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Der Reis und das Blut
Der Reis und das Blut
Der Reis und das Blut
eBook385 Seiten5 Stunden

Der Reis und das Blut

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Über dieses E-Book

Kambodschas bitterste Jahre Mitte der 1970er Jahre befindet sich Kambodscha im Bürgerkrieg. Die Roten Khmer haben unter Pol Pot die Herrschaft übernommen und zwingen die Bevölkerung in Arbeitslager, in denen die Zahl der Todesopfer stetig ansteigt. Drei Augenzeugen berichten aus unterschiedlicher Perspektive von ihren Erlebnissen und den unvorstellbaren Zuständen dieser Zeit: Kim Sar, der durch Zufall in die Führungsriege der Roten Khmer gelangte, Ung Phim, der als Soldat Flüchtende über die vietnamesische Grenze schleuste, und Yong Sok, der die Schrecken der Zwangsarbeit am eigenen Leib erfuhr. Harry Thürks 1990 veröffentlichte ebenso spannende wie erschütternde dokumentarische Rückschau auf eines der brutalsten Regimes der jüngeren Geschichte ist nun endlich wieder lieferbar.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum17. Feb. 2017
ISBN9783954628698
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    Buchvorschau

    Der Reis und das Blut - Harry Thürk

    Harry Thürk

    Der Reis und das Blut

    Kambodscha unter Pol Pot

    mitteldeutscher verlag

    Im Mitteldeutschen Verlag erhältlich:

    Die Stunde der toten Augen (Roman)

    Sommer der toten Träume (Roman)

    Operation Mekong (Roman)

    Der schwarze Monsun (Roman)

    Dien Bien Phu. Die Schlacht, die einen Kolonialkrieg beendete (Tatsachenroman)

    Harry Thürk (1927 – 2005), geb. in Zülz (heute Biala/Polen), Besuch der Real- und Handelsschule in Neustadt/Schlesien, 1944/45 Wehrdienst, nach dem Krieg Rückkehr nach Neustadt, Internierung in einem Durchgangsghetto für Deutsche, von dort Flucht nach Ostdeutschland. In der DDR Arbeit als Reporter (u. a. Auslandskorrespondent in Korea, China, Vietnam, Laos, Kambodscha), was sich in seiner literarischen Arbeit niederschlug, seit 1958 freier Autor in Weimar. Seine Bücher wurden in polnische, tschechische, slowakische, ungarische, rumänische, russische, finnische, litauische, vietnamesische und spanische Sprache übersetzt.

    Editorische Notiz: Im Text taucht häufig der Begriff Angkar auf. Dies ist die Bezeichnung des Führungsgremiums der Pol-Pot-Diktatur in Kambodscha (1975 – 1979). Sinngemäß übersetzt heißt es etwa Revolutionäre Organisation. Nicht zu verwechseln ist dieses Wort mit dem ähnlich klingenden Angkor, dem Namen der alten Hauptstadt des Khmer-Reiches (12. – 15. Jh.).

    KAMBODSCHA – Was vorher war

    Mit dem Beginn der modernen Zeitrechnung entsteht im Herzen Indochinas das Großreich Fu Nan. Gespeist aus den geistigen Quellen des Hinduismus, aber auch aus der buddhistischen Lehre, blüht eine Kultur auf, deren Hauptgegenstand die Verehrung der Götter und der vermeintlich direkt von diesen abstammenden Könige ist.

    Doch dem mächtigen Reich erwachsen Feinde. Ein Vasall ist es, der das Rad der Geschichte im 6. Jahrhundert in Bewegung setzt: Hundert Jahre brauchen Generationen von Kriegern aus dem Norden, um Fu Nan zu zerschlagen. Man nennt sie Kambus, nach ihrem ersten König Kambu, dem ehemaligen Oberpriester, der sich, wie die Legende erzählt, mit der himmlischen Schönheit Mera vermählte, der die göttliche Dynastie ihre ersten Herrscher verdankt. Chen La heißt das neue Reich, das später die Kambujas begründen.

    Aber auch Chen La wird bald das Ziel neuer Angreifer. Im fernen Java haben sich mächtige Herrscher entschlossen, ihre Heere nordwärts zu schicken, durch die malaiischen Gebiete hindurch, und weiter, bis sie schließlich ihren Zug mit der Eroberung des noch nicht voll konsolidierten Chen La beenden.

    Bald jedoch, nachdem gerade das 9. Jahrhundert angebrochen ist, regt sich im Herzen Indochinas Widerstand gegen die Javaner. Ein junger Prinz führt ihn an, Jayavarman. Er sammelt Soldaten, stellt Heere auf, und es gelingt ihm, die fern von ihrem Stammland operierenden Javaner zu vertreiben.

