Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Kuss der Schwarzen Papua
Der Kuss der Schwarzen Papua
Der Kuss der Schwarzen Papua
eBook389 Seiten5 Stunden

Der Kuss der Schwarzen Papua

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

"Können sie uns erklären, wohin die Schlange gekrochen ist nachdem sie gerichtsnotorisch einen Menschen gebissen hat?" flehten seine Basler Kollegen den Zofinger Kommissar Moor, gleichzeitig einen Tatzeugen, mit zum Himmel gefalteten Händen an.

"Zurück zu den Geistern, die sie in den Saal geschleudert haben", sagte Moor, als handle es sich dabei um das Selbstverständlichste der Welt. "Wahrscheinlich ringelt sie sich dort gerade in diesem Augenblick um den Griff jenes Messers, das Fränzi Müller getötet hat.

Der Einzige, den diese Antwort vielleicht hätte zufriedenstellen können, ist Doc, Leiter eines Projekts zum Schutz des tropischen Regenwaldes im 14000 Kilometer entfernten Papua-Neuguinea. Doch der hat, gerade von einem Malariaschub genesen, andere Sorgen: Gangster haben sein Projektgebiet überfallen und die Tropenholz-Mafia hat ein Killerkommando auf ihn angesetzt. Den größten Kummer aber bereitete ihm Kila, eine junge Einheimische, die er zur Ausbildung in die Hauptstadt geholt hat: sie muss nicht nur die Schule meistern, sondern auch den Sprung aus dem Dschungel in die Großstadt, aus der Steinzeit in die Moderne - und wird dann erst noch entführt.

Dass Kila sich zudem als Zauberlehrling betätigt haben könnte, dämmert Doc erst, als ihm Kommissar Moor von Ereignissen in der Schweiz berichtet, bei deren Aufklärung die wissenschaftliche Forensik an ihre Grenzen stößt. Doch kann schwarze Magie überhaupt vom Südpazifik bis ins Herz von Europa wirken?

Reinhard-Johannes Moser hat nach dem Studium der Ethnologie als Journalist, Entwicklungshelfer und Buschpilot in zwei Dutzend Ländern der Dritten Welt - darunter Papua-Neuguinea - gelebt und gearbeitet.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Okt. 2021
ISBN9783754173237
Der Kuss der Schwarzen Papua

Ähnlich wie Der Kuss der Schwarzen Papua

Ähnliche E-Books

Mystery für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Der Kuss der Schwarzen Papua

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Kuss der Schwarzen Papua - Reinhard-Johannes Moser

    Überfall auf Tradestore

    Die meisten Bewohner von Beimuru in Papua-Neuguinea kennen an einem der im zwei Wochen Rhythmus angesetzten Zahltage nur ein Ziel: Pauls Hangar. Dort finden sie unter einem Dach nicht nur alle Güter, von denen ein bodenständiger Papu so träumt, sondern auch eine Bank, die das zum Einkaufen nötige Geld, oder zumindest einen Teil davon, ausbezahlt.

    Je näher mein Kollege Alex und ich diesem Paradies kamen, desto dichter drängten sich die Menschen, bis sich eigentliche Warteschlangen bildeten, die trotz Drängeln und Stoßen nur noch um Fußesbreite vorwärts rückten. Als Weiße genossen wir das Privileg, dass man uns Platz machte, ohne dass wir unsere Ellbogen allzu energisch einsetzen mussten. So erreichten wir recht zügig den einzigen Eingang zur "Shopping Mall", wie Paul, der australische Besitzer, seinen überdimensionierten Wellblech-Schuppen ebenso übertrieben wie liebevoll nannte. Der bildete ein wahres Nadelöhr, das von vier bis an die Zähne bewaffneten Uniformierten bewacht wurde. Die stießen ruppig den einen oder andern zurück, um ihn nach versteckten Waffen abzutasten bevor sie ihn mit einem zustimmenden Grunzen die Schwelle zum Einkaufsparadies passieren ließen.

    Von Alex und mir nahmen sie keine Notiz, denn als „Rotnasen", wie man uns umgangssprachlich bezeichnet, befanden wir uns ganz klar außerhalb ihrer Machtsphäre. Da wir die meisten der eher kleinwüchsigen Papus um gut einen halben Kopf überragten, hatte uns Nancy, die Kassiererin vom Bankschalter, der sich gleich links neben dem Eingang befand, schon aus der Ferne kommen gesehen. Sobald wir eintraten und Alex in voller Größe aus dem Menschengetümmel vor ihr auftauchte, kannte ihr Strahlen keine Grenzen mehr. Der Form nach winke sie uns beiden zu, doch in Wirklichkeit galt ihre Aufmerksamkeit ganz eindeutig meinem zwanzig Jahre jüngeren Kollegen. Der hätte, braun gebrannt, mit von der Sonne zusätzlich gebleichtem blonden Haar und Friesland blauen Augen, adrett in einen makellosen Tropenanzug gekleidet, bestimmt auch mancher weißen Frau den Kopf verdreht.

