Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Michael el-Hakim: Der Renegat des Sultans
Michael el-Hakim: Der Renegat des Sultans
Michael el-Hakim: Der Renegat des Sultans
eBook1.628 Seiten25 Stunden

Michael el-Hakim: Der Renegat des Sultans

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ein Roman, spannend und phantastisch wie die Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Der Leser wird ins 16. Jahrhundert zurückversetzt. Christen und Mohammedaner ringen in Europa und dem Nahen Osten um die Vorherrschaft. Wien, Konstantinopel, Aleppo und Bagdad erstehen in ihrer Pracht, Leichtlebigkeit und Verderbtheit. Der Autor schickt seine beiden Helden in einen ihnen bisher fremden Kulturkreis, in die islamische Welt Nordafrikas und nach Istanbul, der Hauptstadt des Osmanischen Reiches, das damals unter Sultan Süleyman I., »dem Prächtigen«, seine größte Ausdehnung und Blütezeit erlebte.
Michael und Antti wollen von Venedig aus zu einer Pilgerfahrt ins Heilige Land aufbrechen. Das Pilgerschiff wird von islamischen Piraten gekapert und die beiden Protagonisten entgehen dem Tod nur dadurch, dass sie ihrer christlichen Religion abschwören und den Islam annehmen. Nun beginnen ihre Abenteuer in der islamischen Welt. Beide, sowohl Michael als auch Antti, steigen, obwohl nominell Sklaven, letzten Endes in hohe und geachtete Stellungen auf. Wie die beiden Helden in die ihnen anfangs völlig fremde Kultur und Religion hineinwachsen, ist eines der großen Themen dieses Romans.
Michael leidet zunächst unter schlimmen Gewissensqualen - schließlich hatte er einst davon geträumt, eine Laufbahn als Geistlicher der allein seligmachenden Kirche einzuschlagen! Doch mit dem ihm eigenen Wissensdurst eignet er sich schnell die arabische und die türkische Sprache an und macht sich mit dem Inhalt des Korans sowie der islamischen Glaubenspraxis vertraut. Immer wieder stellt er verwundert fest, welch Unterschied zwischen dem Osmanischen Reich und den christlichen Ländern Europas besteht, werden in den letzteren doch blutige Glaubenskriege ausgetragen, und erst recht ist unter den Christen und ihren Fürsten kaum eine Spur von religiöser Toleranz zu finden.
SpracheDeutsch
HerausgeberKuebler Verlag
Erscheinungsdatum3. Aug. 2015
ISBN9783863462475
Michael el-Hakim: Der Renegat des Sultans

Ähnlich wie Michael el-Hakim

Titel in dieser Serie (7)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Michael el-Hakim

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Michael el-Hakim - Mika Waltari

    ERSTES BUCH

    MICHAEL DER PILGER

    Hat man erst einmal seine Entscheidung getroffen, dann beruhigt sich das Gemüt, und man fühlt sich auf erstaunliche Weise frei von allen Sorgen und Kümmernissen. Als ich Rom und der ganzen Christenheit den Rücken kehrte, um mit meinem Bruder Antti ins Heilige Land zu pilgern und dort Sühne für meine Sünden zu leisten, fühlte ich mich wie ein vom Teufel gegerbtes Stück Leder, das nicht einmal die bittersten Tränen der Demut und Reue weich machen konnten. Kaum aber hatte mir frischer Seewind Roms Todesdunst aus der Nase geblasen, fühlte ich mich schon sehr viel besser mit dem festen Schiffsdeck unter meinen Füßen und in dem sicheren Wissen, nun bald nach Venedig zu gelangen, um von dort aus meine Fahrt ins Heilige Land anzutreten.

    »Antti, Bruderherz«, sagte ich erleichtert, »unsere Sünden sind gewiss so dunkelrot wie geronnenes Blut, aber trotzdem sind wir wohl nicht die größten Sünder auf dieser Welt, wie es noch vor Kurzem erschien, als mir das Herz brach, sondern unsere Sünden werden von Zehntausenden Männern geteilt. Eigentlich dünkt mich der Kaiser derjenige, der die Hauptschuld an allem trägt, was geschehen ist. Er hat wahrlich breite Schultern nötig, um den Zorn Gottes darauf tragen zu können. Wir sollten aber nicht an Gott verzweifeln, denn er hat ja wohl seine eigenen Absichten verfolgt, als er uns gestattete, Rom zu zerstören und Papst Clemens, der zweifellos nicht zum Bewahrer der Schlüssel Petri taugte, von seinem Thron zu stoßen. Auch scheint mir die Tatsache, dass ich von der Pest genesen bin, ein sicheres Anzeichen dafür zu sein, dass ich in Gottes Augen durchaus nicht der größte Sünder bin.«

    Doch Antti hielt sich den Kopf zwischen den Händen, seufzte schwer und sagte: »Michael, Bruderherz, sprich mir nicht von schwierigen und verwickelten Dingen, die den Doktoren des römischen und kanonischen Rechts bis ans Ende der Welt mehr als genug zu brüten aufgeben. Mein Magen gibt mir nämlich deutlich genug zu verstehen, dass ich unter allen Menschen der Elendste und Erbärmlichste bin. Wenn ich mich über etwas wundere, dann darüber, warum Gott sich die Mühe gemacht hat, so ein armseliges Wesen wie mich auf die Welt kommen zu lassen. Mein Magen windet sich in Krämpfen und ist nicht gewillt, gutes Essen bei sich zu behalten. Meine Zunge ist schwarz angelaufen, und ich stinke wie ein Stück Aas. Dazu noch spazieren zahllose Läuse auf meinem Leib herum, und hinter den Masten lugen graue Männlein hervor, die mich anstarren. Wahrlich, wir haben Rom keinen Augenblick zu früh verlassen. Für diesen guten Einfall segne ich dich, auch wenn mir scheint, dass ich jetzt sterben muss.«

    Ich war so von meinem eigenen Elend niedergedrückt, dass ich nicht weiter auf Antti geachtet hatte. Jetzt erst bemerkte ich, dass sein Gesicht grau war und ihm die Hände zitterten, als er das Brot im Munde hin und her wälzte, ohne es hinunterschlucken zu können. Mich ergriff schreckliche Furcht, dass er an der Pest erkrankt sein konnte. Wenn auf dem Schiff aber die Pest ausgebrochen war, würde man uns die Einfahrt nach Venedig verwehren; wir wären den Unbilden des Meeres ausgesetzt, und unsere Reise würde sich vielleicht endlos dahinziehen. Deshalb forderte ich Antti auf, er solle sich zusammennehmen, damit niemand merkte, dass er krank war. Doch er hörte nicht auf mich. Er ließ das Brot einfach fallen und trat mit schwankenden Schritten an die Reling, was die Seeleute sehr erheiterte. Sie fanden es nämlich äußerst lustig, wenn so ein kräftiger Mann wie Antti seekrank wurde.

    Schließlich kam er wieder zu mir zurück, lächelte traurig und sagte: »Hab keine Angst, Michael, dies ist weder die Pest noch die Seekrankheit, sondern es ist Gottes Strafe für das gottlose Leben, das ich in Rom zugebracht habe. Seit fünf Wochen habe ich keinen klaren Morgen, Tag oder Abend mehr erlebt, sondern ich habe mein ganzes Geld für unseligen Wein vergeudet, für den die Händler so hohe Wucherpreise verlangten, als wären sie vom Teufel besessen. Ich könnte jetzt noch weinen, wenn ich daran denke. Den Todesstoß aber versetzte mir das Fass Muskatellerwein, auf das ich im Keller eines brennenden Hauses stieß, und das ich vor meinen Kameraden geheim hielt.«

    Kaum hatte er das Wort »Muskateller« ausgesprochen, da verschwand von Neuem jede Farbe aus seinem Gesicht; er hielt sich die Hand vor den Mund und schwankte zur Reling, um sich zu übergeben. Dann kam er wieder zurück und fuhr tapfer fort:

    »Michael, es tut mir nicht leid um das vergeudete Geld, obwohl ich in diesen Wochen so viel Gold den Hals hinuntergespült habe, dass ich mir anderswo auf der Welt ein großes Landgut samt Viehherden dafür hätte kaufen können, um mit diesem Vermögen bis zu meinem Tode ein frommes und nützliches Leben zu verbringen. Auch will ich nicht die vielen Gewalttaten gegen unschuldige Bürger Roms beklagen, zu denen ich mich, vom Wein benebelt oder von meinen Kameraden aufgestachelt, habe hinreißen lassen, ganz zu schweigen von den Spaniern, denen ich einfach einen Schlag ins Gesicht versetzen musste, wo immer ich auf sie traf, weil sie die Frechheit hatten, uns nach dem Leben zu trachten. Sondern ich bin bekümmert, weil ich so wenig Verstand besessen habe, denn offen gesagt findet sich in meinem ganzen Kopf kein klarer Gedanke mehr.«

    Da ich nun sah, in welch elendem Zustand sich Antti befand, bekam ich Mitleid mit ihm, denn die wirren Blicke aus seinen weit aufgerissenen Augen zeigten mir, dass er nicht mehr bei vollem Verstande war. Offen gesagt hatte ich Angst um ihn, weil ich an das biblische Wort denken musste, dass dem, der da hat, gegeben werde, und dem, der nicht hat, auch noch das Wenige genommen werde. Und was Anttis Verstand betraf, so hatte er nicht viel zu verlieren. Deshalb tadelte ich ihn streng und erinnerte ihn an alle seinen guten Vorsätze, die er einen nach dem anderen immer wieder unbekümmert gebrochen hatte. Verschüchtert antwortete er darauf:

    »Tadle mich jetzt nicht, Michael, sondern heb dir deinen Tadel lieber für einen besseren Zeitpunkt auf, denn der Tadelteufel hat sich gerade eben in mich hereingeschlichen, als ich aus Versehen den Mund allzu weit geöffnet hielt. Jetzt wühlt er sich durch meine Eingeweide und peitscht mir immer wieder mal mit seinem haarigen Schwanz hoch bis in die Kehle, sodass ich fürchten muss zu ersticken. Um Christi Liebe willen, Michael, hab Erbarmen mit mir! Lass mich wenigstens einmal kurz an deinem Becher nippen, denn dieser helle rote Tafelwein kann mir kaum mehr schaden, als ich mir selbst an Leib und Seele schon Schaden zugefügt habe. Es soll auch das letzte Mal sein, und möge mich Gottes furchtbarste Strafe treffen, samt der Verachtung seitens aller guten Menschen, wenn ich diesen meinen Vorsatz verletze, der da lautet, nach diesem letzten Schluck keinen Tropfen Wein mehr über meine Lippen zu lassen. Gerade was den Muskatellerwein betrifft, will ich den heiligsten Eid schwören, dass, wenn ich noch einmal davon koste, ich hingehen und mich mit eigenen Händen aufhängen werde.«

    Nachdem ich Antti ernsthaft verwarnt hatte, seinen Schwur auch ja zu halten, ließ ich ihn ein paar Schlucke tun und ließ ihn dann zur Ader, wobei ich ihm so viel Blut abzapfte, dass mir selbst dabei angst und bange wurde. Außerdem verabreichte ich ihm noch zwei Laudanumklöße, die ich bei mir verwahrt hatte, seitdem Doktor Paracelsus sie mir geschenkt hatte, als ich die Stadt Basel verließ, um in kaiserliche Dienste zu treten und gegen den Papst zu marschieren. Dadurch fiel er in einen tiefen Schlaf. Er schlief zwei Tage und zwei Nächte lang, wobei er schlafwandelte und sogar ins Meer gesprungen wäre, hätte ich ihn nicht schließlich an die Schlafbank gefesselt. Endlich wachte er auf und war bleich und schweigsam, als er eine Schale Fleischsuppe zu sich nahm. Wir segelten gerade im Gegenwind durch die Meerenge von Messina, als ein ungläubiger Rudersklave vor Erschöpfung Blut zu spucken begann, sodass der Aufseher über die Ruderer gezwungen war, ihn von seinen Ketten zu lösen und ins Meer zu werfen. Antti, der dies gesehen hatte, setzte sich aus eigenen freien Stücken auf die Ruderbank zu den stinkenden Sklaven und wurde ganz allein mit einem Ruder fertig, das sonst von drei oder vier Sklaven bewegt werden musste.

    Ich fand, dass Antti sich ungehörig benahm und sich nicht zu den Irrgläubigen und Verbrechern auf die Ruderbank hätte setzen sollen. Doch meinte er selbst demütig, er wolle zur Sühne für seine Sünden so lange am Ruder schwitzen, bis sein Körper die giftigen Weinreste losgeworden sei. Als Arzt hätte ich ihm lieber Ruhe gegönnt als solche Anstrengungen, aber ich erhob keine Einwände gegen seinen dummen Einfall, weil ich auf dem Schiff schon andere Gesellschaft gefunden hatte.

    Es zeigte sich nämlich, dass jene beiden adeligen Damen vom Fürstenhof in Mantua, die bei Herrn Venier, dem Gesandten der Signoria, Schutz gesucht hatten und denen wir geholfen hatten, verkleidet aus Rom zu flüchten, ganz hingerissen waren von meinem Hund Rael. Sie streichelten und betätschelten ihn um die Wette und gaben ihm allerlei Leckerbissen zu fressen. Sie wollten ihn mir unbedingt abkaufen, so angetan waren sie von seiner Klugheit und seinem artigen Benehmen. Sie boten mir nicht weniger als zehn Dukaten. Das war ein stolzer Preis für einen kleinen Hund, der sich nicht eines vom fürstlichen Hundestallmeister ausgestellten Stammbaums brüsten konnte. Auf meine strikte Weigerung hin wurden sie neugierig und suchten das Gespräch mit mir. Bei meiner Einschiffung trug ich ja vornehme Kleidung samt einer goldenen Kette um den Hals und mit mehreren Ringen an meinen Fingern. Auch war ich ein gutaussehender junger Mann, und das gute Essen und der Seewind hatten Farbe in mein Gesicht zurückgebracht. Deshalb mochten sie mich ganz gerne anschauen. Ich verschwieg ihnen durchaus nicht, dass ich ein gelehrter Mann war, der an zwei Universitäten, in Paris und in Basel, studiert hatte. Wenn sie aufgrund meiner Kleidung und meines Auftretens auch noch zu dem Schluss gekommen waren, ich müsse ein Adeliger sein, so war das, wie ich fand, ihre Sache.

    Da Herrn Venier nicht entgangen war, dass ich bei den beiden adeligen Damen hoch angesehen war, erzeigte auch er sich mir gegenüber recht freundlich. Dazu hatte er auch allen Grund, schließlich zahlten mein Bruder Antti und ich ihm einen außerordentlich hohen Preis dafür, dass wir unter seiner Obhut sicher nach Venedig gelangen konnten. Bei dieser hohen Summe verstand ich, warum Venedig die reichste und mächtigste Handelsstadt der Welt sein musste. Aber einen anderen Beschützer hatten wir nun einmal nicht, und als er sein Geld erst einmal bekommen hatte, ließ er uns auch seinen Schutz angedeihen und half uns auf jede mögliche Weise. Mehrere Male betrachtete er meinen schönen Ring, den ein makelloser Rubin schmückte, mit zehn grünen Steinen darum herum. Leicht seufzend meinte er, es sei vielleicht kein besonders wertvoller Ring, aber als künstlerische Arbeit gefalle er ihm sehr. Deshalb schenkte ich ihn ihm schweren Herzens, als schon der Glockenturm und die mächtigen Kuppel Venedigs im Schoße des grünen Meeres in Sicht kamen. Er zeigte sich über mein Geschenk so erfreut, dass wir in seinem Gefolge an Land gehen konnten, ohne von Zöllnern und Pestärzten behelligt zu werden. Auf diese Weise gelang es uns, all das Gold, die Edelsteine und den Schmuck, der uns als Teil an der Beute bei der Plünderung Roms zugefallen war, ungehindert in unserer Kleidung, in unseren Gürteln und Geldbörsen mitzunehmen.

    Außerdem stellte Herr Venier mir zu einem maßvollen Preis und zum Zeichen seiner Wertschätzung einen Geleitbrief für meine Person aus, den er auch mit notariellem Siegel versah. Da ich nicht unter meinem deutschen Namen »Pelzfuß« reisen wollte und ohnehin niemand etwas von der Existenz eines fernen und möglicherweise heidnischen Landes wie Finlandia wusste, gab ich ihm ganz ehrlich meinen finnischen Namen Mikael Karvajalka an. Diesen Namen trug er auch in das Dokument ein, veränderte ihn aber zu Michael Carvajal. Deshalb hieß es später des Öfteren, ich sei spanischer Herkunft, obwohl Herr Venier auf meine ausdrückliche Bitte hin noch hinzufügte, dass ich früher dem Hofstaat Christians II., des rechtmäßigen Königs von Dänemark, angehört und der Signoria bei der Plünderung Roms im Jahre 1527 wertvolle Dienste erwiesen hatte.

    Im Besitze dieses Dokuments hatten Antti und ich von den Behörden der allererlauchtesten Republik nichts zu fürchten. Wir konnten uns nun als freie Männer einquartieren, wo immer wir wollten, und reisen, wohin wir Lust hatten, außer natürlich in die Länder des Kaisers, in die uns wegen des Krieges jeder Weg versperrt war. Aber in die Länder des Kaisers zog es uns ja auch gar nicht, im Gegenteil, wir mieden sie lieber, da wir ja fahnenflüchtig geworden waren, um unser Seelenheil zu retten.

    So war mir, als wäre ich aus dem muffigen Dunkel eines Grabes in ein neues Leben emporgestiegen, da ich nun, frei wie die Vögel des Himmels, auf dem großen Marktplatz jener herrlichen Stadt Venedig stand. Mein Leib, von der Pest genesen, atmete in vollen Zügen die erfrischende und sommerliche Meeresluft ein. Die Kräfte kehrten in meine Glieder zurück, und im Menschengewühl Venedigs trafen meine Augen auf Menschen aus aller Herren Ländern in unterschiedlichen Gewändern, unter ihnen Türken und Juden, Mauren und Neger, ganz zu schweigen von den zahlreichen Flüchtlingen, die aus den verschiedenen Gegenden Italiens stammten und die wegen des Krieges Schutz in der allererlauchtesten Republik gesucht hatten. Ich fühlte mich, als stünde ich an der Pforte des märchenhaften Orients und war von der Neugier wie gelähmt, all die fremden Völker und Hautfarben, Länder und Häfen zu sehen, aus denen diese zahlreichen stolzen Schiffe, an deren Masten der Wimpel mit dem Löwen von St. Marcus flatterte, hierher gekommen waren.

