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Arafat-Interview auf eigene Faust
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eBook899 Seiten8 Stunden

Arafat-Interview auf eigene Faust

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Über dieses E-Book

Vom Zentralen Runden Tisch als "Schule der Demokratie" über den Fahrplan Deutsche Einheit bis zur Glanzrolle Hape Kerkelings als "Königin Beatrix" vor dem Berliner Schloss Bellevue berichtet Peter Heinze in seinem Buch "Arafat-Interview auf eigene Faust". Der langjährige ostdeutsche Journalist war Zeitzeuge vieler nationaler und internationaler Brennpunkte. Er schildert weitere Höhepunkte seiner Arbeit in der DDR-Nachrichtenagentur ADN und ab 1992 als Freier Journalist für Zeitungen in Ost und West. So aus der DDR-Wendezeit den "Sturm" auf die Stasi-Zentrale und den Machtmissbrauch führender SED-Politiker. Dann beschreibt der Autor den Aufbau Ost, die Armee der Einheit sowie Umwelt-Initiativen. Auch der Journalismus gestern und heute wird beleuchtet. Überhaupt standen die friedliche Revolution im Osten und die Wiedervereinigung im Mittelpunkt seiner Tätigkeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberVerlag Heinze
Erscheinungsdatum1. Feb. 2018
ISBN9783000601521
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    Buchvorschau

    Arafat-Interview auf eigene Faust - Peter Heinze

    PETER HEINZE

    Arafat-Interview auf eigene Faust

    Als ostdeutscher Journalist an Brennpunkten und Schauplätzen

    VERLAG HEINZE

    Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

    1. Auflage: Januar 2018

    Verlag Heinze

    Postfach 1253, 99302 Arnstadt

    Email: Verlag-Heinze@t-onlie.de

    Gestaltung: Heiko Freitag

    E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

    Fotonachweis im Anhang

    ISBN 978-3-00-057711-6

    Alle Rechte vorbehalten

    Mein besonderer Dank gilt den Berufskollegen, die dem jungen Volontär mit Gesellenbrief auf seinem Weg ins Journalistenleben mit Rat und Tat zur Seite standen.

    Ein Arafat-Interview ohne vorherige Absprache mit der Zentrale? Auf diese Initiative ihres Kairoer Korrespondenten reagierte die Nachrichtenagentur ADN in Berlin mit scharfer Kritik, weil der PLO- Führer 1971 kein Lob für die Sowjetunion im Nahost-Konflikt fand. Nur ein Beispiel aus dem Journalistenleben von Peter Heinze. Als Jahrgang 1941 hat er die DDR mit Höhen und Tiefen erlebt: Die Aktivistenbewegung nach dem Krieg, Versorgungsengpässe, die Beat-Demonstration in Leipzig, den Machtmissbrauch führender

    SED-Politiker

    , den Sturm auf die Stasi-Zentrale und den Runden Tisch als Schule der Demokratie.

    Unvergessen seine Begegnungen mit Turn-Legende Benedix, Kosmonaut Jähn, Star-Anwalt Kaul und Ministerpräsident de Maiziére, Bischof Hubers erstes Interview im Amt oder die Würdigung des deutschen Widerstands durch Frankreichs Verteidigungsminister Leotard. Ebenso der riesige A-cappella-Chor 1960 in Leipzig für den westdeutschen Bahnrad-Weltmeister Rudi Altig. An Erlebnisse in Ägypten, Zypern, Dänemark, Österreich, Schweden, Nordkorea, Vietnam, Indonesien und anderen Ländern kann er sich auch gut erinnern.

    Für den Nachrichtenredakteur bildeten die friedliche Revolution im Osten und die Wiedervereinigung Höhepunkte seiner langjährigen Tätigkeit. So der Fahrplan in die deutsche Einheit, der Aufschwung Ost, die neuen Bundeswehr-Strukturen. Der Landschaftsschutz als Lebensgrundlage, das entzauberte Vogelzug-Phänomen oder die Entwicklungshilfe haben ihn auch beschäftigt.

    Der Autor gibt Einblick in das Innenleben des ADN, einst staatliche Agentur und ab 1990 GmbH. Der Redakteur für Sport, Politik und Militär bestaunte bei den Motorrad-Six- Days 1964 in Thüringen das

    US-Team

    mit Hollywoodstar Steve McQueen, hörte die

    SED-Weisung

    : Bundesrepublik Deutschland jetzt Ausland wie Afrika! Beim Militär spürte er Moskaus Kriegsbereitschaft mit 24 Divisionen

    zu Land und in der Luft sowie vielen Nuklearraketen in der DDR, bei deren Abzug er Zeuge wurde.

    Seine Sternstunden des Humors: Hape Kerkeling als Königin Beatrix und Parteigründung auf berlinisch, der Ost-Volkssport Schlange stehen und Tassen für Linkshänder. Gelehrt hatte man ihn: Vom Ich zum Wir! Heute lautet seine Marschroute: Vom Wir zum Ich! In Wort und Bild viel Informatives, aber auch Unterhaltsames aus bewegten Zeiten.

    Inhalt

    Cover

    Titel

    Impressum

    Danksagung

    Über das Buch

    VORWORT

    1. In jungen Jahren in ARNSTADT (1941-1958)

    Lieber Trockenbrot, als nur einen Tag Krieg

    Mycel-Wurst mit Beigeschmack

    Die vom Niederrhein im Arnstädter Boxring

    Meine Jugendliebe – ein Rennrad

    Vom Leserbrief zum Stadtgespräch

    Klassenkampf auf Dächern: Aktion Ochsenkopf

    Der junge Bach in Arnstadt mit Dissonanzen

    Mon Plaisir vor zwei Besatzungsmächten gerettet

    2. Mein LEIPZIG lob´ ich mir (1959-1966)

    Opern nahe gebracht mit Wagners Schaffen

    Leipziger Messe mit goldenem Poppa-Ski

    LVZ-Chef

    : Unter uns ein Nicht-Genosse!

    Sektgläser zerschellten zur Grundsteinlegung

    Kollektivierung in Eilenburgs Dörfern

    Von wegen: „Anruf genügt, Handwerker kommt!"

    Verbesserungsvorschlag beim Arbeitseinsatz

    Messe-Rundgang mit Walter Ulbricht

    Studenten vom Spötter-Kabarett im Gefängnis

    „Haben Sie eine Beatles-Platte?"

    Drama: Gummiknüppel gegen Musik-Fans

    Sportlegende Benedix bereicherte Turnkunst

    Rudi Altig, deutsche Hymnen und Kalter Krieg

    Treffpunkt Feuerstuhl am Frohburger Dreieck

    3. Viele Jahre ein BERLINer (1964-65, 1966-2012)

    3.1. ADN

    Staatliche Nachrichtenagentur wieder GmbH

    Mein Chef aus einer deutsch-jüdischen Familie

    CIA-Spionage

    im ADN

    Karl Marx „langweilig und lebensfremd"

    Korrespondenten würdigen 750. Berlin-Jubiläum

    Eine Zeitungs-Ente als „Weltsensation"

    SED: Bundesrepublik nun Ausland wie Afrika

    Protest im Großraum gegen Honecker-Meldung

    3.1.1. Sport

    Reger Trainingsbetrieb in der DHfK

    DDR-Trainer

    als Sendboten Olympias

    Eine Olympia-Bronzemedaille, die Gold wert ist

    Kinderspartakiade mit Rekorden

    Ringarzt: Kopfschutz, aber ohne Kopfschutz

    Kein Winterschlaf bei „Simson"-Sport

    3.1.2. Politik

    Interview mit Arafat auf eigene Faust

    Schiffstaufen als Volksfeste in Alexandria

    Ein Fellachentraum wird Wirklichkeit

    Kanonenschläge als „Zeitzeichen"

    Karpfen aus dem Nasser-See

    Jähn-Interview zum Weltraumflug

    Enge Zusammenarbeit mit Zentralbild

    Aktivist Hennecke erst spät ein Held der Arbeit

    3.1.3. Militärpolitik

    Das militärische Element in der Nachrichtenagentur

    Geburtstagsfeier beim „Hubschrauberbaby"

    Bundeswehr-Manöverbeobachter bei der NVA

    Generale im Volvo, Kommandeure im Trabi

    NVA-Luftwaffe

    : Hausverbot wegen Falschmeldung

    Als „Genosse Dr." in der NVA verboten war

    Lilienthals Fluggeräte begeistern junge Flieger

    Wehrmacht aus ostdeutscher Sicht

    Zeuge beim Abzug von Nuklearraketen

    3.2. Als Sonderkorrespondent unterwegs

    Zur Fünfkampf-WM nach Schweden

    Klassen- und Waffenbrüderschaft mit UdSSR

    Riesige Waffenarsenale nach Vietnam-Krieg

    Heimstatt „Rose" für Kambodschas Waisenkinder

    Strom für die Bauern von Vientiane

    Beim Großen Führer in Nordkorea

    Beförderung in Österreich: „Herr Chefredakteur!"

