein­deu­tig be­ru­higt. Die Ge­sprä­che füh­ren die Män­ner an­schlie­ßend al­lei­ne, wäh­rend mei­ne Mut­ter und ich Na­deln und Wol­le in einem La­den am Ha­fen kau­fen.

    Auf der Rück­fahrt von Lon­don wirkt mein Va­ter nach­denk­lich. Es hat da­mit zu tun, dass es Neu­ig­kei­ten we­gen unse­res Land­pa­ten­tes gibt: »Das Pa­tent wur­de er­teilt, gilt aber nur für das Ge­biet an der Mün­dung des Hud­son Ri­ver.« Mei­nem Va­ter scheint nicht zu ge­fal­len, dass unser Pa­tent nur für eine be­grenz­te Re­gion in der Neu­en Welt gilt.

    Schon im ver­gan­ge­nen Ju­ni ha­ben Mr. Cush­man und Mr. Car­ver ver­sucht von der Lon­don Com­pa­ny, die über Land in der Ko­lo­nie Vir­gi­nia ver­fügt, ein Pa­tent mit der Er­laub­nis zu er­hal­ten, dort zu sie­deln. Aber die Be­mü­hun­gen sind ge­schei­tert und ei­ni­ge Hol­län­der ha­ben den bei­den Agen­ten das An­ge­bot ge­macht, die Rei­se zu unter­stüt­zen. Da­von hat wie­de­rum die Lon­don Com­pa­ny er­fah­ren und Tho­mas Wes­ton ins Spiel ge­bracht.

    Wes­ton ist ein aal­glat­ter Eisen­händ­ler aus Lon­don, der nur sei­nen Pro­fit im Sinn hat. Er wit­tert die Ge­le­gen­heit auf ein gu­tes Ge­schäft und ver­spricht, sich bei der Lon­don Com­pa­ny da­für ein­zu­set­zen, dass doch noch die Ur­kun­de so aus­ge­stellt wird, dass wir in ganz Neu­eng­land sie­deln kön­nen. Zu­dem hat er an­ge­bo­ten, pri­va­te In­ves­to­ren für das Unter­neh­men zu ge­win­nen, und so ist es zur Grün­dung der Ge­sell­schaft der Kauf­leu­te ge­kom­men, die jetzt unse­re Rei­se fi­nan­ziert.

    Als der Früh­ling da ist, steigt in mir die Auf­re­gung we­gen der be­vor­ste­hen­den Rei­se. Eines Nach­mit­tags kommt Mr. Mar­tin mit Tho­mas Wes­ton zu uns. Mei­ne Mut­ter und ich dür­fen blei­ben und hö­ren was die Män­ner mit mei­nem Va­ter be­spre­chen. Mr. Wes­ton ist sehr auf­ge­bracht. Of­fen­bar gibt es Schwie­rig­kei­ten we­gen des Ver­tra­ges mit den Kauf­leu­ten.

    »Mr. Mul­lins, es ist ein Jam­mer. Ich war bei der Lon­don Com­pa­ny und konn­te er­wir­ken, dass ein wei­te­rer Punkt in das Land­pa­tent ein­ge­fügt wird, so­dass unse­re Sied­lungs­er­laub­nis für ganz Neu­eng­land gilt. Ich arbei­te noch da­ran, dass die Re­gie­rung die­ser Re­ge­lung zu­stimmt. Ich den­ke, wir krie­gen es durch. Aber es gibt Prob­le­me mit den Geld­ge­bern der Mer­chant Com­pa­ny. Sie mur­ren weil sich die Kos­ten der Rei­se bis­her auf fast 7000 Pfund be­lau­fen. We­gen der ho­hen Sum­me, die das Unter­neh­men ver­schlingt, woll­ten ei­ni­ge schon ab­sprin­gen. Ich muss­te Zu­ge­ständ­nis­se ma­chen, da­mit sie wei­ter­hin ihr Ka­pi­tal in die Rei­se ste­cken. Es gibt jetzt eine Be­din­gung die ver­langt, dass al­le Sied­ler bis zur Be­glei­chung der Schul­den täg­lich arbei­ten müs­sen, um die In­ves­ti­tion mit Pro­fit zu­rück­zu­zah­len. Die ur­sprüng­li­che Be­din­gung, dass an zwei Ta­gen der Wo­che für eige­ne Er­trä­ge ge­wirt­schaf­tet wer­den kann, wur­de aus dem Ver­trag ge­stri­chen. Wie soll ich das den Leu­ten aus Lei­den bei­brin­gen? Sie wer­den da­mit nicht ein­ver­stan­den sein«, klagt Mr. Wes­ton.