    Noch ahnt niemand, daß es von nun an für reichlich vier Jahrhunderte ein friedliches Reich der Kambujas geben wird – Angkor, so genannt nach der märchenhaft schönen und geradezu gigantisch anmutenden Hauptstadt, die an den Ufern des Großen Sees gebaut wird.

    Vier Jahrhunderte vergehen, bis die hohen Steintürme, die prachtvoll ausgestatteten Tempel und Pagoden Angkors, in denen Schiwa ebenso verehrt wird wie Wischnu und Buddha, neue Eroberer anlocken. Vom Westen her rücken die Thai an, vom Osten die Cham. Jahrzehntelange Kriege zermürben Angkor, lassen es verarmen, bis die glanzvolle Metropole schließlich aufgegeben werden muß. Sie wird nicht zum Zentrum der Macht neuer Eroberer, sondern sie versinkt buchstäblich im üppig wuchernden tropischen Dschungel, der sich über ihre Mauern hinweg ausbreitet. Ihre Portale werden von den Wurzeln der Kasuarinen gesprengt; die herrlichen Reliefs der Tempel verschwinden hinter Wällen von wildem Buschwerk und Farn. Die Kambujas ziehen sich südwärts zurück. Gründen am Tonlé Sap, dort, wo der mächtige Mekong, Urstrom dieses Erdteils, sich in viele schmale Flüsse zu teilen beginnt, vor seinem Delta, die neue Hauptstadt Phnom Penh.

    Man nennt die Kambujas inzwischen die Khmer. Und diese Khmer bekommen keine Ruhe. Immer wieder tränkt das Blut gefallener Angreifer und Verteidiger die satten Reisfelder, den Laubteppich des Waldes. Siamesische und vietnamesische Herrscher wetteifern in der Eroberung des Landes. Ihre Erfolge sind nicht endgültig, denn die Khmer geben nie ganz auf. Doch sie bluten buchstäblich aus. Zudem verschleißt sich die regierende Dynastie der Norodom in Familienzwistigkeiten, und feudale Besitzer kämpfen gegeneinander, auf dem Rücken der Bauern.

    Um diese Zeit – es ist die Mitte des 19. Jahrhunderts – etabliert sich Frankreich als Kolonialmacht in diesem unermeßlich reichen Gebiet der Welt. Der Okkupation der ersten vietnamesischen Provinzen folgt 1863 die Unterwerfung des Khmer-Reiches. Es wird zum »Protektorat«. Französische Forscher haben inzwischen die Ruinen von Angkor entdeckt und durchsuchen sie nun eifrig nach verborgenen Schätzen. Die mit primitiven Waffen unternommenen Aufstände patriotischer Khmer, unter ihnen buddhistische Priester ebenso wie feudale Prinzen, können das Blatt nicht mehr wenden: 1887 wird das Reich der Khmer unter dem Namen Kambodscha Teil der sogenannten Indochinesischen Union, einer französischen Kolonie. Die Ausplünderung des Landes, in dem neben den Khmer auch noch einige andere nationale Minderheiten leben, von denen die eingewanderten Chinesen und Vietnamesen die zahlenmäßig stärksten sind, beginnt. –

    Es ist die Große Sozialistische Oktoberrevolution in Rußland, die dann ein neues Zeitalter einläutet: Ihre Ideen fassen zuerst Fuß im benachbarten Vietnam: Dort greift sie Nguyen Ai Quoc auf, der große Revolutionär, den man später in Europa als Ho Chi Minh kennenlernt. Er organisiert die ersten Schritte des Befreiungskampfes der Völker von Vietnam, Laos und Kambodscha, unter anderem mit der Gründung der Vorläufer einer ersten marxistischen Bewegung in seinem Land. Da die drei indochinesischen Völker das gleiche Los teilen, ergibt sich, daß sie auch gemeinsam kämpfen, einer für den anderen.

    1930 wird folgerichtig in Zusammenarbeit der Kommunisten aller drei Länder die Kommunistische Partei Indochinas gegründet. Das Ziel ist die Befreiung vom Kolonialismus im gemeinsamen Kampf, wonach dann jede Nation für sich in freier Selbstbestimmung ihren eigenen Staat errichten soll. Niemand ahnt, daß es fast ein halbes Jahrhundert dauern wird, bis die nationale Selbständigkeit zur Realität wird. –

    Von Beginn an erweist sich die vietnamesische Bewegung als die stärkste und konsequenteste. Aber auch in Kambodscha erstarken nach und nach die revolutionären Kräfte. Dabei entstehen Nebenströmungen, wie die Khmer Isserak, von Son Ngoc Minh angeführt, der stets die Verbindung mit den vietnamesischen Befreiungskräften aufrechterhält. Sein eigener Bruder hingegen, Son Ngoc Thanh, sieht sein Hauptziel in der Bekämpfung der kambodschanischen Monarchie, geht immer mehr eigene Wege und stellt sich mit Teilen der Bewegung sogar während des zweiten Weltkrieges den japanischen Besatzern als »Außenminister« und Chef einer Vasallenregierung zur Verfügung, bis ihn die zurückkehrenden Franzosen wieder in den Untergrund treiben.