    Geteilte Hauptstadt auf Zypern

    3.3. Ohne Berlinern an der Spree

    Tassen für Linkshänder

    Man sollte nicht immer Kavalier sein

    An Betriebe verkaufen wir nicht!

    3.4. „Horch & Guck" allgegenwärtig?

    Die Stasi hörte uns ab

    Mielke: Mit Hass am Feind arbeiten

    Mit Bürgerrechtlern im Nasi/Stasi-Hauptquartier

    15. Januar 1990: Sturm auf die Stasi-Zentrale

    Zuchthaus für Erfurter Karikaturist Ali

    4. Die politische WENDE (1989-1990)

    So erlebte ich den Mauerfall

    Mit dem Begrüßungsgeld in Dänemark und Schweden

    Runder Tisch eine Schule der Demokratie

    ADN bei Koalitionsverhandlungen am schnellsten

    Neu in der DDR: Freie Volkskammer-Debatten

    Vom Beamtenentwurf zum Einigungsvertrag

    Rehabilitierung der oppositionellen Harich-Gruppe

    Machtmissbrauch führender

    SED-Politiker

    Vertrauensmann wurde

    FDGB-Chef

    mit Jagdgebiet

    Letzter

    NVA-Befehl

    : Einholen der Truppenfahne

    5. DEUTSCHE EINHEIT (ab 1990)

    Neue Länder kippten

    SPD-Bundesratsmehrheit

    Ein Stimmzettel in Sachsen, drei in Berlin

    DDR-Führungsbunker

    nun ein Technisches Denkmal

    Viele Strausberger bei der Bundeswehr

    Lob für Heimatschutzbrigade Brandenburg

    Kompass der Nato signalisiert neuen Kurs

    Nato-Generalsekretär in Berlin: Historischer Besuch

    In Friedensmission mit AWACS über Europa

    Schützenpanzer vor Honecker-Hospital

    Golf-Krieg 1991 aus meiner Sicht

    Ost-Offiziere an Akademie der Bundeswehr

    Hape Kerkeling als Königin Beatrix

    Wallfahrt zur Mozart-Stadt an der Salzach

    6. Als FREIER JOURNALIST ein Allrounder (ab 1992)

    6.1. Berliner Alltag

    Bischof Hubers erstes Interview im neuen Amt

    Ehemaliger Thüringer als Professor im „Trichinentempel"

    Parteigründung auf berlinisch

    Lichtenberg nun Randbezirk Berlins (Dokumentation)

    Bürger:

    BBI-Flughafengesellschaft

    täuscht uns

    Pilzkonzept für Bahnmetropole Berlin

    Berliner Fußballer mit Roboterintelligenz

    Hunderte Düfte im Parfümtröpfchen

    6.2. Aufschwung im Osten

    Braunkohlenstaub als künftiger Energieträger?

    Rückbesinnung auf Leipziger Allerlei

    Holz für wachsenden Wirtschaftszweig

    6.3. Umwelt

    Windmüller setzen auf Großkraftanlagen

    Gestern Tagebaurestlöcher, heute Badeseen

    Succow: Landschaftsschutz als Lebensgrundlage

    Naturschutz und Jägerpassion

    Phänomen des Vogelzugs entzaubert

    Fontanes „grüne Haine des Reisens"

    6.4. Militär

    Neue Kameraden, neue Uniformen, neuer Geist

    Über Generalinnen und andere Frauen

    Größte Militärbewegung im Nachkriegs-Europa

    Französischer Minister ehrte deutschen Widerstand

    Todesstreifen verlor 1995 seinen Schrecken

    Gelungene Ost-West-Integration in der Truppe

    Vor der Einheit: Unsere Heimat ein Gefechtsfeld?

    Mit Abrüstung von Konfrontation zur Kooperation

    Letzte SA-

    6-Rakete

    in Pinnow zerstückelt

    Südafrika ohne

    A-Waffen

     - Wegweiser für Dritte Welt?

    Feldpost der Bundeswehr aus Somalia

    6.5. Land & Leute

    Deutschland auch postalisch eins

    Fundgrube für Trabi, Schwalbe & Co

    Leipzig gibt Büchern eine Zukunft

    Radsport-Museum: Täve dicht umlagert

    Von der Pressekonferenz nach Bali

    Deutschland hilft Vietnam

    Indische Bauern wollen Monsun überlisten

    Mit Mikrosatelliten gegen Heuschrecken

    7. ANHANG

    Abbildungsverzeichnis und Text zu Fotos

    Personenregister

    Autorenporträt

    VORWORT

    Nach mehr als fünfzig Jahren Tätigkeit ist wohl ein jeder Journalist geneigt, auf sein meist bewegtes Leben etwas ausführlicher zurückzublicken. Und Besinnung zu halten. Auch mir, Jahrgang 1941, geht das so. Obwohl ich doch in der kleinen DDR gelebt habe. Aber sofort fallen mir bei dieser Denkpause mehrere Brennpunkte und Schauplätze in Deutschlands Osten ein. Auch von Aufenthalten im Ausland. Lange hielt ich mich in und um Leipzig und Berlin auf. Das waren die Hauptstationen auf dieser Journalisten-Reise.

    Den eigentlichen Höhepunkt - inzwischen schon über ein Vierteljahrhundert her - bildete zweifellos die friedliche Revolution hierzulande. Während der Friedensgebete unter dem schützenden Dach der Kirchen wurde zu Ruhe, Besonnenheit und Gewaltlosigkeit aufgerufen. Da die vielen unzufriedenen und vom Sozialismus enttäuschten Bürger, die sich immer mehr mit den Bürgerbewegungen solidarisierten, friedlich und meist mit Kerzen in der Hand für Freiheit und Demokratie demonstrierten, nirgendwo Fensterscheiben zu Bruch gingen oder Läden geplündert wurden, konnte man durchaus von einer Kerzenrevolution sprechen. Ihre Losungen: Keine Gewalt und Dialog. Wann hat es das in Deutschland schon gegeben?

    Es fiel kein einziger Schuss. Weder die Nationale Volksarmee noch die Betriebskampfgruppen gaben sich dafür her, der Empörung auf der Straße und in Betrieben Einhalt zu gebieten. Oft waren es ja die eigenen Familien und Kinder, die nach den Wahlfälschungen vom Mai 1989 öffentlich gegen die

    SED-Diktatur

    protestierten. Ohne den Einsatz sowjetischer Streitkräfte unter Präsident Michail Gorbatschow musste sich auch die Staatssicherheit als Bürgerkriegsarmee zurückhalten. Festungen wie die Berliner Normannenstraße oder die Runde Ecke in Leipzig wurden von Bürgerrechtlern kampflos übernommen. Schon hier zeichnete sich ein unblutiger Systemwechsel ab.

    Ohne Übertreibung: Aus einem nationalen Konflikt hätte schnell ein internationaler entstehen können. Und für den scharfen Schuss standen auf deutschem Boden bis zu 1,5 Millionen Soldaten aus Nato und Warschauer Pakt Gewehr bei Fuß: Deutsche in Ost und West, Russen, Amerikaner, Briten, Franzosen, Belgier, Niederländer, Kanadier. Mit ihrer Bewaffnung, darunter viele Kernwaffen beiderseits der deutschen Teilungslinie, wäre in einem Krieg ganz Mitteleuropa in eine Wüste verwandelt worden. Darin sind sich heute alle Militärs einig.