    Gleichzeitig aber fühlte ich mich unbedeutend und einsam mitten unter den vielen Kirchen mit den mächtigen Kuppeln und den prächtigen Marmorpalästen, die sich am großen Kanal entlang aufreihten. Deshalb suchte ich Halt bei meinem starken Bruder Antti und sagte:

    »So weit haben wir es also gebracht und sind dabei immer noch gesund und mit heilen Gliedern davongekommen. Das Essen schmeckt gut in meinem Mund, ich bin fünfundzwanzig Jahre alt und im besten Alter, und auch an meinem Aussehen gibt es nichts zu tadeln. Außerdem habe ich mehr Geld, als sich die meisten meiner Altersgenossen auch nur im Traum zu besitzen vorstellen können. Ich spreche Latein und Deutsch, als hätte ich diese beiden Sprachen mit der Muttermilch eingesogen. Dazu kann ich mich auch über schwierige Dinge auf Französisch äußern, und selbst im Italienischen kann mir niemand ein X für ein U vormachen. An zwei hohen Universitäten habe ich allerlei nützliches Wissen erworben, und auch wenn ich kein Arztdiplom vorweisen kann, wäre es mir doch ein Leichtes, mir als Schüler von Doktor Paracelsus in jeder beliebigen Armee der Welt mein Brot zu verdienen. Habe ich nicht allen Grund, Gott für seine Güte zu danken, mit der er uns beschenkt hat? Nun kann ich in vollem Vertrauen auf meine Pilgerfahrt ins Heilige Land aufbrechen, um dort Vergebung für meine Sünden zu erlangen und ein neues und besseres Leben zu beginnen.«

    Aber Antti betrachtete nur die blutigen Blasen an seinen Händen, die er von dem harten Ruder zurückbehalten hatte, seufzte wehmütig und sagte: »Michael, Bruderherz, wer von uns beiden hat die Fahrt ins Heilige Land mit größerer Reue und Demut angetreten, du oder ich? Wahrlich, ich habe mich zu einem Sklaven und Heiden erniedrigt, als ich am Ruder schwitzend den Teufel aus meinem Leibe trieb, während du auf dem Schiffsdeck herumstolziertest, mit goldener Kette um den Hals, zahlreichen Ringen an den Händen und dabei vornehmen Damen den Hof machtest. Michael, Michael, Hochmut kommt vor dem Fall! Ich wage gar nicht daran zu denken, wie es uns noch ergehen soll. Schon am bloßen Geruch spüre ich, dass Venedig eine verkommene und alles andere als christliche Stadt ist, weil man hier auf schwankenden Booten sogar die Straßen entlangfährt, obwohl Gott die Menschen mit Füßen versehen hat, damit sie laufen sollen. Hier aber gibt es statt Straßen nichts als schmutziges Meerwasser.«

    Mir war klar, dass Anttis verbitterte Worte auf seinen Groll zurückzuführen waren, und ich warnte ihn: »Wirf ja nicht so sehnsüchtige Blicke auf die Türen der Weinstuben! Außerdem sind diese Kanäle anstelle von Straßen eine außerordentlich praktische Erfindung, ist diese Stadt doch trotz der sommerlichen Hitze die reinlichste von allen Städten, die ich je gesehen habe, weil das Wasser, wenn es steigt und wieder sinkt, allen Schmutz und Müll, der in anderen Städten Luft und Straßen vergiftet, mit sich fortschwemmt. Die Kanäle bieten auch noch vielen Armen die Gelegenheit zu leichtem Lebensunterhalt, da sie mit ihren Booten und den langen Rudern die Menschen von einem Teil der Stadt in einen anderen befördern können.«

    Doch Antti war anderer Meinung: »In all den Jahren habe ich stets, wie es sich für einen vernünftigen Menschen ziemt, den Abschluss einer günstig verlaufenen Reise mit einem ordentlichen Trinkgelage gefeiert. Vielleicht fühle ich mich deshalb jetzt, da ich den erwähnten unumstößlichen Beschluss gefasst habe und nur noch bloßes Wasser zu mir nehme, so hohl und leer. Dazu überkommen mich böse und unheilverheißende Ahnungen, habe ich doch den Verdacht, dass Wasser gefährlich und meiner Gesundheit abträglich ist, wie mir meine Erfahrungen auf mancherlei Feldzügen deutlich bewiesen haben. So mundet mir nun alles so, als wäre es Asche, und die gierigen Blicke, die all diese blassen und stattlichen Frauen durch ihre dunklen Schleier auf uns werfen, machen mir Angst. Wahrlich, ihre Blicke sind so heiß, als loderten feurige Flammen an meinen Schenkeln hoch, sodass ich unwillkürlich meinem Geldbeutel festhalte.«

    Auch mich überlief es heiß und kalt, wenn ich die abschätzenden Blicke der Venezianerinnen auf mir spürte, die langsamen Schrittes unter den Arkaden am Rande des Marktplatzes lustwandelten. Zwar verhüllten sie ihr Gesicht mit einem durchsichtigen Schleier, aber was die Bedeckung ihrer sonstigen körperlichen Reize betraf, so nahmen sie es damit nicht so genau. Sobald sie bemerkten, dass ich sie anschaute, kam es vor, dass die eine oder andere von ihnen ihre Kleidung zurechtrückte und dabei wie aus Versehen kurz ihre weiße Brust enthüllte. Ich glaube, längst nicht alle von ihnen waren züchtige Damen. Mir schien, dass Antti recht hatte, wenn er davon sprach, er müsse auf seinen Geldbeutel achtgeben.

    Wenn ich mir diese Frauen ansah, wurde mir der Mund so trocken wie bei Antti, und ich bekam heftigen Durst. Damit ich durch mein Verhalten aber Antti nicht in Versuchung führte, wandte ich mich an einen Wasserverkäufer und bat ihn um etwas zu trinken. Der wortkarge Moriske trug einen Ledersack mit zahlreichen Pfeifen auf dem Rücken und ließ uns daraus bereitwillig ein eiskaltes Apfelsinengetränk, das nach Moschus duftete, in runde Tassen laufen. Nachdem ich diesen erfrischenden Trank zu einem geringen Preis zu mir genommen hatte, verstand ich besser, warum Venedig als die wohlhabendste und vergnügungssüchtigste Stadt der Welt galt. Während ich noch trank, blieb neben mir eine Frau in dunklem Schleier stehen und warf neugierige Blicke auf die Fahnen, die an den vier Fahnenstangen aus Zedernholz vor der Kirche standen. Dabei ließ sie mir wie unabsichtlich einen ihrer schwarzen Handschuhe vor die Füße fallen. Ich hätte ihn gern aufgehoben, wenn mich Antti nicht am Arm gepackt und vom Wasserverkäufer weggezogen hätte. So nahm ich keinen Schaden, denn nachdem wir gegangen waren, bemerkte die Frau selbst, dass ihr der Handschuh entfallen war, bückte sich danach und hob ihn mit einem Schulterzucken auf.

    Antti sagte: »Es ist höchste Zeit für uns, unsere Tracht zu wechseln und ein schlichtes Pilgergewand anzulegen, damit jeder auf den ersten Blick sieht, dass wir unser Fleisch abtöten. Wenn wir wirklich ins Heilige Land wollen, sollten wir schnellstens ein Schiff besteigen, sonst ergeht es uns noch übel in dieser Stadt, und all unsere guten Vorsätze werden zunichte.«

    Ich fand, es gab in Venedig so viel zu sehen und zu bewundern, dass ein ganzes Menschenleben dafür kaum ausgereicht hätte. Ich hätte mich gerne noch länger hier aufgehalten, um in allen Kirchen der Stadt beten zu können. Andererseits war die Stadt voll verderblicher Versuchungen, und deshalb erkundigte ich mich lieber nach einem Schiff, das nach dem Heiligen Land in See stechen wollte. Bald begegnete ich im Hafen einem krummnasigen Mann, der sich von meinem Entschluss sehr angetan zeigte. Er meinte, ich sei zur passenden Zeit in Venedig eingetroffen; in den allernächsten Tagen breche unter dem Schutz venezianischer Kriegsgaleeren ein Schiffsverband nach Zypern auf, und darunter befinde sich bestimmt auch ein Schiff, das Pilger mit an Bord nehme.

    »Dies ist die passende Jahreszeit für so eine segensreiche Reise«, versicherte er mir. »Die Schiffe segeln unter günstigen Winden, und Stürme sind nicht zu befürchten. Die Galeeren, die mit zahlreichen Geschützen bestückt sind, schützen die Handelsschiffe vor den Piratenschiffen der Ungläubigen, die für jedes allein segelnde Schiff eine stetige Gefahr darstellen. In unseren gottlosen und kriegslüsternen Zeiten gibt es nicht viele, die sich auf Pilgerschaft ins Heilige Land begeben, sodass man auf den Schiffen nicht allzu beengt ist, noch unter großem Gedränge leiden muss. Es gibt gute und abwechslungsreiche Kost zu mäßigem Preis, was aber die Reisenden nicht davon abhalten braucht, ihren eigenen Wein und Proviant mitzuführen, sofern man sich nicht schon vor der Ankunft im Heiligen Lande durch frommes Fasten Verdienste erwerben will. Im Heiligen Land selbst bietet der dortige Vertreter der Reederei zu mäßigen Preisen geführte Reisen von der Küste nach Jerusalem an, und ein Freibrief des Sultans, den man hier bei der türkischen Botschaft erwerben kann, garantiert dem Pilger völlige Unversehrtheit.«

    Ich fragte ihn, wie viel seiner Meinung nach die Reise wohl kosten würde. Er blickte mich an; seine bläulichen Lippen begannen zu beben, Tränen traten ihm in die Augen, er reichte mir seine Hand und sagte: »Herr Michael de Carvajal, vertraut Ihr mir?«

