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Der Zef'ihl, der vom Himmel fiel
Der Zef'ihl, der vom Himmel fiel
Der Zef'ihl, der vom Himmel fiel
eBook497 Seiten6 Stunden

Der Zef'ihl, der vom Himmel fiel

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Über dieses E-Book

Adriaan Deneersen gelingt die Flucht und er strandet auf einer Welt, die von einer mittelalterlichen Kultur bewohnt wird.
Nach seiner Landung wird er beinahe von einem bäuerlichen Mob gelyncht und gerät in die Hände des Regenten von Kofane, der in ihm das Potenzial erkennt, das Land gegen das heranrückende Reitervolk der Masuti zu verteidigen.
Wenn Adriaan überleben will, muss er als Zef'ihl, als Hofmagier von Kofane sein Wissen in militärisch nutzbare Dinge umsetzen. Und er muss sich der Frage stellen: Wie viel weiß man überhaupt noch von dem, was man einmal gelernt hat – ohne es irgendwo nachschlagen zu können?
Und selbst wenn er den Krieg überleben sollte: Seine Häscher geben nicht auf.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum17. Juni 2021
ISBN9783957658500
Der Zef'ihl, der vom Himmel fiel

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    Buchvorschau

    Der Zef'ihl, der vom Himmel fiel - Dieter Bohn

    Der Zef’ihl, der vom Himmel fiel

    AndroSF 124

    Dieter Bohn

    DER ZEF’IHL, DER VOM HIMMEL FIEL

    AndroSF 124

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © dieser Ausgabe: Juni 2021

    p.machinery Michael Haitel

    Titelbild: Andreas Schwietzke

    Karten: Dieter Bohn

    Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

    Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

    Herstellung: global:epropaganda

    Verlag: p.machinery Michael Haitel

    Norderweg 31, 25887 Winnert

    www.pmachinery.de

    für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

    ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 246 1

    ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 850 0

    Teil 1

    1

    Dies war seine Stadt! Wamuan, die Hauptstadt seines Reiches! Die Heimat seiner Untertanen, seiner Kinder!

    Manchmal drückte die Last der Verantwortung schwer auf seine Schultern. So schwer, dass er sie körperlich spüren konnte. So wie jetzt. Ermattet stützte sich der K’atok auf der steinernen Brüstung des Turmes ab.

    Er war gerne hier oben. Immer, wenn ihn die Kraft verließ oder ihn die Probleme zu erdrücken schienen, kam er hier herauf. Dann wusste er wieder, wofür er dies alles tat. Dort unten, das waren seine Leute. Einfache, schlichte Menschen. Bauern, Handwerker, Soldaten, Pa’atni – Männer, Frauen, Kinder. Sie alle brauchten die Führung eines Vaters, der schützend die Hand über sie hielt.

    Sie lebten gut in seiner Stadt. Es war keine Stadt der pompösen Bauten, der kunstvollen Gärten, der prächtigen Skulpturen oder der wohligen Gerüche. Wamuan lebte. Sie war laut, quirlig und stank zum Himmel. Sie brauchte einen Lenker, der sie an den Zügeln nahm und verhinderte, dass die Siitas mit ihr durchgingen.

    Der Blick des K’atoks wanderte die belebte Hauptstraße entlang, vom Platz vor seinem Palast, durch das Bollwerk des Haupttores hindurch, bis sie, sich durch die Hügel des Umlandes windend, in der Ferne verschwand. Dort hinten, bis zum Horizont und noch viel weiter, das war sein Land, Kofane. Es war ein gutes Land. Ein Land, in dem eine fleißige Frau oder ein fleißiger Mann es zu etwas bringen konnte. Er würde Kofane keiner noch so großen Streitmacht der Masuti preisgeben. Er würde seine Heimat mit allen Mitteln verteidigen. Aber er bezweifelte, dass seine Mittel dazu ausreichten.

    »Herr! Seht!«

    Der K’atok drehte sich zu einem der allgegenwärtigen Leibwächter um, der aufgeregt nach Süden zeigte. Ein feuriger Strich teilte langsam den Himmel. Dort, wo das »Messer« über den Himmel wanderte, brannten die Ränder und hinterließen eine weiße Narbe. Immer wieder verschwand der Schnitt hinter bauschigen Wolken. Der K’atok beschattete seine Augen, während er den Schnitt auf seinem Weg zum Horizont verfolgte. Vereinzelt klangen aufgeregte Rufe und Geschrei aus der Stadt um ihn herum auf.

    Er drehte sich zu einem der Diener um.

    »Los! Hol mir den Zetul. Sofort!«

    Selbst, wenn bis jetzt noch keine Macht der Welt die Horden der Masuti aufgehalten hatte, es gab Mächte und Mittel, die nicht von dieser Welt waren.

    2

    Das Erste, was Adriaan Deneersen wahrnahm, war seine Nase. Er lag auf dem Bauch und seine Nase drückte sich schmerzhaft an die Innenseite des Schutzhelms. Eine kleine Lache aus Blut schwappte in der Rundung des Helms. Rote Luftblasen zerplatzten, als er durch die Nase ausatmete. Der Geschmack im Mund ließ ihn vermuten, dass sie es war, die geblutet hatte.

    Kann man in seinem eigenen Blut ertrinken?

    Die Gedanken kamen träge, krochen wie Schnecken an die Oberfläche seines Bewusstseins.