    Wie andere Journalistenkollegen der DDR habe ich in all den Jahren so manche Höhen und Tiefen in der Politik miterlebt. In einem Staat, der mir von der Lehrausbildung bis zum Hochschulstudium und danach die Möglichkeit eines gesicherten Berufslebens bot. Ich bin dabei ohne Konflikt mit der Staatsmacht davon gekommen. Hatte wohl auch stets vertrauenswürdige Chefs und Kollegen auf meiner Laufbahn vom Fleischer mit Abitur im Volontariat bis zum Redakteur in der

    ADN-Zentrale

    an meiner Seite. Ich könnte hier eine ganze Reihe von Namen nennen. Gerade ihnen - und das waren viele gute Menschen - möchte ich bei dieser Bilanz ein großes Dankeschön sagen!

    Andere Mitbürger, besonders Andersdenkende, die angesichts des reformunwilligen Systems nach Alternativen in Richtung Friedenspolitik, Abrüstung und Umweltfragen suchten, Meinungsfreiheit und demokratische Mitbestimmung einforderten, hatten nicht dieses Glück. Sie haben demzufolge ganz andere Erinnerungen an diese Zeit. Wie ich heute weiß, saßen aus politischen Gründen zwischen 1945 und 1989 etwa 280 000 von ihnen in ostdeutschen Gefängnissen ein. Und noch mehr kritische Bürger, ebenfalls unzufrieden mit dem politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umfeld unter den

    SED-Betonköpfen

    , wurden verfolgt. Viele flüchteten dann in den Westen.

    Ein Journalist kann also nach all den abwechslungsreichen Jahren in der DDR und danach im wiedervereinten Deutschland bei diesem persönlichen Innehalten auch Bilanz aus seinen Erlebnissen und Erfahrungen ziehen. Dann überlegt er messerscharf, was wohl die Höhepunkte in seiner Arbeit waren, mit welchen Persönlichkeiten er zusammentraf, wohin ihn die Auslandsreisen geführt haben. Und überhaupt: Was hat er aus der Vergangenheit für die Gegenwart gelernt.

    Unvergessen bleibt mir auch die Kritik aus Berlin, weil ich 1971 als Kairoer Korrespondent auf eigene Faust ein Interview mit

    PLO-Chef

    Yassir Arafat geführt habe. Ohne vorher, wie üblich, die

    ADN-Zentrale

    zu informieren und meine Fragen bestätigen zu lassen. Das war ganz schön waghalsig. Wobei dann in Arafats Antworten die Sowjetunion und ihre Aktivitäten im Nahen Osten - und darum ging es bei der Kritik - aus ganz anderen Gründen keine Rolle gespielt haben. Unverzeihlich zu dieser Zeit in der

    DDR-Medienlandschaft

    ! Der Hintergrund: Ägyptens Kurswechsel in Richtung Westen.

    Ein anderes Beispiel: 1967 überbrachte uns ein Redaktionsleiter die Weisung aus dem

    SED-Zentralkomitee

    , die Bundesrepublik sei Ab sofort! Ausland. „Ja, wie ein Land in Afrika! Eigentlich ein Witz angesichts der millionenfachen familiären und kulturellen Bande mit dem anderen Deutschland. Aber mit den Lieblingsfeinden weit weg auf einem anderen Kontinent wäre es dem deutschen Staat der Arbeiter und Bauern offensichtlich besser gegangen: Kein West-Fernsehen! Keine Bedrohung durch die Bundeswehr! Null Pakete mit der Aufschrift „Keine Handelsware von drüben! Vielleicht dann nicht mehr die Entschlossenheit vieler Ostdeutscher, wenn nötig, im anderen Teil Deutschlands eine sichere Zukunft zu suchen.

    Begonnen hatte meine journalistische Tätigkeit mit einigen Beiträgen auf der Kreisseite der Zeitung Das Volk und für die DHf

    K-Hochschulzeitung

    Der Speer. Der Volontär der Bezirksredaktion des ADN in Leipzig traf 1961 zufällig Partei- und Staatschef Walter Ulbricht beim Messerundgang. Später erfuhr er im ersten vollgenossenschaftlichen Kreis Eilenburg Einzelheiten der Zwangskollektivierung oder wurde mit den Worten Unter uns ist ein Nicht-Genosse als Gast einer

    LVZ-Redaktionssitzung

    ausgeschlossen. Im

    ADN-Team

    Leipzig fühlte sich der Verehrer vom Rasenden Reporter Egon Erwin Kisch, seinem großen Vorbild, fast wie zu Hause. Er hat dort viel gelernt.

    Nach dem Journalistik-Studium an der Leipziger Karl-Marx-Universität begann 1966 meine Arbeit in der

    ADN-Sportredaktion

    . Darauf hatte ich mich langfristig bei der Berichterstattung über Welt-, Europa- und

    DDR-Meisterschaften

    an der Seite erfahrener Kollegen vorbereitet. Bei der WM im Fünfkampf 1967 in Jönköping (Schweden), meinem ersten Auslandseinsatz, erlebte ich noch ost- und westdeutsche Trainer und Aktive beim Erfahrungsaustausch.

    Die Arbeit in der Politik-Redaktion führte mich, wie erwähnt, von 1971 bis 1973 als Korrespondent nach Kairo. Hier befand ich mich plötzlich im Zentrum des Nahost-Konflikts mit all seinen gefährlichen Seiten. Denn das Land war im Inneren nach dem Sechstagekrieg 1967 noch immer im Kriegszustand. Ich lernte hier auch den früheren Deutschland-Korrespondenten der französischen Zeitung „Le Monde" Roland Delcour kennen. Ihn hatte ich zu Hause oft im Internationalen Frühschoppen der ARD erlebt, kannte seine Meinung mit nachvollziehbaren Aussagen über die DDR. Er hatte auch das Treffen Stoph - Brandt 1970 in Erfurt in Richtung deutsch-deutsche Gemeinsamkeiten kommentiert.

    Eine andere geteilte Hauptstadt in Europa sah ich im Mai 1987 in Nikosia auf Zypern. Der Anlass meines Aufenthalts war die Berichterstattung über eine

    DDR-Militärdelegation

    auf Einladung des Verteidigungsministers Elias Eliades mit einer Visite beim Präsidenten, Spyros Kyprianou. Ich stand auch am Niemandsland zwischen den von Griechen und überwiegend von Türken bewohnten Stadtteilen, der sogenannten Green Line, wo

    UNO-Soldaten

    Wache hielten und den Frieden sicherten. Hier verlief zwar keine Mauer wie in Berlin, aber es war auch eine hochbrisante Trennlinie - kein schöner Anblick auf dieser herrlichen Insel. In der Sperrzone seit der Teilung Zyperns 1974 sah man viele Hotel-Ruinen. Die DDR unterstützte den Kampf des zyprischen Volkes zur gerechten, friedlichen und dauerhaften Lösung des Zypern-Problems unter

    UNO-Schirmherrschaft

    .

    In der kleinen

    ADN-Militärredaktion

    erfuhr ich später, dass sich die Marschälle in Moskau die Aufsicht über ihre einstigen Zöglinge, inzwischen Generale und Oberste der NVA, nicht aus der Hand nehmen ließen. Definitiv geschah diese Kontrolle über das

    DDR-Militärwesen

    bis zu den ersten freien Volkskammer-Wahlen im März 1990. Obwohl im Verteidigungsministerium treue

    SED-Mitglieder

    dienten, konnte nun ein konservativer Abrüstungsminister bis zur deutschen Wiedervereinigung deren Unzufriedenheit mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik im Land für seine Interessen nutzen. Wie ich sah, gab es hier beim Personal nicht viele neue Gesichter.

    Mein zweites Leben, nun in der Bundesrepublik Deutschland, begann für mich nicht erst am 3. Oktober 1990, dem Tag der Deutschen Einheit, oder schon zum Mauerfall am 9. November 1989. Aber wie bei vielen anderen Bürgern fing für mich der Beitritt, jedenfalls innerlich, schon vorher an. Mit den Erlebnissen am Zentralen Runden Tisch in Berlin-Pankow und von der letzten Volkskammer, über die ich mit anderen

    ADN-Kollegen

    ausführlich berichtet habe.

