Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Rechtspopulismus und Dschihad: Berichte von einer unheimlichen Allianz
Rechtspopulismus und Dschihad: Berichte von einer unheimlichen Allianz
Rechtspopulismus und Dschihad: Berichte von einer unheimlichen Allianz
eBook250 Seiten2 Stunden

Rechtspopulismus und Dschihad: Berichte von einer unheimlichen Allianz

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

"Neokolonialisten!" – "Islamische Terroristen!", so lauten die Vorwürfe, die westliche Rechte und Islamisten sich gegenseitig an den Kopf werfen. Rechtspopulisten und Dschihadisten, so scheint es, sind geschworene Feinde. Betrachtet man jedoch die Schriften und Autoren, auf die sich beide Bewegungen berufen, so stößt man auf dieselben Denker: Ernst Jünger, Martin Heidegger, Alexis Carrel. Alle drei sind Idole sowohl der Neuen Rechten als auch der Vordenker des radikalen Islam. Auf sie und ihre Adaptionen berufen sich heute islamische Fundamentalistinnen, Salafisten und Dschihadisten.
Marc Thörner zeigt die gemeinsamen Ursprünge dieses Denkens und die unterschiedlichen, aber doch verwandten Manifestationen heute: Beide Bewegungen kritisieren Säkularismus, Liberalismus und Homosexualität, bekennen sich zu traditionellen Gesellschaftsstrukturen und Werten wie Religion, Befehl und Gehorsam, Selbstopfer und Martyrium, bekämpfen Individualismus und Rationalismus. In Syrien gehen Islamisch-Radikale und Rechte längst als Kampfgenossen vor. Werden sie in Europa weiterhin als Gegner auftreten – oder wird bald auch hier "zusammenkommen, was zusammengehört"?
Für seine Recherchen sprach Thörner mit Alexander Gauland und begab sich an die Front im syrischen Bürgerkrieg; er interviewte führende Repräsentanten des Assad-Regimes, sprach mit iranischen Literaten, traf libanesische Faschisten und Hisbollah-Anhänger sowie Historiker und Arabisten in Europa.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Nautilus
Erscheinungsdatum15. Nov. 2021
ISBN9783960542711
Rechtspopulismus und Dschihad: Berichte von einer unheimlichen Allianz

Ähnlich wie Rechtspopulismus und Dschihad

Ähnliche E-Books

Politik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Rechtspopulismus und Dschihad

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Rechtspopulismus und Dschihad - Marc Thörner

    ZUSAMMENDENKEN, WAS ZUSAMMENGEHÖRT?

    Mit den Taliban mitsiegen

    Spätsommer 2021.

    Die Taliban sind obenauf. »Bauern, kaum ausgebildete Naturburschen, holen sich ihr Land zurück, befreien es von den westlichen Neoliberalen. Ihre Staatsreligion haben sie schon zum geltenden Gesetz erhoben und Andersdenkende hingerichtet.« Während westliche Politiker und Militärs das als Niederlage aufarbeiten, kommt aus dem ultrarechten Lager solche unverhohlene Zustimmung.

    Für manche derer, die am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington D.C. stürmten, verschaffen die Taliban Trump nachträglich doch noch den Triumph. Setzen sich in ihren improvisierten Kampfmonturen an den Schreibtisch dessen, der für sie nichts weiter als eine illegitime Marionette ist, und fläzen sich dort vor den Augen der Welt. Ein Sieg ohne Wenn und Aber. »Es fällt schwer, das nicht zu respektieren.«¹

    In den USA gilt Nick Fuentes als einer der prominentesten Streiter der White-Supremacy-Bewegung. Den Erfolg der Taliban begrüßt auch er.

    Sein Telegram-Beitrag, den die New York Times zitiert, preist die afghanischen Bergkrieger als »eine konservative religiöse Kraft, die USA sind gottlos und liberal.«²

    Und bis auf die Startseite des deutschen Netzanbieters GMX schafft es ein Beitrag mit einem Zitat eines österreichischen Vertreters der Neuen Rechten, der erklärt: »Der Sieg der Taliban in Afghanistan bedeutet eine krachende Niederlage für den Globalismus. Dragqueens, Homoparaden und Menschenrechtsideologien haben dort Sendepause. Wird Zeit, dass auch Europa sich aus seinem Zustand als amerikanischer Kolonie befreit.«³

    Mit westlichen Schriftstellern die Gottlosen vertreiben

    Greeley, Colorado 1948.