    Mir er­scheint die neue Klau­sel un­an­nehm­bar. Es be­deu­tet, dass wir uns al­le jah­re­lang ab­schuf­ten müs­sen, um unse­re Schul­den bei den Kauf­leu­ten zu be­glei­chen und kein eige­nes Ver­mö­gen auf­bau­en kön­nen. Mein Va­ter wirkt ge­nau­so ir­ri­tiert wie ich. »Ver­zeiht mir Mr. Wes­ton, aber auch ich fin­de, dass die ge­än­der­ten Be­din­gun­gen eine Zu­mu­tung sind. Ich wer­de so auch nicht unter­schrei­ben.«

    Mr. Wes­ton kriegt einen hoch­ro­ten Kopf und ich se­he, wie ihm eine Ader an der Stirn an­schwillt vor Zorn. »Macht es bes­ser Mr. Mul­lins, wenn ihr könnt. Ich bin nicht im­stan­de die Geld­ge­ber um­zu­stim­men. Sie blei­ben bei ihren For­de­run­gen.«

    Ich he­ge heim­lich den Ver­dacht, dass Tho­mas Wes­ton die neu­en Be­din­gun­gen gut heißt. Im­mer­hin hat er selbst sein Ka­pi­tal in die Unter­neh­mung ge­steckt und ist einer der füh­ren­den Per­so­nen der Ge­sell­schaft der Kauf­leu­te.

    Mein Va­ter setzt zu einer schar­fen Er­wi­de­rung an, doch Mr. Mar­tin be­eilt sich zu be­schwich­ti­gen: »Aber bit­te mei­ne Her­ren! Wir sind doch Gent­le­men. Ge­wiss wer­den wir eine Lö­sung fin­den, die uns al­le zu­frie­den­stellt.«

    Sie fin­den sie nicht und ei­ni­gen sich schließ­lich da­rauf, vor­erst die ge­än­der­ten Be­din­gun­gen für sich zu be­hal­ten und Mr. Car­ver und Mr. Cush­man da­von nichts zu er­zäh­len.

    Ich ma­che mir Sor­gen, dass das Unter­fan­gen gänz­lich schei­tert. Mein Va­ter hat all sein Geld in das Unter­neh­men ge­steckt. Mr. Mar­tin, hat dop­pelt so viel, wie wir zu ver­lie­ren, da er noch viel mehr in­ves­tiert hat.

    Im Ap­ril sol­len wir ab­rei­sen. Mr. Bot­hell rech­net da­mit, dass wir unser Haus, das jetzt ihm ge­hört bis da­hin ver­las­sen. Mein Va­ter kommt nach einer wei­te­ren Unter­re­dung mit Mr. Wes­ton be­sorgt nach Hau­se. Er wei­gert sich, Ein­zel­hei­ten zu er­zäh­len, weil er uns nicht noch mehr be­un­ru­hi­gen will, aber es ist klar, dass sich unse­re Ab­rei­se wie­der ver­zö­gern wird.

    Mr. Bot­hell ist nicht er­freut, ver­län­gert aber die Frist, die wir noch im Haus blei­ben kön­nen.