    Den jahrzehntelangen Einfluss von Rundfunk und Fernsehen aus dem Westen auf einen Ostdeutschen lasse ich hier mal weg. Ebenso die Lektüre westdeutscher Autoren oder amerikanischer Prosa. Solche Bücher, heute noch in meinen Regalen, erschienen hier in Lizenz. Meist gehörten sie zur Bückware. Sie waren für mich ein Blick durch ein Fenster in die große, weite Welt. Kein Blick zurück im Zorn.

    Zur Neugier auf das Kommende trugen besonders meine Journalistengespräche mit ostdeutschen Bürgerrechtlern bei, die nicht nur an Runden Tischen mutig für das Ende der Vormundschaft einer allmächtigen Staatspartei auftraten. Dann das Zusammentreffen mit Berufskollegen von drüben bei politischen Terminen, oft mit dem Austausch persönlicher Meinungen verbunden. Später kamen Begegnungen mit Offizieren der Bundeswehr hinzu.

    Rückblickend kann ich sagen: In dieser dramatischen Zeit des Umbruchs und der Revolution habe ich mich recht wohl gefühlt. Auch weil die allgegenwärtigen politischen Kontrolleure, insbesondere in der Medienbranche, verschwunden waren. Und keiner hat sie vermisst! Schon damals wehte im ADN, dann die ADN GmbH, ein frischer Wind. Obwohl doch in unserem Großraum aus technischen Gründen die Fenster nur selten geöffnet wurden.

    Als Sonderkorrespondent habe ich zahlreiche Delegationen, auch von Militärs, ins Ausland begleitet: Nach Österreich, Zypern, Laos, Kambodscha, Vietnam, Nordkorea, in die Sowjetunion und andere sozialistische Länder. Auch nach Indonesien hat mich eine Journalistenreise geführt. Besonders gern denke ich an den Aufenthalt beim österreichischen Bundesheer zurück. Nicht nur, weil der

    ADN-Berichterstatter

    dort als Herr Chefredakteur! angesprochen wurde. Auf einem Truppenübungsplatz bei Salzburg sah ich beeindruckende Gefechtsübungen als Bestandteil der Landesverteidigung.

    Äußerst interessante Gesprächspartner in der DDR waren für mich Kosmonaut Sigmund Jähn und, Jahre zuvor, Staranwalt Professor Friedrich Karl Kaul (1906-1981). In dessen Berliner Kanzlei erhielt ich vor unseren Gesprächen, meist über sein antifaschistisches Engagement bei Prozessen in der Bundesrepublik, einen Einblick in effektive Büroarbeit: Nacheinander hat er mit Leichtigkeit zwei oder drei Sekretärinnen seine Texte diktiert. Schließlich war der Herr mit der dicken Brille, der im

    DDR-Fernsehen

    die Rechtssendung Fragen Sie Professor Kaul leitete, preisgekrönter und humorvoller Autor von Romanen, Pitavals und Hörspielen.

    Ebenso denke ich an den letzten

    DDR-Ministerpräsidenten

    zurück. Seine Erfahrungen als Anwalt und Kirchenfunktionär kamen hier dem revolutionären Prozess und danach den neuen Bundesländern zugute. Später sagte mir Lothar de Maizière (CDU), dass er mit seiner Haltung auch viel Ärger im Westen bekam. Mit seiner stellvertretenden Regierungssprecherin, Angela Merkel, heute Bundeskanzlerin, bin ich 1990 wiederholt im Alten Stadthaus nach Kabinettssitzungen zusammengetroffen, über deren Inhalt sie den

    ADN-Reporter

    informiert hat. Ihre damalige dienstliche Telefonnummer steht in einem meiner Notizbücher von einst.

    Mit all diesen Persönlichkeiten konnte sich der ostdeutsche Pressevertreter auf Augenhöhe unterhalten. Das war bei „Promis" in der DDR nur selten der Fall. Die meisten hohen

    NVA-Generale

    sahen in einem Journalisten immer einen unsicheren Kantonisten. Ein Generalleutnant der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung erteilte mir sogar Hausverbot, weil ich angeblich über eine

    NVA-Raketenbrigade

    falsch berichtet hätte. Was aber nicht stimmte. Den Text meiner Meldung hatte zuvor der Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigt.

    Alles Geschichte und Geschichten, heute nur noch Erinnerungen. Nach der Wende und zahlreichen Entlassungen in unserem Haus wurde der

    ADN-Fachredakteur

    ein Allrounder. Auch Mitglied der Bundespressekonferenz e. V. mit einem Postfach im Internationalen Pressezentrum (IPZ) in der Mohrenstraße, zu dem er vorher keinen Zutritt hatte.

    Im April 1991 sah ich, wie vor dem sowjetischen Militärhospital Beelitz ein aufmunitionierter Schützenpanzerwagen den flüchtigen Erich Honecker vor der deutschen Justiz und empörten Bürgern geschützt hat. Gefragt waren auch meine Einschätzungen des Golf-Krieges 1991 gegen den Irak. Der Zentrale Runde Tisch und die neue Volkskammer verlangten erst recht soliden Journalismus. Beim Publizistikwissenschaftler Emil Dovifat und in anderen Büchern aus dem Giftschrank der Journalistik-Fakultät hatte ich dafür Quellen studiert.

    Als Freier Journalist gehörte dann die Berichterstattung über die Herbstsynode 1993 der größten ostdeutschen Landeskirche in Berlin zu meinen ersten Terminen auf einem ganz anderen Gebiet. Hier gewährte mir der eben gewählte Bischof Dr. Wolfgang Huber zum Abschluss sein erstes Interview in diesem Amt. Und auf meinem Laptop hat er den Text autorisiert.

    Danach habe ich regelmäßig in allen neuen Bundesländern recherchiert und darüber berichtet. Zuerst für den Deutschen Zeitungsdienst/Presseplan in Bonn bis 2006, dann für Zeitungen in Brandenburg und Thüringen. In meinen Berichten und Reportagen, von west- und ostdeutschen Zeitungen abgedruckt, befasste ich mich mit Wirtschaft, Landwirtschaft, Wissenschaft, Militär, Forsten, Umwelt, Land & Leuten sowie der Hilfe für die Dritte Welt. An vielen Beispielen konnte ich den erfolgreichen Aufbau Ost als gesamtdeutsches Anliegen sichtbar machen.

    Fazit: Früher hieß es auch für Journalisten: Vom Ich zum Wir. Daraus wurde für mich unter den neuen Bedingungen als Freier Journalist: Vom Wir zum Ich. Mit allen Vor- und Nachteilen als Selbstständiger, Büroleiter, Selbstfahrer, Steuerzahler. Aber ohne Kontrolle durch selbst ernannte Besserwisser. Was für ein schönes Gefühl bei diesem Rückblick!

    1. In jungen Jahren in ARNSTADT (1941-1958)

    Lieber Trockenbrot, als nur einen Tag Krieg

    Als Jahrgang 1941 habe ich noch eine besondere Erinnerung an den 2. Weltkrieg: Meine Mutter drohte mir im Februar 1945 im Luftschutzkeller, wo ich wohl längere Zeit geheult und damit Lärm verursacht hatte, was verboten war, dass ich nun ganz allein in der großen, dunklen Hauseinfahrt des Mehrfamilienhauses an der Ecke Klausstraße/Kleine Klausgasse bleiben müsse, bis ich wieder ruhig sei. Vor diesem Alleinsein hatte ich große Angst. Da war ich plötzlich wieder ganz artig, durfte mit ihr weitere Stunden bei den anderen Familien im Keller vor den Luftangriffen ausharren.

    Noch herrschte Krieg. Immer wieder gab es Fliegeralarm. Und noch fürchteten sich alle Arnstädter vor den militärischen Angriffen auf die Stadt. Vor allem wie am 6. Februar 1945 vor den Bomben aus der Luft. Ein Haus war völlig zerstört worden.

    Dann erinnere ich mich an die Amerikaner. Sie kamen im April 1945 als Befreier vom Nationalsozialismus in meine Geburtsstadt, wurde mir später erklärt. So endete im ältesten Ort Thüringens, 704 erstmals urkundlich erwähnt, dieser Krieg. An jedem Haus musste als Zeichen der Kapitulation ein weißes Tuch an einem Fenster angebracht werden. Meist waren das Bettlaken. Wenn ich mich recht erinnere, lief ein Uniformierter durch die Straßen und hat das kontrolliert. Noch Jahre später sah man an mancher Häuserwand die allgemeines Misstrauen weckende Losung aus der

    NS-Zeit

    : „Feind hört mit!" Im Hintergrund sah man einen Schattenmann.