    Ich wusste, dass sich die beiden mochten und wollte dem jungen Glück nicht im Wege stehen. Deshalb winkte ich nur schmunzelnd zurück und ließ Alex alleine zu Nancys Schalter gehen, der nicht gerade dicht belagert war.

    In Papua-Neuguinea verdient nur eine kleine Minderheit so viel, dass es sich lohnt, das Geld zur Bank zur tragen. Die andern verputzen innerhalb von zwei Stunden, was sie in den vorausgegangenen zwei Wochen erschuftet haben.

    Weil sie normalerweise mit Bankgeschäften nicht ausgelastet war, hatte Nancy noch zusätzliche Aufgaben: so bildete sie das Verbindungsglied zwischen der Lager- und Verkaufsebene im Parterre und der Chefetage, die wie ein gläsernes Insektennest unter dem Dach des Hangars hing und nur über eine eiserne Wendeltreppe erreicht werden konnte. Diese von Gefängnisbauten abgeschaute Anordnung erlaubte es Paul und seinen engsten Mitarbeitern, alles zu überblicken, was sich zu ihren Füssen abspielte und das war selbst an ruhigeren Wochentagen eine ganze Menge: Paul verwaltete nämlich neben seinem eigenen Laden und der Filiale der PNG Banking Corporation auch noch die Niederlassungen einer regionalen Fluggesellschaft und der Post und betrieb dazu einen Stehimbiss, den er als das einzige „Restaurant" in einem Umkreis von 200 Kilometern anpries.

    Bis auf die Tische der Imbissbude befand sich alles fein säuberlich abgeschottet hinter massiven Drahtgittern, die nur einen Spalt offen ließen durch den die Verkäuferinnen den Kunden ihre Ware über eine Art Theke zuschoben - wohlweislich erst, nachdem sie das Geld dafür kassiert hatten. So entstand in dem Hangar trotz seiner beeindruckenden Ausmaße eine beengende Gefängnisatmosphäre, wobei der Glaskanzel in der Mitte sowohl die Rolle eines Wachturms, als auch die einer Einsatzzentrale zukam. Die Einheimischen schien dies nicht weiter zu stören, denn sie wussten aus eigener Erfahrung, dass alles, was nicht niet- und nagelfest verankert war, binnen kürzester Zeit zu verschwinden pflegte.

    In diesem von Misstrauen und latenter Kriminalität geprägten Umfeld fiel Nancy die Aufgabe zu, in erster Linie Leute, die Paul nicht treffen wollte, abzuwimmeln. In zweiter Linie allerdings sollte sie herausfinden, ob ein Besucher vielleicht doch interessant genug war, um wenigstens von einem subalternen Mitglied der Geschäftsleitung zu einem formlosen Schwatz durch die Gitter hindurch empfangen zu werden. Denn schließlich

    verkaufte Paul nicht nur Waren an die Einheimischen, nein, er kaufte auch alles auf, was er in Port Moresby oder besser noch in Australien in klingende Münze verwandeln konnte, von massiven Baumstämmen aus Ebenholz bis zu den winzigen Eiern seltener Schmetterlinge, für die fanatische Sammler ein Vermögen bezahlten. Die Fälle freilich, in denen Nancy zum Telefon griff um in der Glaskanzel einen Besucher anzumelden, der würdig und berechtigt war, in Pauls Allerheiligstes vorzudringen, stellten eine krasse Ausnahme dar. Normalerweise nämlich entdeckte eines der wachsamen Augen aus dem ersten Stock einen solchen „Ehrengast" inmitten der Menschenmenge schon lange bevor Nancy ihn überhaupt zu Gesicht bekam. Dann surrte der elektrischen Öffner, der die gepanzerte Türe zum Innenraum des Hangars freigab genau in dem Augenblick, in dem der Gast nur noch einen Schritt von Nancys Schalter entfernt war, und gab ihm damit den Zutritt frei, ohne irgendwelches Aufsehen zu erregen.

    Auch wir waren offenbar rechtzeitig erkannt worden, denn noch bevor Alex Nancy ein „hallo" hatte zurufen können, vernahm ich, der zwei Meter hinter ihm stand, schon das Summen des Entriegelungsmechanismus. Automatisch machte ich einen Schritt nach vorne um den Knauf zu packen und die Türe zu öffnen.