    Die Unterschiede in der nationalen Entwicklung und der Kräftelage in den einzelnen Ländern nach dem zweiten Weltkrieg machen es schließlich erforderlich, die bisherige KP Indochinas aufzulösen; in jedem Land bilden sich unabhängige Befreiungsbewegungen, an deren Spitze nationale kommunistische Parteien stehen. In Kambodscha gibt es nun die Khanak Pak Pracheachon Pakdevoath Khmer, die bereits 1951 gemeinsam mit der laotischen und der vietnamesischen Bruderpartei die Allianz der vietnamesischen Khmer und laotischen Völker bildet, eine die Grenzen übergreifende Dachorganisation mit dem Ziel der Koordinierung des antikolonialistischen Kampfes. Wenig später werden offiziell die Revolutionären Streitkräfte des Volkes von Kambodscha aufgestellt, die unverzüglich den Kampf gegen die Franzosen aufnahmen.

    Diese spürten die Gefahr, die sie nun bedrohte, und sie versuchten auf ihre Art, sie vorerst zu neutralisieren. Sie gestanden dem neunzehnjährigen Prinzen Sihanouk, Abkomme der alten Norodom-Dynastie und in französischen Schulen erzogen, 1953 formell die Unabhängigkeit zu, weil sie wohl glaubten, ein französisch gebildeter Sprößling blauen Geblüts würde einfacher von ihnen zu dirigieren sein als eine revolutionäre Massenbewegung.

    Bei den Befreiungskräften Kambodschas verursachte dieser Schachzug der Franzosen eine nicht zu unterschätzende Krise. Nicht wenige Kämpfer sahen das Ziel, die nationale Befreiung, als erreicht an. Sie legten die Waffen nieder und arrangierten sich, während andere dem »neuen Frieden« nicht recht trauten und im Untergrund blieben.

    Die unmittelbar auf den Sieg der vietnamesischen Befreiungsarmee bei Dien Bien Phu, 1954, folgende Zeit sah Kambodscha in einem eigenartigen Schwebezustand. Auf der Genfer Konferenz, die den Krieg in Indochina offiziell beendete, wurde Kambodscha von seinem neuen Staatschef Sihanouk vertreten. Zu Hause wob er fleißig an der Legende, der einzige und wahre Befreier Kambodschas vom Kolonialismus zu sein. Er verfolgte eine geschickte Politik, indem er das feudalistische System, in dem sich zunehmend kapitalistische Elemente breitmachten, unangetastet ließ. Zugleich betrieb er international eine antiimperialistische Neutralitätspolitik; er zeigte sich sogar sozialistischen Staaten gegenüber aufgeschlossen, um Anerkennung und Ausgleich bemüht, was ihm in Indochina hohes Ansehen einbrachte, aber auch die Mißbilligung der Vereinigten Staaten, die Indochina als Einflußgebiet betrachteten und in Sihanouk, der sich ihnen nicht unterordnen wollte, einen Störfaktor sahen.

    Politiker verschiedener Staaten nannten das, was Sihanouk tat, einen halsbrecherischen Balanceakt. Wie nahe diese Beurteilung der Wirklichkeit kam, sollte sich bald zeigen. Kambodscha erlebte zunächst eine Phase des Aufblühens einer kapitalistischen Wirtschaft. Allerdings spielte sich der Prozeß fast ausschließlich in der Hauptstadt und in einigen wenigen Provinzhauptstädten und Ballungszentren ab. Dort scheffelte eine hauchdünne Unternehmerschicht unerhörte Profite. Die Masse der Landbevölkerung aber, besonders in den Randgebieten, litt unter einer Verschlechterung der Lebenslage, gemessen etwa am Standard der Stadtbewohner, Wirtschaftsangestellten oder Intellektuellen. Mit der Zeit entwickelte sich ein steiles soziales Gefälle im Lande, das gefährlichen Zündstoff anhäufte. Zudem wünschten die USA, daß Kambodscha sich ihnen öffnete.

    Das stand im Zusammenhang mit den irrwitzigen Plänen der

    US-Befehlshaber

    in Südvietnam, den Krieg gegen die Befreiungsfront militärisch zu gewinnen. In der Einbeziehung Kambodschas in die

    US-Pläne

    und der angestrebten Präsenz amerikanischer Truppen dort sahen die

    US-Generale

    die Chance, die Befreiungsfront von ihren logistischen Basen abzuschneiden.

    Doch Sihanouk ging weder auf Verlockungen noch auf Drohungen ein, wiederholt hingegen äußerte er Sympathie mit der vietnamesischen Befreiungsfront, und sein Verhältnis zu Hanoi verstand er ausgeglichen zu gestalten. So spitzten sich auf außenpolitischem Gebiet die Widersprüche ebenfalls für ihn zu.