    Die amerikanischen Soldaten verschenkten von ihren Lastkraftwagen herab Bonbons, Schokolade und Kaugummis. Meist waren die Uniformträger Farbige. Im späteren Chema-Klubhaus in der Lindenallee hatten sie sich einquartiert. Viele Kinder kamen hierher, um etwas Essbares zu erbetteln. Ich auch, zusammen mit großen Jungs und Mädchen aus unserer Straße. Auf dem Wollmarkt sah ich, wie Besatzer auf die Holztore der dortigen Scheunen Messer warfen. Wochen später zogen die Amerikaner wieder ab.

    Im Juli rückten Sowjettruppen in Arnstadt ein, die neuen Besatzer. Wir Kinder spielten gerade auf der Straße. Plötzlich erblickten wir, aus der Nachbarstraße An der Weiße kommend, einen Pferdewagen. Auf diesem gummibereiften Panjewagen saßen Soldaten, die ein Käppi mit dem roten Stern trugen. Einer von uns rief: Die Russen kommen! Wir rannten schnell nach Hause. Sofort wurden die Haustüren wieder abgeschlossen.

    Nicht nur die Erwachsenen, auch wir Jungs und Mädels hatten panische Angst vor den Russen. Sie galten ja noch wenige Wochen zuvor in der Propaganda des Dritten Reichs als „Untermenschen". Und die nahmen angeblich auch auf Kinder keine Rücksicht. Uns taten sie in den nächsten Monaten und Jahren jedenfalls nichts. Ältere Jungs erzählten mir noch Jahrzehnte später, dass gerade bei Kindern das ganze Gegenteil der Fall gewesen sei.

    Von Übergriffen auf die Zivilbevölkerung habe ich ebenfalls nichts gehört. Ich wusste nur, dass unser Hausbesitzer, der Betreiber eines Gemischtwarenladens, über Nacht von den neuen Besatzern abgeholt wurde. Nach etwa einem Jahr kam der ehemalige

    NSDAP-Funktionär

    zurück. Er hat, auch danach, nie ein Wort über seine Inhaftierung verloren. Wahrscheinlich musste er im vormaligen Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, wo 56 000 Menschen unter dem Nazi-Terror ihr Leben verloren hatten, einsitzen. Hier sperrte der russische Geheimdienst KGB solche und andere Personen

    -insgesamt

    28 000 - in einem Speziallager ein. All das erfuhr man im Osten erst nach der Wende 1989. Vorher war dieses Thema tabu.

    Diese und ähnliche Erlebnisse habe ich vor Augen, wenn vom Ende des 2. Weltkrieges die Rede ist. Viele Erwachsene wollten damals „lieber ein Jahr mit Trockenbrot und Wasser leben, als nur einen Tag im Krieg. Das habe ich oft gehört. Und das werde ich auch nie vergessen. Natürlich hatten manche Familien ihre Väter und Söhne im Gedächtnis, von denen viele Thüringer nicht nur bei Stalingrad „Für Führer, Volk und Vaterland gefallen waren oder als vermisst galten. Zwei Söhne meiner Großmutter kamen nie wieder. Auch in unserer Straße sowie noch Jahre später in meiner Schulklasse erhielten manche Familien die schreckliche Nachricht vom Tod eines lieben Menschen. Eine ganz schlimme Zeit!

    Mein Vater war gelernter Fleischer. Beim Arbeitsdienst wurde er zum Bau der fast 25 Meter hohen Lütsche-Talsperre in der Nähe von Oberhof im Thüringer Wald als Schlosser eingesetzt. Glücklicherweise kam der

    34-Jährige

    schon bald nach Kriegsende nach Hause. In Osteuropa geriet er in russische Gefangenschaft, konnte aber fliehen. Zu Fuß und per Anhalter schlug sich der Gefreite wie andere ehemalige Wehrmachtsangehörige in die Heimat durch.

    Ich hielt mich gerade auf der Treppe des Mehrfamilienhauses auf, in dem wir in der zweiten Etage wohnten, als eine Nachbarin, die am Hauseingang stand, eines Vormittags laut schrie: „Else, Else, der Rudi ist wieder da!" Meine Mutter hatte plötzlich ihren Mann, ich meinen Vater wieder.

    Noch heute lese ich manchmal seine Feldpostbriefe „an meine innigstgeliebte Else und Kinder. Darin beklagte er sich oft über diesen „Scheißkrieg, in dem er immer wieder gute Kameraden verlor, wie er uns später erzählte, und sich eine „baldige Heimkehr zur Familie" wünschte. Auch das habe ich nie vergessen. Alle Briefe, mit Bleistift geschrieben, hat meine Mutter gesammelt und mir vererbt. Wenn man sie liest, und das habe ich oft getan, wird einem noch einmal so richtig bewusst, wie bitter ein Krieg sein kann.

    Der letzte große Krieg in Europa, also der 2. Weltkrieg, der vor mehr als 70 Jahren endete, forderte etwa 55 Millionen Menschenleben. Und jedes Opfer war mit dem Schicksal einer ganzen Familie verbunden. Was für ein Glück heute: Es gibt nun seit Jahrhunderten die erste Generation in Deutschland, die hier ohne Krieg aufgewachsen ist. Trotz Kalten Krieges, der nach dem 13. August 1961 und während der Kuba-Krise 1962 zwischen den beiden hochgerüsteten Bündnissen der Welt manchmal vor einer heißen Auseinandersetzung stand.

    Kurz nach Kriegsende eröffneten meine Eltern in der Rosenstraße ein kleines Geschäft mit einer Rossschlächterei. Dazu hatte mein Vater irgendwo einen ehemaligen Wehrmachts-Sanitätskraftwagen Marke „Opel Blitz", einen 1,

    5-Tonner

    , erworben und umgebaut. Auf beiden Seiten des LKW konnte man die großen Buchstaben lesen: „Roßschlächterei Rudi Heinze. Auch die Arnstädter Telefonnummer stand hier. Oft habe ich meinen Vater auf Fahrten durch den Landkreis begleitet, wo sich immer wieder ein Pferd - damals noch ein bezahlbarer „Traktorersatz in den Dörfern - verletzt hatte und geschlachtet werden musste.

    Etwas später übernahm unsere Familie in der Klausstraße die Gastwirtschaft „Zur Deutschen Eiche". Ihr Besitzer, schon etwas betagt, war zu seinen Kindern gezogen. Nun hatte unsere Familie zwar viele Schulden, aber meine Eltern weiter ihre Arbeit. Und wir in dieser bitteren Zeit immer etwas zu essen. Heute würde man sagen: Ein Full-Time-Job. Der war auch für die Versorgung in unserer Stadt sehr wichtig, bestätigten mir noch Jahre später Mitbewohner.

    Neben Bier, Schnaps, Likör und Brause gab es bei uns im Restaurant und im Außer-Haus-Verkauf Pferdefleisch. Auch Wurst und Buletten vom Ross. Im Winter auch Fleischbrühe. Dazu - Jahre später - dunkle Brötchen vom Bäcker. In der Zeit nach dem Krieg war das alles sehr begehrt.

    Unsere Gaststätte hatte schon früh, kurz nach der Öffnung um 8 Uhr, viele Gäste. Sie kamen aus allen Schichten der Bevölkerung. Man sah das an der Bekleidung - manche Männer in Arbeitssachen, manche Frau im Alltagskleid. Eine große Bockwurst mit viel Senf oder eine heiße Brühe mit Brötchen waren in den ersten Nachkriegsjahren für viele Menschen ein Leckerbissen. Und, noch wichtiger: Auch in einer Gaststätte bezahlbar! Sogar ohne Fleischmarken, die nach Kriegsende den Familien zugeteilt wurden.

    Das Pferdefleisch, das wir während der Öffnungszeiten an bestimmten Tagen im Nebenraum an einer Ladentheke verkauft haben, konnten sich schon viele Leute leisten. Wer sich am Stadtrand oder auf dem Dorf in seinem Stall eine Kuh oder ein Schwein hielt, bekam nach der Schlachtung für einige Zeit keine Fleischmarken. Und wer dann beim „Schwarzschlachten" erwischt wurde, musste mit harten Strafen, wie Enteignung oder Gefängnis, rechnen.