    Seine flehenden Worte rührten mich, und ich erwiderte, dass ich glaubte, er sei ein genauso ehrlicher Mann wie ich selbst. Da dankte er mir für mein Vertrauen und versetzte: »Herr Michael, sicher hat Gottes wunderbare Vorsehung uns beide an diesem gesegneten Morgen zusammengeführt, denn, um die Wahrheit zu sagen, unsere schöne Stadt ist voller gewissenloser Räuber und Betrüger, die vor nichts zurückschrecken, um vertrauensselige Fremde zu hintergehen. Ich habe nur Euer Bestes im Sinn, wenn ich Euch davor warne, Euch keinesfalls mit unbekannten Leuten einzulassen. Überlasst nur mir alle Sorgen. Ich bitte Euch um nichts anderes, als dass ich meine Zeit und meine Mühen für Euch aufwenden darf, damit Ihr Eure Reise zu günstigen Bedingungen antreten könnt und das zu einem so mäßigen Preis, wie man nur billigerweise fordern kann. Ich bin ein frommer Mann, und es ist mein innigster Wunsch, einmal selbst ins Heilige Land reisen zu können. Da dies aber aufgrund meiner Mittellosigkeit vorerst nicht möglich ist, habe ich beschlossen, mich ganz jenen zu widmen, die in dieser Hinsicht glücklicher sind als ich und ihnen dabei zu helfen, die heiligen Stätten aufzusuchen, an denen unser Herr Jesus Christus lebte, litt und starb und schließlich von den Toten auferstand.«

    Er begann bitterlich zu weinen und erweckte tiefes Mitleid in mir. Dann wischte er sich hastig die Tränen fort, blickte mir aufrichtig in die Augen und sagte: »Ich erbitte nichts von Euch als einen Dukaten bar auf die Hand, um mich Eurer ehrlichen Absichten zu vergewissern. Dann braucht Ihr von diesem Augenblick an keine Zeit und keinen Gedanken mehr auf die ganze Sache zu verschwenden, denn ich werde alles für Euch regeln, und Ihr könnt sicher sein, dass Ihr zehn oder zwölf Dukaten spart, da Ihr den Wucherpreisen der gierigen Behörden und der Kapitäne entgeht, ganz zu schweigen von den Türken, bei denen jeder, von den Türhütern und Schreibern bis zum Siegelbewahrer, Geschenke erwartet. Falls Ihr Geld wechseln oder Schmuck verkaufen wollt, werde ich Euch den besten Kurs verschaffen. Bei allen nötigen Besorgungen bringe ich Euch mit ehrlichen Kaufleuten in Verbindung und will auch für Euch, unter Einhaltung der guten Sitten dieser Stadt, die Verkaufsverhandlungen führen. Seht mich nun nicht mehr als Fremden an, sondern verlasst Euch auf mich wie auf Euren Vater oder Bruder. Ich habe ja vom ersten Augenblick an Gefallen gefunden an Eurem ehrlichen Antlitz.«

    Ich konnte nicht anders, als ihm zu vertrauen, denn während er mich die langen Hafenkais entlang begleitete, grüßte er zahlreiche Seeleute und Kapitäne, Händler und Zollschreiber, die ihm zulächelten und ihn mit gutmütigen Spitznamen bedachten, als sie mich in seiner Gesellschaft sahen. So gab ich ihm den Dukaten, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ich kein reicher Mann sei, sondern zu einem bescheidenen Preis reisen und mich, soweit nötig, allen Unannehmlichkeiten der Überfahrt unterwerfen wollte. Er versetzte, ich brauchte mir keine Sorgen zu machen. Er half mir auch beim Kauf eines Pilgergewandes und eines Rosenkranzes, wobei er es für mich übernahm, um deren Preise zu feilschen. Schließlich begleitete er mich bis zur Herberge und versprach, mir schon am folgenden Tag zu sagen, wann ich die Reise antreten könne.

    Neben unserer einfachen Herberge in der St.-Samuels-Gasse befand sich eine Färberei, und als ich dort einen jungen Knaben sah, der mit den Farben seines Vaters allerlei Bilder an die Wand kritzelte, fiel mir plötzlich ein, dass Meister Dürer in Nürnberg mir geraten hatte, einen Künstler namens Tizian aufzusuchen, falls ich einmal nach Venedig gelangte. Da mir durch die Hilfsbereitschaft meines krummnasigen Freundes viel freie Zeit blieb, legte ich das Pilgergewand noch nicht an, sondern beschloss, jenem Tizian Grüße von Meister Dürer zu überbringen. Der junge Sohn des Färbers, den die Gesellen auf Italienisch Tintoretto nannten, erbot sich freundlicherweise, mich zu ihm zu führen. Deshalb ließ ich mich gegen Abend auf dem großen Kanal zu Meister Tizians Werkstatt rudern, einem Speichergebäude, das die Signoria ihm zu seiner Nutzung überlassen hatte. Er war nämlich der Staatsmaler der Republik und kam dadurch in den Genuss einer jährlichen Rente als Warenvermittler für die deutsche Handelskammer. Dafür hatte er mehrere Wandgemälde für den Dogenpalast anzufertigen. Außerdem trieb Meister Tizian, der für seine glückliche Hand in Geldangelegenheiten bekannt war, einen schwungvollen Handel mit Holzwaren. Dies alles erfuhr ich, in der Gondel sitzend, von jenem lebhaften Tintoretto, der dabei mit seinem farbverschmierten Finger auf alle möglichen am Himmel aufscheinenden Farben des Sonnenuntergangs deutete und mich fragte, ob ich nicht auch der Meinung sei, dass Venedig von allen Städten auf der ganzen Welt nicht die herrlichste und wunderbarste war.

    Zweifellos war Venedig von märchenhafter Schönheit im Glanz der purpurnen und blauroten Farben des Sonnenuntergangs, sodass man leicht auf den Gedanken kommen konnte, man befände sich in der Gondel, die an den imposanten Gebäuden entlang über die Wasserfläche leicht dahinglitt, wie in einem Traum. All diese wunderbare und unwirkliche Schönheit ließ die Gedanken jedoch auf falsche Wege abschweifen, und deshalb sagte ich dem jungen Knaben zur Belehrung, dass nur eines dem Menschen nötig sei. Aber er missverstand meine Worte, nickte eifrig und sagte, seine Absicht sei es zu lernen, wie ein Meister zu zeichnen und mit den Farben umzugehen; es könne wahrlich kein höheres Ziel geben. Deshalb wolle er Meister Tizians Schüler werden, in etwa zwei bis drei Jahren, wenn er noch etwas gewachsen wäre.

    In Meister Tizians weiträumiger Werkstatt war eine ganze Reihe aufgezogener Leinwände gegen die Wand gestellt, allerdings so, dass nur deren Rückseite zu sehen war. Der Meister selbst war ein bärtiger Mann mittleren Alters. In seinen Augen lag ein forschender und habgieriger Blick, und er wirkte für mich wie jemand aus dem niederen Volk. Aber er empfing mich freundlich, nachdem er einen kurzen Blick auf meine goldene Halskette und die Ringe an meiner Hand geworfen hatte. Er zeigte mir ein großes Gemälde, das den Märtyrertod des heiligen Petrus darstellte und erzählte, er habe auch mit der Porträtmalerei begonnen. Als Beispiel dafür wies er auf das Bildnis eines gewissen Pietro Aretino. Dieser Herr Aretino war mir unbekannt, doch hatte ich die Gelegenheit, das Porträt mit ihm selbst zu vergleichen, denn er hatte gerade Modell gestanden und hielt sich noch in der Werkstatt auf, um mit dem Meister zusammen das Abendessen einzunehmen. Aus seinen Worten wurde mir klar, dass es sich um ihn um einen der Flüchtlinge handelte, die es nach Venedig verschlagen hatte. Er war ein gelehrter und schlagfertiger Herr, der Meister Tizians volles Vertrauen gefunden hatte.

    Meister Tizian bot mir verschiedene Holzwaren zum Verkauf an, und als ich ablehnte, betrachtete er mich aufmerksam von verschiedenen Seiten und sagte, ich hätte ein interessantes Gesicht, und er verspüre große Lust, ein Porträt von mir anzufertigen. Herr Aretino versicherte, in Italien und gewiss auch auf der ganzen Welt gebe es keinen Porträtmaler, der Meister Tizian gleiche, und sein Angebot sei die größte Ehre für mich, und ich könne ihm diesen Wunsch unmöglich ausschlagen. In meiner Unbedarftheit versprach ich ihm gerne, ihm Modell zu stehen, sollte er tatsächlich der Meinung sein, dass die Welt etwas verlöre, wenn er mein Äußeres nicht auf die Leinwand bannte. Darüber war der Meister so gerührt, dass er mich bat, doch noch zu bleiben und das Abendessen mit ihm einzunehmen. Er schickte seinen Schüler in die Küche zu seiner Frau und drei plärrenden Kindern. Dann führte er Herrn Aretino und mich in den prachtvoll ausgestatteten Speisesaal, wo er uns verschiedene erlesene Weine, leckere Speisen und frisches Obst anbot.