    Mei­ne äl­tere Schwes­ter Sa­rah und mein Bru­der Wil­liam, aus der Ehe mei­nes Va­ters mit sei­ner ers­ten Frau, kom­men uns be­su­chen. Es ist ein schmerz­li­cher Tag, denn kei­ner weiß, ob wir uns je wie­der­se­hen. Mein Va­ter ist be­drückt und ich wei­ne heim­lich im Stall in das Fell einer Zie­ge. Sie hält ganz still und ich füh­le mich et­was ge­trös­tet.

    Der Som­mer steht nun vor der Tür und wir sind im­mer noch da. Mr. Bot­hell´s Ge­duld wird dünn und er setzt uns eine letz­te Frist, zu der wir das Haus ver­las­sen müs­sen.

    Mein Va­ter ist sehr an­ge­spannt und mei­ne Mut­ter wird im­mer stil­ler. Mr. Cus­ham, kommt er­neut mit Mr. Car­ver aus Hol­land, um die Rei­se­vor­be­rei­tun­gen für die Lei­de­ner Grup­pe ab­zu­wi­ckeln. Mitt­ler­wei­le wis­sen die bei­den Agen­ten der Lei­de­ner Grup­pe von dem ge­än­der­ten Ver­trag und wei­gern sich wie er­war­tet, ihn zu unter­schrei­ben. Sie ver­su­chen, Mr. Wes­ton und die Lon­do­ner Kauf­leu­ten um­zu­stim­men, aber die Ver­hand­lun­gen schei­tern.

    An­fang Ju­li er­fah­ren wir von Mr. Mar­tin, dass es nun doch los­geht, ob­wohl es noch im­mer kei­ne Ei­ni­gung we­gen des Ver­tra­ges gibt. Wir sind er­leich­tert und hof­fen, dass nun die Ab­rei­se wirk­lich be­vor­steht.

    Mein Va­ter fährt vo­raus nach Lon­don, mit mei­nem Bru­der Jo­seph und Ro­bert Car­ter. Ro­bert ist der Lehr­ling mei­nes Va­ters und wird uns in die Neue Welt be­glei­ten. Ich kann ihn nicht be­son­ders gut lei­den, weil er mir gegen­über im­mer ziem­lich schnip­pisch ist. So­bald mein Va­ter je­doch in der Nä­he ist, be­han­delt er mich mit heuch­le­ri­scher Freund­lich­keit.

    Mit zwei Fuhr­wer­ken bringt mein Va­ter unser ge­sam­tes Fracht­gut nach Lon­don zu dem Schiff. Das zwei­te Fuhr­werk fährt Ro­bert Car­ter.

    Mei­ne Mut­ter und ich fol­gen ei­ni­ge Ta­ge spä­ter nach. Ein Cou­sin von mir, Pe­ter Brow­ne, den ich bis da­hin nicht ken­nen­ge­lernt ha­be, wird uns eben­falls auf unse­rer Rei­se be­glei­ten. Er bringt sei­ne rie­si­ge Mas­tiff-Hün­din Bir­die mit. Sie leckt mir die Hand und lässt sich von mir strei­cheln.

    Pe­ter lacht. »Nun klei­ne Cou­si­ne, Bir­die scheint dich zu mö­gen«. Er um­armt mich herz­lich, was ihm einen stra­fen­den Blick mei­ner Mut­ter ein­trägt.

    Pe­ter ist We­ber von Be­ruf und nur ein paar Jah­re äl­ter als ich. Er will, so­bald er ein Haus und einen Stall hat, Scha­fe aus Eng­land in die Ko­lo­nien brin­gen. »Du wirst se­hen Pri­scil­la, wir wer­den die bes­te Wol­le aus ihren Fel­len ma­chen, und wun­der­bar wei­che Stof­fe da­raus we­ben«, ver­traut er mir an. Sei­ne brau­nen Au­gen zwin­kern mir leb­haft zu. Ich mag ihn so­fort.

    Wir ha­ben noch im­mer eine Men­ge Ge­päck, es sind unse­re per­sön­li­chen Sa­chen, die wir wäh­rend der Rei­se brau­chen und Pe­ter hilft uns, sie im Wa­gen zu ver­stau­en.