    Stöhnend drehte er seinen Kopf auf die Seite, um die Nase zu entlasten. Sofort meldeten sich neue Schmerzen aus anderen Gegenden seines Körpers. Einen Augenblick lang dachte er mit Schrecken daran, ob er vielleicht innere Blutungen hatte und langsam vor sich hin starb. Aber dann beruhigte er sich damit, dass es ihm in diesem Fall wesentlich schlechter gehen müsste.

    Durch den dünnen Blutfilm auf der Scheibe erkannte er Grashalme. Sie hatten eine merkwürdig lang gestreckte Pagodenform, aber es waren unverkennbar Grashalme. Er lag in einem dichten Meer aus Gras. Am oberen Rand seines Gesichtsfeldes lugten vereinzelte blaue Flächen des Himmels zwischen den Halmen hervor.

    Stöhnend zog er seinen linken Arm unter seinem Körper hervor, brachte beide Ellenbogen auf Brusthöhe und versuchte sich aufzustützen. Eine Welle des Schmerzes durchraste ihn. Keuchend wälzte er sich über die linke Seite auf den Rücken. Dabei lief ihm die Blutpfütze im Helm in sein Ohr. Angewidert verzog er das Gesicht. Jeder Atemzug schmerzte. Eine Weile blieb er so liegen und starrte in den blauen Himmel. Einzelne Schäfchenwolken, schwach rosa getönt von einer rotstichigen Sonne, trieben behäbig durch sein Gesichtsfeld.

    Die Nässe im linken Ohr störte ihn jetzt mehr, als die verebbenden Schmerzen in seinem Körper. Auf einmal schien der Wind zu drehen und blies einen schwarzen Rauchfaden über ihn. Sein Blick verfolgte die Schwaden zu ihrem Ausgangspunkt. Dort, in etwa zwanzig Meter Entfernung, lag die Rettungskapsel zwischen verkohlten Büschen. Deneersen konnte nicht erkennen, ob es die Kapsel war, die qualmte, oder das verbrannte Gestrüpp, das noch vor sich hin glomm. Zwei Meter von ihm entfernt hatte sich das abgesprengte Schott schräg in das Grasmeer gebohrt.

    Eine Welle der Erleichterung ließ ihn die Augen schließen.

    Sein Plan, seine Flucht war geglückt!

    An das Aufsetzen hatte er keine Erinnerung. Auch nicht daran, dass er die Kapsel nach der Landung verlassen hatte. Aber irgendwie musste er ja hier hingekommen sein.

    Deneersen biss die Zähne zusammen und zog seinen rechten Arm so weit zu sich heran, dass er das Multifunktionsdisplay am Unterarm ablesen konnte. Ein Riss verlief quer über das Glas. Einzelne Anzeigeelemente links und rechts des Risses waren ausgefallen, aber das Display schien immer noch zu funktionieren. Es sagte ihm auch, dass er einen ganzen Tag bewusstlos, hilflos im Gras gelegen hatte. Keuchend hob er den anderen Arm ebenfalls an und tippte mit den unförmigen Fingern des klobigen Handschuhs auf die übergroßen Tasten der Bedienelemente. Er las eine Temperatur von 28 Grad Celsius ab. Kein Wunder, dass er schwitzte.

    Die Schwerkraft lag etwas höher als Erdnorm. Auch der Sauerstoffgehalt war erhöht, aber noch nicht so hoch, dass er zu Euphoriezuständen führen würde. Die übrigen Analysewerte zeigten, dass er die Luft würde atmen können. Und früher oder später musste er sie atmen, denn der Sauerstoffvorrat seines Anzuges ging langsam, aber sicher zur Neige.

    Mit unbeholfenen Bewegungen der unhandlichen Handschuhe ließ er die Routinen anlaufen, mit der die Atmosphäre auf die wichtigsten Krankheitserreger untersucht wurde. Dies würde einige Zeit dauern.

    Adriaan machte sich keine Illusionen. Falls die Luft verseucht war, dann war er so oder so tot, denn der Luftvorrat war bereits bedenklich geschrumpft.

    Mühsam und mit Schmerzen in allen Gliedern wälzte er sich zurück auf den Bauch. Eins nach dem anderen zog er die Knie an und rappelte sich umständlich auf. Sein Kopf dröhnte und der schwere Rückentornister zog ihn zusätzlich nach unten. Schließlich stand er aufrecht auf seinen wackeligen Beinen. Langsam drehte er sich um die eigene Achse.

    Die Kapsel war rund einen halben Kilometer von einem dichten Wald entfernt niedergegangen, der sich bis zum Horizont über eine sanft geschwungene Hügellandschaft zog. Die andere Hälfte des Panoramas wurde von einem schier endlosen Grasmeer beherrscht. Vereinzelt ragten hier und dort kugelförmige Büsche oder einsame Bäume aus der Oberfläche heraus. Das Gras reichte ihm bis zu den Knien. Erst jetzt fiel Adriaan der leichte türkisfarbene Stich der Halme auf. Auch die Bäume und die Büsche ließen keinen Zweifel aufkommen, dass er sich auf einem fremden Planeten mit einer exotischen Umwelt befand.

    Vertreter der Fauna waren nicht zu sehen. Aber da einige der Bäume, die aus der Grasebene wuchsen, etwas trugen, das wie Blüten aussah, sollte es auch etwas geben, was der Funktion von Bienen entsprach.