    Indessen war aus Paris eine Gruppe junger Kambodschaner heimgekehrt, die 1949 die von Frankreich gezielt angebotene Chance wahrgenommen hatte, dort zu studieren. Der Hintergedanke der Franzosen, sie durch den Aufenthalt im »Mutterland« zu intellektuellen Mitläufern des Kolonialregimes zu machen, denen man dann später Schlüsselstellungen in der Kolonie anvertrauen konnte, ging allerdings nicht auf. Im Gegenteil. Die mit wenig Begeisterung studierenden jungen Leute hatten im Hinterzimmer einer kleinen Wohnung in der Rue du Commerce im XV. Arrondissement von Paris eine extrem nationalistische Bewegung gegründet, die Association des Étudiants Khmer. Sie versammelte Studenten, die sich von Anfang an, im Gegensatz zu den in der Heimat arbeitenden Kommunisten, als die »einzig wahren Linken« empfanden. Sie warfen den zu Hause legal lebenden Kommunisten ebenso wie den Illegalen Feigheit vor, weil diese angeblich nicht energisch genug kämpften, ja, sie sagten ihnen sogar Kollaboration mit dem Prinzen nach. Insgesamt, wenngleich mit geringfügigen Unterschieden, waren sie für den Boykott Sihanouks und eine bewaffnete Revolution, die die sozialen Verhältnisse radikal umgestaltete.

    Dafür entwickelten sie in langen abendlichen Zusammenkünften, die nicht selten auch in Kneipen des Quartier Latin abgehalten wurden, eine Ideologie, die sie kommunistisch nannten, die das allerdings nicht war. Vielmehr war sie ein morbides Konglomerat utopischer Ideen, die keine Beziehung zu den tatsächlichen Problemen Kambodschas hatten und die sich schon gar nicht an den Erkenntnissen klassischer marxistischer Philosophie orientierten.

    Für diese Revoluzzer, die die französische Geheimpolizei als Spinner abtat und ungestört ließ, waren Industrialisierung und moderne Zivilisation Krankheiten, die den Charakter eines Volkes verdürben. Ihrer Ansicht nach waren alle ihre Landsleute, die zivilisiert lebten, bereits unrettbar verloren. Kambodscha, so meinten sie, könnte sich nur auf der Basis eines Kommunismus erneuern, in dem die gegenwärtig unterprivilegierten Schichten der Bevölkerung auf dem Lande, in den Gebirgen und den entlegenen Waldgebieten zu Machthabern erhoben würden. Die Landwirtschaft sollte der Hauptaspekt aller Wirtschaft sein, dazu kämen lediglich einige traditionelle Handwerke. Das Volk sei in großen, militärisch organisierten Produktionseinheiten zusammenzufassen, die den Bedarf an Nahrungsmitteln deckten. Ihnen sollte auch die »Umerziehung« der von der Zivilisation geschädigten Städter obliegen, wobei für jene aus diesem »neuen Volk«, die sich unterwarfen oder anpaßten, Überlebenschancen bestünden. Der Rest sollte als »unwert« so schnell wie möglich beseitigt werden.

    Im Grunde lief das auf eine Rückführung der Gesellschaft in mittelalterliche Dorfgemeinschaften hinaus. Alles, was zu den Errungenschaften der Zivilisation gehörte – und hier war man geradezu lächerlich primitiv in der Auswahl –, sollte vernichtet werden, samt seiner Nutznießer. Dazu zählte – vom Geld über das Post- und Fernmeldesystem, die Läden und Transportmittel, die Zeitungen, Rundfunksender, Schulen, Kindergärten, die medizinischen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die Kunst, die Technik, die Auslandsbeziehungen und der internationale Handel – so gut wie alles, was nicht im armseligen Leben der Leute in den zurückgebliebensten Winkeln des Landes vorhanden war. Eine Vorstellung, bei deren Analyse erfahrene Politiker eher an die Wunschträume von Anarchisten erinnert wurden denn an vernünftige politische Absichten.

    Außenstehende, die durch Zufall Einblick in dieses Programm der gesellschaftlichen Tollheit bekamen, hielten es für Fieberphantasien; doch bereits damals erkannten einige darin die Handschrift menschenverachtender Eiferer. Trotzdem gab ihnen kaum jemand eine Chance. Das sollte sich als Irrtum erweisen.

    Zu den Verfertigern jenes »wahrhaft revolutionären« Konzepts gehörten in unterschiedlichen Zeitabschnitten während der frühen fünfziger Jahre solche Studenten wie Saloth Sar (später sollte er sich Pol Pot nennen), Ieng Sary, Khieu Sampan, Son Sen, Hou Yon und Hu Nim sowie die Schwestern Khieu Ponnary und Khieu Thirit, von denen die erstere Saloth Sar (Pol Pot) ehelichte und die letztere Ieng Sary, dessen engsten Vertrauten.