    Als der Wa­gen los­fährt, schaue ich mich noch ein­mal um. Ich muss blin­zeln, da­mit ich nicht wei­ne, als ich das letz­te Mal das Haus se­he, in dem ich auf­ge­wach­sen bin.

    Mei­ne Mut­ter stupst mich in die Sei­te und sieht mich vor­wurfs­voll an. Sie hat kein Ver­ständ­nis für Rühr­se­lig­kei­ten und fin­det sie un­an­ge­bracht.

    Ich schlu­cke, ho­le tief Luft und wen­de mei­nen Blick nach vor­ne. Ich bin 17 Jah­re alt, als ich im Ju­li 1620 Eng­land ver­las­se.

    1620, Die Mayflower

    Wir kom­men in strö­men­den Re­gen in Lon­don an. Bis wir unse­re Hab­se­lig­kei­ten vom Wa­gen ge­la­den ha­ben, sind wir bis auf die Haut durch­nässt. Mein Va­ter hat zwei Zim­mer in einem Gast­hof ge­mie­tet, wo wir bis zur Ab­rei­se blei­ben kön­nen. Er teilt sich eines da­von mit Jo­seph, Pe­ter und Ro­bert. Ich be­kom­me mit mei­ner Mut­ter das an­de­re Zim­mer. Es ist nicht be­heizt und von den Wän­den läuft Was­ser. Die Stroh­sä­cke, auf denen wir schla­fen, schim­meln.

    Das Zim­mer ist voll­ge­räumt mit unse­rer Ha­be für den täg­li­chen Ge­brauch.

    Mei­ne Mut­ter be­steht da­rauf, die klei­ne Holz­kis­te mit­zu­neh­men, in der sie ihre ge­trock­ne­ten Kräu­ter und Wur­zeln auf­be­wahrt und der stets ein eigen­tüm­li­cher Ge­ruch ent­strömt.

    »Sie wer­den dich noch be­vor wir ab­le­gen we­gen Hexe­rei ver­haf­ten«, wet­tert mein Va­ter auf­ge­bracht, als er die Kis­te be­merkt.

    Doch mei­ne Mut­ter hält sie eigen­sin­nig um­klam­mert. »Ich ge­he nicht, oh­ne mei­ne Arz­nei­en«, er­klärt sie be­stimmt und mein Va­ter gibt zäh­ne­knir­schend nach. Mei­ne Mut­ter kennt sich gut aus mit Heil­mit­teln und mei­nem Va­ter ist nicht ganz wohl da­bei. Wir ha­ben vie­le Frau­en bren­nen ge­se­hen, die we­gen sol­cher Küns­te ver­urteilt wur­den.

    Wir zie­hen uns tro­cke­ne Sa­chen an und ge­hen nach unten in den Gast­raum. Es gibt Ham­mel­ein­topf, der einen star­ken Bei­ge­schmack hat. Mei­ne Mut­ter rümpft die Na­se: »Das Fleisch ist ver­dor­ben.« Ich kann nur we­ni­ge Bis­sen da­von es­sen.

    Am nächs­ten Mor­gen scheint die Son­ne und es ist herr­lich warm. In al­ler Frü­he be­glei­ten wir, mei­nen Va­ter zum Dock. Er will uns die May­flo­wer zei­gen, das Se­gel­schiff, das uns in die neue Hei­mat bringt.

    Unser Fracht­gut ist be­reits an Bord. Mein Va­ter hat über 100 Paar Schu­he und ein Dut­zend Stie­fel mit­ge­bracht. Da­zu zahl­rei­che Mö­bel, Tru­hen, ge­pols­ter­te Ses­sel und Kis­ten vol­ler Wä­sche, Werk­zeu­ge, Sä­cke vol­ler Saat­gut und noch et­li­ches mehr. Unse­re Tie­re, die Zie­gen, Schwei­ne und Hüh­ner und na­tür­lich Pe­ters gro­ße Hün­din Bir­die, kom­men auch noch mit.