    Deneersen wandte sich in Richtung der Rettungskapsel. Mühsam setzte er einen Fuß vor den anderen, und als er endlich den verbrannten Kreis um das eiförmige Gefährt erreichte, musste er sich an der Kapsel abstützen und verschnaufen. Die schwarzen Hitzeschutzkacheln im unteren Drittel strahlten immer noch Wärme ab.

    Als er halbwegs wieder zu Kräften gekommen war, warf er einen ungeduldigen Blick auf das Display. Fünf Minuten musste er noch auf das Ergebnis der Analyse warten.

    In der Kapsel gab es einiges, das er für das Überleben auf diesem Planeten würde gebrauchen können. Aber so geschwächt, wie er war, konnte er in seinem unförmigen Anzug mit den klobigen Handschuhen nicht wieder in die Kapsel klettern und diese Dinge bergen.

    Am wichtigsten erschien ihm im Moment die Projektilpistole aus der Notfallausrüstung. Damit würde er sich sicherer fühlen, falls ihm ein größerer Vertreter der hiesigen Tierwelt über den Weg laufen sollte.

    Eine Tonfolge erklang und die Anzeige an seinem Handgelenk signalisierte mit einem grünen Farbumschlag die Unbedenklichkeit der Luft. Er löste die Arretierung und riss sich den Helm vom Kopf. Dann nahm er einen tiefen Atemzug.

    Als er nach dem Hustenanfall wieder zu Atem kam, zwang er sich dazu, langsam und flach zu atmen.

    Der hohe Sauerstoffanteil, dachte er. Es dauerte eine Weile, bis die roten Flecken vor seinen Augen verschwanden.

    Die Luft roch … unbeschreiblich. Da war vor allem Moos mit einem schwachen Hauch Zimt. Und natürlich der metallische Geruch der Kapsel. Der süßliche Gestank der Hitzeschutzkacheln. Und der Mief nach Angst und Schweiß, der aus der Halskrause seines Anzugs stieg.

    Für Feinwerkerarbeiten sind diese Dinger nicht gemacht, dachte er, als er unbeholfen den Bajonettverschluss des linken Handschuhs löste. Achtlos ließ er ihn ins Gras fallen. Mit der nun freien Hand ging es einfacher. Auch der andere Handschuh landete zwischen den Halmen.

    Dann entkoppelte er die verschiedenen Anschlüsse, die seinen Anzug mit den Gerätschaften auf seinem Rücken verbanden. Unter Ächzen und Stöhnen entledigte er sich des Rückentornisters.

    Adriaan stemmte die Hände in seine Seiten und drückte den Rücken durch.

    Nun endlich konnte er in das Fahrzeug zurückklettern, das ihm das Leben gerettet hatte. Die Enge im Inneren brachte die Erinnerungen zurück.

    Beißender Geruch nach Ozon. Das Schütteln der Kapsel, das seine Zähne schmerzhaft aufeinander schlagen lässt. Die Bänder der Sicherheitsgurte, die ihm kaum Luft zum Atmen lassen. Und der Lärm, der ihn fast betäubt.

    Er erinnerte sich an Leuchtanzeigen, die vor seinen Augen hin und her sprangen und verwaschene Farbstreifen bildeten. Die meisten hatten ein grünes Licht gezeigt, und die roten Tupfer zwischendrin hatte er bei dem Rütteln nicht zuordnen können. Irgendwie hatte er es noch geschafft, seinen Raumhelm zu schließen, bevor er bewusstlos geworden war.

    Er schüttelte den Kopf, um diese Erinnerungen zu vertreiben, aber das brachte ihm erneut Kopfschmerzen ein.

    Der Sender!, schoss es ihm durch den Kopf. Ich muss den Notsender ausschalten!

    Hastig schaute er sich in der Kapsel um. Farbige Anzeigen signalisierten den Status der Systeme. Leuchtmarkierungen machten auf verschiedene Stauräume aufmerksam. Kleine Schilder an Schubfächern wiesen auf den dahinterliegenden Inhalt hin. An der Decke über dem Sitz fand er das Gesuchte. Anscheinend war die Funkbake in der Spitze des Eintrittskörpers untergebracht.

    Er löste die Schnellverschlüsse, riss die Klappe auf. Ein unüberschaubarer Kabeldschungel verband die Steckmodule. Kurzerhand griff er hinein und riss einzelne Kabel heraus. Beim dritten Versuch sprang die Anzeige für den Notsender auf Rot.

    Nun begann er, systematisch die markierten Stauräume zu durchsuchen.

    Er fand Päckchen mit dehydrierten Nahrungsmitteln und einen Notvorrat an Wasser. Er nahm einen großen Schluck. Den Notfallkoffer fand er im Fach unter dem Sitz. Als Adriaan ihn endlich aus der Kapsel gewuchtet hatte, musste er sich ins Gras setzen und erneut verschnaufen. Wenigstens ließen die Schmerzen langsam nach.

    Der Koffer war bis zum Rand mit eingeschweißten Überlebensutensilien dicht gepackt.

    Zuoberst lag eine klobige Leuchtpistole mit drei, an den Griff geklebten Patronen.