    Keiner dieser rabiaten Gesellschaftsveränderer beendete übrigens in Paris sein Studium. 1953, als absehbar wurde, daß Frankreich Kambodscha formell die Unabhängigkeit gewähren würde, kehrten sie nach Phnom Penh zurück, wo sie teils als Französischlehrer an Privatschulen arbeiteten, teils im politischen Untergrund wirkten. Vor allem Saloth Sar (Pol Pot) engagierte sich nun bei den Kommunisten. Noch wurde die Partei allerdings von marxistischen Internationalisten geführt, und Saloth Sar mußte seine tatsächlichen Absichten verschweigen. Er wartete auf seine Chance, sich in die Parteiführung einzuschleichen und diese dann von innen her sprengen zu können.

    Prinz Sihanouk, der inzwischen Staatschef geworden war, machte indessen eine geschickte Politik gegen die Kommunisten, in denen er seine gefährlichsten Widersacher sah. Es fiel ihm leicht, jene von ihnen, die ihre Waffen nicht strecken wollten, als Vaterlandsverräter zu diffamieren. Die anderen versuchte er in die Legalität zu locken, selbstverständlich nicht, um sie als gesellschaftliche Kraft zu tolerieren und an Entscheidungen teilhaben zu lassen, sondern um ihre Aktivitäten besser beobachten und kanalisieren zu können. So gestattete er ihnen auch, an den ersten allgemeinen Wahlen nach der Unabhängigkeit teilzunehmen, im September 1955. Seine Partei, die monarchistisch-bürgerliche Sangkum, errang insgesamt 84 Prozent der Stimmen, die kommunistische Gruppierung Pracheachon verzeichnete 4 Prozent. Drei Jahre später, bei den nächsten Wahlen, sank ihr Anteil auf 1,5 Prozent.

    Sihanouks Politik galt allgemein als patriotisch und antiimperialistisch. Sie wurde nicht nur von der neuen Bourgeoisie akzeptiert, sondern auch von den vielen königsgläubigen einfachen Menschen, die – in eine lange monarchistische Tradition eingebunden – in Sihanouk den großen Helden sahen, der die Unabhängigkeit erkämpft hatte, Sohn der vergötterten Dynastie der Norodom. Er selbst ließ keine Gelegenheit aus, um seine Position geschickt auszubauen und sich als zwar strenger, aber gütiger Landesvater aufzuspielen. Emsig ließ er dabei die Kommunisten dezimieren, wo immer sie sich zeigten. Von Demokratie war dieses Land weit entfernt.

    In jener Phase der widersprüchlichen gesellschaftlichen Entwicklung gelang es dem radikalsten der Pariser Utopisten, Saloth Sar, schließlich, den ersten entscheidenden Schritt auf dem Wege zur Macht innerhalb der KP Kambodschas zu tun. Im Herbst 1960 hielten die Kommunisten einen Kongreß ab, der die künftige Strategie bestimmen sollte. Auf diesem Kongreß konnte Pol Pot fast die gesamte Gruppe, die sich um ihn scharte, in das neue ZK manipulieren. Mehr noch, er konnte durchsetzen, daß im Parteiprogramm »die revolutionäre politische und militärische Gewalt« als Methode des künftigen Vorgehens der KP verankert wurde.

    Noch konnten die vernünftigen, marxistischen Kräfte im ZK Touch Samouth als Generalsekretär durchsetzen, der zu einer besonnenen Politik in Abstimmung mit den Parteien der Nachbarländer Laos und Vietnam tendierte. Aber die Signale waren bereits auf ein Vorgehen gestellt, wie Saloth Sar und seine Radikalen es verfochten. Es erwies sich, daß die KP Kambodschas um diese Zeit schon um ihre besten und fähigsten Köpfe dezimiert war. Nicht wenige hatten sich auch vor den Verfolgungen Sihanouks in die Emigration nach Hanoi begeben. Und Sihanouks Polizei schlug wieder zu: 1962 wurde zusammen mit vielen anderen Kommunisten auch der Generalsekretär Touch Samouth verhaftet. Er blieb spurlos verschwunden.

    Gerüchte um seinen Tod differierten: Die einen behaupteten, man habe ihn hinrichten lassen, andere wiederum wollten wissen, Saloth Sar habe ihn über Mittelsmänner in der Polizei beseitigt, um freie Hand in der Partei zu haben.

    Diese These gewann an Gewicht, als Saloth Sar wenig später mit seinen engsten Mitverschwörern die Schlüsselpositionen im Parteiapparat endgültig besetzte und sich unter dem Tarnnamen Pol Pot zum Generalsekretär machte. Kein Mitglied der Parteibasis wurde darüber informiert, geschweige denn um seine Zustimmung gefragt – es gab nur wenige Mitglieder, die den neuen Generalsekretär überhaupt kannten.