    Da kannten die Besatzer in der Arnstädter „Kommandantura" in der Rosenstraße und danach der Arbeiter-und-Bauern-Staat mit seiner neuen Polizei und neuen Justiz, die nicht immer nach den Buchstaben des Bürgerlichen Gesetzbuches gerichtet hat, kein Pardon. So schlimm stand es hier um die Versorgung mit Fleisch und Wurst. Erst 1958, fast zehn Jahre nach Gründung der DDR, wurden die Lebensmittelkarten abgeschafft.

    Meine Eltern hatten vom Morgen bis Mitternacht zu tun. Sonnabends bis 01.00 Uhr, dann war Polizeistunde. Nur montags war bei uns Ruhetag. Da hielten wir uns im Schrebergarten in der Anlage „Parkfrieden gleich neben dem Hauptfriedhof auf. An diesem Tag ging unsere Familie manchmal ins Kino. Im Filmtheater „Merkur gab es hin und wieder schöne

    DEFA-Filme

    in Schwarz-Weiß oder westdeutsche Heimat- und Musikfilme in Farbe. Über das „Wirtshaus im Spessart" mit Liselotte Pulver und die Räubergeschichten aus alter Zeit muss ich heute noch lachen. Viel gemeinsame Freizeit blieb unserer Familie sonst nicht.

    Ansonsten hatte ich als Kind zu Hause immer eine kleine Tätigkeit rund um unsere Gastwirtschaft zu erledigen. Meine Lieblingsbeschäftigung: Das Auflegen von Schallplatten auf den Plattenspieler hinter der Theke, was heute ein DJ macht, zur Unterhaltung der Gäste. Daher konnte ich viele Schlager der Plattenfirma Amiga lückenlos nachsingen.

    Auch sonst habe ich mich nützlich gemacht, meist Bier- und Brauseflaschen für den Verkauf aus dem Keller geholt. Vor allem am Samstagabend wurde jede Hand in der vollen Gaststube gebraucht. In unserem großen Saal - von der kleinen Gaststube durch eine Schiebetür getrennt - stand ein Klavier. Auf dem habe ich in jungen Jahren geübt, wenn die Gaststätte leer war.

    Ich besuchte ab 1947 die Grundschule. In unsere Klasse der Arnstädter Knabenschule gingen etwa 40 Jungs. Die Schule trug den Namen von Wilhelm Külz (1875-1948). Das war ein ehemaliger Reichsinnenminister, nach dem Krieg ein Gründer der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD), einer Blockpartei in der DDR. Unter meinen Mitschülern befanden sich mehrere Vertriebenenkinder. Zwei von ihnen, Heinrich und Leopold, die mit ihrer Mutter von Polen vertrieben worden waren, lud ich zum Essen zu uns ein.

    Im Osten hießen Vertriebene immer Umsiedler. Manche hatten auch im Winter keine Jacke an, sondern nur einen Pullover. In der großen Pause kurz vor 10 Uhr sammelte unsere Lehrerin, Maria Claren, für diese Jungs belegte Brote und anderes Essbares unter den Kindern mit Frühstückspaket ein. Die strenge Katholikin ist später in die Bundesrepublik übergesiedelt. Sie fragte stets höflich, wer von uns „eine Scheibe Brot" übrig habe. Später gab es für jedes Kind in der Schule zur

    10-Uhr

    -Pause ein dunkles Roggenbrötchen umsonst.

    Bald wurde an der Schule ein Fanfarenzug gegründet. Die Instrumente, auch die Trommeln, stammten vom Schulboden. Hier wurden ebenfalls alte Klassenbücher aufbewahrt. Die Klangkörper hatte einst eine andere Jugend genutzt. Jetzt wehte ein Wimpel der Pionierorganisation, später der Freien Deutschen Jugend, an jeder Fanfare. Ich war ein Trommler. Wir haben auf dem Schulhof geübt, sind aber nicht durch die Stadt marschiert. Solche Klänge mit möglichen Erinnerungen an die Nazi-Zeit wollte die Schulleitung der Bevölkerung nicht zumuten.

    Finanziert wurde Vieles von den Altstoffen, die wir von zu Hause oder aus der Nachbarschaft in die Schule mitgebracht hatten: Lumpen, Knochen, Eisen und Papier. Da fand schon der erste Wettbewerb zwischen den Schulklassen statt. Die Annahme erfolgte einmal in der Woche nachmittags auf dem Schulhof. Gewogen wurde auf einer alten Personenwaage. Ich gab immer ausgekochte Knochen ab und galt so als einer der aktivsten Altstoffsammler. Mit meinem Schulfreund Wolfgang aus dem Nachbarhaus rollte ich sogar eine ausgediente eiserne Transmissionswelle aus der Lederfabrik in unserer Straße auf den Schulhof, wofür wir lange Zeit als Spitzenreiter im Altstoff sammeln auf der Schulwandzeitung neben dem Sekretariat geführt wurden.

    Gleich neben der Schule besichtigten wir oft im ehemaligen Rektorat in der Kohlgasse die Gedenkstätte für Johann Sebastian Bach (1685-1750). Er hatte in Arnstadt von 1703 bis 1707 als Organist gewirkt. Dieses musikalische Amt bot ihm die Möglichkeit für eigene Kompositionen und für meisterhaftes Orgelspiel von Werken berühmter Komponisten.

    Unsere Klasse weilte oft in den Räumlichkeiten mit historischen Wort- und Bilddokumenten über sein Leben und Werk. All das besaß für mich eine besondere Bedeutung: Nicht weit von hier, am Marktplatz vor dem Rathaus, wurde ich 1942 während des Krieges in seiner ehemaligen Wirkungsstätte getauft. Seit 1935 trägt die Bachkirche seinen Namen. Sie ist heute, dank Deutscher Einheit, wieder ein Schmuckstück. Nicht nur die alljährlichen Bach-Tage im März locken Tausende Touristen und Musikliebhaber aus ganz Deutschland und vielen Ländern der Welt an. Regelmäßige Orgel- und andere Konzerte sind auch sehr beliebt.

    In meiner Freizeit, schon als Schüler, las ich gern die Tageszeitung. Diese hatten wir abonniert und in der Gaststätte ausgelegt. Ich weiß noch genau: Meine Mutter schaute immer zuerst auf der letzten Seite nach den Todesanzeigen. Mich interessierte eigentlich alles, was darin stand. Und ich schmökerte natürlich die Bände von Karl May über den Wilden Westen und den Vorderen Orient oder die nicht weniger spannenden Jerry-Cotton-Hefte, mochte auch Bildgeschichten mit Donald Duck.

    Da in unserer Nachbarschaft eines Tages eine kleine Bibliothek aufgelöst wurde, kauften die Eltern ganz preisgünstig mehrere Karl-May-Bände. Sie waren ja in der Ostzone und späteren DDR nicht verboten. Nur gedruckt wurden sie damals nicht. Offizielle Begründung: Kein Papier. Ich glaube, es ging auch um die fehlenden Lizenzen dafür. Wilder Westen haben wir Kinder oft auf der Straße gespielt. Alle Beteiligten hatten dann einen verwegenen Namen aus Karl Mays Bücherwelt.

    Die berühmten Groschenhefte mit Kriminal- und Cowboy-Geschichten aus dem Westen, gern gelesen und viel getauscht, wurden uns bei überraschenden Taschenkontrollen in der Schule weggenommen. Offizielle Bezeichnung: „Schundliteratur. Mancher Lehrer, der nicht nur seine Schuhe und Ringelsöckchen im Westberliner „HO Gesundbrunnen eingekauft hatte, wie bei uns die Herkunft aller Artikel und Bekleidungsstücke von drüben sarkastisch bezeichnet wurde, erfüllte so seine Pflicht. Ob er dann mal in die Heftchen und Bücher aus dem anderen Deutschland, die er im Sekretariat abgeben musste, reingeschaut hat?

