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Sommer war es
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Sommer war es
eBook142 Seiten2 Stunden

Sommer war es

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Über dieses E-Book

Der Roman spielt im Dänemark der sechziger Jahre. Der Sommer aus der glücklichen Kindheit wird wehmutig neu erlebt und in Erinnerung gebracht. Die fünfjährige Zwetsche wird den Sommer am Hof der Großeltern verbringen. Ein Ort voller Sicherheit und Wärme, aber auch ein Ort voller Abenteuer und Tiere. Doch eine Frage bleibt für das fünfjährige Kind, werden die Eltern wieder kommen um es abzuholen?-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum5. Juli 2021
ISBN9788726921892
Sommer war es

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    Buchvorschau

    Sommer war es - Iselin C. Hermann

    Iselin C. Hermann

    Sommer war es

    Übersezt von Regine Elsässer

    Saga

    Sommer war es

    Übersezt von Regine Elsässer

    Titel der Originalausgabe: Træer sår sig selv

    Originalsprache: dem Dänischen

    Coverbild/Illustration: Shutterstock

    Copyright © 2004, 2021 Iselin C. Hermann und SAGA Egmont

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN: 9788726921892

    1. E-Book-Ausgabe

    Format: EPUB 3.0

    Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

    www.sagaegmont.com

    Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

    »Mein Gott, was ist das nur für ein Hof?«

    Die Frage muß immer gestellt werden, wenn wir in die Allee einbiegen, und immer im gleichen fragenden Tonfall, als ob wir nicht ganz genau wüßten, was das für Gebäude sind, die vor unseren Augen erscheinen. Wir müssen beide so tun, als ob wir noch nie im Leben den Gutshof gesehen hätten, der einem Gesicht ähnelt. Ich habe Großmutter noch nie gesagt, daß ich finde, daß das Haupthaus einem Gesicht ähnelt, denn ich weiß, sie würde mich fragen, warum, und dann müßte ich zugeben, daß ich nicht wisse warum, es sei einfach so, bei den meisten Häusern sei das so. Ein ganz kleines Haus mit zwei Fenstern und einer Tür, wenn es das in der Wirklichkeit überhaupt gibt und nicht nur von den langweiligsten Kindern im Kindergarten gemalt wird: Fenster, Tür, Fenster, Schornstein mit Rauch, so ein blödes Haus ähnelt einem Hundekopf. Warum der Hof mich an ein Gesicht erinnert, ist schwer zu sagen, denn er hat zu viele Augen und nur einen Mund. Eins, zwei, drei, vier Fenster auf der einen Seite der Eingangstür und vier auf der anderen Seite, im ersten Stock sind drei Fenster, der Rest ist schwarzes Ziegeldach. Auf der einen Seite des Haupthauses ist die Scheune, auf der anderen der Kuhstall, davor auf dem Hofplatz ist ein rundes Rasenstück mit einer Hecke drum herum. Die Nebengebäude und der Hofplatz gehören zum Körper. Vielleicht finde ich, daß das Haupthaus einem Gesicht ähnelt, weil ich es so gut kenne wie mich selbst. Ich weiß, wie ich aussehe, wenn ich die Haare gewaschen bekommen habe und in ein Handtuch gewickelt auf einem Schemel stehe. Um mich zu sehen, wische ich den Dampf vom Spiegel, obwohl ich das nicht darf, weil es Streifen gibt, und ich muß mich auch nicht im Spiegel anschauen, um zu wissen, wie mein Kopf aussieht. Es ist einfach lustig, wenn Großmutter mit Erstaunen in der Stimme fragt: »Mein Gott, was ist das nur für ein Hof?«, sobald wir in die Allee einbiegen und dem Hof in die Augen schauen.

    Dieses Spiel gehört nur uns beiden, Großmutter und mir. Sie spielt es nicht mit den anderen Enkelkindern und auch nicht mit meinem kleinen Bruder. Wenn jemand von den anderen mit im Auto sitzt, dann sagt sie es nur zu mir. Die anderen können es hören, aber sie verstehen es nicht so, wie ich es verstehe. Auch weil ich die Älteste bin und den Hof am längsten kenne. Wie ich auch diejenige bin, die ihr Spiegelbild am längsten kennt.

    »Nicht Kopf ... es heißt Gesicht!«

    Das geht nie daneben, ich werde jedesmal korrigiert, wenn ich »Kopf« anstelle von »Gesicht« sage, aber nur Erwachsene und Häuser haben Gesichter, Kinder haben Köpfe. Das Gesicht ist die Vorderseite, mit dem tut man so, als ob. Ich habe ein weißes Gesicht, immer, wie der Hof. Wir haben beide dunkle Haare, aber weiter läßt sich nicht beschreiben, wie ein Gesicht aussieht, denn diejenigen, die man gern hat, kann man nicht beschreiben, und die beiden Gesichter, die ich am allerliebsten mag, sind in einem Nebel verschwunden.