    Ein interessanter Aspekt von Sihanouks Innenpolitik war, daß er 1962 zwei Mitglieder der offiziell verbotenen Pol-Pot-Gruppierung, nämlich Khieu Sampan und Hou Yon, in die Wahlliste seiner Sangkum-Partei aufnahm, wohl um die linke Opposition zu verwirren und aufzuspalten. Die beiden wurden prompt als Abgeordnete gewählt, und Sihanouk ernannte Khieu Sampan zum Handelsminister, später sogar zeitweilig zum Premier, Hou Yon erhielt den Posten des Planungsministers.

    Bei den nächsten Wahlen, 1966, tauchte in den Listen zum ersten Mal der Name Lon Nol auf, eines konservativreaktionären politisierenden Generals, Verteidigungsminister und stark zu einer Zusammenarbeit mit den USA tendierend. Er gewann die Mehrheit.

    In der Folgezeit, für etwa ein Jahr, gab es unter Lon Nol eine Art Militärregierung. Die Armee hatte freie Hand, Land zu beschlagnahmen, Häuser zu besetzen und Steuern zu erheben. Durch diese Verschärfung der Ausbeutung kam es bald zu blutigen Auseinandersetzungen; Hunderte rebellierender Bauern wurden vom Militär zusammengeschossen.

    Sihanouk beschuldigte nun nicht etwa Lon Nol, sondern Hou Yon und Khieu Sampan, Aufstände angezettelt zu haben, und kündigte ihre Hinrichtung an. Lon Nol, von den USA klug beraten, schützte Gesundheitsprobleme vor und trat als Regierungschef zurück. Gleichzeitig tauchten Hou Yon und Khieu Sampan unter. Sie schlugen sich zu ihrem alten Kumpan Saloth Sar alias Pol Pot durch, in die Hauptzentren des Widerstandes, die beiden Ostprovinzen Ratanakiri und Mondulkiri. Eine nicht geringe Anzahl ehrlicher, wenngleich theoretisch nicht sehr gebildeter Oppositioneller fand sich ebenfalls nach und nach bei Pol Pots Guerillas ein, die von Sihanouk bald in der von ihm so geliebten französischen Sprache Khmer-Rouges (Rote Khmer) genannt wurden. Immerhin aber machten unzivilisierte, völlig ungebildete und für menschliche Regungen nur selten zugängliche Leute aus den unterentwickelten Gebieten des Landes den Kern von Pol Pots Guerillaarmee aus. Sie besetzten die Führungsposten, und das erste, was sie taten, war, junge Männer und Frauen, die unter ihr Kommando kamen, systematisch auf brutalen Haß gegen alle Städter, überhaupt gegen alle, die außerhalb der Schlupfwinkel legal lebten, zu dressieren.

    Indessen hatte Staatschef Sihanouk einen wachsenden Berg von Problemen zu bewältigen. Im Frühjahr 1969 unternahm er nochmals einen Versuch, wenigstens sein Militär für sich und seine Politik einzunehmen, indem er General Lon Nol, inzwischen die bedeutendste Gestalt der legalen Opposition, als »Premierminister der königlichen Regierung« einsetzte.

    Ein Jahr später, zu Beginn des Jahres 1970, fand Sihanouk plötzlich, es wäre für ihn gut, sich für längere Zeit nach Frankreich zu begeben, offiziell, um dort einige kleine Leiden auszukurieren.

    Beobachter der Szene, die Sihanouks Hof lange Jahre nahestanden, sind sich bis heute nicht ganz einig, was den Staatschef wirklich nach Frankreich trieb: Waren es die kleinen Gebrechen, die er in südfranzösischen Badeorten behandeln lassen wollte? Oder war es vielmehr der listige Versuch, sich aus einer zugespitzten Lage zu lösen, um seinem Stellvertreter Lon Nol die schwierigen Entscheidungen zu überlassen, die er dann später, wie immer sie auch ausfielen, kritisieren könnte?

    Lon Nol handelte sofort. Am 18. März 1970 erklärte er Sihanouk für abgesetzt. Er ließ sich zum Staatschef ausrufen, und damit begann der letzte Akt der Entwicklung, die direkt zu der nationalen Tragödie Kambodschas führte …

    PHNOM PENH – Juli 1979

    Die drei jungen Männer ähnelten einander. Nicht nur, daß sie annähernd gleich alt erschienen, sie sahen auch gleich zerlumpt aus in ihrer geflickten schwarzen Kleidung, ihre Gesichter waren gleich schmal, ausgemergelt, und selbst ihre Haare waren auf die gleiche Weise lieblos gestutzt, glichen Zotteln. Die Augen der drei verrieten eine seltsame Mischung von Abgeklärtheit und Neugier, Tatendrang vielleicht, und Hoffnung.