    Doch so weit kam ich nicht: auf genau diese Gelegenheit hatten schon zwei ganz unauffällig in der Menge

    mitschwimmende Eingeborene gewartet: sie warfen sich geschickt zwischen mich und die Tür und gleichzeitig zwischen mich und Alex um sich gewaltsam Zutritt ins Allerheiligste zu verschaffen. Alles ging sehr schnell schien professionell vorbereitet: Noch bevor ich richtig realisierte, was da ablief, erhielt ich präzise und wuchtig zugleich einen Ellbogen in meinen Solarplexus gerammt, dass ich, was ich in 10 Jahren als Amateurboxer hatte vermeiden können, k.o. zu Boden ging. Zumindest ein Reflex in mir musste dennoch funktioniert haben, denn ich fiel nicht wie ein Sack um, sondern schaffte es, mit einer halben Körperdrehung so am Fuß der Theke zu landen, dass ich halbwegs vor den unzähligen Füssen sicher war, die mich in der Panik, die ausbrach, sobald der Überfall erkannt wurde, wahrscheinlich zu Tode trampeln würden.

    Ich hatte in den Augenblicken, die jetzt folgten, zu viel Adrenalin in meinen Adern als dass ich Schmerz oder Angst empfunden hätte, einzig der Überlebensinstinkt, den ich über Jahre hinweg im beruflichen Einsatz in Krisengebieten entwickelt hatte, bestimmte jetzt mein Handeln. Bevor ein Ringrichter auf zehn hätte zählen können, wurde mir bewusst, dass ich die Kontrolle über meine Beine, ja über meinen ganzen Körper zurückgewonnen hatte. Dennoch blieb ich liegen und bewegte meinen Kopf nur genau so weit, dass ich mir halbwegs ein Bild von dem machen konnte, was über mir geschah. Zwar versperrten mir überall nackte Füße und ungewaschene, schwarze, nach Dreck, Kot, Urin und Betelnuss stinkende Beine die Sicht, doch aus dem Umstand, dass sich das Stimmengewirr bald in ein von schrillen Schreien unterbrochenes Gekreische verwandelte und dass die meisten Zehen nun nicht mehr in Richtung Tresen, sondern zum Ausgang hin zeigten, schloss ich, dass der Überfall tatsächlich entdeckt worden war und alle Unbeteiligten ihr Heil in der Flucht suchten.

    Noch immer war ich darauf bedacht, meine Position nur wenig zu ändern und meinen Kopf so unauffällig wie möglich zu bewegen. Dies genügte, um quasi in Zeitlupe mit zu erleben, wie Alex mit blutüberströmtem Gesicht, zuerst in die Knie und gleich darauf bewusstlos neben mir zu Boden ging. In dem Moment knallten auch die ersten Schüsse, die in der immensen Blechhalle wie Kanonensalven widerhallten. Umgehend schwoll darauf das Geschrei der Fliehenden nochmals an und selbst der Tonfall stieg um gute zwei Oktaven. Parallel dazu steigerte sich die Kadenz der Schüsse vom Einzel- zum Serienfeuer, was darauf hindeutete, dass Angreifer wie Verteidiger bestens mit automatischen Waffen ausgerüstet waren und nicht davor zurückschreckten, von diesen auch Gebrauch zu machen.

    Da die meisten Kunden in der Zwischenzeit ins Freie geflohen waren, nahm der von ihnen verursachte Lärm ab, dafür ertönten jetzt Kommandos auf Pidgin und auf Englisch in denen ich auch Pauls Stimme zu erkennen glaubte. Dabei konnte es sich allerdings auch um bloßes Wunschdenken handeln, denn langsam wurde meine Lage so ungemütlich, dass ich die Zeit für gekommen hielt, wo der Busch-Napoleon endlich in seinem Laden so nachhaltig für Ordnung sorgen sollte, wie er dies immer wieder beim Bier in der Hauptstadt geschildert hatte.

    Eine Salve heißer, direkt über mir aus einer automatischen Waffe verschossener Patronenhülsen traf mich am Arm und ließ mich vor Schmerz fast aufschreien. Das allerdings hätte die Täter, von denen sich einer genau über mir befand, auf uns aufmerksam gemacht – zumindest auf mich und auf den Umstand, dass ich nicht tot war. Also biss ich auf meine Zunge, denn solange wir still und regungslos am Boden lagen, stellten wir für die Gangster weder eine Gefahr dar, noch brachten wir sie auf die Idee, uns eventuell als Geiseln zu nehmen. Was aber, wenn Alex aufwachte und sich zu bewegen begann? Noch während ich mir über die dann anzuwendende Strategie den Kopf zerbrach, peitschten einige Kugeln knapp an meinen Zehenspitzen vorbei und ließen mich blitzschnell die Knie anziehen.