    Jedenfalls sah man damals einem Erwachsenen und jedem Kind schon aus drei Meter Entfernung an, ob seine Bekleidung aus dem Osten - also vom volkseigenen und genossenschaftlichen Einzelhandel oder aus dem Westen stammte. Das, was von drüben kam, war meistens schick und mit angenehmen Farben. Von der Qualität ganz zu schweigen.

    Viele Ostler erhielten solche bereits getragene Bekleidung von ihrer West-Verwandtschaft. Die Pakete aus dem innerdeutschen Postverkehr mussten deshalb die Aufschrift „Keine Handelsware" tragen. Bei uns zu Hause kamen nie solche Geschenke an. Unsere wenigen Verwandten im Westen dachten sicher, die Heinze-Familie in Arnstadt besitzt eine Gaststätte mit Rossschlächterei und ein Auto. Da brauchen die nichts von uns.

    Eigentlich kein Wunder, dass hier ein solcher Bedarf für diese Bekleidung bestand. Denn die russischen Besatzer hatten nach Kriegsende in Ostdeutschland etwa 3 000 Betriebe aller Art beschlagnahmt. Die Eigentümer wurden enteignet, manche mit falschen Anschuldigungen eingesperrt. Und die Maschinen, in Holzkisten verpackt, ins Moskauer Riesenreich abtransportiert. Das war - so schätzten Ökonomen nach der Wiedervereinigung ein - eine größere industrielle Zerstörung im Osten als während des Krieges mit all seinen Schäden.

    Offiziell hieß das „Reparationen für Schäden, die Deutschland im 2. Weltkrieg in der Sowjetunion angerichtet hat". Seriöse westdeutsche Quellen, die ich nach der Deutschen Einheit einsehen konnte, sprachen von Werten in Höhe von etwa 100 Milliarden Reichsmark. Heute wären das umgerechnet etwa 400 Milliarden Euro. Unter den industriellen Strukturschäden in Ostdeutschland mit dem Niedergang der Produktionsleistungen um rund 50 % gegenüber 1936 befanden sich auch

    11

     

    800

     

    km

    Eisenbahnschienen, die hier bis März 1947 demontiert und in die Sowjetunion transportiert wurden.

    So war einer der ersten Reifen für mein Kinderrad, Marke Vorkriegsmodell, ein dicker Gartenschlauch, mindestens zwei Zoll stark, den mein Vater mit Sägespäne gefüllt und mit Draht zusammenflickt hatte. Als

    DDR-Erfindung

    galten später sogenannte Igelitschuhe und –taschen. Der weiche Kunststoff diente als Lederersatz. Bei sommerlichen Temperaturen bekam der Träger solcher Schuhe, auch mit Strümpfen, garantiert Schweißfüße. Aus jener Zeit rührt noch heute mein „Tick" für eine gute Ledertasche, die es damals nirgendwo gab.

    In der 8. Klasse bewarb ich mich um die Aufnahme in die Erweiterte Oberschule (EOS). Das wurde von der Schulleitung abgelehnt. Aus unserer Klasse schafften das nur drei Schüler. Mit einem davon traf ich mich später oft auf der gemeinsamen Bahnfahrt von Arnstadt nach Erfurt, bevor wir an unsere Studienorte weiterfuhren - er nach Dresden und ich nach Leipzig. Hier habe ich 1961 an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) in der Vorstudien-Fakultät das Abitur gemacht, danach mein Volontariat absolviert und von 1962 bis 1966 Journalistik an der Karl-Marx-Universität studiert.

    Während meiner Schulzeit konnte mir niemand aus unserer Familie sowie aus dem Bekanntenkreis in unserer Kleinstadt so recht erklären, wie man Journalist wird. Das war immer mein großer Traum. Aber mein Vater bestand darauf, dass ich - zehn Jahre nach Kriegsende - etwas „Richtiges" lerne. Ich wurde Fleischer-Lehrling. Viel lieber wäre ich Autoschlosser geworden oder hätte einen anderen technischen Beruf ergriffen. In der Arnstädter Konsum-Großfleischerei habe ich dann die üblichen Arbeiten und Handreichungen im Produktionsraum für Brüh- und Kochwurst erlernt. Mit der Zeit machte mich unser Polier Bruno zu seiner rechten Hand.

    Im Laufe der Lehrjahre bekam ich als dünnes Kerlchen Kraft und Ausdauer. Nur mit den etwas zu großen Gummistiefeln, die mir bei der Einkleidung zu Lehrbeginn am 1. September 1955 - seit diesem Tag bin ich Gewerkschaftsmitglied - übergeben worden waren, hatte ich meine Probleme. Dass wir mit nicht ganz so scharfen Messern gearbeitet haben, meist Vorkriegsmodelle, weil es auch im Büro der Fleischer-Innung keine Solinger Produkte mehr gab, musste ich ab und zu schmerzvoll feststellen.

    Der Arbeitstag begann für mich recht früh. In der Brühwurstabteilung durfte ich im zweiten Lehrjahr schon einige Maschinen allein bedienen. Beim täglichen großen Saubermachen am späten Nachmittag war ich dann einer der Letzten im Betrieb. Auch hier galt das Motto: Wer früh kommt, darf länger bleiben!

    Schon nach zweieinhalb Jahren konnte ich meine Ausbildung beenden. Ein halbes Jahr früher, als im Lehrvertrag vereinbart. Darauf bestand der Obermeister der Fleischer-Innung, Heinrich Wickler. Er erteilte uns Fachunterricht in der Allgemeinen Berufsschule. Manchmal erzählte er, was ihm im 1. Weltkrieg 1914-1918 Schlimmes widerfahren war.

    Trotzdem hatte der Obermeister das Lachen nicht verlernt. Er schickte Fleischverkäufer-Lehrlinge zu einem bekannten Fleischermeister. Gleich um die Ecke, wo die jungen Damen und Herren die „Presskopfpresse oder den „Speckhobel abholen sollten. Der Meister dort hatte schon kleine Pakete vorbereitet. Sie enthielten meist einen Ziegelstein, der dann beim Auspacken in der Berufsschule für großes Lachen sorgte.

    Nachdem mein Vater recht jung verstorben war, dachte wohl der Obermeister, dass ich bald den Meisterbrief erwerben, Gaststätte und Rossschlächterei übernehmen werde. Das wollte ich aber nicht. Ich arbeitete nun im Konsum als junger Geselle fast schon wie ein perfekter Thüringer Wurstmacher. Nur vor dem berühmten Hausschlachten bei Bekannten auf dem Land habe ich mich immer gedrückt. Da musste man als Fleischer auch trinkfest sein. War der Wirtssohn aber nicht, obwohl doch sein Elternhaus „Zur Deutschen Eiche" hieß.

    Sport hatte in unserer Familie, damals alles Nichtraucher, Tradition: Mein Vater war mit seinen mehr als zwei Zentnern Gewicht und etwa 1,85 Meter Größe ein nicht nur in unserer Stadt als Thüringen-Meister bekannter Schwergewichtsboxer. Deshalb legte sich in unserer Gaststätte niemand mit ihm an. Wenn er laut sagte: „Ruhe!", dann hielten auch die etwas angetrunkenen Gäste den Mund. Politische Gespräche, vielleicht mit

    DDR-Kritik

    , wurden ebenfalls nicht geduldet. Man wusste ja nie, wer da unter den Zuhörern im Gastraum saß.

    Daher auch meine Freude, als ich im Herbst 1958 in der Tageszeitung „Deutsches Sportecho" in einer kleinen Anzeige der Deutschen Hochschule für Körperkultur las: Junge Arbeiter mit Beruf können in Leipzig das Abitur machen, um später das Sportlehrer-Diplom zu erwerben. Ich habe mich sofort beworben. Kurze Zeit darauf wurde ich zur Aufnahmeprüfung eingeladen.

    Diese verlief gut. Sowohl die Tests mit Diktat und Aufsatz als auch die Prüfungen in der Leichtathletik, im Schwimmen und beim Turnen. Am Barren machten die Rennfahrerbeine zwar einen steifen Eindruck. Aber die anderen Anforderungen bildeten für den gut trainierten Körper keine Probleme. Unter den Mitbewerbern befanden sich namhafte Spitzenleute aus verschiedenen Sportarten, wie ich in den Gesprächen hörte.