    Er legte sie neben sich in das Gras. Dann griff er sich das nächste Päckchen, das dem Aufdruck nach medizinisches Erste-Hilfe-Material enthielt. Darunter kam die kleine, kurzläufige Projektilpistole zum Vorschein. Zwei lose Magazine lagen daneben. Adriaan besaß keine Erfahrung mit solchen Waffen. Darum nahm er die Pistole vorsichtig mit den Fingerspitzen aus dem Koffer. Sie war schwerer als gedacht. Er wandte sich suchend um, wie jemand, der bei etwas Illegalem ertappt worden war. Alles, was er über Waffen wusste, hatte er in Filmen gesehen. Aber er würde nicht umhin kommen, sich mit dieser Materie zu beschäftigen. Bestimmt gab es Raubtiere auf diesem Planeten, vielleicht sogar in dem Wäldchen dort drüben. Er drehte die Pistole zur Seite und sah, dass der Sicherungshebel auf »S« stand. Dann zog er den Schlitten nach hinten und schaute in die Kammer, so wie er es aus den Filmen kannte. Durch den leeren Magazinschacht hindurch sah er die klobigen Schuhe des Anzugs, aber eine Patrone schien nicht im Lauf zu sein.

    Mit gehörigem Respekt schob er das Magazin in den Schacht und legte die Waffe neben der Leuchtpistole ab. Den restlichen Inhalt des Koffers durchwühlte er nur noch oberflächlich. Da waren Kompass, Leuchtfarbe, Taschenlampe, Schreibutensilien, Antibiotika.

    Schweiß lief ihm über seine Stirn in die Augen. Ohne die isolierende Wirkung des geschlossenen Schutzanzuges machte sich langsam die Wärme der Luft bemerkbar. Er wischte ihn mit dem Ärmel ab. Als er das verschmierte Rot auf dem Weiß des Anzugs sah, wurde er wieder daran erinnert, dass seine Nase geblutet hatte. Jeder Knochen und Muskel protestierte zwar noch, aber ansonsten schien er keine Verletzungen davongetragen zu haben.

    Er wollte gerade die Verschlüsse an seiner Hüfte lösen, die Ober- und Unterteil zusammenhielten, da forderte eine Bewegung am Horizont des Grasmeeres seine Aufmerksamkeit.

    Etwas kam auf ihn zu.

    Adriaan starrte angestrengt auf die Stelle am Horizont. Kurz sprang sein Blick zum Koffer mit der Notausrüstung. Fragend zog er die Brauen zusammen. Ein Fernglas war ihm nicht aufgefallen. Er spähte wieder zum Horizont. Der »Fleck« war in mehrere einzelne Objekte zerfasert, die sich unabhängig voneinander bewegten. Eine größere Anzahl Lebewesen kam auf ihn zu. An ihrem Ziel bestand kein Zweifel.

    Deneersen sah sich gehetzt um. Da war die Kapsel im Kreis der verbrannten Pflanzen, die immer noch leicht qualmten. Da waren Büsche und der Wald.

    Ob das Eingeborene sind? Bestimmt haben sie die Kapsel herunterkommen gesehen, halten sie vielleicht für einen Stern, der sich vom Himmel gelöst hatte. Oder für ein böses Omen.

    Hektisch stopfte er die ausgepackten Sachen zurück in den Notfallkoffer, bis auf die beiden Pistolen. Mit zittrigen Fingern riss er den Klebestreifen am Griff der Leuchtpistole ab, lud sie mit einer der Patronen und steckte sie griffbereit in eine der rechten Außentasche des Anzugs. Dann klemmte er die Projektilpistole in eine Schlaufe auf der Rückseite des Anzugs. Was sollte er nur tun? Fliehen? In dem klobigen Anzug war er bestimmt nicht besonders schnell und die Notfallausrüstung wollte er auch nicht unbedingt zurücklassen.

    Sich im Wald verstecken? Seine Spuren waren im Gras bestens zu sehen. Wer immer sich da näherte, würde rasch herausbekommen haben, wo er sich hingewandt hatte. Ihnen entgegentreten? In den hektischen Minuten vor seiner Flucht in die Rettungskapsel, als ihm klar geworden war, dass sein Leben keinen Credit mehr wert war, hatte er keine Zeit mehr gehabt, sich über die Eingeborenen zu informieren. Es hatte ihm gereicht, dass die Daten von einem erdähnlichen Planeten mit frappierend menschenähnlichen Lebewesen auf einem mittelalterlichen Niveau und guten Überlebenschancen sprachen. Und dass die Quarantäne seine Häscher von einer Verfolgung abhalten würde.

    Er verdrängte die Schuldgefühle, die in ihm hochstiegen, als er an die anderen Passagiere dachte.

    Der Peilsender in den Kapseln wird ihr Einsammeln erleichtern. Ich habe drängendere Probleme.

    Mittlerweile konnte er deutlich humanoide Gestalten ausmachen.

    Mit Sicherheit gab es in der Rettungskapsel ein Funkgerät, und wer konnte wissen, welche bis jetzt unentdeckten Schätze mehr? Die durfte er nicht einfach den Fremden überlassen!

    Was soll ich bloß tun? Den »Gott, der von den Sternen herab gestiegen ist« spielen? Den Engel aus dem Himmel?

    Adriaan ertappte sich dabei, dass er unschlüssig von einem Bein auf das andere trippelte. Er verzog verärgert seinen Mund.

    Das dürften die Eingeborenen auch bemerkt haben, schalt er sich. Benimmt sich so ein göttliches Wesen?

    Was sie wohl in der Kapsel sehen würden? Einen Himmelswagen, der herniedergefahren ist? Einen Teufel, der auf einem Feuerstrahl ritt? Für ein Verschwinden war es auf jeden Fall zu spät. Eine Flucht könnten sie als Angst oder Unterlegenheit interpretieren. Er aber musste ihnen mit Stärke gegenübertreten.