    „Der Weiße lebt", schrie prompt einer der Täter auf Pidgin, worauf ein neuer Kugelhagel das verrottende Wellblech von Pauls Tradestore durchsiebte. Jemand versuchte offensichtlich, uns Feuerschutz zu geben und er tat dies mit Erfolg: knapp einen Meter von mir entfernt schlug ein Einheimischer mit weit aufgerissenen, gebrochenen Augen auf dem Boden auf, die Maschinenpistole noch unter den rechten Arm geklemmt.

    Für Sekunden war es daraufhin still.

    Dann peitschte statt Kugeln eine durch Mark und Bein dringende, wie Glas klirrende, weibliche Stimme auf Pidgin und Tokples, dem lokalen Dialekt, durch den Hangar:

    „Hört auf zu schießen, ich wiederhole, stoppt sofort das Feuer. Werft eure Waffen weg und haut ab. Raus, raus mit euch. Wer nicht sofort abhaut wird den Abend nicht mehr erleben."

    Es folgte eine kleine Pause, in der ich keinen Laut, keine Bewegung mehr wahrnahm. Dann kehrte die Stimme so schneidend zurück, dass ich am ganzen Körper Gänsehaut bekam:

    Fuck you! Was seid ihr bloß für Typen, dass ihr feige auf Unschuldige schießt? Haut ab! Rausim yu, raus mit euch!"

    Ich blieb liegen, da ich umgehend von irgendwo her eine nächste Salve erwartete oder, schlimmer noch, den Todesschrei der mutigen Frau. Doch es blieb ruhig, ja es herrschte eine wahre Grabesstille, denn selbst den Gaffern vor dem nahen Eingang schien es die Sprache verschlagen zu haben.

    Dann, während Alex eben die Augen öffnete und verwirrt um sich blickte, hörte ich das Klappern von eindeutig weiblichen Absätzen auf der eisernen Wendeltreppe, das immer näher kam. Langsam und vorsichtig wagte ich deshalb meinen Kopf zu heben und stellt dabei fest, dass der Laden auf der Käuferseite bis auf Alex und mich leer war. Selbst die Wächter am Eingang waren verschwunden. Wo sie bei unserer Ankunft gestanden waren, machten sich dafür bereits die ersten Neugierigen die besten Plätze streitig um hautnah den weiteren Verlauf der Ereignisse verfolgen zu können; doch keiner wagte es, auch nur einen Fuß über die Schwelle des Hangars zu setzen.

    Ich erschrak zu tiefst, als ich die eben noch dominierende Frauenstimme plötzlich direkt und fast sanft über mir vernahm:

    Hi, Doc, sind sie und Alex halbwegs wohlauf?"

    Yes, Mam", stotterte ich und rappelte mich auf um unseren rettenden Engel aus der Nähe zu betrachten. Ich staunte nicht schlecht, als ich Rachel über mir entdeckte, Pauls einheimische Frau. Ich war ihr früher schon gelegentlich begegnet, hatte sie immer für unscheinbar und farblos gehalten und mich eher gewundert, was ein Weiberheld von Pauls Kaliber an einem derartigen Mauerblümchen aus der tiefsten Provinz Papua-Neuguineas gefunden hatte.

    Alex, der stöhnend darum rang, das eben wiedererlangte Bewusstsein nicht gleich wieder zu verlieren, hatte die letzte Phase des Überfalls nicht bewusst miterlebt und schien sich deshalb auch weniger um die Identität unseres Schutzengels zu kümmern als vielmehr um das Stillen des Blutes, das sich in wahren Strömen von seiner Stirn, ganz in der Nähe des Haaransatzes, quer über sein Gesicht ergoss.

    Offenbar hatte auch Rachel vorderhand wichtigeres zu tun, als sich um uns zu kümmern, nachdem sie erst einmal festgestellt hatte, dass wir überhaupt noch am Leben waren. Denn während weitere Angestellte, die in Laden und Lager Deckung bezogen hatten, hinter Reissäcken und Bierkartons hervorkrochen, verließ sogar Ken, der Buchhalter, seinen mit Panzerglas gesicherten Hochsitz. Er kam direkt auf mich zu, half mir vollends auf die Beine und zog, wie er es sein Leben lang gewohnt war, Bilanz:

    „Hatte schon geglaubt, es hat euch erwischt! – Aber es ist auch so schlimm genug: Nancy ist tot. Sonst sehe ich auf unserer Seite nur ein paar leicht Verletzte. Die Angreifer haben einen Mann verloren; mindestens einer von ihnen ist verwundet."