    Die May­flo­wer ist ein gro­ßes, wuch­ti­ges Se­gel­schiff, mit einem schna­bel­arti­gen Vor­der­teil, und ho­hen Auf­bau­ten an Heck und Bug. Ich zäh­le drei ge­wal­ti­ge Mas­ten ver­teilt auf dem Deck und einen klei­ne­ren hin­ten am Heck, an denen die Se­gel jetzt ein­ge­holt und fest­ge­zurrt sind. Sie wer­den sich wohl mäch­tig bau­schen, so­bald sie ge­hisst sind und der Wind sich in ih­nen fängt.

    Ob­wohl das Schiff be­ein­dru­ckend ist, bin ich ein we­nig ent­täuscht. Die May­flo­wer wirkt alt und ab­ge­nutzt.

    Pe­ter sieht mei­nen skep­ti­schen Blick. »Was ist los?«, fragt er mich.

    »Ich fin­de, das Schiff, sieht ein we­nig schä­big aus«, flüs­te­re ich ihm zu.

    Er lacht. »Lass dich nicht vom be­schei­de­nen Aus­se­hen der May­flo­wer täu­schen. Sie ist sehr zu­ver­läs­sig und hat sich auf vie­len Rei­sen kreuz und quer über die Mee­re, bes­tens be­währt«, er­klärt er mir.

    Ein kräf­ti­ger blon­der Mann, mit wet­ter­ge­gerb­tem Ge­sicht, der un­ge­fähr im Al­ter mei­nes Va­ters ist, be­grüßt uns freund­lich. Er stellt sich als Chris­to­pher Jo­nes vor und ist einer der vier Eigen­tü­mer des Schif­fes und Ka­pi­tän der May­flo­wer. Die Mer­chant Com­pa­ny hat ihn mit Schiff und Be­sat­zung für die Rei­se an­ge­heu­ert.

    »Mei­ne May­flo­wer ist ein gu­tes Mäd­chen. Wir ha­ben eben eine La­dung von 180 Fäs­sern bes­ten Wei­nes aus Por­tu­gal her­ge­bracht. Mei­ne Sü­ße lag 12 Fuß tief im Was­ser und sie war den­noch pfeil­schnell«, er­zählt Mr. Jo­nes stolz.

    Wir dür­fen an Bord ge­hen und er zeigt uns die Decks.

    »Ka­pi­tän Jo­nes, wo wer­den wir schla­fen?«, fragt mei­ne Mut­ter. Es ist eine ty­pisch weib­li­che Fra­ge und die Män­ner tau­schen nach­sich­ti­ge Bli­cke.

    Ka­pi­tän Jo­nes führt uns auf das Zwi­schen­deck, wo auch die Ka­no­nen ver­staut sind. Ich se­he fast ein Dut­zend mas­si­ger Ar­til­le­rie­ge­schüt­ze, und mein Va­ter weist ei­tel da­rauf hin, dass vier da­von unse­rer Com­pa­ny ge­hö­ren und uns in der Neu­en Welt zur Ver­fü­gung ste­hen wer­den.

    »Hier Ma­dam, wird eu­er Schlaf­platz sein«, er­klärt Ka­pi­tän Jo­nes und mei­ne Mut­ter und ich schau­en ihn er­schro­cken an. Schon jetzt ist es sehr be­engt dort, ob­wohl noch kei­ne Pas­sa­gie­re an Bord sind. Die Män­ner ste­hen in leicht ge­bück­ter Hal­tung und wä­re ich nicht so klein, wür­de auch ich nicht auf­recht ste­hen kön­nen. Die Luft riecht muf­fig und dringt nur durch eine schma­le Lu­ke he­rein, die auf das Ober­deck führt. Dort­hin ge­langt man über eine wa­cke­li­ge Strick­lei­ter.

    Ich fra­ge mich, wie wir hier zwei Mo­na­te le­ben sol­len, wa­ge aber nicht mich laut zu äu­ßern. Mei­ne Mut­ter at­met tief durch und presst die Lip­pen auf­ei­nan­der, aber sie sagt kein Wort da­zu.