    Also doch die »Gottnummer«!

    Adriaan beugte sich in die Kapsel und schaltete die Positionslichter ein. Gelbe Lichter blitzten auf. Die Menge kam abrupt zum Stehen. Einige der Wesen gestikulierten heftig. Dann setzen sie sich wieder in Bewegung, und sie zeigten keine Anzeichen von Zögern, Furcht oder Ehrfurcht.

    Adriaan war zu aufgeregt, um mehr als einen kurzen Gedanken daran zu verschwenden, dass die Wesen sich auf den ersten Blick nicht von Menschen unterschieden. Für Details waren sie noch zu weit weg, doch wie es aussah, trugen sie durchweg Kilts. Die Oberkörper bedeckte eine Art Poncho. Es herrschten erdige Farben vor, hier und da von Grüntönen unterbrochen. Die länglichen Gegenstände in ihren Händen beunruhigten Deneersen. Es konnten Ackergeräte sein, aber auch Waffen. Er straffte die Schultern, musste Selbstbewusstsein zeigen, die Überlegenheit eines Gottes. Dabei zitterten seine Hände.

    Jetzt erkannte er auch Gesichter. Menschliche Gesichter! Die meist braunen Haare trugen sie schulterlang. Erste Stimmfetzen einer harten Sprache drangen zu ihm herüber. Und es hörte sich nicht nach einer ehrfürchtigen Menge an, sondern klang eher wie eine aufgebrachte Meute.

    Adriaan breitete beide Arme in einer, wie er hoffte, salbungsvollen Geste zum Himmel aus, aber die Wesen schienen immer noch nicht beeindruckt zu sein.

    Am Horizont zeigte sich eine weitere Bewegung. Es schien eine einzelne Person zu sein, die sich sehr schnell näherte. Wahrscheinlich ein Reiter auf was auch immer.

    Die Gruppe hatte ihn fast erreicht. Nun wurde sie langsamer, als ob der Mut sie verlassen hätte.

    Dann standen sie vor ihm.

    Eine unnatürliche Stille breitete sich aus. Nur das Geräusch des herangaloppierenden Reiters drang leise aus der Ferne. Die Menge vor Adriaan schien den Reiter nicht zu bemerken. Bis auf die Kleidung hätten es Menschen von der Erde sein können. Ihre Haut war durchweg sonnengebräunt und sah aus, als ob sie häufig Wind und Wetter ausgesetzt war. Adriaan zählte zwölf Personen. Vier davon schienen Frauen zu sein. Bei einer vierschrötigen Gestalt war er nicht sicher, ob er einen Mann oder eine Frau vor sich hatte. Auf ihren Gesichtern spielte eine Mischung aus Furcht, Wut und Fanatismus. Adriaan merkte, wie seine Beine zu zittern anfingen. Der Mann, der ihm am nächsten stand, fuchtelte mit etwas, das wie eine gerade, dreizinkige Gabel aussah.

    Adriaan hob seine Arme und zeigte seine leeren Hände. Sofort wich die Menge einen Schritt zurück. Ein Raunen und Murren hob an. Dann schubste eine Frau in der zweiten Reihe den Mann mit der »Gabel« voran. Drohend baute er sich vor Adriaan auf. Dabei rief er ihm etwas in seiner kehligen Sprache zu. Es klang nicht nach einer Einladung. Deneersen spreizte abwehrend die Finger seiner Linken, während die rechte Hand langsam nach der Leuchtpistole in der Beintasche tastete. Der Fremde stand nun zwei Meter vor seinen Begleitern, die ihn anscheinend zu etwas anfeuerten.

    »Ich komme in Frieden!«, sagte Adriaan Deneersen … und kam sich im gleichen Moment albern vor. »Bitte, ich will euch nichts tun!«

    Das schien den Mann nur aggressiver zu machen. Angetrieben von der Menge hinter sich, sprang er vor, und gleich wieder zurück, als ihn offensichtlich der Mut verließ.

    Adriaan fühlte, wie seine Knie weich wurden. Etwas musste er tun.

    »Jetzt ist es gut!«, schrie er der Menge entgegen. Dann machte er einen Schritt nach vorne, bei dem beinahe seine Beine versagten. Er zog die Leuchtpistole aus der Tasche und richtete sie in den Himmel.

    »Ich komme von da oben! Und ich komme … verdammt noch mal! … in Frieden!«

    Er drückte er ab. Zischend verließ ein Feuerstrahl den Lauf und erblühte am Himmel über ihnen zu einer gleißenden Feuerblume, die für einen kurzen Moment die Sonne verblassen ließ. Ein Aufschrei ging durch die Gruppe, als sie in rotes Licht getaucht wurde. Die hinten Stehenden wandten sich zur Flucht, die Augen furchtsam zum Himmel gerichtet. Aus den Augenwinkeln bemerkte Adriaan, dass das Reittier in der Ferne sich aufbäumte und beinahe seinen Reiter abwarf.

    Auch der Mann vor ihm sprang erschreckt zurück. Dann nahm er eine drohende Haltung ein und stieß einen scharfen Befehl aus. Mit einer herrischen Kopfbewegung winkte er die anderen heran, während sein Blick nicht von Adriaan abließ.