    Mehrere Weltmeister im Kanuslalom, ein

    DDR-Jugendmeister

    im Querfeldeinfahren und der 2-m-Hochspringer mussten im 25-m-Schwimmbecken wie ich und alle Studienbewerber aus der ganzen Republik bestimmte Zeiten schaffen. Dank regelmäßigem Training auf dem Rennrad hatte ich auch beim Schwimmen genügend Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit. Als Startsprung machte ich zwar einen „Bauchklatscher". Aber danach folgten schnelle Arm- und Beinbewegungen. Die Zeit im Brustschwimmen war so gut, dass mich dafür der Dozent mit der Stoppuhr am Beckenrand gelobt hat. In unserer späteren Seminargruppe schwamm in dieser Disziplin tatsächlich nur ein Studienkollege aus Weißenfels ein klein wenig schneller, der dort als Wasserballer in der

    DDR-Oberliga

    das Tor gehütet hatte.

    Mein Studium als junger Facharbeiter an dieser Fakultät der DHfK mit der Hochschulreife als Abschluss begann im Januar 1959 und endete im Sommer 1961. In dieser Zeit habe ich regelmäßig für unsere Hochschulzeitung „Der Speer geschrieben. Das wurde nun, anstatt mit dem Rennrad in der Freizeit zu trainieren, mein Hobby. Verfasst habe ich Nachrichten, Berichte und kleine Artikel über Sport und Kultur. Darunter über die Vortragsreihe „Opern - nahe gebracht an unserer Hochschule. Ich äußerte mich sogar über eine Aufführung an den Städtischen Bühnen mit einem Werk Richard Wagners, der aus Leipzig stammte.

    Alles wurde gedruckt und, für mich noch wichtiger, von Dozenten und Studenten unserer Fakultät gelesen. Man sprach mich zu einzelnen Beiträgen sogar an, so zu meiner Vorschau auf die „Meistersinger"-Aufführung. Wenn ich das heute lese, muss ich doch staunen, was sich der junge Zeitungsschreiber damals zugetraut hat.

    Auf einer studentischen Vollversammlung sollte ich für unsere Hochschulzeitung werben. Ich sprach von „unserer Betriebszeitung". Der Verantwortliche für das Blatt nannte sich nämlich nicht Hochschulzeitungs-Redakteur, sondern Betriebszeitungs-Redakteur. Das galt im

    DDR-Journalismus

    einheitlich für alle Zeitungen dieser Art - in Betrieben, Kombinaten und Hochschulen. Viele Journalistik-Absolventen, die noch im ersten Studienjahr vom Einsatz als Auslandskorrespondent geträumt hatten, mussten oft mit einer solchen Tätigkeit vorlieb nehmen. Was aber Arbeiten an einem Ort und meist ein sorgenfreies Familienleben sicherte.

    Jedenfalls haben hier alle über meinen Versprecher, der gar keiner war, herzlich gelacht. Ich galt von nun an als Der von der Betriebszeitung. Viele Studenten bekamen nämlich aus dem ehemaligen heimatlichen Betrieb („aus Verbundenheit mit ihren Werktätigen beim Studium") die Betriebszeitung nachgeschickt. Mit diesem Titel konnte ich leben. Schließlich bewarb ich mich mit meinen Veröffentlichungen an der Fakultät für Journalistik der Karl-Marx-Universität in Leipzig. Mein heimliches Ziel: Sportjournalist. Das war die zweite Liebe in meinem Leben. Die Dritte und große Liebe ist aber seit 1970 meine Frau Regine.

    Wohl auch als Anerkennung für meine regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit delegierten mich die Studienkollegen aus dem Altbau der Hochschule in den Elferrat. Hier war ich in all den Sitzungen im Gebäude neben dem Tennisplatz als Nichtraucher und Anti-Alkoholiker eigentlich der falsche Narr. Meine Aufgabe bestand nun darin, für den berühmten DHf

    K-Fasching

    , der seit 1958 gefeiert wird, die in ganz Leipzig heiß begehrten Eintrittskarten drucken zu lassen. Also Papier beschaffen (eine große Druckerei half mir), die Gestaltung und den Druck (das war weniger kompliziert) organisieren.

    Dieses alljährliche Ereignis mit etwa eintausend Teilnehmern, alles lebenslustige und tanzfreudige Närrinnen und Narren, in den Neubauten der Sporthochschule genoss damals in der Messestadt schon den Ruf großer körperlicher Freizügigkeit. Ob Sportlerin oder Sportler, also Weiblein oder Männlein

    -jeder

    wollte hier zeigen, wie gut sie oder er durchtrainiert war und sich bewegen konnte. Ich natürlich auch. So allein beim mühevollen Aufstieg über die netzüberdachte Treppe zur Galerie oder bei der sausenden Abfahrt auf der Rutschbahn. Mit uns Studenten schwoften 1961 unter donnernden Hoch- und Faschingsrufen aus hunderten Kehlen auch jüngere Dozenten, Aktive der DHf

    K-Sportsektionen

    und manche Gäste aus Leipziger Sportgemeinschaften.

    An diesem Abend konnte man sich bei unserem Fasching mit scharfer Musik, vorwiegend aus dem Westen, allein auf der Tanzfläche in der Pausenhalle richtig austoben. Das lustige Völkchen hielt es bei dieser Attraktion des Jahres bis in die Morgenstunden aus. Oft hörte ich zum Abschied die Worte: Einfach großartig, dieser Jubel und Trubel! Noch heute treffen sich nicht nur Leipziger Sportstudenten zu diesem Ereignis. Jetzt findet das als „Event oder „tolle Party statt. Der 58. DHf

    K-Fasching

    2016 wegen der Hallenbelegung auf dem Veranstaltungsgelände der ehemaligen

    AGRA-Landwirtschaftsausstellung

    Leipzig. Und nach wie vor gilt das alte Motto: Ohne Kostüm kein Einlass!

    Danach folgte das Journalistik-Studium an der Karl-Marx-Universität. Die Studienjahre begannen in der Regel mit Ernteeinsätzen. Hier lernten sich die neuen Studenten auch persönlich kennen. Mancher Mitstreiter berichtete voller Stolz, was er für große Reportagen während des Volontariats in seiner Bezirkszeitung geschrieben hatte. Ich konnte da journalistisch nicht mithalten, weil der ADN, so meine Antwort, eben nur Nachrichten gesendet hat. Die aber dann auch manchmal in aller Welt Leser und Hörer fanden.

    Nach einem solchen Ernteeinsatz baten mich die Kommilitonen, schnell noch ein paar Zeilen für eine zentrale Zeitung zu schreiben. Unter der Überschrift: Kartoffelgeschichten, Knollenkieker, Knollenball wurde alles abgedruckt. Am Schwarzen Brett der Journalisten-Fakultät konnte man dann ein paar Tage später an diesem Zeitungsausschnitt nachlesen, was die 21 Studenten des 2. Studienjahres im Kreis Bernau 1963 doch für fleißige Erntehelfer waren.

    Das Thema meiner Diplomarbeit nach

    4-jährigem

    Studium, bei dem im 3. Studienjahr die Begabung des Studenten Heinze auf dem Gebiet der informierenden Genres mit einem Förderungsvertrag gewürdigt wurde, lautete 1966: Die Parteilichkeit in der Berichterstattung der dpa über den Wahlkampf 1965 in Westdeutschland. Hätte auch über den Hamburger Meinungsmacher heißen können: DPA formiert westdeutsche Bevölkerung. Die Agentur - mit ihrer Monopolstellung der Neutralität verpflichtet - hatte über die von Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) propagierte formierte Gesellschaft immer wieder ausführlich berichtet. Und die Gewerkschaften, insbesondere die IG Metall, angesichts der Proteste besonders gegen die Notstandsgesetze attackiert.

    Mycel-Wurst mit Beigeschmack

    Als ich zehn Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges meine Fleischer-Lehre begann, waren Fleisch und Wurst für die Bevölkerung noch Raritäten. Man konnte sie nur bei gleichzeitiger Abgabe von Fleischmarken aus der Lebensmittelkarte kaufen. Und zwar grammweise. In einem Umfang, wie vom Staat für jede einzelne Person bestimmt und zugeteilt. Mal mehr, mal weniger.

    Dieser Nachkriegszustand bei der Versorgung mit Lebensmitteln, durch Zuteilung mit

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