    Dann seufzte er, weil ihn dies offenbar mehr schmerzte als die menschlichen Verluste:

    „Leider haben sie auch einiges an Bargeld aus der Bank mitlaufen lassen!"

    Sobald ich mich auf meinen eigenen Beinen wieder sicher fühlte, packte ich Alex unter den Armen und zog ihn vom Boden empor. Erst jetzt fiel mein Blick hinter den Bankschalter wo Rachel neben der in einem See von Blut liegenden Nancy kniete, ihr die Augen schloss und dabei feierlich und so laut, dass alle es hörten, einen Eid ablegte:

    „Geh ein ins Reich der Ahnen, Nancy. Ich schwöre dir bei meinem eigenen Leben und bei dem meiner Kinder, dass dein Tod gesühnt werden wird!"

    Unter den Zuhörern vor dem Hangar erhob sich ein dumpfes Raunen. Alle hatten den Racheschwur gehört und offenbar zustimmend zur Kenntnis genommen.

    Rachel aber hatte noch nicht geendet. Mit genau jener schneidenden, fast unmenschlichen Stimme, mit der sie die Schießerei beendet hatte, hob sie erneut an:

    „Und ihr, die ihr meine Nancy getötet habt: wisst, dass ich euch hier und jetzt zum Tod verurteile! Keiner von euch wird die Rückkehr der Monsunregen erleben!"

    Sie verharrte noch kurze Zeit wie in Trance in ihrer magischen Pose, ließ dann die Hände sinken und kehrte zurück in den Glaskäfig.

    Meine Gänsehaut verging nur langsam, denn ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass Rachels Verheißung in Erfüllung gehen würde.

    Feuer in Zofingen

    Das Städtchen Zofingen, geographisch fast genau im Herzen der Schweiz gelegen, gehört mit seinem gut erhaltenen, gepflegten mittelalterlichen Stadtkern zu den verkannten touristischen Kleinoden, an denen der Nord-Südverkehr auf Autobahn und Schiene zu Unrecht achtlos vorbeirast.

    Jetzt, Mitte Dezember, freilich verblichen auch stattliche Baudenkmäler wie der aus Teilen der alten Stadtmauer hervorragende Thut-Turm unter einer dichten Hochnebeldecke, die dem schweizerischen Mittelland seit Wochen die Sonne und den Anblick eines bereits tief winterlichen Alpenpanoramas vorenthielt.

    An diesem letzten Samstag vor Weihnachten war alles noch viel schlimmer, denn sinkende Temperaturen verunmöglichten es den grauen Schichtwolken, länger die ganze Feuchtigkeit zurückzuhalten, die sie seit November angesammelt hatten, und verursachten einen feinen Nieselregen, der jedermann frösteln ließ, wenn er auch nur ins Freie blickte. Zudem machte er Straßen und Gehsteige rutschig, was vielen Unentschlossenen einen idealen Vorwand lieferte, eher zu Hause zu bleiben als die letzten Geschenke für die Bescherung am Heiligen Abend einzukaufen.

    Trotz dieser misslichen Bedingungen war die Innenstadt von Zofingen mit ihren vielen kleinen Fachgeschäften nicht ausgestorben. Liebevoll dekorierte Schaufenster verführten zusammen mit der auch am Tag eingeschalteten, festlichen Straßenbeleuchtung und dem weihnachtlichen Schmuck zahlreicher Häuser auch nüchterne Menschen dazu, Dinge zu kaufen, denen sie zu einer anderen Jahreszeit kaum Beachtung geschenkt hätten. Am Ende der Vorderen Hauptgasse, kurz vor dem Luzerner Tor, das die Altstadt gegen Süden abschließt, kam es sogar zu einem kleinen Fußgänger Stau.

    Schuld daran war die Feuerwehr, die eine große Drehleiter zum Einsatz gebracht hatte um einen Kaminbrand zu löschen. Nichts Dramatisches, doch das über mehrere Jahrhunderte hinweg getrocknete Holz aus dem die meisten Dachstühle im historischen Stadtkern bestanden, drohte schnell lichterloh in Flammen aufzugehen, selbst wenn nur ein simpler Zimmerofen ein bisschen überheizt wurde. Um dem vorzubeugen scheute die Feuerwehr keinen Aufwand und stieß damit bei der Bevölkerung auf breites Verständnis.

