Egoismus besiegen: Die Geistesschulung in sieben Punkten
Von Rinpotche Gonsar
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Buchvorschau
Egoismus besiegen - Rinpotche Gonsar
Gonsar Rinpotsche
Egoismus besiegen
Aus dem Tibetischen
von Helmut Gassner
Wurzeltext der
«Mahayana-Geistesschulung
in sieben Punkten»
aus dem Tibetischen
von Gonsar Rinpotsche
Überarbeitet und herausgegeben von Schülern Gonsar Rinpotsches
Das Umschlagmotiv stellt ein Siegesbanner dar, das von tibetischen Mönchen des Klosters Ganden Schartse (Südindien) in Sand gestreut wurde.
Das Siegesbanner ist eines der acht glücksverheißenden Symbole des tibetischen Buddhismus, die acht Qualitäten des Körpers und acht des Geistes versinnbildlichen. Es symbolisiert zum einen den Rumpf des mit 112 glücksverheißenden Zeichen geschmückten Körpers eines Buddha; zum anderen die Eigenschaft des Geistes, die alle Hindernisse und jede Art von Negativität besiegt und die höchste Verwirklichung, die Quelle alles Guten, erlangt hat.
Die Technik des Streuens von Sandbildern gehört zu den traditionellen Künsten des tibetischen Buddhismus. Sie wurde von Buddha in den großen Tantras als besonders geeignet für das Herstellen von Mandalas empfohlen und ist bis heute in den großen Klöstern Tibets erhalten geblieben.
Alle Rechte vorbehalten – Printed in Switzerland
© Edition Rabten, Le Mont-Pèlerin, Schweiz
e-mail: info@editionrabten.com
www.rabten.eu/Publications_de.htm
Satz und Umschlaggestaltung: Edition Rabten
Photos: Sandbild Umschlag, Portrait Umschlagklappe:
Ruedi Hofstetter; Zeichnung auf Seite 17: Gonsar Rinpotsche
eBook Herstellung: Edition Rabten www.rabten.eu
ISBN 3-905497-34-4
eBook: ISBN 978-2-88925-074-5
eBook-Auslieferung:
HEROLD Auslieferungs Service GmbH
www.herold-va.de
Vorwort des Herausgebers
Dieses Buch ist aus der Niederschrift eines Kurses entstanden, den der Ehrwürdige Gonsar Rinpotsche im September 1992 in Tashi Rabten (Feldkirch) gegeben hat.
Gonsar Rinpotsche ist einer der herausragenden Meister in der Übertragungslinie des großen Kyabdsche Tridschang Rinpotsche, denen wir es verdanken, daß die authentischen Unterweisungen des Buddhismus im Westen vollständig erhalten sind. Wir fühlen uns daher dem traditionellen Lehrstil dieser Meister, dem auch Gonsar Rinpotsche folgt, verpflichtet und bemühen uns, so nah wie möglich am gesprochenen Original zu bleiben, damit die eindringliche Klarheit, die Rinpotsches Darlegungen so besonders machen, auch bei der Lektüre spürbar bleibt. Wiederholungen, die die Funktion haben, bestimmte Punkte fest einzuprägen, wurden deshalb nur wenig gekürzt oder bearbeitet. Für eventuelle textliche oder inhaltliche Unzulänglichkeiten zeichnet einzig der Herausgeber verantwortlich.
Wir möchten an dieser Stelle dem Ehrwürdigen Gonsar Rinpotsche für seine weise Führung und Unterstützung danken, ohne die unsere Arbeit gar nicht möglich wäre. Unser Dank gilt auch allen Dharmafreunden für ihre hilfreichen Beiträge.
Wir freuen uns, diese Unterweisungen als Buch veröffentlichen zu können und sind sicher, daß sie den Leserinnen und Lesern von persönlichem Gewinn sein werden.
Mögen die Halter dieser Unterweisungen lange leben, und mögen durch sie Mitgefühl und Weisheit in uns zunehmen.
Die Herausgeber
Le Mont-Pèlerin, im August 2001
Vorwort
Der große Bodhisattva Gesche Tschekawa war einer der hervorragendsten Meister unter den frühen Kadampa-Meistern.
Er wurde im Jahr 1102, dem Eisen-Schlangen-Jahr, in der Ortschaft Loro in der Familie eines Nyingma-Yogi geboren. Er kam mit den glückverheißenden Zeichen einer heiligen Person auf die Welt. Schon in jungen Jahren beherrschte er die religiösen Anwendungen der Tradition seines Vaters. Damit gab er sich jedoch nicht zufrieden und suchte intensiv nach einem geistigen Meister. Zuerst traf er Retschungpa, den wichtigsten Schüler von Milarepa. Von ihm erhielt er zu verschiedenen Zeiten alle Unterweisungen, die von Milarepa in Verbindung mit dem neuen Tantra-System weitergegeben worden waren. Im Alter von 21 Jahren erhielt er vom Meister Tsiworpa die Gelübde eines Mönchs und wurde Yesche Dordsche genannt. Er besuchte viele große Übersetzer und Meister seiner Zeit wie Ngok Lotsawa. Besonders war er daran interessiert, die philosophischen Systeme des Buddhismus zu erlernen. Diese studierte er sehr genau mit der Hilfe von Meistern wie Gesche Tsen und Tschayülba. Er beherrschte alle philosophischen Systeme und konnte etwa hundert große Schriften auswendig.
