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Zeitschrift Polizei & Wissenschaft: Ausgabe 1/2021
Zeitschrift Polizei & Wissenschaft: Ausgabe 1/2021
Zeitschrift Polizei & Wissenschaft: Ausgabe 1/2021
eBook169 Seiten1 Stunde

Zeitschrift Polizei & Wissenschaft: Ausgabe 1/2021

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Über dieses E-Book

Kompetentes Handeln basiert allgemein auf der Kombination
praktischer Erfahrung und wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Grundlage hierfür ist die Kommunikation und Diskussion
zwischen Wissenschaftlern und Praktikern. Dies gilt ganz
besonders für eine moderne Polizei.
Die Zeitschrift Polizei & Wissenschaft bietet die Möglichkeit
zur wissenschaftlichen Kommunikation polizeirelevanter
Themenbereiche. Sie versteht sich als Schnittstelle zwischen
Wissenschaft und Polizei. Durch ihre interdisziplinäre
Ausrichtung werden unterschiedlichste wissenschaftliche
und praktische Perspektiven miteinander vernetzt. Dazu
zählen insbesondere die Bereiche Psychologie, Rechtswissenschaft,
Soziologie, Politikwissenschaft, Medizin,
Arbeitswissenschaft und Sportwissenschaft. Aber natürlich
wird auch polizeirelevantes Wissen der Disziplinen genutzt,
die nicht klassisch mit dem Begriff Polizei verknüpft sind,
wie z.B. Wirtschaftswissenschaften, Sprachwissenschaften,
Informatik, Elektrotechnik und ähnliche.
Polizei & Wissenschaft regt als breit angelegtes Informationsmedium
zur Diskussion an und verknüpft Themenbereiche.
Sie erscheint vierteljährlich und geht mit ihrer interdisziplinären
Interaktivität über einen einseitigen und fachlich
eingeschränkten Informationsfluss hinaus. Dazu nutzt sie
die Möglichkeiten des Internets und fördert durch die
Organisation von Veranstaltungen auch eine direkte
Kommunikation.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Feb. 2021
ISBN9783866766815
Zeitschrift Polizei & Wissenschaft: Ausgabe 1/2021

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    Buchvorschau

    Zeitschrift Polizei & Wissenschaft - Verlag für Polizeiwissenschaft

    Trauma und Dissoziation

    Untersuchung des aktuellen Kenntnisstands polizeilicher VernehmungsbeamtInnen

    Tina Schweiger, Marie Lisa Meyer & Youssef Shibanc

    1. Einleitung

    PolizeibeamtInnen werden in ihrem Berufsalltag häufig mit potenziell traumatisierten Personen konfrontiert. Für eine qualitative Vernehmung von potentziell traumatisierten Zeugen ist es erforderlich, dass die vernehmenden PolizeibeamtInnen über ausreichend Wissen bezüglich Traumatisierung und den möglichen Auswirkungen von Traumata und Dissoziationen auf das Gedächtnis und das Aussageverhalten von Zeugen verfügen. Die BeamtInnen sollten bei der Vernehmung traumatisierter Zeugen zudem einen sicheren Umgang mit sog. Grounding-Techniken beherrschen. Ob der polizeiliche Kenntnisstand diesen Anforderungen entspricht, wurde im Rahmen der vorliegenden Studie untersucht.

    Zusammenfassung

    Bei der Vernehmung potenziell traumatisierter Zeugen sollte ausreichend Wissen hinsichtlich störungsbedingter Gedächtnisbeeinträchtigungen, Wiedergabeschwierigkeiten und entsprechenden Vernehmungsmethoden vorhanden sein. Mittels eines Fragebogens wurde der Kenntnisstand von 49 rheinland-pfälzischen PolizeibeamtInnen im Hinblick auf Traumasymptome und Umgangsmethoden erhoben. Hinsichtlich Dissoziationen und Grounding-Techniken waren der Stichprobe im Durchschnitt weniger als 50 % der dargestellten Informationen bekannt. KriminalpolizistInnen wiesen im Vergleich zu SchutzpolizistInnen einen signifikant höheren Kenntnisstand bezüglich Dissoziation, Vernehmungsmethoden und Grounding-Techniken auf. Wissensdefiziten sollte durch konkrete Fortbildungsmaßnahmen entgegengewirkt werden.