    Die Mitglieder einer amerikanischen Kirchengemeinde in der Provinz treffen sich zum Tanztee. Lampions tauchen den Saal in buntes Licht. Aus einem Plattenspieler tönt ein Slowfox. Männliche und weibliche Körper schlingen sich im Engtanz umeinander. Es ist ein einziges Gewühle aus Füßen, Beinen, Lippen und entblößten Armen.

    Einem ist nicht danach zumute, mitzumachen: Sayed Qutb, dem streng religiösen Schulbeamten aus Ägypten.

    »Die gesamte Atmosphäre war auf Betörung angelegt«, schreibt er von seinem USA-Besuch nach Hause. »Und dem Pastor fiel nichts anderes ein, als dazu auch noch das Licht herunterzudimmen und die Platte ›Baby It’s Cold Outside‹ aufzulegen.«

    In dieser für ihn schrecklichen Neuen Welt, in diesem Sodom und Gomorrha entdeckt der Reisende zum Glück auch eine Rettung: die Schriften eines Mannes, dem der Westen genauso abstoßend erscheint wie ihm, die des katholischen Mediziners und Nobelpreisträgers Alexis Carrel aus Lyon.

    1962 wird Qutb ein Buch veröffentlichen mit dem Titel Der Islam und die Probleme der Zivilisation. Es ist mit Carrel-Zitaten geradezu gespickt.

    Mit einem Koffer in der Hand trifft Ali Schariati im Mai 1959 in Paris ein. Der Sohn eines Religionsgelehrten aus dem persischen Meshhad hat es weit gebracht. Er wurde für die Führungselite des Schah von Persien ausgewählt und soll helfen, das Land der tausend Kuppeln und Moscheen zu einem westlichen umzuformen.

    Aber die Gesellschaft, die er an der Seine studiert, schockiert ihn und stößt ihn ab. In Bibliotheken forscht er nach Erklärungen für die Dekadenz, den Materialismus, die ungebremste sexuelle Freiheit, all das, worin er den bevorstehenden Untergang des Westens ausmacht.

    Auch Schariati stößt auf Alexis Carrel, der sich zu seinem geistigen Idol entwickelt.

    1964 in den Iran zurückgekehrt, wird er zum unbarmherzigen Kritiker des Schah-Regimes und zu einem der Vordenker der Iranischen Revolution von 1978.

    Wie viele muslimische Intellektuelle sucht Ali Schariatis Landsmann Dschalal Al-e-Ahmed in den 1960er Jahren nach neuen Ideen, Konzepten, um den Iran zu einem starken unabhängigen Land zu entwickeln. Sein Urteil steht bald fest: Der Kontakt zum Westen stärkt die Iraner nicht, sondern impft ihnen eine tödliche Krankheit ein.

    Im Vorwort seines Buchs Verwestgiftung (1962) bekennt Al-e-Ahmed, wer ihm zu dieser Erkenntnis verholfen hat: Es ist der deutsche Frontkämpfer, Naturforscher, Essayist und Schriftsteller Ernst Jünger. Genauer, dessen Schrift Über die Linie, die 1950 erschienen war. Sein deutsch sprechender Freund Mahmud Human hatte ihn darauf aufmerksam gemacht.

    Al-e-Ahmed kann zwar kein Deutsch, doch gemeinsam mit seinem Germanisten-Freund übersetzt er Jüngers Buch ins Farsi. Verwestgiftung wird zur Kampfschrift der Islamischen Revolution.

    Drei Autoren der islamischen Welt also, die alle etwas gemeinsam haben: Sie entwickeln sich zu Vordenkern des Radikalislam: zu jenen Autoren, auf die sich heute Salafisten, Fundamentalisten und Dschihadisten der ganzen Welt berufen. Und noch etwas verbindet sie: Sie schöpfen ihre Kritik am Westen nicht aus der islamischen Tradition, sondern schreiben sie – manchmal wortwörtlich – bei westlichen Autoren ab. Und zwar bei jenen, die die Neue Rechte heute zu ihren Idolen und Wegbereitern zählt.

    Rechtspopulisten und Dschihadisten scheinen einander zwar wie zwei gegensätzliche, zutiefst verfeindete Lager gegenüberzustehen, ja geradezu entgegengesetzte Prinzipien zu verkörpern. Und so will man es in beiden Lagern auch immer wieder glauben machen. Nur: Muss man ihnen das tatsächlich glauben?