    Da die Vordere Hauptgasse für den Autoverkehr ohnehin gesperrt war, genügte der Einsatz von Hilfspolizist Sepp Hauri um jene Eidgenossen, die so dicht vermummt waren, dass ihre Mützen und Kapuzen das Sichtfeld einengten, an dem Hindernis vorbei zu lotsen. Zofingen war klein genug, dass man sich noch gegenseitig kannte. Kein Wunder also, dass Hauri bald heiser war von all den „Grüezi, wie geht’s für die entfernteren Bekannten und den Wünschen für „eine fröhliche Weihnacht – auch für die ganze Familie für diejenigen, die ihn beim Namen grüßten.

    Der Kaminbrand war im vorletzten Haus der Marktgasse ausgebrochen, in dessen Erdgeschoss sich ein Haushaltsgeschäft befand. Während die Feuerwehr am Werk war, blieb dieser Laden geschlossen. Das rechts daneben liegende Uhren- und Juweliergeschäft war von dem Brand jedoch ebenso wenig betroffen war wie eine kleine Boutique zur Linken, ganz am Ende der Straße, in der Kunstgegenstände aus der Dritten Welt angeboten wurden. Hauri pendelte um die Drehleiter herum zwischen diesen beiden Geschäften hin und her um sich durch etwas Bewegung warm zu halten.

    Er sah verschiedene Kunden, die er zum Teil persönlich kannte, das Uhrengeschäft betreten. Die Ethno-Boutique dagegen stieß auf wenig Interesse. Seit Fränzi Müller, die Besitzern, gegen 9 Uhr gekommen war, die Türe aufgesperrt und die Beleuchtung im Laden eingeschaltet hatte, warnoch kein einziger Interessent vor ihrem kleinen Schaufenster stehen geblieben.

    Hauri kannte Fränzi, da die junge Frau in Zofingen geboren war und dort auch das Gymnasium bis zur Matura besucht hatte. Dann hatte er sie während Jahren aus den Augen verloren, aber, da ihre Eltern am Ort wohnten, natürlich erfahren, dass die junge Frau an der Universität Basel studierte und dass sie große Reisen unternahm. Dies wusste auch der Postbote zu bestätigen, der regelmäßig Ansichtskarten aus aller Herren Länder zustellte, vor allen aus solchen, wie er zu bewerten pflegte, „am Arsch der Welt". Vor gut einem Jahr war Fränzi dann plötzlich wieder in Zofingen aufgetaucht und hatte den kleinen Laden im Eckhaus an der Vorderen Hauptgasse gemietet.

    Die unscheinbare Schülerin hatte sich zu einer weltgewandten, attraktiven jungen Geschäftsfrau gemausert, die viele ihrer ehemaligen männlichen Schulkollegen als hochnäsig empfanden, da sie ihren Freundeskreis außerhalb der Zofinger Stadtmauern, ja, dem Hörensagen nach sogar außerhalb der Schweiz aufgebaut hatte. Man munkelte von Negern und von Chinesen, mit denen sie liiert sein sollte, und es kam in der Tat vor, dass Besucher verschiedenster Hautfarbe – meistens Männer, wie die Nachbarinnen feststellten – die kleine Boutique betraten. Dann aber blieb der Laden oft wieder Wochen lang geschlossen, angeblich, weil Fränzi auf Reisen war. Dies erschien insofern glaubhaft, als ihr Schaufenster nach ihrer Rückkehr jeweils vor kuriosen Neuerwerbungen aus Afrika oder Asien barst; dies allerdings nur für kurze Zeit, denn schon bald beschränkte sich ihr Angebot wieder auf einzelne Masken, Statuetten oder Perlenkettchen, die in dem mittelständischen Schweizer Städtchen am ehesten noch Anklang und Käufer fanden. Ihre Hauptkundschaft aber lebte im Ausland. Dies trug dazu bei, dass sich um Fränzi Müller eine Aura des Geheimnisvollen bildete, die einen idealen Nährboden für Neugier und Gerüchte ergab. Echt Negatives gab es dennoch nicht zu berichten - wohl aus dem simplen Grund, dass sie während ihrer Aufenthalte in der Heimatstadt ausgesprochen zurückgezogen lebte und kaum Besucher empfing.

    Es ging auf 10.30 Uhr zu, als der Feuerwehrkommandant Hauri wissen ließ, dass die Lage nun unter Kontrolle sei und der Einsatz in wenigen Minuten beendet würde. Der Hilfspolizist rieb sich bei dieser guten Nachricht vor Freude die inzwischen steif gefrorenen Hände und scheuchte die Passanten ein paar Schritte weiter zurück, damit sie das Einziehen der hydraulischen Drehleiter nicht behinderten. Später konnte er sich nicht daran erinnern, bemerkt zu haben, dass jemand Fränzis Boutique betrat.