    »Mein Gott, was ist das nur für ein Hof?«

    Es darf nur einmal gesagt werden, wenn wir in die Allee einbiegen. Es ist jedesmal lustig, nur gestern nicht.

    Ich saß schräg hinter Großmutter, da, wo ich immer sitze, hinter Großvater, wenn er mitfährt, und sagte kein Wort. Ich mag alles an dem Auto: den Geruch, besonders den Geruch, das Geräusch, den Namen, das Radio, die Farbe. Nur gestern nicht. Die ganze Fahrt war ein einziger langer Versuch, mich zu erinnern, wie sie aussehen, aber es war nicht möglich, den Dampf vom Spiegel zu wischen und Mama zu sehen, wie sie hinter mir steht, wenn ich gebadet habe. Und Papas Gesicht bekomme ich auch nicht hin. Ich kann es nicht. Und dann passierte es wieder, ganz tief im Bauch drehte es sich, wie ein fest ausgewrungener Waschlappen, der Hals schnürte sich um einen sauren Geschmack zusammen, und was aus dem Mund kam, nennt man Weinen. Irgendwie muß es schließlich heißen! Aber es ist viel mehr als Weinen, auch wenn Tränen aus den Augen kommen. Es ist Trauer, Verzweiflung, Unglück und etwas, wofür es in keiner Sprache Wörter gibt.

    »Aber meine liebe ...«, und dann sagt sie den Namen, den nur Großmutter benützt und der ganz anders ist als der, mit dem Großvater mich nennt. Und Papa! Und dann ertrinke ich in Tränen und Rotz.

    »Aber mein Liebes!«

    Sie versucht, erwachsen zu klingen und mit mir zu sprechen, als sei ich es auch. Aber ich bin ja nichts. Nur die, die allein zurückgelassen wurde. Weinen, Trauer, Verzweiflung, Unglück und das, wofür es keine Wörter gibt, kann man nicht mit Wörtern wegwischen. Der Rotz schmeckt süß. Tränen sind salzig, und wenn man nicht mehr weinen kann, bekommt man Schluckauf.

    Der Kies knirscht unter den Reifen, einen Moment lang tröstet mich das Geräusch, denn das, was man gut kennt, ist wie eine kühle Hand auf einer fieberheißen Stirn. Der Kies knirscht anders unter den breiten Reifen von Großmutters Auto als unter denen von unserem Volkswagen, damals, als alles noch wie früher war. Mein kleiner Bruder und ich lagen immer hinten in der Gepäckablage, wenn wir kein Gepäck dabeihatten. Die Gepäckablage hatte einen schwarz-weißkarierten Bezug, die Erwachsenen unterhielten sich, Papa fuhr, und Mama redete, wenn sie nicht ihm zuhörte. Das Geräusch unter den Reifen von Großmutters Auto ist ganz anders breit, wir nennen das Auto nicht ohne Grund »den Breiten«. In Wirklichkeit ist es ein Rover, aber von denen gibt es ja viele. Es gibt nur ein Auto auf der Welt, das der Breite heißt, und das ist dieses. Und nur eines, das den Kies so knirschen lassen kann.

    Auf dem Hof heißt eigentlich nichts so, wie es in Wirklichkeit heißt. Nur Großvater. Er kann nicht anders heißen. Irgendwie bin ich ein bißchen stolz auf all die Namen, ich weiß nicht, warum. Es ist fast so, als ob der Ort, der Mensch, das Ding, das mehrere Namen hat, dadurch größer, geräumiger, reicher wird. Heimlicher. Den Namen, den Großmutter für mich hat, kennen nur wir beide. Und auch den von Papa! Jetzt hatte ich doch aufgehört zu weinen, wegen des guten Geräuschs unter den Reifen, aber das Weinen pumpte durch den Hals und aus dem Mund, so daß mir der Kopf weh tat.

    Die Jungen standen auf der Treppe, wie meistens, wenn sie alle drei zu Hause sind. Hoftölpel, der Jüngste, steht fast immer auf der Treppe, und wenn er mal von zu Hause wegzieht, bekommt der Hof einen anderen Gesichtsausdruck. Die anderen beiden wohnen schon lange nicht mehr zu Hause, schon seit ich auf der Welt bin.