    Nachdem Herr Aretino einige Becher Wein zu sich genommen hatte, begann er zu prahlen, er sei in der Lage, mit seiner Feder jeden beliebigen Mann zu höchsten Ehren zu erheben oder in Scham und Schande zu vernichten. Er sprach von den Fürsten Italiens, als wären sie ihm wie Brüder und seinesgleichen, und erzählte von ihnen derart anstößige Geschichten, dass man meinen könnte, diesen Fürsten sei kein natürliches oder noch so unnatürliches Laster fremd. Ich musste oft lachen, obwohl mich diese unflätigen Reden andererseits sehr verstörten. Nachdem auch ich dem Wein zugesprochen hatte, fragte ich ihn, ob ihm denn nichts auf der Welt heilig sei. Da sah er mich an, als wäre ich ein vollkommener Trottel und meinte:

    »Herr Carvajal, seid Ihr wirklich so naiv, oder tut Ihr nur so? Schließlich habt Ihr doch genug von der Welt gesehen. Heutzutage, wenn man sieht, wie viel Schlechtes überall auf der Welt geschieht, kann nur ein Tor oder ein Wahnsinniger an irgendetwas glauben, und einem Menschen mit Verstand kann nichts anderes mehr heilig sein als Spott, Zweifel und Lebensgenuss. Vielleicht habe ich früher kindischerweise an Italien geglaubt, aber jetzt glaube ich nicht einmal mehr an Italien, denn der einzige rechte Italiener, der auch mein einziger Freund auf dieser Welt war, ist in meinen Armen gestorben, nachdem die verfluchten Soldaten des Kaisers ihm die Beine mit einer Arkebuse zerschossen hatten. Mit ihm fiel das schwarze Banner Italiens, und Italien starb mit ihm. Danach ist mir nun nichts mehr heilig. Jetzt schreibe ich nur noch für den, der mir am meisten zahlt, Anzügliches für den, der Anzüglichkeiten liebt, und fromme Verse für den, der glaubt, sie nützten ihm etwas. Dessen schäme ich mich nicht, denn dies ist für einen Menschen mit Verstand die einzige Möglichkeit, sich gegen die Zeit, in der er lebt, zu wappnen.«

    Ich wagte den Einwand, diese seine Lehre sei heidnischer und epikureischer Art, doch er ereiferte sich nur, trank gierig noch mehr Wein, sodass der Wein ihm am Kinn hinablief, und sagte: »Italien ist nur noch ein ausgeplünderter Leichnam. Eine Leiche kann keiner wieder lebendig machen, sondern ein Mann mit Verstand schließt sich anderen Gleichgesinnten an, um sie auf seine Weise auszuplündern. Mir ist es ja gleichgültig, ob wir des Kaisers oder des Sultans Sklaven werden, nachdem die deutschen Söldner die päpstliche Tiara in Rom als Nachtgeschirr benutzt und vollgeschissen haben. Weinglut in meinen Adern, Freude für die Augen, der Glanz von Farben und die klingende Schönheit des Wortes reichen mir für mein Leben. Wenn mein Freund Tizian ein Meister des Pinsels unter seinen Zeitgenossen ist, so schlägt, wo nötig, meine Feder tiefere und unheilbarere Wunden als selbst das schärfste Schwert.«

    Er berauschte sich an seinen Worten und begann nach Feder und Tinte zu rufen, um einen Brief an irgendeinen Herzog zu schreiben, von dem er sich schändlich behandelt fühlte, weil dieser ihm weniger Geld geschickt hatte, als er in seiner finanziellen Verlegenheit erbeten hatte. Wir hatten große Mühe, diesen ungestümen Menschen zu beruhigen. Zu diesem Zweck rief Meister Tizian zwei wunderschöne Frauen herbei, die sich unverzüglich entkleideten, um uns mit ihrer paradiesischen Nacktheit zu erfreuen. Als ich dieses Schauspiel sah, wurde mir klar, dass ich in falsche Gesellschaft geraten war, und ich wusste nicht, wohin ich blicken sollte. Doch Meister Tizian beruhigte mich und sagte, diese beiden Frauen seien nur seine Modelle, und an ihrer makellosen körperlichen Schönheit gebe es nichts, weswegen man sich zu schämen brauche.

    »Die beiden sind ehrbare Frauen«, versicherte er. »Für vier Silberlinge entkleiden sie sich, und für zehn Silberlinge lassen sie sich auch malen, und dabei zwingen sie niemanden, mit ihnen ins Bett zu steigen, was sie auch gar nicht nötig haben, denn aufgrund ihrer Schönheit verfügen sie über mehr als ausreichende Einkünfte. Man kann sie nackt als heidnische Göttinnen malen, deren Bilder die Fürsten sehr schätzen. Doch die eine der beiden habe ich auch in gebührender Verhüllung als Heilige Jungfrau Maria für ein Altarbild gemalt, damit ihre irdische Schönheit in den Gläubigen Frömmigkeit erweckt und als Zeichen himmlischer Schönheit dient. So ergötzt also Eure Augen, indem Ihr ihre Schönheit betrachtet. Sie nehmen es Euch auch nicht übel, wenn Ihr sie küssen und liebkosen wollt, so wie ich es zu tun pflegte, als ich noch in Eurem Alter war, bis mir klar wurde, dass das Malerhandwerk, wenn es auf diese Weise ausgeübt wird, meine begrenzten Körperkräfte allzu sehr aufzehrt.«

    Doch Meister Aretinos gotteslästerliche Reden und die Nacktheit der beiden schamlosen Weiber stießen mich so sehr ab, dass ich zur Gondel zurückkehrte, deren Ruderer geduldig bis zum Einbruch der Dämmerung auf mich gewartet hatte. Die zahlreichen Lampen am Bug der Gondeln und an den Toren der Paläste erhellten die Nacht, und auf allen Kanälen erklangen Lautenklänge über dem dunklen Wasser. Auf der Wasseroberfläche schwammen aufgelöste Blumenkränze, und die schwüle Nacht sowie der Weinrausch ließen mich fast vergessen, dass ich davor stand, mich auf eine weite Reise zu machen. Auch erwies sich der Gondoliere nicht als hilfreich für mich, denn er machte trotz meines Widerspruchs vor mehreren Freudenhäusern Halt mit seinem Boot und forderte mich jedes Mal auf, dort einzutreten, denn der Mensch lebe nur einmal auf dieser Welt. So hatte ich das Gefühl, der Verführer selbst ruderte mich durch die venezianische Nacht. Dadurch verlor ich meine Gemütsruhe so gründlich, dass ich, nachdem ich endlich in mein Bett gefallen, mich lange schlaflos umherwälzte, bis Antti davon wach wurde und mir riet, ich solle mir kaltes Wasser über die empfindlichsten Stellen meines Körpers gießen, so wie es auch bei ihm selbst nötig gewesen sei. Ich folgte seinem guten Rat, und so fiel ich nach diesem erlebnisreichen Tag endlich in einen tiefen Schlaf.

    Wie ich es versprochen hatte, besuchte ich zwei Tage lang Meister Tizian in seiner Werkstätte und stand ihm Modell. Er malte mühelos ein sehr schönes Porträt von mir; es zeigte mich in einem dunklen Wams, dessen Kragen und Ärmel von feinen Spitzen besetzt waren, und in der einen Hand hielt ich lässig einen venezianischen Handschuh, den ich mir soeben ausgezogen hatte. Auch malte er eine goldene Kette, die ich um den Hals trug. Ich konnte seine Schnelligkeit und Kunstfertigkeit als Maler nicht genug bewundern. Nach zwei Tagen stellte er das Bild mit der Leinwand gegen die Wand und begann von einer Bezahlung zu sprechen. Erst da begriff ich entsetzt, dass er davon ausging, ich hätte das Bild bei ihm bestellt, obwohl ich ihm aus reiner Gutmütigkeit Modell gestanden hatte, und um ihm einen Dienst zu erweisen, weil er so beredt davon gesprochen hatte, mein Antlitz sei für einen Maler so inspirierend. So ward ich durch meine Eitelkeit in eine Falle gelockt, denn als ich die Zahlung verweigerte, wurde er so unverschämt, dass ich ihm eilends eine Anzahlung von fünf Goldstücken machte und, um von ihm loszukommen, versprach, ich würde das Porträt nach meiner Rückkehr aus dem Heiligen Land auslösen. Bei dieser Ausrede war mir die Selbstliebe des Meisters von Nutzen, denn er zweifelte durchaus nicht an meinen Worten, sondern glaubte, ich würde das Bild nach seiner Fertigstellung gerne abholen und den Rest bezahlen, so überzeugt war er von seiner Kunst.

    Als Antti und ich unsere Reisepläne besprachen, beschlossen wir, das Weihnachtsfest in Bethlehem und die Auferstehung des Heilands im heiligen Jerusalem zu verbringen und somit erst im folgenden Frühling zurückzukehren, wenn die gefährliche und stürmische Jahreszeit vorüber wäre. Mein krummnasiger Freund war voll des Lobes über unseren weisen Entschluss und verleitete mich dazu, viel warme Kleidung und sonstige Dinge einzukaufen, die uns unter den Juden und Ungläubigen von Nutzen sein sollten.

    Venedig aber, diese prächtige Stadt, wo das Leben ein einziges Fest zu sein schien, trug einiges dazu bei, meine Gedanken von dem einzig Notwendigen abschweifen zu lassen, während Antti nach Kräften gegen die irdischen Verlockungen kämpfen wollte, um die Reise als keuscher und makelloser Christenmensch anzutreten.