    »In zwei Ta­gen bre­chen wir auf«, er­klärt Ka­pi­tän Jo­nes.

    Wir ver­las­sen das Schiff und ge­hen zu dem Gast­hof zu­rück. Dort kommt eben die Fa­mi­lie Mar­tin an. Mr. Mar­tin hat noch mehr Ge­päck da­bei als wir. Sei­ne Frau Ma­ry ist wort­karg, in ihren Au­gen liegt der glei­che über­heb­li­che Aus­druck, wie bei ihrem Mann. Sie ha­ben Mrs. Mar­tins Sohn aus ers­ter Ehe, So­lo­mon Pro­wer und einen Die­ner, John Long­mo­re, bei sich, die bei­de im Al­ter mei­nes Cou­sins Pe­ter Brow­ne sind.

    Es schickt sich nicht für mich, mit ih­nen zu re­den, und so unter­hal­ten sich die Män­ner eine Wei­le, wäh­rend wir Frau­en da­ne­ben ste­hen und zu­hö­ren. Pe­ter ver­liert je­doch bald die Lust an den Ge­sprä­chen und macht einen Spa­zier­gang mit sei­ner Mas­tiff-Hün­din. Ich den­ke, dass auch er nicht sehr an­ge­tan ist von der Fa­mi­lie Mar­tin.

    Mein Va­ter hört sich ge­dul­dig die wort­rei­chen Kla­gen von Mr. Mar­tin über Ro­bert Cush­man, den Agen­ten der Lei­de­ner Grup­pe, an.

    »Die­ser arm­se­li­ge, be­ten­de Wicht, der von Ge­schäf­ten kei­ne Ah­nung hat, wagt es tat­säch­lich, von mir Re­chen­schaft we­gen der Buch­füh­rung zu ver­lan­gen! An­geb­lich ver­misst er eine Spen­de von 700 Pfund in den Auf­zeich­nun­gen der Ge­sell­schaft und nun will er von mir wis­sen, wo das Geld ge­blie­ben ist«, be­schwert er sich em­pört.

    Mein Va­ter be­eilt sich, den er­bos­ten Mr. Mar­tin zu be­schwich­ti­gen: »Je­der weiß, dass ihr ein Eh­ren­mann seid, Mr. Mar­tin.«

    Ich ha­be da so mei­ne Zwei­fel, hal­te aber na­tür­lich mei­nen Mund.

    Mei­ne Mut­ter und Ma­ry Mar­tin wech­seln kein Wort mit­ei­nan­der und ver­mei­den es, sich an­zu­se­hen. Ich den­ke, sie wer­den kei­ne be­son­ders gu­ten Freun­din­nen. Ich hof­fe, dass unse­re Schlaf­plät­ze auf der May­flo­wer, weit von­ei­nan­der ent­fernt lie­gen. Doch ich be­zweif­le, dass es in der En­ge mög­lich sein wird, den Mar­tins aus dem Weg zu ge­hen.

    Mr. Wes­ton ist ge­kom­men, um sich von uns zu ver­ab­schie­den und uns eine gu­te Rei­se zu wün­schen. Ich weiß, dass er ver­stimmt ist, weil wir den ge­än­der­ten Ver­trag mit den Kauf­leu­ten nicht unter­schrie­ben ha­ben. Mr. Wes­ton macht so­gleich deut­lich, dass er haupt­säch­lich am wirt­schaft­li­chen Er­folg der Unter­neh­mung in­te­res­siert ist. »Nehmt das Land und arbei­tet flei­ßig, dass wir bald unser Geld zu­rück­ha­ben und nicht be­reu­en müs­sen, in euch in­ves­tiert zu ha­ben.« Mein Va­ter sieht ihn be­frem­det an, aber Mr. Mar­tin stimmt me­ckernd in sein über­heb­li­ches La­chen ein.