    Oder sollte man nicht eher zusammendenken, was zusammengehört?

    ERSTER TEIL:

    WO IST DIE FRONT?

    Orientalissimus

    »Die Araber wollen keine Freiheit wie die Europäer und könnten auch nichts damit anfangen. Was sie brauchen und sich wünschen, das ist Stärke. Schon in der Frühzeit der islamischen Geschichte erwiesen sich diejenigen Gouverneure als die erfolgreichsten, die – wie etwa im Irak – Aufrührer und Gegner konsequent abgeschlachtet haben. So war der Irak ein ruhiges Land und so funktionierte es bis zu Saddam Hussein.«

    Seit einer halben Stunde sitze ich am Bistrotisch in Marrakesch, umbrummt von Motorrädern, umknallt von den Peitschen der Taxi-Kutscher, umdröhnt von arabischer Popmusik und umsessen von französischen Mittsechzigern in Hawaii-Hemden, und lausche einer Wiedergabe dessen, was der palästinensisch-US-amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said als »Orientalismus« charakterisierte: den Homo Arabicus, von westlichen Kolonialisten als Karikatur entworfen, als der ganz Andere: irrational, despotisch veranlagt, durch Gewalt allein zu bändigen.

    Nur spricht hier eben nicht ein Kolonialist des 19. oder 20. Jahrhunderts, sondern M.M., jemand aus der Region.

    Der Deutschsyrer ist bestens vernetzt, in seiner alten wie in seiner neuen Heimat. Wenn er in Damaskus ankommt, betont er, wird er dort wie ein VIP behandelt. Dort wie hier gehört er zum Establishment, lobt ebenso Deutschland für seinen Rechtsstaat als auch Assad als ein Bollwerk gegen den islamistischen Terror, und bietet sich gern als ein Mittelsmann an (daher hier das Pseudonym M.M.).

    Während er seine Thesen entfaltet, ohne Lücken zu lassen, denke ich darüber nach, mit welchem Begriff man das zusammenfassen könnte, diesen Orientalismus spiegelverkehrt vom Orient in Richtung Westen reflektiert: Orientalissimus? Re-Orientalismus? Rorientalismus … Desorientalismus?

    Dass wir uns im Frühjahr 2018 hier, im Café Elite befinden, am äußersten Rand der französisch geprägten Ville Nouvelle und am Beginn der langen Straße, die geradewegs zum Platz der Gaukler und Gehenkten, Dschamma el Fna, führt, hat einen Grund. Marrakesch ist M.M.s Lieblingsstadt. Gelegen in dem Reich, das von »dieser verfluchten Arabellion« verschont blieb, weil hier die starke Hand des Mächtigen, des Königs von Marokko, herrscht. Auch ich bin oft hier, und so hat M.M. kurzerhand ein Treffen vorgeschlagen. Es geht darum, ein Pressevisum für Syrien und meine Reise dorthin einzufädeln.

    Nachdem er seinen »Freund den Kellner« mit Handschlag und Schulterklopfen begrüßt und einen Minztee geordert hat, erklärt er mir die Araber. An seinem Exkurs führt im Augenblick kein Weg vorbei.

    Seit Deutschland zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs seine diplomatischen Beziehungen zum Assad-Staat auf Eis gelegt hat, fungiert M.M. als dessen inoffizieller Ansprechpartner und kann auch Journalisten Visa für Syrien beschaffen. Ein Anruf im Büro von Präsident Assad, sagt er, und der Weg ist für mich offen. Was umso interessanter wird, seit das Regime dank russischem und iranischem Eingreifen die Landesgrenzen wieder kontrolliert und Schleichwege so gut wie ausgeschlossen sind.

    Und Syrien ist die Front, an die ich will, an der die große Auseinandersetzung stattfindet: Zwischen dem religiösen Fanatismus und der Vernunft. Der entfesselten radikalislamischen Gewalt und dem ordnenden Prinzip der Zivilisation. Hier versucht ein säkular orientierter Machthaber, sich dem bisher unaufhaltsam scheinenden Ansturm entgegenzustemmen. So jedenfalls stellen es er und seine Verbündeten dar.

    Doch stehen sich hier wirklich zwei einander entgegengesetzte Prinzipien gegenüber?

    Islam gegen Säkularismus, Diktatur gegen Religion? Wer kämpft hier wogegen und wer verbündet sich mit wem?

    Um dem in Syrien nachzuspüren, brauche ich den Anschub von M.M., dem Mittelsmann, dem Wanderer zwischen den Ländern.

