Erniedrigung - Erhöhung - Auferstehung Jesu Christi: Theologie im Zeitalter des Schweines. Zu Nietzsche und Heidegger
Von Kurt Anglet
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Über dieses E-Book
So beschließt Friedrich Nietzsche den Abschnitt "Vom höheren Menschen" im "Zarathustra". Allerdings ohne zu ahnen, dass Hildegard von Bingen in ihrem "Buch vom Wirken Gottes" in dessen fünfter Vision die Antwort gegeben hat. Dort spricht sie vom "Abfall des Glaubens im Zeitalter des Schweines", dem letzten der Zeitalter.
Den Weg dieses Abfalls im Denken Nietzsches und Heideggers - unter Berücksichtigung des jüngst veröffentlichten Briefwechsels Heideggers mit seinem Bruder Fritz - stellt Kurt Anglet eindringlich dar, sowohl im Hinblick auf unser Zeitalter als auch im Licht des Christusgeschehens: der Erniedrigung - Erhöhung - Auferstehung Jesu Christi.
Kurt Anglet
Kurt Anglet, Dr. theol. habil., geboren 1951; Priesterweihe 2002, Professor am Berliner Seminar Redemptoris Mater, einer Affiliation der röm. Gregoriana. Seniorforscher der "Group2012", eines internationalen Netzwerkes von Germanisten zur Erforschung der literarischen Moderne.
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Buchvorschau
Erniedrigung - Erhöhung - Auferstehung Jesu Christi - Kurt Anglet
I. Das Zeitalter des Schweines
Die Direktion auf das Kreuz Christi hin ist nicht allein für den weiteren Lebensweg eines Charles de Foucauld bestimmend geblieben; nicht weniger für den Weitblick des Kardinals Newman, der buchstäblich Maß nahm: Das Kreuz Christi, das Maß der Welt – so schließt eine Sammlung von Predigten, die in der Übersetzung Theodor Haeckers unter dem Titel Das Mysterium der Dreieinigkeit und der Menschwerdung Gottes im Jahre 1940 bei Hegner in Leipzig erschienen. Demnach gibt eine Antwort auf die Frage (ebd. 172): »was ist der wirkliche Schlüssel, was ist die christliche Interpretation dieser Welt? Was ist uns durch Offenbarung gegeben, wonach wir diese Welt einzuschätzen und zu messen haben? Das Ereignis dieser Kirchenzeit: die Kreuzigung des Sohnes Gottes.« Nach der Maßgabe seines Kreuzes deutet Newman alle menschlichen Regungen und Leistungen, Prüfungen, Versuchungen und Leiden; und führt aus (ebd. 172 f.): »Es hat uns gelehrt, wie man leben und diese Welt gebrauchen soll, was zu erwarten ist, was zu wünschen, was zu hoffen. Es ist der Klang, in welchem alle Töne der Musik dieser Welt schließlich sich auflösen sollen.« Doch zuvor bestimmt es das Maß auch im profanen Bereich (ebd. 173):
Gehet in die politische Welt: sehet die aufeinander eifersüchtigen Nationen, den konkurrierenden Handel, die Armeen und Flotten, die gegeneinander ausgespielt werden. Überblicket die verschiedenen Rangstufen in der Gemeinschaft, ihre Parteien und Kämpfe, das Ringen der Ehrgeizigen, die Ränke der Schlauen. Was ist das Ende des ganzen Tumults? Das Grab. Was ist das Maß? Das Kreuz.
Das Ganze wirkt weit mehr als eine Bestandsaufnahme des 19. Jahrhunderts, klingt nahezu aktuell; erst recht freilich aus der Perspektive des Übersetzers um 1940. Theodor Haecker war es auch, der Newmans Schrift Der Antichrist. Nach der Lehre der Väter (München 1951) übersetzte; es handelt sich um vier Adventspredigten des Jahres 1835, die Newman 1838 im Rahmen der Tracts for the Times veröffentlichte. Bedenkt man, dass sie zur Blütezeit des Fortschrittsglaubens und des Historismus, nur wenige Jahre nach Hegels Tod (1831) entstanden sind, so mutet geradezu rührend Newmans Versuch einer historischen Verifizierung der eschatologischen Texte alttestamentlicher Prophetie und des Neuen Testaments auf der Grundlage patristischer Auslegungen an. Und nachdenklich stimmt es noch heute, wenn Werner Becker, der Herausgeber des Buches, gegen Ende seines Nachworts schildert, wie einige Vertreter gewissermaßen der »übernächsten Generation« zusammensitzen: »Wer Newmans hier erstmals in deutscher Übersetzung vorliegende Schrift über ›die patristische Ansicht vom Antichrist‹ liest, hat die Aufgabe der Übersetzung in seine eigene Wirklichkeit noch selber zu leisten. Sie muß für sich sprechen, und sie hat es getan, als Theodor Haecker sie uns im Jahre 1943 trotz des ihm auferlegten Redeverbotes in kleinem Kreis vorlas. Wer sich um die Verwirklichung christlichen Daseins mitten in der Zeit bemüht, kann heute nicht weniger als damals von dem apokalyptischen Ernst der Zeit überzeugt sein.« Wohl gemerkt: »mitten in der Zeit«! Denn angesichts der Trümmerlandschaften und der sich türmenden Leichenberge im Jahre 1943 war die apokalyptische Dimension der Geschichte greifbarer als um 1835 herum. Und doch schien sie fern, wenn man sieht, wie Newman in seiner Auslegung der Kirchenväter einen Bogen vom ersten zum zweiten Kommen Christi hin zu schlagen versucht, als stünden wir noch »mitten in der Zeit«, während doch der Hebräerbrief mit den Worten einsetzt (Hebr 1,1–2):
Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit [wörtlich: am Ende (Eschaton) dieser Tage] aber hat Er zu uns gesprochen durch den Sohn, den Er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den Er auch die Welt erschaffen hat.«
Es besteht also zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Christi kein grundlegender Gegensatz; auch nicht im Sinne von Erik Petersons Unterscheidung von Eschaton und Ewigkeit in seinem letzten Werk Frühkirche, Judentum und Gnosis (1959), die ihren Ursprung habe in der »eigentümlichen Dialektik der christlichen Eschatologie, wonach das messianische Reich zwar schon gekommen ist, aber doch erst in der zweiten Ankunft Christi seine Vollendung erfahren wird« (vgl. ebd. 59). Denn obgleich mit dem ersten Kommen Christi die Zeit erfüllt (vgl. Gal 4,4; Mk 1,15), aber noch nicht vollendet ist, nimmt die Vollendung der Zeit vom Kreuz Christi aus ihren Lauf. Sein Kreuz bildet gleichsam das Bindeglied zwischen messianischer und eschatologischer Zeit, theologisch gesprochen: zwischen Christologie und Eschatologie, zwischen seinem ersten und seinem zweiten Kommen. Markiert es aus menschlicher Sicht den Tiefpunkt seiner Erniedrigung, so vollendet sich im Kreuz seine messianische Sendung, wie Jesus in seiner letzten öffentlichen Rede durchblicken lässt (Joh 12,27–28):
Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche Deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen.
Jetzt – das ist der Wendepunkt in der Geschichte, und zwar nicht nur im Sinne einer neuen Zeitmessung; diese erfolgt von Christi Geburt, also von der Menschwerdung des Logos an. Jetzt vielmehr im Zeichen seiner Erhöhung, wie Christus auch nach dem Vernehmen der Himmelsstimme fortfährt (Joh 12,31–33):
Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden. Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde.
Nicht durch meine Worte und Wunder werde ich alle zu mir ziehen, sagt Jesus. Zwar bekennt Petrus nach der eucharistischen Rede, die zur Spaltung unter den Jüngern führte: »Herr, zu wem wollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens« (Joh 6,68). Doch zumal der Evangelist Johannes zeugt davon, dass nahezu sämtliche Reden und Wunder Jesu auf Widerspruch stoßen. Erst von seinem Kreuz aus zeichnet sich nicht etwa eine bloße Zeitenwende ab, sondern eine Wende der Äonen: »wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden.« Da durch seinen Tod am Kreuz der Tod besiegt ist, zeichnet sich sein zweites Kommen vom äußersten Tiefpunkt seiner Erniedrigung, von seiner Erhöhung am Kreuz ab. Deshalb seine erste öffentliche messianische Selbstbekundung vor dem Hohen Rat auf die drängende Frage des Hohenpriesters hin (Mt 26,63 f.; par. Mk 14,61 f.):
Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, sag uns: Bist du der Messias, der Sohn Gottes? Jesus antwortete: Du hast es gesagt. Doch ich erkläre euch: Von jetzt an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen.
Die Bekundung der messianischen Herrschaft Jesu und sein eschatologisches Kommen gehören zusammen, da auch sein zweites Kommen in Herrlichkeit nichts anderes als den Triumphzug des Kreuzes bedeutet. Und zwar nicht im Sinne einer Fortsetzung des Weges nach Jerusalem, der zum Kreuz hinführte, sondern im Sinne des esse venturus [… ist im Begriff zu kommen] des Te Deum als Weg der Vollendung der Zeiten. Diesen Weg tritt Christus jedoch nicht erst bei seiner Wiederkunft, gleichsam am Vorabend des Jüngsten Tages, an. Vielmehr hat er schon von seiner Auferstehung an den Weg der Vollendung eingeschlagen, wie der Apostel Paulus nach Apg 13,32 f. das Heute des Psalmverses 2,7 (»Mein Sohn bist du, heute habe Ich dich gezeugt«) nicht auf die ewige Zeugung des Sohnes aus dem Vater vor aller Zeit, auch nicht auf die Zeugung des messianischen Kindes in der Zeit, sondern auf die Auferstehung Jesu bezieht, von der aus die »Offenbarung Jesu Christi« (vgl. Offb 1,1)