    Trauma, Dissoziation, Vernehmungsmethoden, Grounding-Techniken, Polizei, Wissensdefizit.

    Abstract

    When interrogating potentially traumatized witnesses, adequate knowledge regarding disorder-related memory impairment, reproduction difficulties and appropriate interrogation methods is of great importance. The state of knowledge concerning trauma symptomatology and handling methods of 49 police officers in Rhineland-Palatinate (Germany) was examined using a questionnaire. Regarding dissociation and grounding techniques, less than 50 % of the presented information was known by the officers. Compared to protection police officers, criminal police officers showed significantly better knowledge concerning dissociation, interrogation methods and grounding techniques. Knowledge deficits should be counteracted using specific training measures.

    Trauma, dissociation, interrogation methods, grounding techniques, police, knowledge deficit.

    2. Theoretischer Hintergrund

    Eine traumatische Erfahrung wird von Fischer und Riedesser (2009) als ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten verstanden, welches mit Gefühlen der Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht sowie eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt. Die Grundlage eines Traumas bildet somit eine schwerwiegende Stresssituation in Verbindung mit Gefühlen von Hilflosigkeit, Entsetzen oder Furcht (Krampl, 2007). Auslöser dieser Gefühle sind Erlebnisse, die eine schwere körperliche Verletzung, den tatsächlichen oder möglichen Tod oder eine Bedrohung der physischen Integrität einer Person beinhalten. Zu den typischen Trauma-Reaktionen zählen Symptome des Wiedererlebens (sog. Flashbacks, Träume, physiologische Reaktionen auf Hinweisreize), Symptome des Vermeidens (u. a. von Gedanken, Gefühlen, Orten und Aktivitäten, welche an das Trauma erinnern), der Abflachung des Affekts (vermindertes Interesse, Entfremdung, emotionale Taubheit) sowie Symptome der autonomen Übererregung (u. a. Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafprobleme) (Hautzinger, 2000). Des Weiteren gehören auch dissoziative Symptome (u. a. Depersonalisation, Derealisation und Amnesie) zu den möglichen Reaktionen auf ein Trauma.

    Nach traumatischen Situationen können verschiedene Traumafolgestörungen auftreten, u. a. die sog. akute Belastungsreaktion, die sog. Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (Flatten, Gast, Hofmann, Knaevelsrud, Lampe, Liebermann & Wöller, 2011). Gemäß Hapke, Schumann, Rumpf, John und Meyer (2006) erleben ca. 20 % der Deutschen mindestens ein traumatisches Ereignis in ihrem Leben. Die Lebenszeitprävalenz für die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung liegt in Deutschland bei etwa 1,4 - 2,3 % (Hapke et al., 2006; Deutscher Bundestag, 2016); die europaweite Prävalenz beträgt 1,9 % (Alonso, Angermeyer & Bernert, 2004). Das relative Risiko, an einer PTBS zu erkranken, liegt nach Erleben eines traumatischen Ereignisses sogar bei 6,9 % (Hapke et al., 2006). Für Opfer von Raub, körperlichen und sexuellen Übergriffen besteht das höchste Risiko, eine PTBS zu entwickeln (Hapke et al., 2006; Maercker, Forstmeier, Wagner, Glaesmer & Brähler, 2008; Kessler, Sonnega, Bromet, Hughes & Nelson, 1995; Maercker, Michael, Fehm, Becker & Magraf, 2004; Perkonigg, Kessler, Storz & Wittchen, 2000). Solchen Gewalterfahrungen liegen zumeist Straftaten zugrunde, die die Polizei als Strafverfolgungsbehörde aufnimmt und verfolgt. Dies macht einen häufigen Kontakt zwischen PolizeibeamtInnen und (potenziell) traumatisierten Personen wahrscheinlich.