    In seinem Abriss der arabischen Geschichte ist er jetzt bei der Herrschaft der Osmanen angekommen. Die hätten ihre arabischen Provinzen mithilfe einer besonderen Strategie erworben: Frauen. »Oft bildhübsche Tscherkessinnen, viele blond. Und die Araber, nicht wahr – sie lieben blonde Frauen! Und weil die Frauen bei uns zu Hause alles bestimmen, haben sie die Männer gezwungen, ihre Brüder und Cousins in hohe Ämter einzusetzen. So konnten die Türken die arabische Welt langsam durchdringen. Aber sie haben uns dann in einen vielhundertjährigen Schlaf versetzt.«

    Endlich erreicht er die Gegenwart mit dem, den man verstehen müsse, statt ihn zu dämonisieren: Staatschef Baschar al Assad.

    »Er hat ja blaue Augen und ich glaube, er ist selber ein Nachfahre der Kreuzritter. Aber der Westen wollte ihn nie. Weil er kritisch gegenüber Israel eingestellt ist. Deshalb blieb ihm am Ende keine andere Wahl, als die Verbindung mit Russland zu suchen.« Eigentlich sei Assad der geborene Verbündete, während die Favoriten der Bundesregierung, die syrischen Rebellen, Deutschland mit Flüchtlingsströmen vollpumpen und destabilisieren würden. Nur eine Kraft gebe es, die das in Deutschland offen ausspreche: die AfD. Aber … Er neigt sich zu mir über den Bistrotisch. »Aber gerade die wird derart zum Schreckgespenst gemacht, dass keiner sie zu wählen wagt. Dabei nimmt die Mehrheit in der CDU die gleichen Standpunkte wie die AfD ein! Ich weiß das. Ich lese ja viel, spreche viel mit Leuten, beschäftige mich viel mit den Dingen.«

    Als wir 2018 zusammensitzen, gibt es in Damaskus nur eine einzige durch das Assad-Regime durchgängig akkreditierte deutsche Journalistin, Karin Leukefeld, die u. a. Russia Today Deutsch und die deutsche Tageszeitung junge welt bedient. M.M. lässt durchschimmern, dass sich dies vielleicht ändern, dass unser Treffen unter Umständen der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein könnte. Wenn ich nur anfinge, ebenfalls so »objektiv zu berichten«. Die »objektiven« Informationen von RT Deutsch und junge welt erreichen zu seinem Bedauern bisher die große Masse nicht, anders als die öffentlich-rechtlichen Sender. Nun konnte er neulich in der ARD einige meiner Saudi-Arabien-kritischen Berichte hören … kurz: M.M. scheint entschlossen, in Vorleistung zu gehen.

    Andere von Deutschlands Öffentlich-rechtlichen hat er für kurze Zeit nach Syrien geschickt. Zurückgekommen sind sie mit sorgfältig gefilterten Marktszenen von der beginnenden Normalisierung Syriens unter Assad. Diesmal, verspricht er, wird er sich dafür starkmachen, dass sein Schützling hochrangige Interviewpartner aus der Assad-Regierung bekommt.

    »Buchen Sie schon mal Ihr Ticket nach Beirut.« Die geschäftsführende Berliner Botschaft habe er auf meinen Besuch schon vorbereitet, dort werde man mir umgehend ein Pressevisum ausstellen. Von Beirut fahren Taxis für 100 Dollar direkt nach Damaskus. »Zahlen Sie nicht mehr als 100!« Alle angefragten Gesprächspartner ständen bereit.

    Beirut, einige Zeit später. Ein schweigsamer Chauffeur fährt mich morgens um drei durchs Zentrum, vorbei am Mausoleum Rafik Hariris, durch schummrige Straßenschluchten, dem Stadtrand entgegen bis zu einem weiteren Taxistand. Die Fahrer dort verhandeln untereinander, offensichtlich über den Preis für den Mann, der mich über die Grenze bringen soll, und über die Provision für den, der diesen Fahrgast anbringt. Ein weiterer kommt, fordert per Kopfbewegung auf, in seinen klapprigen Mercedes einzusteigen. Was, wann, wie, welche Route, und wie lange? Fragen ist zwecklos, er gibt keine Antwort. Nicht 100, sondern 120 Dollar. Das Gepäck hat schon den Kofferraum gewechselt. Also los. Straßenlampen werfen trübes Gelb. Sonst bleibt alles schwarz. Das erste Sonnenlicht zeigt Feldsteine in hellem Grau. Grüne Täler. Berghäuser, die sich an Felsen klammern. Serpentinen, kleine Orte. Hier eine Kirche, dort eine Moschee. Manchmal Schilder: Damascus – Damas.