Aber er war dennoch unzufrieden und dachte, es müsse eine spezielle Methode geben, um zur Erleuchtung zu gelangen. Einmal erhielt er eine Unterweisung von Gesche Nyang Tschak über den Text des Meister Langrithangpa, die «Geistesschulung in acht Versen». Von Gesche Näsurpa erhielt er Unterweisungen über die «Stufen auf dem Weg zur Erleuchtung» (Lamrim), Unterweisungen über die «blaue Broschüre» und über viele weitere besondere Übertragungen der Kadam-Tradition.
Besonders fühlte er sich zur «Geistesschulung in acht Versen» hingezogen. Er machte sich auch auf, um Gesche Langrithangpa zu treffen, als er aber in Lhasa ankam, war dieser schon gestorben. Er fragte, wer in den Unterweisungen dieses Meisters die höchsten Erkenntnisse besitze, und traf dann im Alter von dreißig Jahren Meister Scharawa in der Gegend Scho. Als er dort ankam, gab Meister Scharawa Unterweisungen über den Text «Schrawaka Bhumi» von Asanga. Er hörte diesen Unterweisungen zu und fand sie recht kompliziert und vermißte einen klaren Bezug zur Geistesschulung. In der Pause zwischen den Unterweisungen, als Gesche Scharawa Umkreisungen eines Stupa machte, breitete er seinen Überhang aus und bat den Meister, kurz darauf Platz zu nehmen, er wolle ihn um einen Rat bitten. Meister Scharawa antwortete, er habe alle Ratschläge während der Unterweisungen vom Thron des Dharma aus gegeben und habe keine zusätzlichen Ratschläge zu geben. Tschekawa antwortete, daß er einen Vers gesehen habe, der laute:
Gib den Gewinn und den Sieg den anderen, und nimm für dich selbst den Verlust und die Niederlage.
Er finde diesen Vers für seinen Geist sehr wertvoll, vor allem in Situationen, in denen er keine Unterkunft finden kann oder ihn Freunde enttäuschen, und würde gerne wissen, ob es sich um ein tiefgründiges Dharma handle. Gesche Scharawa antwortete: «Oh Bruder-Mönch, abgesehen davon, ob es deinem Geist zuträglich ist oder nicht, wenn jemand nicht den Wunsch hat, die Erleuchtung zu erlangen, dann kann er diesen Vers beiseite legen. Aber wenn jemand die Erleuchtung erlangen will, wird es ohne dieses Dharma nicht möglich sein.» Darauf bat Gesche Tschekawa um die Übertragung dieses Verses. Meister Scharawa antwortete weiter: «Es gibt niemanden, der nicht Nagardschuna als vollkommenen Meister betrachtet, und Nagardschuna sagt im Text «Ratnavali»:
Mögen alle Sünden der Wesen an mir reifen, und mögen alle meine heilsamen Eigenschaften an ihnen reifen.
Das war die Übertragung. Gesche Tschekawa bat um weitere Unterweisungen über diese Zeile, und Meister Scharawa antwortete: «Oh Bruder, sei geduldig, ich werde dir diese Unterweisungen Schritt für Schritt geben.» Er erhielt diese Unterweisungen und folgte deren Anwendung unter Aufsicht von Meister Scharawa während zwölf Jahren. Es gelang ihm damit, den Geist der Erleuchtung zu erzeugen und alle Fesseln des Selbstschätzens zu durchschneiden. Gesche Tschekawa sagte:
«Durch das Erwachen von Karma aus früherer Vertrautheit und die Ursache starken Wünschens und durch das Erdulden von Leid und Kritik habe ich die Anweisungen erhalten, die es mir erlauben, das Greifen nach dem Ich zu zähmen. Nun, selbst wenn ich sterbe, empfinde ich keine Reue.»
Obwohl Meister Scharawa viele Unterweisungen der großen Texte wie z.B. der «Fünf Dharmas» von Buddha Maitreya gab, wurden die Unterweisungen zur Geistesschulung nur wenigen geeigneten Schülern wie Gesche Tschekawa im geheimen gegeben. Tschekawa sagte:
«Bis ich Meister Scharawa fand, war jedes Dharma, das ich hörte, immer etwas, das zum Gedanken führte, daß es einen anderen Weg zum Erreichen der Erleuchtung geben muß. Deshalb kam ich nie zu einem Entschluß. Nachdem ich Meister Scharawa getroffen hatte, war ich überzeugt, daß es keine bessere Methode als diese geben kann, und so fand mein Geist Ruhe. So beneide ich niemanden, und ich habe keinen Wunsch, etwas anderes zu hören.»