    2.1 Besonderheiten bei traumatisierten Personen

    Ob eine Person ein traumatisches Ereignis ohne längerfristige Beeinträchtigung übersteht oder eine PTBS entwickelt, hängt von verschiedenen Faktoren wie etwa der persönlichen Widerstandsfähigkeit (sog. Resilienz) und den Vorerfahrungen der Person ab (Pielmaier & Maercker, 2011). Es konnte zudem ein Zusammenhang zwischen Traumafolgestörungen und dem von Erleben von Dissoziationen gefunden werden. Das Erleben von Dissoziation kann die Entwicklung einer PTBS beeinflussen und sogar begünstigen (Kleim, Ehring, Scheel, Becker-Asano, Nebel & Tuschen-Caffier, 2012). Dissoziationen werden auf pathologischer Ebene als Störung der Integration von Gedächtnis, Identität, Emotion, Wahrnehmung der Umwelt, Körperrepräsentation, Motorik und Verhalten definiert (American Psychiatric Association, 2013). Sie stellen eine Veränderung des Bewusstseins dar und können zu einer starken Desintegration des Selbst, des Gedächtnisses und der Wahrnehmung führen (van der Hart, Nijenhuis & Steele, 2008). Dissoziative Vorgänge stehen in enger Verbindung mit Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Wiedergabestörungen (McKinnon et al., 2016). Zu typischen dissoziativen Symptomen zählen Depersonalisation und Derealisation. Bei einer Depersonalisation verliert der/ die Betroffene den Bezug zum Selbst; sie geht mit dem Gefühl der Loslösung und Entfremdung des Selbst einher (Coons, 1996). Bei der Derealisation geht hingegen der Bezug zur Außenwelt verloren; es findet eine Veränderung in der Wahrnehmung der Umgebung statt, sodass ein Gefühl der Entfremdung entsteht (Coons, 1996). Depersonalisation und Derealisation können stressbedingt sowohl in als auch nach belastenden Situationen auftreten (Vorderholzer & Hohagen, 2018). Es ist möglich, dass eine traumatisierte Person im Rahmen einer belastenden Vernehmung mit dissoziativen Symptomen reagiert und nicht länger vernehmungsfähig ist.

    Neben möglichen Beeinträchtigungen des/der ZeugIn durch auftretende dissoziative Symptome bei der Vernehmung, können traumatisierte ZeugInnen auch Veränderungen und Beeinträchtigungen des Gedächtnisses unterliegen, was sich wiederum auf die Befragungssituation auswirken kann. So werden gemäß der Aufmerksamkeitshypothese (Nijenhuis, Spinhoven, Vanderlinden, van Dyck & van der Hart, 1998; Leichtman, Ceci & Ornstein, 1992) Informationen unter Stress anders verarbeitet als in entspanntem Zustand. Aufgrund einer sogenannten „Tunnelwahrnehmung", also einer Einschränkung der Wahrnehmung, werden nur wenige oder keine peripheren Details wahrgenommen. Zentrale Details können in diesem Fall hingegen besonders gut repräsentiert sein. Welche Details beim Erleben der Situation als zentral gelten, ist jedoch objektiv nicht immer nachvollziehbar, was bei der Vernehmung potenziell traumatisierter Opfer zwingend beachtet werden sollte.

    Auch die Enkodierungsspezifität (Bower, 1981) hat einen Einfluss auf die Erinnerungsleistung. Erinnerungen können nach dieser Theorie besonders gut abgerufen werden, wenn der Affekt zum Zeitpunkt der Speicherung mit dem des Abrufzeitpunktes übereinstimmt. Diese Erkenntnisse haben unmittelbare Folgen für die Gestaltung der Vernehmungssituation. Der Abruf der Erinnerung kann durch eine gezielte Induktion der entsprechenden Stimmung erleichtert werden, u. a. durch eine Aufforderung des Zeugens/der Zeugin, den Tagesablauf und die erlebten Gedanken und Emotionen am Tattag zu Beginn der Vernehmung intensiv zu schildern. Auch das Aufsuchen des Tatorts kann die Abrufbarkeit der Erinnerung fördern. Hierzu sind jedoch eine gute psychische Vorbereitung des/der ZeugIn sowie der sichere Umgang mit Grounding-Techniken¹ durch die VernehmungsbeamtInnen erforderlich. Ohne Vorbereitung könnte diese Strategie zu einer Retraumatisierung des/der ZeugIn führen (Schock, Rosner, Mechthild & Knaevelsrud, 2010).