    Mit dem Mut einer Übermacht hinter sich drang er auf Deneersen ein, die Gabel streitbar vorgereckt. Der ließ die Leuchtpistole fallen, riss die Pistole in seinem Rücken aus der Schlaufe, lud durch und zielte mit durchgedrückten Armen auf den Angreifer, so wie er es in unzähligen Filmen gesehen hatte.

    »Halt!«

    Der andere konnte ihn zwar nicht verstehen, aber Deneersens drohende Haltung und sein Tonfall sprachen eine eindeutige Sprache. Der Fremde stockte, unsicher ob des plötzlichen Ausbruchs des Wesens in der weißen Rüstung. Doch nur für einen Moment. Erneut hob der Anführer im Kilt seine Gabel.

    »Halt, hab ich gesagt!« Adriaans Stimme überschlug sich.

    Dann überstürzten sich die Ereignisse.

    Von links sprang ein anderer mit einem spitzen Stock hinzu, bereit zum Zustechen. Aus einem Reflex heraus riss Deneersen die Waffe herum und drückte ab. Der Rückstoß fuhr durch seine ausgestreckten Arme und stieß ihn hintenüber. Mit schmerzverzerrtem Gesicht landete er im Gras. Irgendwo links von ihm, da wo er den Angreifer – vielleicht? – getroffen hatte, breitete sich Tumult aus. Einige flohen. Aber der Anführer der Truppe, derjenige, der Adriaan zuerst bedroht hatte, wich nicht zurück. Drohend baute er sich vor Adriaan auf, die Gabel zum Zustechen erhoben. Die Zeit schien eingefroren. Adriaan sah nur eine dunkle Silhouette vor der Sonne. Der Nachhall des Schusses dröhnte noch in seinen Ohren. Alles an ihm schmerzte: besonders sein Steißbein vom Aufprall auf dem Boden und seine Arme vom Rückstoß der Waffe, die er so sträflich falsch gehalten hatte. Er lag auf dem Rücken, den Oberkörper halb auf den linken Ellenbogen aufgestützt. Seine Rechte umkrampfte die Waffe, richtete sie auf den Schatten vor sich, diesmal mit angewinkeltem Arm. Bis zu diesem Moment hatte er noch nie einem Menschen bewusst ein Leid zugefügt. Nun hatte er aus einem Reflex heraus gehandelt. Ob er überhaupt jemanden getroffen hatte, wusste er nicht. Er konnte, durfte seinen Blick nicht von der Gestalt über sich abwenden.

    »Bitte …! Bitte geh weg!«, flüsterte er. Das Stück Metall in seiner Hand wog wie Blei. Sein Zeigefinger schien wie steif gefroren. Er war nicht fähig, abzudrücken … auf dieses außerirdische Wesen zu schießen, das doch so verblüffend wie ein Mensch aussah. Die Sekunden tröpfelten dahin, langsam, wie die Schweißtropfen, die sein Gesicht hinunter krochen.

    Der Fremde über ihm regte sich zuerst. Adriaan bewegte leicht seinen Arm und drückte ab. Diesmal riss der Rückstoß nur seine Hand nach hinten. Er hatte diesen Mann nicht töten können! Und so zerriss es nur die Gabel am Ansatz der »Zinken«. Verdutzt starrte der Mann auf das zersplitterte obere Ende des Stockes, den er nun in seinen Händen hielt. Sein Mund öffnete sich zu einer Geste des Unglaubens. Dann verzerrten sich seine Gesichtszüge. Er riss das untere Ende des Steckens hoch und knallte es Deneersen an die Schläfe. Langsam, wie in Zeitlupe kippte die Welt um Adriaan herum auf die Seite.

    Das Letzte, was er sah, war eine schwarz gekleidete Gestalt in einer Wolke aus Staub, die von einem Reittier herabsprang, das wie ein prähistorischer Hadrosaurier aussah.

    Dann wurde es dunkel.

    3

    Niemand kannte den Namen des Zetuls. Ja, niemand wusste, ob er überhaupt einen Namen hatte. Er war einfach der Zetul, der starke Arm des K'atoks. Für die Bewohner des Reiches war dies Bezeichnung genug.

    Seine Männer und Frauen waren es, die im Land und auf den Straßen der Städte für Ordnung sorgten. Ihm unterstand das Heer, welches die Grenzen von Kofane sicherte. Doch nun war er als Fuhrunternehmer unterwegs. Seine Ladung befand sich auf den zwei schwer bewachten Fahrzeugen hinter ihm. Zwei Zehnerschaften seiner besten Soldaten flankierten den Konvoi. Auf diese Männer und Frauen konnte er sich blind verlassen.

    Der Zeitpunkt war gut gewählt. Es war tiefe Nacht. Uul würde erst in zwei, drei Stunden aufgehen. Die breite Straße, die zum Palast führte, war menschenleer, bis auf den Transport, dem er auf seinem Siita voranritt. Das erste Fuhrwerk war ein einachsiger Wagen, wie er zum Transport von Gefangenen eingesetzt wurde. Er wurde wie üblich von einem Quhata gezogen. Unüblich war, außer dass ausgerechnet der Zetul den Transport begleitete, dass bei diesem Wagen, der bereits von allen Seiten von Brettern umgeben war, auch die beiden Fenster an der Seite und die Gittertüre an der Rückseite mit Stoffen abgehängt waren.