    Pe­ter freun­det sich mit einen jun­gen stil­len Pas­sa­gier, na­mens John Good­man an, der sei­nen Spa­niel Buck mit an Bord bringt. Buck nä­hert sich schweif­we­delnd Bir­die, die ihm das Ge­sicht leckt. John hat bis­her in Lei­den ge­lebt und ist gut be­kannt mit den Se­pa­ra­tis­ten. Er schifft sich mit uns von Lon­don aus ein, da er mit Gil­bert Winslow, einem Mit­glied der Lei­de­ner Grup­pe, in einer An­ge­le­gen­heit hier­her kam, über die er nichts ver­ra­ten will. Gil­bert Winslow ist be­reits zu sei­nem Bru­der Ed­ward nach Lei­den zu­rück­ge­kehrt, wäh­rend John be­schlos­sen hat hier­zu­blei­ben um auf der May­flo­wer nach Sou­thamp­ton zu se­geln. Dort wer­den wir uns der Grup­pe aus Lei­den an­schlie­ßen.

    Pe­ter und ich sind so­fort be­gie­rig da­rauf, mehr zu er­fah­ren über die Se­pa­ra­tis­ten aus Hol­land und vor al­lem über die ge­hei­me Mis­sion, über die John Good­man nicht re­den will.

    »Jetzt komm schon, wir ver­ra­ten es auch kei­nem«, drängt Pe­ter ihn, sein Ge­heim­nis preis­zu­ge­ben, als wir einen Spa­zier­gang mit den Hun­den ma­chen.

    Good­mans Lä­cheln ver­schwin­det und er setzt eine ver­schlos­se­ne Mie­ne auf. »Ich wer­de be­stimmt nichts sa­gen. Die­se An­ge­le­gen­heit ist ge­fähr­lich für je­den, der da­von weiß.«

    Da­mit macht er es nur noch span­nen­der, aber er sieht nicht so aus, als wür­de er uns ein­wei­hen wol­len.

    »Gut, dann er­zäh­le uns doch we­nigs­tens et­was über die Leu­te aus Lei­den, die mit uns zu den Ko­lo­nien fah­ren. Schließ­lich müs­sen wir mit ih­nen le­ben, da wä­re es gut, wenn wir wis­sen, was auf uns zu­kommt.« Mei­ne Wor­te klin­gen wun­der­bar ver­nünf­tig.

    John Good­man über­legt. Schließ­lich nickt er. »Wa­rum nicht? Ein paar Din­ge kann ich euch ru­hig er­zäh­len.

    Pe­ter wirft mir einen an­erken­nen­den Blick zu und ich läch­le selbst­zu­frie­den.

    »Die Ge­mein­de in Lei­den wird an­ge­führt von Pas­tor John Ro­bin­son. Ihre Mit­glie­der stam­men ur­sprüng­lich aus Eng­land, wo sie we­gen ihres Glau­bens hart ver­folgt wur­den. Als sie er­fuh­ren, dass zahl­rei­che In­haf­tier­te in Lon­don in den Ge­fäng­nis­sen ver­hun­gern, er­schien ih­nen Hol­land als pas­sen­de Zu­flucht, da es be­kannt ist für sei­ne li­be­ra­le Re­gie­rung. So ver­lie­ßen sie Eng­land und sie­del­ten sich in Lei­den an. Vie­le von ih­nen muss­ten bei ihrer Flucht aus Eng­land ihr Ver­mö­gen zu­rück­las­sen und ver­din­gen sich jetzt in der Woll­pro­duk­tion, in schlecht be­zahl­ten An­stel­lun­gen«, er­fah­ren wir von John.