    »Das fällt mir wahrlich nicht leicht«, gab er zu. »Bisweilen kommt mir mein ganzer elender Leib mit all seinen unzüchtigen Begierden wie der feurige Teufel selbst vor. Aber ich will wenigstens diesmal meinen Leib züchtigen, um mir zu zeigen, wer der stärkere Herr ist, dieser sterbliche Leib oder die unsterbliche Seele, die darin wohnt wie ein gefangener Bär in einem stinkenden Steinverlies. Meine Probezeit soll vom Herbst bis Weihnachten gehen und von Weihnachten bis Ostern. Wenn ich aber den ganzen Winter im Heiligen Land verbracht habe, dann dürfte ich mir so viele gute Werke erworben haben, dass eine mögliche spätere Verirrung meine gereinigte Abrechnung zwischen Gott und dem Teufel nicht mehr sehr in Unordnung bringen sollte.«

    Er sprach so, wie es ihm sein geringer Verstand eingab, und ich fand es nur recht und billig, dass er bereits in Venedig nach besten Kräften an sein geistliches Heil dachte, da er in seinem bisherigen Leben tatsächlich kaum einen Gedanken darauf verschwendet hatte. Doch will ich auch mich selbst nicht tadeln, denn nachdem ich aufgrund dieses Beschlusses meine Gemütsruhe wiedererlangt hatte, konnte ich auch wieder lächeln und lachen. Ja, mir war geradezu, als stimmte mein Herz einen fröhlichen Gesang an. Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass ich nichts brennender erwartete als den Beginn der Reise, um möglichst bald am Ufer des Heiligen Landes niederknien und seine Erde küssen zu können und um die Sündenlast meines bisherigen misslungenen Lebens von meinen Schultern abzuschütteln. Diese glückliche Erwartung hellte das Dunkel in meiner Seele auf.

    Ich wanderte also durch Venedig, als befände ich mich in einem glücklichen Traum und in einem ermattenden Fieber der Erwartung, bis mein krummnasiger Freund endlich am Abend ganz außer Atem zu uns kam und uns aufforderte, uns eilends einzuschiffen, denn das Schiffsgeleit sollte frühmorgens bei Sonnenaufgang Segel setzen. Hastig packten wir unsere Siebensachen und ließen uns noch zur selben Stunde zu dem im Hafen ankernden Schiff rudern. Zwar sah es verdächtig klein aus im Vergleich zu den großen Handelsschiffen, aber mein krummnasiger Freund versicherte, es sei nur für Pilger bestimmt und nehme sonst keinerlei Lasten auf. Dessen pockennarbiger Kapitän empfing uns auf das Höflichste in seiner Kajüte, deren Fußboden von abgenutzten orientalischen Teppichen bedeckt war. Er ließ uns achtzehn Dukaten in reinem Gold pro Person in seine offene Hand zahlen und schwor, nur durch die Fürsprache meines krummnasigen Freundes lasse er uns zu einem so unglaublich niedrigen Preis mitfahren.

    Der Proviantmeister zeigte uns unsere Schlafstellen im Lastraum des Schiffes, wo der Boden mit sauberem Stroh ausgelegt war, sowie einen Kübel mit billigem Wein, aus dem wir uns mit einer Kelle Wein schöpfen und auf Rechnung des Schiffes trinken konnten, soviel wir wollten, denn nun stehe uns ein Freudentag bevor, da gleich die Segel gesetzt werden sollten. Nur zwei matte Lichter brannten auf dem Schiff, sodass wir bei all dem Aufbruchslärm kaum eingehendere Blicke auf unsere Mitreisenden werfen konnten.

    Mein krummnasiger Freund kehrte vom Kapitän noch einmal zu uns zurück, um sich zu verabschieden. Er umarmte mich innig, vergoss heiße Tränen und wünschte uns eine segensreiche Reise. »Herr de Carvajal«, sagte er, »ich kann mir keinen glücklicheren Augenblick vorstellen, als den, da ich Euch mit heilen und gesunden Gliedern von Eurer langen Reise zurückkehren sehe. Ich werde im Frühjahr ungeduldig am Ufer warten und nach jedem Schiff Ausschau halten, um Euer frommes Antlitz wiederzusehen. Was aber die Gefahren Eurer Reise betrifft, so kann ich Euch nur noch einmal auf das Eindringlichste warnen: Lasst Euch nicht auf Gespräche mit unbekannten Männern ein, mit welch lockenden Worten sie Euch auch dazu verleiten wollen. Auf der ganzen Welt sind die Häfen voll gewissenloser Glücksritter, und das Heilige Land ist da durchaus keine Ausnahme – im Gegenteil, die Lasterhaftigkeit der Ungläubigen und die Habgier der Juden haben sich wie eine ansteckende Krankheit auf die Christen übertragen, die dort hausen. Geratet Ihr aber trotz meiner Warnung in Schwierigkeiten mit den Ungläubigen, dann sagt einfach: Bismillah irrahmân irrâhim. Dieser fromme arabische Gruß wird sie Euch gegenüber bestimmt günstig stimmen.«

    Ein weiteres Mal küsste er mich unter Tränen auf beide Wangen und kletterte dann über die morsche Reling zurück in das Boot, wobei seine Geldbörse hell aufklang. Mehr will ich von diesem herzlosen Mann nicht berichten und denke auch nicht gerne an ihn zurück. Denn als unser Schiff bei frischem Morgenwind seine vielfach geflickten Segel hisste und in allen Fugen ächzend ablegte, da stellte sich heraus, dass wir auf das Gottloseste betrogen worden waren. Die grünen Kuppeln der Kirchen Venedigs waren noch nicht außer Sicht, als ich mir diese bittere Wahrheit eingestehen musste.

    Unser kleines Schiff schaukelte heftig wie ein untergehender Sarg zwischen den großen, hintereinander segelnden Handelsschiffen und blieb immer wieder zurück, während die das Geleit schützende Kriegsgaleere uns mit mancherlei Flaggenzeichen zur Eile antrieb. Die Matrosen waren nichts als dreckiger, von Gott verlassener Abschaum, und überdies waren es Diebe, denn schon am ersten Abend merkte ich, dass ein Teil meiner Sachen verschwunden war, weil ich sie in gutem Glauben unbewacht gelassen hatte. In Gesprächen mit anderen Pilgern fand ich auch heraus, dass ich einen völlig überhöhten Preis für die Reise bezahlt hatte, eine Summe, von der unser krummnasiger Vermittler wohl mindestens die Hälfte selbst eingestrichen hatte. Es gab unter den Pilgern nämlich auch mehrere arme Sünder, denen man für nur einen Dukaten gestattet hatte, einen Deckplatz auf dem Schiff einzunehmen.

    All das betrübte mich so sehr, dass ich meinen Irrtum demütig zugab und zu Antti sagte: »Es steht wahrlich nicht gut um dieses Schiff. Es gleicht einem wurmzerfressenen Wrack, und nur ein unbegreifliches Wunder Gottes wird uns vor schlimmer Seenot retten können. Wäre es nicht besser, beizeiten ins Wasser zu springen und ans Ufer zu schwimmen?«

    Aber Antti tröstete mich und meinte: »Du bist ein seltsamer Mann, Michael, da du mir die Seetauglichkeit dieses Schiffes doch zuerst in den hellsten Farben ausgemalt hattest. Jetzt, wo sich dir die Augen geöffnet haben, fällst du in den Abgrund tiefster Verzweiflung. Man hat uns doch versichert – und ich will es gerne glauben –, dass es zu dieser Jahreszeit keine Stürme gibt, und dass wir die ganze Zeit von günstigen Winden angetrieben werden. Deshalb bin ich bereit, mir selbst am sauersten Brot demütig die Zähne auszubeißen, eingedenk des Leidens unseres Herrn Jesus Christus, so wie es auch unsere frommen Mitpilger tun. Außer dass wir für eine unbequeme Reise einen zu hohen Preis zahlen mussten, haben wir doch sonst keinen Schaden erlitten. Also singen wir dem Herrn Halleluja, denn die Reise geht vonstatten, die Segel halten, und jeden Augenblick kommen wir dem Heiligen Land ein Stück näher.«

    »Du hast recht, Antti. Warum sollte ich nicht auf den Schutz Gottes vertrauen, so wie alle diese guten Männer und Frauen hier? Schließlich haben auch der Kapitän und die Seeleute diesem morschen Gefäß ihr Leben anvertraut, und ihr Leben dürfte ihnen genauso teuer sein wie uns das unsrige.«

    Doch je länger die Reise dauerte, desto mehr Zweifel kamen mir an den guten Eigenschaften und der Frömmigkeit unserer Mitreisenden. Ich begann mich zu fragen, welche ungesühnten Sünden einen jeden von ihnen dazu gebracht haben mochten, den Pilgerstab zu ergreifen. In den ersten Tagen beteten sie zwar eifrig ihren Rosenkranz herunter und fanden sich zusammen, um unaufhörlich geistliche Lieder zu singen, aber als die Reise bereits etwas länger andauerte, kam viele ein Gähnen an, und ihre Gespräche wandten sich irdischen Dingen zu. An den Gesichtern so mancher von ihnen glaubte ich ablesen zu können, dass ich wohl unter Totschläger und Galgenvögel geraten sein musste.

    Am Bug des Schiffes lag die ganze Zeit ein Mann, der an ständigem Gliederzucken litt. Er hatte sich einen eisernen Reifen um die Hüften schmieden lassen, und seine Füße staken in schweren Ketten. Ein anderer Greis mit glühenden Augen und schmutzigem Bart wollte sich auf dem Schiff nur auf allen Vieren kriechend bewegen und schwor, er werde auf diese Weise auch im Heiligen Land die Strecke von der Küste bis nach Jerusalem bewältigen. Eines Nachts weckte er uns durch furchtbare Schreie und behauptete, er habe gesehen, wie Engel in weißen Gewändern durch die Luft geflattert kamen und sich auf den Spitzen der Masten zum Ausruhen niedergelassen hätten.