    Der zweite Karren wirkte noch ungewöhnlicher. Diese Art wurde von den Steinmetzen für schwere Bruchsteine eingesetzt und von vier der schwerfälligen, aber starken Tiere gezogen. Die Quhatas schnaubten unter der Last. Ihre mächtigen, hornbewehrten Schädel bogen sich weit zur Erde hinunter, als sie sich in das Geschirr stemmten. Die Räder des Wagens drückten sich tief in den Staub der Straße. Planen und Decken verbargen seine Ladung. Das Licht von Asuul, dem kleineren der zwei Monde, enthüllte ihren doppelt mannsgroßen, kegelförmigen Umriss.

    Die Eskorte, vertrauenswürdige Soldaten der Leibgarde des Zetuls, hatten strikte Anweisung, jeden überflüssigen Lärm zu vermeiden. Und so mühte sich der Wagenlenker des schwer beladenen Wagens, seine Tiere ohne die üblichen Peitschenhiebe und Flüche anzutreiben.

    Ganz ohne Geräusche ging das nicht vonstatten. Gelegentlich schaute ein Einwohner der Stadt aus einem Fenster, wenn er seinen Nachteimer auf der Straße entleerte oder weil ihn die ungewohnten Geräusche geweckt hatten. Aber wenn er die Leibgarde oder den Zetul selbst erblickte, verschwand er eilends wieder vom Fenster. Seine hagere, drahtige Gestalt flößte Respekt ein, die schräg stehenden Augenbrauen und die Hakennase verliehen ihm ein dämonisches Aussehen.

    Morgen … heute würden Klatsch und Gerüchte in der Stadt die Runde machen. Aber dafür hatte der Zetul gesorgt. Seine Leute würden hier und da gewisse Bemerkungen über einen Möbeltransport für den Palast fallen lassen und in wenigen Tagen war die Sache vergessen.

    Die Kolonne erreichte den großen Platz vor dem Palast. Jetzt in der Nacht, ohne das laute Treiben der Händler und der Käufer, wirkten die leeren Stände wie Fremdkörper. Eine breite Gasse, die direkt zum Haupttor des Palastes führte, war frei von Ständen. Tagsüber wimmelte zwar auch hier eine unüberschaubare Menschenmenge, aber seine Leute in der Stadt sorgten dafür, dass der Zugang jederzeit frei für Truppen blieb. Langsam öffnete sich das schwere, zweiflügelige Portal vor ihnen und ließ sie in den großen Innenhof hinein.

    Der Palast war eine Stadt für sich. Zur Linken lagen die Kasernen der Leibgarde des K’atoks. Den weiteren Weg in die inneren Bereiche des Palastes verschloss ein schweres hölzernes Fallgitter, dessen Gewicht mit einem ausgeklügelten System von Gegengewichten von zwei Soldaten bewegt werden konnte. Zur Rechten lagen die Unterkünfte der Bediensteten und direkt daneben das große Tor, das zu den Stallungen führte.

    Zwei weitere schwer bewaffnete Zehnerschaften erwarteten sie. Der Zetul schickte eine davon mit dem kleinen, einachsigen Wagen in Richtung der Verliese fort.

    »Seht zu, dass er nichts mitbekommt! Legt ihn notfalls schlafen!«

    Er selbst wandte sich, zusammen mit dem schweren Wagen und den restlichen Soldaten, den Stallungen zu. Dort lagen Hallen und Räumlichkeiten, die genügend Platz für ihre Fracht boten.

    Der Zetul versicherte sich persönlich, dass die wertvolle Fracht sicher in einem abgelegenen Gewölbe abgeladen wurde, in der ein früherer K’atok einmal Berge von Weinfässern gelagert hatte. Der jetzige Landesherr hielt nicht viel davon, seinen Verstand auf diese Weise zu verwirren. Nicht nur darin war er seinem Zetul ähnlich.

    Der Morgen begann bereits zu dämmern, als der leere Wagen den Palast wieder verließ. Die ersten Händler bestückten ihre Tische am Platz.

    Doch es war noch zu früh. Der K’atok würde noch nicht aufgestanden sein. Und es lag kein Grund dafür vor, ihn vorzeitig zu wecken. Seine Bediensteten würden ihm direkt melden, dass sein Zetul wohlbehalten zurück in der Stadt war. Es blieb also ausreichend Zeit für ein kleines Frühstück.

    Es war in der Tat noch Zeit, zwei Fleischgemüserollen am Stand eines schwarzhäutigen Ke’iten zu essen. Er reinigte sich gerade die Finger an einem der Tücher, das am Essensstand hing, als sich einer seiner Soldaten näherte, sich vor ihm auf sein rechtes Knie niederließ und ehrerbietig seinen Kopf neigte.

    »Herr, der K’atok ist erwacht und möchte Euch sprechen!«

    »Ich komme!« Er warf das Tuch in einen bereitstehenden Sammelkorb.

    Der Weg zum K’atok war weit, für manche unerreichbar weit. Er führte durch lange Gänge des Palastes, vorbei an schwer bewaffneten Wächtern und nicht weniger Furcht einflößenden Staatsdienern. An deren Bürokratie waren schon mehr Menschen gescheitert als an den Wachen.

    Dies galt jedoch nicht für den Zetul. Er hatte Zutritt zu Räumen, von denen das einfache Volk auf der Straße nicht einmal etwas ahnte.