    »Trotz der har­ten Arbeit ge­fiel es ih­nen bis­her in Lei­den gut, denn sie konn­ten ihren Glau­ben un­ge­stört aus­le­ben«, fährt John fort. »Aber jetzt läuft der Frie­dens-Ver­trag zwi­schen Hol­land und dem ka­tho­li­schen Spa­nien aus und sie fürch­ten, dass die Hol­län­der re­li­giö­se Zu­ge­ständ­nis­se ma­chen müs­sen an die Spa­nier. Dann wird es vor­bei sein mit der Re­li­gions­frei­heit in Hol­land. Sie sind zu­dem nicht ein­ver­stan­den, dass ihre Kin­der sich an die frei­zü­gi­ge Le­bens­wei­se der Hol­län­der an­pas­sen und ihren El­tern und de­ren Über­zeu­gun­gen im­mer kri­ti­scher gegen­über ste­hen. So sind sie zu dem Ent­schluss ge­langt, die ge­fähr­li­che Rei­se in die Neue Welt zu wa­gen, um dort eine Ko­lo­nie nach ihren Grund­sät­zen und ihren re­li­giö­sen Über­zeu­gun­gen zu er­rich­ten.«

    Für mich klingt das nach sehr ver­nünf­ti­gen Leu­ten, die um­sich­tig ihre Zu­kunft pla­nen.

    »Im Grun­de sind sie nicht sehr ver­schie­den von uns. Auch wir wol­len in Frie­den und Frei­heit nach unse­ren Vor­stel­lun­gen le­ben«, meint Pe­ter und ich ni­cke zu­stim­mend.

    Am Tag unse­rer Ab­rei­se sind wir auf den Bei­nen, noch be­vor die Son­ne auf­geht. Wir brin­gen unse­re rest­li­chen Hab­se­lig­kei­ten, wie Klei­dung, Koch­ge­schirr, Kamm, Schwäm­me und Bett­zeug, an Bord. Es dau­ert ei­ni­ge Zeit, weil wir nicht die Ein­zi­gen sind, die ihren Kram ver­stau­en und sich einen gu­ten Platz auf dem Schiff su­chen, um sich da­rin häus­lich ein­zu­rich­ten.

    Es herrscht ge­schäf­ti­ges Trei­ben rund um mich. Stau­nend se­he ich zu, wie die See­leu­te ein in sei­ne Ein­zel­tei­le zer­leg­tes, rie­si­ges Boot, mit dem man Se­geln und Ru­dern kann auf das Schiff brin­gen. Es bleibt nicht die ein­zi­ge wuch­ti­ge Fracht. Äch­zend zie­hen die Mat­ro­sen eine ton­nen­schwe­re me­tal­le­ne Schrau­be, über die Schiffs­plan­ken. Es ist ein Jack­screw, eine Art Win­de, mit der man schwe­re Las­ten heben kann. Ich fra­ge mich, wo sie das al­les bloß ver­stau­en wol­len.

    In den letz­ten bei­den Ta­gen sind die Mit­glie­der unse­rer Grup­pe aus Eng­land ein­ge­trof­fen. Es sind Fa­mi­lien und al­lein­ste­hen­de Män­ner, die von den Kauf­leu­ten an­ge­wor­ben wur­den. Sie kom­men aus Lon­don, Es­sex, Sur­rey, und einem gu­ten Dut­zend wei­te­rer Graf­schaf­ten, und ha­ben Kin­der, Die­ner und je­de Men­ge Ge­päck bei sich. Die meis­ten von ih­nen ha­ben wie wir, all ihr Geld in das Unter­neh­men ge­steckt.

    Es schei­nen recht­schaf­fe­ne Leu­te zu sein. Da ist ein al­tes Ehe­paar, die Rigs­da­les. Sie ha­ben kei­ne Kin­der, aber ein jun­ger Mann, Ed­mund Mar­ges­son scheint mit ih­nen gut be­kannt zu sein. Sie plau­dern an­ge­regt mit­ei­nan­der.

    Ein wei­te­rer jun­ger Mann geht mit sei­ner hüb­schen brü­net­ten Frau und einem Ba­by an Bord. Sie ni­cken mir zu und lä­cheln. Es sind Fran­cis und Sa­rah Ea­ton, die in dem­sel­ben Gast­hof wie wir ab­ge­stie­gen sind. Sie ha­ben ihren klei­nen Sohn Sa­muel da­bei, der ge­ra­de mal ein hal­bes Jahr alt ist. Wir ha­ben uns beim Abend­es­sen in der Wirts­stu­be ken­nen­ge­lernt und

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