    Der pockennarbige Kapitän war allerdings kein schlechter Segler, sondern behielt stets verbissen die Verbindung zum Schiffsgeleit aufrecht, sodass wir jeden Abend, wenn die Sterne zu leuchten begannen, zu den Mastlichtern der anderen Schiffe aufholten, wenn sie ihre Segel zur Nacht einholten oder in einer Küstenbucht vor Anker gingen. Wenn wir den Anschluss zu den übrigen Schiffen verloren, ließ er uns zu den Rudern greifen, damit wir etwas für unsere Leibeskräfte täten, und einige Male wurden wir auch zu den Seeleuten auf die Ruderbänke gezwungen, um unser Schiff ein Stück voranzubringen, obwohl es unter den fast fünfzig Pilgern kaum fünfzehn gab, die ein Ruder zu halten verstanden. So viele gebrechliche Menschen, Krüppel und Kranke waren nämlich unter diesen frommen Leuten. Die Frauen konnte man sowieso nicht ans Ruder zwingen, sondern sie lebten auf dem Schiff ganz unter sich, beschäftigt mit Beten, Singen, Geschwätz und verschiedenen Handarbeiten.

    Unter ihnen gab es eine junge Frau, die vom ersten Tage an meine Neugier erregt hatte. Durch ihre Kleider und anmutige Haltung unterschied sie sich völlig von den anderen. Ihr seidener Überwurf war mit Perlen und Silberfäden verziert, und sie ermangelte nicht des Schmucks, sodass ich mich sehr wunderte, wie sie wohl unter diese ungepflegten Leute geraten war. Begleitet und behütet wurde sie von einer unglaublich dicken Dienerin. Das Erstaunlichste aber war, dass sie stets einen Gesichtsschleier trug und auch sorgfältig ihre Augen verhüllte. Erst dachte ich, sie schütze ihr Gesicht aus bloßer Eitelkeit vor den heißen Sonnenstrahlen, aber dann merkte ich, dass sie den Schleier auch abends und nach Sonnenuntergang nicht abnahm. Zwar hatte ich in Venedig oft verschleierte Frauen gesehen, aber jene verdorbenen Venezianerinnen trugen wohl nur deshalb ihren Schleier, um Neugier zu erregen und waren nur allzu bereit, ihn beiseite zu ziehen und ihr Gesicht zu enthüllen, um vorbeieilende Männer auf sich aufmerksam zu machen.

    Diese geheimnisvolle Frau hingegen verhüllte sich auf dem Schiff sofort das Gesicht, wenn sie merkte, dass sich ihr jemand näherte. Allerdings konnte man durch ihren Schleier durchaus erkennen, dass ihr Antlitz keinesfalls hässlich oder entstellt war, so wie ich zunächst vermutet hatte. Im Gegenteil, die Jugendlichkeit ihres Gesichts schien verlockend durch den Schleier hindurch, so wie die Sonne hinter einer dünnen Wolke. Deshalb konnte ich nicht begreifen, was für eine schwere Sünde sie wohl zu dieser Pilgerfahrt gedrängt hatte und sie zwang, auch ihr Gesicht zu verhüllen.

    Eines Abends, als die Sonne gerade untergegangen war, konnte ich nicht anders, als mich ihr zu nähern. Sie stand wieder einmal allein an der Reling und betrachtete das rot gefärbte Meer. Als ich kam, wandte sie rasch den Kopf ab, sodass ich nur für einen kurzen Augenblick ihre runde Wange zu sehen bekam, und zog sich auch schon den Schleier über das Gesicht. Ihre Haare aber fielen in blonden Locken unter ihrer Kopfbedeckung hervor, und als ich die Locken erblickte, wurde mir ganz schwach zumute. Ich fühlte mich so zu ihr hingezogen, wie Eisenspäne von einem Magneten angezogen werden.

    Ich blieb in gebührender Entfernung von ihr stehen und betrachtete ebenfalls das schwächer werdende Rot des Meeres, wobei ich immerzu ihre Nähe und ihren Atem spürte. Nach einer Weile drehte sie leicht den Kopf zu mir, so als erwartete sie, dass ich etwas sagen würde. Da nahm ich all meinen Mut zusammen und sprach sie mit den folgenden Worten an:

    »Wir sind Reisegefährten auf demselben Schiff, und wir haben dasselbe Ziel. Vor Gott und als Sünder, die der Vergebung bedürfen, sind wir alle gleich. Nehmt es mir deshalb nicht übel, wenn ich Euch anspreche, denn ich brauche jemanden, mit dem ich sprechen kann und der mir altersmäßig näher steht als alle diese gebrechlichen Greise.«

    Sie versetzte tadelnd: »Ihr unterbrecht mein Gebet, Herr de Carvajal.«

    Doch ließ sie den Rosenkranz aus ihren schmalen Fingern gleiten und wandte sich mir zu, bereit zum Gespräch. Ich war hocherfreut darüber, dass ihr mein Name bekannt war, denn das bewies doch, dass sie mir ein gewisses Interesse entgegenbrachte. Doch zwang ich mich zur Bescheidenheit, weil ich aufrichtig zur ihr sein wollte.

    »Nennt mich nicht so, denn ich bin durchaus nicht von Adel oder von vornehmer Herkunft, sondern in der Sprache meines Heimatlandes lautet mein Name Karvajalka, was ›Pelzfuß‹ bedeutet, und das ist auch nur der Name meiner verstorbenen Ziehmutter, den sie mir in ihrer Güte zu tragen gestattete, da ich den Namen meines Vaters überhaupt nicht kenne. Doch verachtet mich nicht für meine Aufrichtigkeit! Ist doch die grobe Pilgertracht, die ich trage, das beste Zeugnis für meine guten Absichten. Ganz arm bin ich allerdings auch nicht und habe an mehreren Universitäten studiert, sodass ich also kein ungebildeter Mann bin. Doch will ich mich meiner Verdienste nicht rühmen, und deshalb wäre es eine große Freude für mich, wenn Ihr mich bloß Pilger Michael nennen würdet.«

    »Wie Ihr wünscht«, sagte sie freundlich. »Desgleichen sollt Ihr mich nur mit meinem Namen Giulia nennen. Fragt mich nie nach meiner Familie, dem Namen meines Vaters oder auch nur nach meiner Heimat, denn solche Fragen würden nur traurige und schmerzhafte Erinnerungen in mir wecken.«

    Voller Neugier fragte ich sie sogleich: »Giulia, warum verhüllt Ihr Euer Antlitz mit einem Schleier, obwohl der Klang Eurer Stimme und Euer goldenes Haar genug über Euer Antlitz verraten? Bestimmt wollt Ihr nur uns Männer davor bewahren, seine Schönheit zu sehen, damit uns unsere schwache Natur nicht auf falsche Gedanken kommen lässt.«

    Doch als sie meine aufdringlichen Worte vernahm, seufzte sie schwer auf, so als hätte ich sie tödlich verletzt; ja, sie begann zu schluchzen und kehrte mir den Rücken zu, sodass ich erschrak und zahlreiche besorgte Bitten um Entschuldigung vorbrachte. Ich versicherte, ich würde lieber sterben, als ihr den geringsten Kummer oder Verdruss zu bereiten. Nachdem sie sich unter dem Schutz ihres Schleiers mit dem Handrücken die Tränen abgewischt hatte, wandte sie sich mir wieder zu und sagte:

    »Pilger Michael, so wie so manch anderer ein Kreuz auf seinem Rücken trägt oder sich in schwere Ketten schlagen lässt, so habe ich geschworen, keinem Fremden mein Gesicht zu enthüllen auf dieser heiligen Reise. Bittet mich deshalb nie, Euch mein Gesicht zu zeigen, denn eine solche Bitte würde den Fluch nur noch schwerer machen, den Gott seit meiner Geburt über mich verhängt hat.«

    Sie sprach diese Worte mit solchem Ernst, dass ich im Eifer meines Herzens ihre Hand ergriff und sie viele Male küsste, wobei ich hoch und heilig versprach, ich würde sie niemals mehr bedrängen, ihr heiliges Gelöbnis zu brechen. Dann fragte ich sie, ob sie in aller Ehrsamkeit bereit wäre, mit mir einen Becher süßen Malvasierwein zu trinken, von dem ich ein Fässchen mit als Proviant auf die Reise genommen hatte. Nach einigem scheuen Zögern stimmte sie schließlich zu, doch wollte sie zu unserem Schutz ihre Dienerin mitnehmen, damit es auf dem Schiff nicht zu unschönem Gerede käme. So tranken wir Wein aus meinem Silberbecher, und wenn wir uns den Becher reichten, streiften unsere Hände einander. Jede dieser Berührungen war mir wie ein Schlag, der mir durch den Leib zuckte. Sie bot mir Naschwerk an, das sie mit sich führte und das nach türkischer Art in ein Seidentuch eingewickelt war. Auch meinem Hund hätte sie gern davon abgegeben, aber der hatte sich unter Deck begeben, wo er einen nützlichen Kampf gegen die zahlreichen Ratten auf dem Schiff ausfocht und sich uns deshalb nicht zugesellen wollte. Stattdessen schloss Antti sich uns an, und ich war sehr erfreut, dass er sogleich Giulias Dienerin in ein eifriges Gespräch verwickelte.