    Während der Fahrt bleibt Zeit, das bisher gesammelte Material aufzurufen. Angefangen mit dem Alexander-Gauland-Interview, damals, am Wendepunkt des Syrienkriegs, als mit dem Eingreifen Russlands und des Irans die Konstellation entstand, die mich jetzt hierhergeführt hat.

    »Der Islam ist mit unserem Wertesystem nicht vereinbar«

    Potsdam, September 2016.

    Ein Gespräch für eine WDR-Sendung. Alexander Gauland sitzt alleine an der Stirnseite eines langen Tisches. Den Kopf in die Hände gestützt, die Fäuste an den Schläfen, die Augen zusammengekniffen.

    An seiner Stirn pellt sich die Haut, sein Gesicht trägt noch die Spuren eines Urlaubssonnenbrands.

    Bei unserem Treffen hinter friderizianischer Fassade, im entkernten Potsdamer Stadtschloss, in dem der Landtag von Brandenburg untergebracht ist, fungiert Gauland zu der Zeit noch als Fraktionsvorsitzender der AfD. Weit über dieses Bundesland hinaus ist er allerdings die meistgehörte Stimme dieser Partei.

    Die Legislaturperioden vor seinem Urlaub sind vom Syrienkrieg geprägt gewesen, von der »Flüchtlingskrise«, die sich durch Russlands Eingreifen stetig verschärfte. Syrer, die jetzt aus dem Bürgerkriegsland fliehen, bringen den Islam mit nach Deutschland, weshalb die AfD Alarm läutet. Seit ein paar Monaten erlebt sie einen ungeahnten Höhenflug, und es sieht aus, als häute Gauland sich nach seinem Sonnenbrand zugleich für eine neue, ungleich bedeutendere Position in Deutschlands Politik.

    Während im Vorzimmer die Mitarbeiter den Optimismus einer aufstrebenden Partei verströmen – »Hi! Käffchen, Wässerchen?« –, wirkt ihr Chef weder locker noch zugewandt oder auch nur unverkrampft. Die Augen hält er weiter geschlossen. Liegt es am Stress, ist seine Gesundheit nicht die beste, deprimiert ihn gerade etwas? Zwingt er sich mit letzter Disziplin ein Interview mit einem ab, von dem nichts Gutes zu erwarten ist? Wenn er etwas wie Verbindlichkeit aufbringt, dann zeigt sich das allenfalls darin, dass er sich auf alle Fragen einlässt, spontan und ohne Vorbereitung.

    Der Islam, so hält er gleich zu Anfang fest, gehört grundsätzlich nicht zu Deutschland.

    Schon Ayatollah Khomeini, für ihn so etwas wie der Ur-Dschihadist, habe den Kurs vorgegeben mit dem Diktum: »Der Islam ist entweder politisch oder er ist nicht.«

    Und von dort aus leitet Gauland weiter ab: Das Politische am Islam ist die Scharia. Ein Gesetzeswerk, das über Staatsaufbau, Frauenrechte, demokratische Gesellschaft bestimmt. »Und das ist rundheraus mit unserem Wertesystem nicht vereinbar.«

    Sein zweiter Kronzeuge ist der türkische Staatspräsident. Der äußere sich völlig unzweideutig. »Ich kann das nie auswendig, er hat das viel farbiger ausgedrückt«, aber die Demokratie sei für Recep Tayyip Erdoğan etwas, auf das man zeitweise mal aufspringen könne, damit man hinterher auf die Toleranz der westlichen Gesellschaften nicht mehr angewiesen sei.

    Nachhaltig beeindruckt hat Alexander Gauland Michel Houellebecqs Roman Unterwerfung.

    Darin nutzen Islamverbände, finanziert von Sponsoren am Golf, die französische Demokratie, formen sich zu politischen Parteien um. Sie kooperieren mit alteingesessenen Parteien, mutieren schließlich zum Zünglein an der Waage, um dann eine Bedingung nach der anderen aufzustellen, bis die Schlüsselpositionen in Politik und Bildung nur noch mit Konvertiten besetzt sind, entweder Überzeugten oder Opportunisten, die die von den Golfstaaten fürstlich dotierten Positionen locken. Am

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1