Indem er die Unterweisungen von Meister Scharawa intensiv befolgte, wurde er zum Meister der essentiellen Unterweisungen des großen Fahrzeugs.
Nachdem Meister Scharawa gestorben war, gab Gesche Tschekawa den Schülern über alle Aspekte des Dharma Unterweisungen. Er lebte 34 Jahre über Meister Scharawas Tod hinaus und verweilte meistens an einsamen Orten. Seine Anwendung bestand vor allem in den zwei Aspekten des Geistes der Erleuchtung. Wer immer kam, um bei ihm Dharma zu suchen, fand seine Wünsche erfüllt. Die Anweisungen zur Geistesschulung jedoch gab er nur im geheimen an Schüler, die einer intensiven Anwendung folgten.
Später jedoch, während Unterweisungen im Ort Drephu, sagte er:
«Dieses Dharma der Geistesschulung ist nicht geeignet, um öffentlich unterrichtet zu werden, es wird nur im geheimen an die Anwender gegeben. Aber es ist schwer zu wissen, wem es nützt und wem nicht, deshalb habe ich es in sieben Punkten niedergeschrieben: das vorbereitende Dharma; die Schulung in den zwei Aspekten des Bodhitschitta; wie man widrige Umstände in den Weg zur Erleuchtung umwandeln kann; eine kurzgefaßte Beschreibung der Anwendung eines Lebens; Zeichen der Schulung des Geistes; die Bindungen der Geistesschulung; und Ratschläge in bezug auf die Geistesschulung.»
Gesche Tschekawa bat seinen Betreuer, den Anlaß der Namengebung dieser Unterweisungen zu feiern, indem allen Klausnern Rohzucker und Butter als Opfergaben offeriert wurden. Damit begann die Tradition, diese «Geistesschulung in sieben Punkten» in öffentlichen Unterweisungen zu unterrichten.
Später gründete er das alte Tscheka-Kloster in Meldro und lebte dort elf Jahre. Das Kloster hatte 900 Mönche. Er sagte auch voraus, daß sein wichtigster Schüler, Tschilbupa, das neue Tscheka-Kloster gründen werde, und sagte: «Wenn Vögel älter werden, verbringen sie ihr Leben in der Ferne.» Er verbrachte das Ende seines Lebens in Thaphu in Einsamkeit und sagte:
«Indem ich den Wunsch nach Essen und Kleidung überwunden hatte, verhielt ich mich gemäß einem verwundeten Wild. Ich überwand alles Verlangen für mich selbst und folgte den Anweisungen des Meisters gemäß dem Dharma. Wenn ich jetzt sterbe, habe ich keine Reue. Unter allen Klängen der Welt sind mir die Klänge der Schulung des Geistes die liebsten.»
Und so bat er seinen jüngeren Bruder, der sein Betreuer war, ihm die Worte der Schulung des Geistes vorzusprechen. Bald sagte er:
«Bringe Buddha Opfergaben dar, denn es scheint, daß mein innigster Wunsch nicht in Erfüllung geht. Ich habe mich immer danach gesehnt, in den Bereichen der Hölle Geburt zu nehmen, um den Wesen dort von Nutzen zu sein, aber alles, was ich jetzt sehe, sind Visionen des reinen Landes Sukhavati.»
In dieser Weise starb er im Alter von 75 Jahren, während er einige Worte der Geistesschulung sprach. Es war im Holz-Schaf-Jahr 1176.
Für den Nutzen zukünftiger Generationen verfaßte er auch viele Kommentare zu den Unterweisungen der Meister Atischa und Drom, die den Ursprung der Kadam-Tradition darstellen. Darunter sind die Unterweisungen der «Geistesschulung in sieben Punkten» die essentiellen Ratschläge, denen ein wahrer Anwender von Dharma folgen wird.
Ein großer Teil der Zuhörer von Dharma-Unterweisungen hat nur ein oberflächliches Interesse, was leicht dazu führen kann, daß das Dharma entsprechend oberflächlich benützt wird und damit der Geist gegen die eigentliche Wirkung des Dharma resistent wird, ähnlich wie wir bei unsachgemäßer Einnahme von Antibiotika gegen die Wirkung des Medikaments resistent werden. Aus diesem Grund waren die großen Kadampa-Meister so zurückhaltend, die Unterweisungen der Schulung des Geistes öffentlich zu unterrichten. Sie wollten damit verhindern, daß Schüler gegen diese allerwirksamsten Unterweisungen resistent werden.
Wenn diese Unterweisungen auf den eigenen Geist bezogen werden, sind sie äußerst wirkungsvoll. Wir alle erfahren ständig Schwierigkeiten, an deren Wurzel unser Selbstschätzen steht. Diese Unterweisungen sind wie die wirkungsvollste Medizin, um diese Wurzel unserer Probleme zu überwinden. Zu diesem Zweck werden solche Unterweisungen gegeben. So hoffe ich, daß es uns gelingen wird, damit den Egoismus zu besiegen!
Gonsar Tulku
Le Mont-Pèlerin, am 26.August 2001
Gesche Tschekawa