    Der vierte in der Runde, die auf der ramponierten Balustrade eines ehemals prächtigen Pavillons am Ufer des Tonlé Sap saß, in der Nähe des nicht so recht in die Umgebung passenden Wassertanks, war anders. Er war kein Khmer, sondern ein Inder. Älter als seine drei Gesprächspartner, bedächtig fast sah er aus, wenn er sie anblickte, wenn er Fragen stellte, wenn er die Antworten nicht nur in ihren Worten suchte, sondern auch in ihren Blicken. Er war im Gegensatz zu ihnen exakt gekleidet, sein ergrauendes Haar war ordentlich gekämmt, und er trug eine elegante Goldrandbrille. Auch hatte er Schreibzeug bei sich und machte sich immer wieder Notizen. Aus seinem Gesicht war nicht abzulesen, was er dachte. Es wirkte verschlossen, als wolle der Mann eine Art schützenden Wall aufrichten zwischen sich und dem, was er auf seine Fragen erfuhr.

    Er kannte die drei jungen Männer seit einigen Tagen. In einem notdürftig instand gesetzten Haus hatte er ein Büro ausfindig gemacht, das sich um die ausländischen Journalisten kümmerte, die den Prozeß der neuen Regierung gegen Pol Pot und seine Helfershelfer verfolgten, der soeben begonnen hatte. Es war dem indischen Reporter erlaubt worden, sich in der Zeit, die er nicht beim Prozeß verbrachte, mit Bürgern zu unterhalten, die das, was da verhandelt wurde, am eigenen Leib gespürt hatten – drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage lang, so oder so.

    Im Flußhafen, wo die Hilfsgüter aus Vietnam ankamen, war er auf Kim Sar gestoßen, der Säcke mit Reis aus einem Lastkahn an Land trug. Ung Phim war später hinzugekommen, als Gesprächspartner, auch Yong Sok, der durch besondere Umstände in seinem Leben sogar die Zeitung kannte, die den Inder aus Delhi hierher, nach Phnom Penh, entsandt hatte.

    Sie rauchten alle in Hanoi hergestellte »Thang-Long«-Zigaretten, und als der Inder das Aroma lobte, klärte Kim Sar ihn lakonisch auf: »Wir haben sie eingetauscht. Bei einem vietnamesischen Kapitän. Gegen ein chinesisches Fernglas. Das lag auf einem Haufen anderen Gerümpels, von irgendeinem Pol-Pot-Offizier weggeworfen …«

    »Gibt es für Sie Anlaß zu Freude?« fragte der Inder. Die drei schwiegen. Dachten nach. Schließlich bemerkte Yong Sok, der bei genauer Betrachtung der Feingliedrigste, Schmalste von ihnen war: »Eine schwierige Frage, Mister. Natürlich freuen wir uns, weil wir überlebt haben. Jeder auf seine Weise. Daß wir nicht zu den drei Millionen Toten gehören, die das Regime Pol Pots hinterlassen hat. Aber – was für eine Art von Freude ist das? Sehen Sie sich unser Land an! Man hat es einmal die Perle Südostasiens genannt. Und heute? Zählen Sie die Ruinen, betrachten Sie die verwüsteten Städte, die Asche der Dörfer, verweilen Sie mit Ihrem Blick auf den herrlichen Zuckerpalmen, die rings um die ehemalige Markthalle von Phnom Penh wachsen – unter jeder von ihnen liegt ein Mensch begraben. Erschlagen und mit einem Palmensamen auf der Brust eingescharrt. Sehen Sie sich unsere Schulen an, die Krankenhäuser, die Pagoden, alles. Wenn Sie das getan haben, werden Sie spüren, daß Freude etwas anderes ist, als was wir heute empfinden. In uns ist das Salz der Bitterkeit. Die Asche der Toten trübt unseren Blick. Die Schreie der Sterbenden hören wir in den Nächten, im Schlaf. Was ist heute in unseren Herzen? Vielleicht erst eine Vorstufe von Freude. Erleichterung …« Der Inder erinnerte sich: »Einer der Ankläger hat gesagt, selbst die steinernen Apsaras, die Gespielinnen der ehrwürdigen Götter, verfluchen die Mörder …«

    Ung Phim, der bisher geschwiegen hatte, nur gelegentlich mit den Fingern der rechten Hand über die Stelle an der linken strich, an der ihm zwei Finger fehlten, sprach vor sich hin: »Apsaras fluchen nicht, Mister. Sie klagen. Ich kann es hören, nachts. So wie Kim Sar und Yong Sok die Schreie der Erschlagenen hören.«

    Der Inder gestand ihm: »Ich habe die Anklagen gelesen und einige der Zeugen gehört. Man hat mir in einem Gefängnis einen dreizehnjährigen Jungen gezeigt, der einhundertfünfundachtzig Menschen mit einer Rodehacke totgeschlagen hat, wie er selbst erzählte. In der ehemaligen Oberschule hier, die als Gefängnis diente, unter Pol Pot …«