    Dies war insofern ein Wunder, als nur Augenblicke danach die Türe des Ladens aufgerissen wurde und eine sichtlich geschockte Frau herausrannte, die die Hände über dem Kopf verwarf und verzweifelt rief:

    „Hilfe, Sanität, Polizei, da drinnen verblutet eine Frau!"

    Einige Passanten blieben verdutzt stehen, steckten dann aber ihre Köpfe schnell zwischen die Schultern und beschleunigten ihre Schritte um nur ja in nichts Unangenehmes verwickelt zu werden. Einzig eine ältere Dame eilte kurz entschlossen auf die hilflos vor der Tür Verharrende zu und legte ihr beruhigend den Arm um die Schultern. Erst in diesem Augenblick realisierte Hauri, dass eigentlich in erster Linie sein Eingreifen gefordert war. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den Kollegen von der Feuerwehr eher widerwillig zuzurufen, sie sollten einen Moment lang warten, oder mindestens beim Einfahren der Leiter doppelt aufpassen, er müsse sich schnell um eine andere Angelegenheit kümmern. Dann stapfte er auf die Boutique zu, schob die beiden Frauen, die den Eingang versperrten, dezidiert zur Seite und trat durch die weit offen stehende Tür.

    Zuerst blendete ihn das grelle Neonlicht, dann verschlug ihm, dem halb Erfrorenen, die Hitze im Innern des Ladens fast den Atem. So kam es, dass er fast über den Körper von Fränzi Müller gestolpert wäre, die mitten im kleinen Laden auf dem Rücken auf dem Fußboden lag. Ihre helle Bluse war

    Blut getränkt; ein feines Rinnsal von Blut sickerte ebenfalls unter ihrem Körper hervor. Die junge Frau hatte die Augen weit geöffnet, doch ihr Blick war gebrochen. Kein Zweifel: Fränzi Müller war tot.

    Hauri bekundete einige Mühe, einen kühlen Kopf zu bewahren. Als Hilfspolizist war er ausgebildet worden, den ruhenden Verkehr zu überwachen und kleine Aufgaben im Bereich des Ordnungsdienstes wahrzunehmen, nicht aber dazu, bei Unfällen oder gar Verbrechen einzugreifen. Nachdem er einige Minuten lang Fränzi hilflos angestarrt und erfolgreich seinen Mageninhalt mehrmals wieder hinunter-geschluckt hatte, rang er sich dazu durch, die beiden Frauen vor der Türe aufzufordern, sich noch einen Augenblick zu gedulden aber ums Himmels Willen nicht wegzulaufen. Dann kehrte er zurück in den Laden, ergriff mit seinem Taschentuch, wie er es in Kriminalfilmen gesehen hatte, den Hörer des Telefons um keine Spuren zu verwischen und wählte die Nummer der Kantonspolizei. Sollten sich doch die gut bezahlten Herren in ihren saloppen Zivilkleidern an der Leiche, um die sich eine immer größere Blutlache bildete, die Finger schmutzig machen.

    Fränzi Müller

    Ich erfuhr vom Tod von Fränzi Müller auf dem Flug aus Papua-Neuguinea in die Schweiz durch eine kurze Meldung unter der Rubrik „Vermischtes" in der Neuen Zürcher Zeitung. Unter dem Titel: „Mysteriöser Mord an Geschäftsfrau" las ich da, dass die Inhaberin eines Fachgeschäfts für völkerkundliche Kunstgegenstände in ihrem Laden in Zofingen erstochen aufgefunden worden war. Das Besondere an dem Verbrechen war, dass es keinerlei Hinweise auf den Täter oder die Tatwaffe gab, obwohl während des ganzen für den Mord in Frage kommenden Zeitraums Polizei und Feuerwehr direkt vor dem Ort des Verbrechens im Einsatz gestanden waren. Auch über das Motiv der Tat bestand Unklarheit, denn ersten Abklärungen zufolge waren weder Geld, noch Sachgüter entwendet worden.

    Da es in Zofingen nur eine Boutique für Ethnologica gab, stand für mich umgehend fest, dass es sich bei dem Opfer um Fränzi Müller handeln musste.

    Ich hatte Fränzi während meiner eigenen Studienzeit kennen gelernt. Sie war einige Jahre älter als ich und hatte die Universität eigentlich schon verlassen, als ich damit begann, mir mein akademisches Rüstzeug als Völkerkundler zu holen. Dennoch gab es Berührungspunkte, vor allem über das Völkerkundemuseum, das in dem Zeitraum, in dem ich dort meine Praktika abverdiente, zu den wichtigsten Kunden von Fränzi gehörte. Dort lernte ich sie als fröhliche, unkomplizierte Kollegin schätzen, die weder mit einem Komplex herumlief, weil sie die Universität ohne akademischen Abschluss verlassen hatte, noch mit einem Dünkel, weil sie sich zu den raren Spezialisten zählen durfte, denen international geachtete Sammlungen Kaufaufträge anvertrauten.