    Sie werden alle nicht bei ihren richtigen Namen genannt, und von allen dreien wird nur als von »den Jungen« gesprochen, was sie auch nicht sind, sie sind nämlich erwachsen. Fast. Nicht ganz so erwachsen wie andere in ihrem Alter, denn sie sind nicht ernst, und sie sind noch nicht verheiratet. Das heißt, der mittlere, Østen, heiratete, als er noch sehr jung war, und darüber waren die Großeltern sehr traurig. Dann wurde er geschieden, darüber waren sie sehr froh.

    »Sie waren viel zu jung«, sagt Nea und schüttelt den Kopf, während sie meiner Cousine die Windeln wechselt.

    Die Jungen haben noch keine Arbeit, sie studieren alle drei Jura, damit sie einmal Arbeit bekommen. Puer, der älteste, studiert schon, solange ich lebe, glaube ich, und noch etwas länger. Hoftölpel hat gerade angefangen.

    Wenn die Jungen nicht zu Hause sind und Nea gut gelaunt ist, kommt sie zur Begrüßung auf die Treppe. Wenn die Jungen nicht zu Hause sind und Nea nicht herauskommt, ist das ein schlechtes Zeichen, denn dann ist dicke Luft oder Rauch in der Küche. So nennt Großmutter es und bekommt müde Augen. Aber das stimmt gar nicht, ich bin ganz oft selbst dort gewesen und habe nachgeschaut. Es qualmt nicht und riecht auch nicht; keine Spur von Rauch oder dicker Luft.

    Bevor man die Küche betritt, muß man seinen Namen sagen. Wenn man nur so hineinstürmt, packt Lille einen an den Kniekehlen.

    Eigentlich heißt er Kuan Jiin, und er ist der dünnere der beiden Pekinesen. Nanki ist der dickere und gutmütigere Hund und heißt eigentlich Nanki Puh. Beide sind ein Geschenk von irgendeinem Gesandten aus dem Land, wo man solche Hunde hat, wo die Menschen den Hunden ähneln und wo man sie auch ißt. Lille und Nanki halten sich meistens in der Küche bei Nea auf, obwohl meine Großeltern sie geschenkt bekommen haben, aber pfui Teufel, Hunde zu essen. Und Pferde. Und Räucherhering.

    Lille hat einen Schaden. Daran sind die Jungen schuld, damals war Lille wirklich noch klein, und die Jungen waren noch Jungen. Sie lagen hinter der Tür auf der Lauer und schrien »Buh!«, als Lille kam, und davon hat er einen Schaden. Deswegen muß man immer seinen Namen sagen, wenn man die Küchentür aufmacht. Der Griff ist sehr hoch, die Tür hängt und gibt das schleifende Geräusch von sich, das einfach zur Küchentür dazugehört. Aber hier gibt es keinen Rauch und auch keine dicke Luft, da kann Großmutter sagen, was sie will! Nea steht mit dem Rücken zur Tür und richtet etwas, und obwohl ich laut gesagt habe, daß ich es bin, dreht sie sich nicht um.

    »Guten Tag«, sagt sie im gleichen Tonfall, wie wenn der Herr oder die Herrin in die Küche kommen. So nennt sie Großvater und Großmutter, und in der Reihenfolge. Immer zuerst der Herr.

    Aber wenn Nea auf der Treppe steht und uns empfängt, dann umarmt sie mich, und das duftet nach Vanille, und das wissen der Herr und die Herrin nicht, denn sie sind noch nie von ihr umarmt worden.

    Nea duftet süß nach Vanille und Butterschmalz, alles an ihr ist weich: Ihre Hände, wenn sie mir die Wange streichelt, die Haut auf ihren Armen, wenn sie im Topf rührt, ihre Brüste, die unter der Schürze und unter dem Kittel wogen, wenn sie richtig feste rührt, damit die Soße nicht gerinnt.

    Der Herr und die Herrin nennen Nea Signe. Ganz richtig und von Geburt an hieß sie sehr merkwürdig und mann-frau-artig, nämlich Hans Signe, aber das konnte Puer nicht sagen, als er noch klein war, deshalb nennen die Kinder, und alle die einmal Kinder waren, sie Nea. Manchmal, wenn Østen sie necken will, nennt er sie Hans.

    Großmutter hatte gerade gesagt: »Aber mein Liebes ...«, und das ganze Unglück, das in mir war, konnte nicht heraus, obwohl ich weinte. Die Tränen und die Geräusche, die aus meinem Mund kamen, nahmen nur ein bißchen Druck weg.

    Sie haben nicht mal auf Wiedersehen gesagt!

    Vor langer Zeit fuhren wir mit der Straßenbahn zu den anderen Großeltern, Oma und Opa, meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich.

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