    Im Zusammenhang mit Traumafolgestörungen können Gedächtniseinschränkungen auftreten. So wird PTBS mit fragmentierter und verzerrter Erinnerung assoziiert (Sparr & Bremner, 2005). Aufgrund von Traumatisierungen kann es auf lange Sicht zu Beeinträchtigungen des Gedächtnisses kommen, die sich auf neurologischer Ebene u. a. durch Veränderungen subkortikaler Strukturen, wie beispielsweise einem reduziertem Hippocampusvolumen abbilden (Bonne, Brandes, Gilboa, Gomori, Shenton, Pitman & Shalev, 2001; Bremner, Randall, Scott, Bronen, Delaney & Seibyl, 1995; Gurvits, Shenton, Hokama, Ohta, Lasko, Gilbertson, 1996; Karl, Schaefer, Malta, Dörfel, Rohleder & Werner, 2006; Logue, van Rooij, Dennis, Davis, Hayes, Stevens & Korgaonkar, 2018). Ein reduziertes Hippocampusvolumen wird vor allem mit chronischer PTBS in Verbindung gebracht (Bonne et al., 2001; Bremner et al., 2003) und scheint mit einer verschlechterten Kontextverarbeitung beim Wiedererleben ähnlicher Situationen in Verbindung zu stehen (Levy-Gigi, Szabo, Richter-Levin & Kéri, 2015). Das Wissen um diese Tatsache scheint für PolizeibeamtInnen von großer Relevanz, da traumatisierte Personen möglicherweise die Details einer bestimmten Tat nur schwer beschreiben können, wenn sie Mehrfachopfer eines ähnlichen Verbrechens geworden sind (z. B. jahrelanger sexueller Missbrauch). Die Beweislage hinsichtlich der Kausalität des Zusammenhangs zwischen erlebtem Trauma und einer Volumenreduktion des Hippocampus ist allerdings uneindeutig (Sussman, Pang, Jetly, Dunkley & Taylor, 2016). Die Stresshormone Cortisol und Noradrenalin, die u. a. auf den Hippocampus einwirken, scheinen bei PTBS-PatientInnen dazu zu führen, dass Erinnerungen gleichzeitig gestärkt und fragmentiert auftreten können. Abhängig vom Zeitpunkt der Freisetzung dieser Hormone kann traumatische Erinnerung entweder gestärkt oder geschwächt werden (Sparr & Bremner, 2005). Es gilt hierbei zu beachten, dass affektive Komponenten der Erinnerung gestärkt werden, während für kontextbezogene Erinnerungsfragmente das Gegenteil zu gelten scheint (Schauer, Neuner & Elbert, 2011). Neben einer möglichen Volumenreduktion des Hippocampus scheint auch die regionale Hirndurchblutung (regional Cerebral Blood Flow, rCBF) durch eine Traumaexposition beeinflusst zu werden (Werner, 2007). Veränderungen der Aktivierung des Broca-Areals werden mit Problemen bei einer strukturierten narrativen Wiedergabe von Erinnerungen in Verbindung gebracht (Hull, 2002). Speicherungs- und Abrufprozesse können also aufgrund eines erlebten Traumas gestört sein. Neben einfachen Erinnerungslücken können auch komplette Amnesien, sog. dissoziative Amnesien, entstehen (Werner, 2007). Insbesondere im Hinblick auf die Problematik der „recovered memories" (wiedererlangte Erinnerungen) (Schooler, Bendiksen & Ambadar, 1997), sollten PolizeibeamtInnen keine Suggestivtechniken anwenden. PolizeibeamtInnen sollten sich möglicher, teilweise widersprüchlicher Veränderungen von Speicherungs- und Abrufprozessen nach Traumatisierungen bewusst sein und aufgrund dessen davon absehen, Zeugenaussagen von Traumatisierten auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu beurteilen. Gemäß Hinckeldey und Fischer (2002) könnte gerade eine mögliche Diskontinuität von Zeugenaussagen für die Echtheit eben dieser sprechen. Eine Einigung über die Anwendung von Realkennzeichen bei traumatisierten ZeugInnen ist bislang nicht erfolgt (von Hinckeldey & Fischer, 2002; Volbert, 2004).

    Das Wissen um die Problematik einer möglichen Suggestivwirkung von bestimmten Fragen, Kenntnisse zur Enkodierungsspezifität und

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