    Dieses scharfzüngige alte Weib machte durchaus kein Geheimnis daraus, einst Giulias Amme gewesen zu sein, woraus ich schloss, dass Giulia aus nicht gerade einfachen Verhältnissen stammte. Bald unterhielten wir uns ganz ungezwungen, auch wenn wir sehr darauf bedacht waren, einander nicht über unsere Vergangenheit auszufragen, so wie auch sonst jeder Pilger auf dem Schiff es vermied, von seiner Vergangenheit zu sprechen, ausgenommen einige wenige, die jeden Morgen und jeden Abend mit lauter Stimme verkündeten, sie seien die größten Sünder auf Erden. Nachdem Giulias Amme Johanna vom Wein genossen hatte, konnte sie Antti nicht genug pikante Anekdoten von Priestern und Mönchen erzählen. Deshalb traute auch ich mich, Giulia einige von Herrn Aretinos galanten Geschichten vorzutragen, was sie mir nicht übel nahm, denn sie lachte heiter dazu und ließ im Schutz der Dunkelheit oftmals ihre warme Hand auf meinem Arm oder meinem Knie ruhen. Auf diese Weise blieben wir wach bis in die späte Nacht, während das dunkle Meer um uns wogte und am Firmament der silberne Sand der Sterne funkelte.

    Nach einem solchen Abend waren für mich alle Unannehmlichkeiten der Reise vergessen, und ich konnte an nichts anderes mehr denken als an Giulia. Vielleicht war es eine Sünde, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass Gott alle guten Absichten meines Herzens durchschaute, und dass allein schon die Reise ins Heilige Land ein Beweis für meine christliche Gesinnung war. Ich wollte Giulia auch nichts Übles, sondern meine Gedanken an sie wurden von Tag zu Tag inniger. Bald gestattete sie, dass ich neben ihr saß und ihre Hand in der meinen hielt. Sie hatte auch nichts dagegen, dass ich ihr mit meinen Fingern zärtlich über die Haare fuhr, die heller waren als die Silberfäden in ihrem Gewand, noch störte sie sich daran, dass ich, wenn das Schiff einmal stärker schaukelte, meinen Arm zur Stütze um sie schlang. Aber so sehr ich mich ihr auch näherte, sie verbarg beharrlich ihr Gesicht vor mir, sodass ihre geheimnisvolle Fremdheit sie für mich mit jedem Tag verlockender machte.

    Antti zog aus unserer Bekanntschaft ganz praktischen Nutzen, insofern, als er die Amme Johanna dazu brachte, dass sie ihm die Löcher in seinen Kleidern stopfte und sie dazu überredete, unsere Nahrungsvorräte zusammenzutun. Die wortgewaltige Alte nahm die Kochkoje im Schiff unter ihre Fittiche, kaufte Kohle vom Proviantmeister und bereitete uns das Essen, weil wir sonst durch die schlechte Schiffsverpflegung noch erkrankt wären, so wie es vielen Unglücklicheren widerfuhr. Mich aber begann Antti genau in Augenschein zu nehmen und sprach schließlich die warnenden Worte:

    »Michael, jeder von uns beiden strebt auf seine eigene Weise nach seiner Seligkeit, wobei ich nicht dazu tauge, dir meine eigene Methode als Beispiel zu empfehlen, denn ich bin ein ungebildeter Mann und dümmer als du, wie du es mich ja schon allzu oft hast wissen lassen. Aber was wissen wir eigentlich von dieser Giulia und ihrer Begleiterin? Die Amme Johanna führt Reden, die besser in den Mund einer Freudenhauswirtin passen als in den einer ehrbaren Frau, und Giulia selbst verhüllt ihr Gesicht auf so unheimliche Weise, dass sogar die Seeleute darüber beunruhigt sind. Wären die beiden mit hinreichenden Mitteln ausgestattet und bekleideten sie eine unbescholtene Stellung in der Welt, würde sie durchaus nicht mit uns mitfahren auf diesem elenden Schiff. Nimm dich also in acht, Michael, sonst kommt unter diesem blauen Schleier noch eine krumme Nase hervor!«

    Seine frechen Worte schnitten mir ins Herz. Ich wünschte, er hätte nichts von einer krummen Nase erwähnt, weil die Folgen meiner allzu großen Gutgläubigkeit in Venedig meiner Meinung nach schon vergessen und vergeben waren. Deshalb tadelte ich ihn ob seines Misstrauens und sagte, ich könne gut verstehen, dass ihm die Sprache von Freudenhauswirtinnen vertraut sei; er habe aber keine Ahnung, wie sich eine gebildete Dame von guter Erziehung ausdrückte.

    Bei der ersten Gelegenheit brachte ich jedoch die Rede auf unser Schiff und erzählte Giulia, wie wütend ich zunächst gewesen war, aber wie ich jetzt von ganzem Herzen den Betrug pries, dessen Opfer ich geworden war, weil ich auf diese Weise ihre Bekanntschaft gemacht hatte. Dann wagte ich die Frage, wie sie dazu gekommen sei, ausgerechnet mit diesem Schiff ihre Reise anzutreten. Giulia wandte ihren Kopf ab und sagte seufzend:

    »Eine schutzlose Frau ist gezwungen, mit dem Schiff zu reisen, das sie für ihr Geld mitnimmt. Die Kapitäne der großen Handelsschiffe hassen Pilger und sind höchstens bereit, Reiche und Vornehme mitzunehmen, die über hochgestellte Fürsprecher verfügen und Empfehlungen vorweisen können. Für einfache Pilger stellen die venezianischen Reeder nur solche Schiffe bereit, die sie sonst ausmustern würden und denen sie keine Handelswaren mehr anvertrauen. Auch fürchten sie, ihre Schiffe würden wegen der schweren Sündenlast der Pilger leichter untergehen. Aber wenn das wahr wäre, so wäre unser Schiff bestimmt schon im Hafen von Venedig gesunken wie ein Senkblei. Frag mich nicht weiter, Michael, warum ich mich für dieses Schiff entschieden habe, denn ich hatte einfach keine andere Wahl.«

    Ihre Erklärung konnte durchaus zutreffen, doch als sie von den Sünden sprach, die unser Schiff untergehen lassen könnten wie ein Senkblei, wurde meine Neugier nur noch größer, und ich konnte nicht umhin nachzufragen:

    »Giulia, was kann denn eine so große Sünde sein, die ein unschuldiges Mädchen wie dich zu einer so anstrengenden Pilgerfahrt zwingt?«

    Meine Frage hatte bei Giulia nur ein weiteres Seufzen zur Folge; dann begann sie herzzerreißend zu schluchzen, bis sie schließlich sagte:

    »Michael, glaub ja nicht zu sehr an meine Unschuld, sonst wirst du noch bitterlich enttäuscht. Reicht es nicht, dass ich mein Gesicht und meine Augen vor allen guten Menschen verschleiern muss? Das soll dir als Zeichen genügen. Und nun quäle mich nicht mehr!«

    Ihr Seufzen war so aufrichtig, dass nicht daran zu zweifeln war. Ich hätte alles Mögliche gegeben, wenn ich sie nur hätte trösten können. Aber wie konnte ich das, wo ich doch nicht wusste, was sie quälte und was sie vor mir hinter ihrem Schleier verbarg? Wenn sie aß und trank, sah ich ihre weichen Lippen und makellos weißen Zähne, und zumindest daran gab es nichts auszusetzen. So zog ich tröstend ihren Kopf auf meine Schulter und suchte durch den störenden Schleier hindurch ihren Mund mit dem meinem, bis ich auf ihre Lippen traf. Sie zog den Kopf nicht fort von mir, sondern nachdem sie noch einige Male aufgeschluchzt, hob sie mit ihrer Hand den Schleier an und entblößte mir ihren Mund zum Kuss. Da küsste ich sie viele Male, während mir das Herz in der Brust vor Freude schwoll. Schließlich schob sie mich von sich, verhüllte wieder ihr Antlitz und sagte traurig:

    »Ich habe falsch gehandelt dir gegenüber, Michael, weil ich dir gestattet habe, meinen Mund zu küssen. Tu so, als wäre es nicht geschehen und vergiss es.«

    Erhitzt entgegnete ich, dass ich dies nie vergessen könne, weil ihre Küsse immer noch in meinem Herzen brannten. Ich versicherte ihr in glühenden Worten, ich hätte keine Furcht vor dem, was sie unter dem Schleier verbarg, nachdem ich nun ihren Mund auf dem meinen gespürt hatte. Sie aber erschrak über meine Erregung, rückte von mir ab und wurde nur noch bekümmerter.

    »Michael«, sagte sie, »woher willst du wissen, dass du durch deine Küsse nicht einen Fluch aus meinem Munde in dich eingesogen hast?«

    Diese Worte versetzten mir einen Schrecken, denn mir fiel ein, dass sie vielleicht schuldlos an der furchtbaren Franzosenkrankheit litt und dieses unberechenbare Leiden ihr die Nase und die Augen verunstaltetet hatte, ohne die übrigen Körperteile anzugreifen, so wie es manchmal geschah, wie ich als Arzt wusste. Bald jedoch überzeugte mich mein Instinkt davon, dass sie mir in einem solchen Falle sicher nicht gestattet hätte, sie auf den Mund zu küssen. Auch glaubte ich, einen erfahrenen Mund von einem unerfahrenen unterscheiden zu können. Deshalb empfand ich ihr Verhalten als umso unbegreiflicher und sprach, ohne selber das zu glauben, was ich sagte:

    »Giulia, selbst wenn du den Tod in meinen Leib hineingeküsst haben solltest, bereue ich nicht, dich geküsst zu haben.«

    Am nächsten Tag kam die Südspitze der Halbinsel Morea in Sicht, die unter türkischer Herrschaft stand. Die unvorhersehbaren Witterungsverhältnisse und die Meeresströmungen in dieser gefährlichen Gegend zwangen das Schiffsgeleit, im Hafen der Insel Cerigo Schutz zu suchen, die von einer venezianischen Festung und ihren Türmen bewacht wurde. Wir gingen dort vor Anker, um auf günstige Winde zu warten. Sobald

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1