    »Tuol Sleng«, ergänzte Yong Sok. »Ich bin dort zur Schule gegangen. Zwölftausend sind es insgesamt gewesen, die man da ermordet hat. Und von jedem wurde vorher ein Foto gemacht.«

    »Der Dreizehnjährige antwortete mir auf die Frage, warum er tötete, die Angkar habe es befohlen, das sei die höchste Autorität gewesen, die Organisation. Wer sich hinter dieser Bezeichnung verbarg, wußte er nicht genau, nur daß er bedingungslos ihre Befehle zu befolgen hatte. Die Getöteten seien alle Parasiten gewesen, nicht wertvoller als Kakerlaken. Im übrigen habe er es so gemacht, daß die Leute gleich beim ersten Schlag tot gewesen seien …«

    Kim Sar drehte den Kopf zur Seite und tippte auf eine Stelle im Genick. »Hierhin schlugen sie. Man hatte sie belehrt, das sei die beste Stelle.«

    »Warum?« Der Inder hob hilflos die Hände. »Was war diese ominöse Angkar? Konnte sie Menschen verzaubern? Aus Anständigen Bestien machen? Und – warum das viele Morden? Wie kam es dazu? Und wieder – warum?«

    »Eine weitere schwierige Frage«, bemerkte Yong Sok.

    »Können Sie sie nicht beantworten? Oder wollen Sie das nicht?«

    »Wir können Ihnen erzählen, wie es begann«, sagte Kim Sar, »und wie es weiterging. Aber es würde Tage dauern, Ihnen alles begreiflich zu machen, Mister.«

    »Ich habe viele Tage Zeit!«

    »Nun gut«, meinte nach einer Weile Ung Phim. »Wir arbeiten alle drei an den Kais. Hier werden Leute gebraucht, die anpacken können. Aber wir haben stets drei Stunden Mittagsruhe, wenn die Hitze am schlimmsten ist, weil die Sonne am höchsten steht. Seien Sie um diese Zeit hier, unter dem Wassertank. Was wir wissen, werden wir Ihnen erzählen …«

    Als der Inder sich am nächsten Mittag dort einfand, hockten die drei bereits im Schatten. Zigaretten glühten. Ung Phim wies auf Kim Sar. »Es wird am besten sein, wenn er beginnt. Seine Erfahrungen reichen am weitesten zurück. Durch besondere Umstände geriet er in den Führungskreis der Angkar. Und er hat da so manches über die Vorgeschichte der Tragödie erfahren …«

    Am Kai war Motorengeräusch laut geworden. Eine Barkasse legte ab. Draußen im Strom, der eigentlich der Mekong war, zumindest ein Nebenarm von ihm, der hier den Namen Tonlé Sap trug und sich gute hundert Kilometer nordwestlich in den Großen See ergoß – von jeher ein reiches Fanggebiet für die Fischer –, ertönte der kreischende Schrei einer Bootssirene. Ein leichter Luftzug bewegte an den Resten einer Pagode unweit des Ufers das letzte, nicht zerstörte Glöckchen. Ein heller, einsamer Ton.

    Der Inder blickte Kim Sar fragend an. Dieser nickte. Dann begann er zu berichten. Manchmal stockte er, als ob er nachdenken müsse. Dann wieder wurde seine Stimme leiser, als habe er jetzt noch Furcht vor dem, was er beschrieb.

    Tage vergingen. Immer wieder saß der Berichterstatter um die Mittagszeit mit den jungen Männern unter dem Wassertank. Schrieb. Brachte schließlich, als auch die anderen erzählten, ein kleines Tonbandgerät mit und nahm auf, was gesprochen wurde. Die drei wechselten einander ab. Es schien ihnen ein Bedürfnis zu werden, dem Fremden alles mitzuteilen, woran sie sich erinnerten. Sie wollten, daß er sie verstand, das Ausmaß der Tragödie begriff, die sie durchlebt hatten und von der die Leute in der übrigen Welt Kunde erhalten sollten, über die spröden Berichte der Zeitungen hinaus. Nachempfinden – würde das möglich sein? Begreifen? Sie wußten es nicht. Und auch der Inder wußte nicht, wie er es anderen würde begreiflich machen können …

    KIM SAR, 32 Jahre

    Ich bin in Phnom Penh, in der Vithei Samdech Hinn, aufgewachsen, nicht weit von dem Platz, an dem unser Unabhängigkeitsdenkmal steht. Wir nannten es als Kinder die Pagode auf zwei Füßen, weil es so aussieht. Man kann hindurchgehen zwischen den Füßen, erst treppauf, dann treppab. Alles edler Stein. An Feiertagen stets besonders sauber geschrubbt. Sonst allerdings konnte es schon einmal vorkommen, daß ein Rikschafahrer sich dort vor dem Regen unterstellte, in der nassen

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