    Wenn ich ihr in der Stadt gelegentlich über den Weg lief, befand sie sich häufig in der Begleitung von – ständig wechselnden – Männern, die eines gemeinsam hatten: sie alle waren älter als Fränzi, besaßen oft schon angegraute Schläfen, trugen maßgeschneiderte, für ihr Alter etwas zu salopp geschnittene Anzüge und boten mit Vorliebe Goldkettchen oder Raubtierzähne auf ihren Solarium gebräunten Brüsten zur Schau. Wahrscheinlich fuhren sie auch silbergraue Porsches oder rote Ferraris.

    Fränzis Tod berührte mich wohl, er weckte in mir aber noch mehr Neugier. Deshalb rief ich nach den Weihnachtsfeier-tagen Esther an, eine Mitarbeiterin des Völkerkunde-museums, von der ich wusste, dass sie mit Fränzi befreundet war. Die erinnerte sich, dass ich in der Region Zofingen wohnte und schlug mir vor, sie gleich am nächsten Tag am Tatort zu treffen, da sie dort im Auftrag des Museums zusammen mit der Polizei das Inventar aufnahm.

    Die Leitung der Untersuchung lag in den Händen von Kommissar Moor, einem drahtig aussehenden Mittdreißiger, der genauso gut hätte Sportlehrer sein können. Er begrüßte uns kollegial und bat uns, in Fränzis Laden einzutreten.

    Mir lief es kalt über den Rücken, als ich über die Schwelle des Raumes schritt, in dem Fränzi ums Leben gekommen war.

    Moor rekapitulierte kurz die Fakten, die bis jetzt feststanden:

    „Franziska Müller, von allen ‚Fränzi’ genannt, ist in diesem Raum am Samstag, den 19. Dezember, kurz vor zehn Uhr morgens ermordet worden. Wir kennen die Tatzeit so genau, weil wir sowohl einen Zeugen haben für den Zeitpunkt, zu dem sie den Laden aufgesperrt hat, als auch einen für den Zeitpunkt an dem sie darin tot aufgefunden wurde. Da der Gerichtsarzt bereits 5 Minuten später zur Stelle war konnte er uns mit Sicherheit bestätigen, dass der Tod maximal 20 Minuten vor seinem Eintreffen eingetreten war, das heißt frühestens um 09.50 Uhr und spätestens um 10.00 Uhr. Von einer derart genauen Bestimmung des Todeszeitpunkts kann man als Polizist eigentlich nur träumen. Aber ausgerechnet im vorliegenden Fall kompliziert diese Präzision die Aufklärung eher: Ein vor dem Nachbarhaus postierter Kollege hat nämlich geschworen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in diesen zehn Minuten niemand das Haus von der Straße her betreten hat.Das wäre nun immer noch gut und recht, wenn es zu diesem Laden eine Hintertüre oder Nebeneingänge gäbe. Aber leider gibt es nichts von alledem. Der Laden besitzt nur eine einzige Türe neben einem kleinen Schaufenster an der Stirnseite, sowie zwei doppelt verglaste Fenster an der Längsseite. An Nebenräumen im Innern gibt es eine kleine Toilette mitWaschbecken und einen ebenso winzigen Abstellraum, der mit Schachteln verstellt ist. Unmöglich, dass sich hier jemand über einen längeren Zeitraum hätte verbergen können. Außerdem sind alle Fenster und die Türe unversehrt. Ein Einbruch scheidet damit aus technischen Gründen aus."

    „Wie ist Frau Müller eigentlich ums Leben gekommen?" wagte ich den Kommissar zu unterbrechen.

    „Auch das wüssten wir selber nur allzu gerne", seufzte Moor.

    „Ursächlich ist das Opfer an einer Stichwunde ins Herz gestorben. Es handelt sich um einen einzigen Stich, der von vorne fast horizontal mit einem großen, spitzen und scharfen, wahrscheinlich dolchartigen Gegenstand beigebracht wurde. Er war sofort tödlich und muss von einer eher kräftigen Person ausgeführt worden sein. Nichts deutet darauf hin, dass ein Kampf oder – von Seiten des Opfers - auch nur der Versuch einer Abwehr stattgefunden hätte. Unnütz zu betonen, dass wir auch von der Tatwaffe keine Spur gefunden haben. Kurz:

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1