    Er hatte erwartet, dass ihn der Soldat in das Büro des K’atoks führte. Doch anscheinend war sein Auftrag so bedeutsam, dass der K’atok ihn noch während des Frühstücks empfing. Als er das Frühstückszimmer des Regenten betrat, saß dieser noch zu Tisch und löffelte gerade ein Ei aus. Zwei Dienerinnen standen am Kopfende der Tafel bereit, jeden Wunsch ihres Herrschers zu erfüllen. Die Sonne stieg eben über den Horizont und lugte durch eines der Fenster herein. Ihre Strahlen ließen die Falten im Antlitz des K’atoks hervortreten. Der Regent hatte seine Lebensmitte schon hinter sich gebracht und die Last der Verantwortung hatte ihre Spuren hinterlassen. Er war zwar nicht groß von Gestalt, aber eine eindrucksvolle Erscheinung. Sein hageres Gesicht wurde von einer leicht gekrümmten Nase dominiert. Er neigte dazu, seinen Kopf abschätzend nach hinten zu ziehen. Zusammen mit dem wachen Blick seiner grauen Augen verlieh ihm dies das Aussehen eines Raubvogels, dem keine Regung in seinem Revier entging. Schon einige Attentäter hatten seine Krallen zu spüren bekommen: Nur eine Handvoll Männer der Garde, und natürlich der Zetul, wussten, dass der Regent einen Dolch unter seiner Kleidung trug.

    Er kleidete sich meist in mehr oder weniger schmucklose Gewänder in schwarz oder dunklen Brauntönen. Der einzige Schmuck, den er sich gönnte, war der Siegelring mit den Insignien der Macht an seiner linken Hand. Im Grunde würde er in einer Menge nicht auffallen, wäre da nicht der durchdringende Blick seiner Augen.

    Der Zetul und der Soldat ließen sich auf ihr rechtes Knie sinken und senkten die Köpfe.

    »Hattest du schon Zeit zu frühstücken, Zetul?«, sprach ihn der Regent an.

    Der Zetul sah auf. »Ich habe unten bei den Ständen eine Kleinigkeit zu mir genommen, Herr!«

    Mit knappen Handbewegungen scheuchte der K’atok den Soldaten und die Bediensteten aus dem Raum.

    »Setz dich zu mir! Ein Ei wirst du bestimmt noch vertragen.«

    Der Zetul ließ sich seinem Regenten gegenüber an dem runden Tisch nieder, griff sich ein Messer und eines der bereitstehenden Eier. Während er das Ei köpfte, Gewürze darauf streute und die ersten Bisse tat, beobachtete ihn der K’atok wortlos.

    »Nun?«, fragte der K’atok schließlich. »Hast du gefunden, wonach ich dich gesandt habe?«

    »Es war eine Art Fass, Herr! Aber ein sehr merkwürdiges Fass! Aus weißem, glänzendem … Metall! Zumindest vermute ich, dass es aus Metall ist. Ich hatte meine liebe Not, das abergläubische Gesindel davon abzuhalten, es in Brand zu stecken.«

    »Es … war jemand in dem … Fass?«

    »Ja! Einer! Und auch der ist nur knapp dem Feuer entgangen.«

    »Berichte!«

    »Kurz vor Mittag traf ich mit meinem Trupp in Senandu’ur ein. Eigentlich wollte ich dort einen Karren und ein paar Bauern requirieren. Aber im Dorf herrschte Aufruhr. Einige Männer und Frauen waren aufgebrochen zu dem Ding, das aus dem Himmel gefallen ist. Letzten Zehntag sind ihnen zwei Milch-Zaati und ein Neugeborenes gestorben. Die Dorfälteste hat ihnen eingeredet, dass es ein Zeichen, ein böses Omen sei, das noch mehr Unheil mit sich bringen würde. Nachdem sie sich einen Tag lang Mut antrinken mussten, hat sich die Schar auf den Weg gemacht, um das Ding in Stücke zu hauen. Ich ließ zwei Mann im Dorf zurück, die mit dem Karren folgen sollten. Mit den restlichen vier Soldaten bin ich der Bande hinterher. Meine Männer mit ihren schwerbepackten Siitas hab ich schon bald hinter mir zurücklassen müssen. Mein Siita ist schnell, doch wenn ich nicht alles aus ihm herausgeholt hätte, wäre ich zu spät gekommen. Denn die Dörfler hatten den Ort bereits erreicht. Er war nicht schwer zu finden, denn es qualmte so, dass es von Weitem zu sehen war. Seltsame Lichter leuchteten an dem Fass. Plötzlich stieg ein Feuerstrahl zum Himmel und eine rote Blume aus Feuer wuchs in den Wolken. Mein Siita hätte mich beinahe abgeworfen. Bis ich endlich das Fass erreichte, hatte das Handgemenge zwischen den Dörflern und dem Mann aus dem Fass schon angefangen.«

    »Ein Mann, sagst du? Sieht er aus … wie wir?«, fragte der K’atok in einem lauernden Tonfall, der den Zetul stutzen ließ.

    »Wie sollte er sonst wohl aussehen? Auch wenn die Bauern wahrscheinlich einen Dämon aus den Unterwelten erwartet haben!« Der Zetul lachte. »Nein, der Fremde sieht recht normal aus. Ein bisschen wie ein Ostling. Aber seine Kleidung …!«

    »Seine Kleidung?«

    »Er steckte in einer Rüstung, die so weiß ist, wie ich es noch nie gesehen habe! Und erst das Visier am Helm müsst Ihr Euch ansehen. Klarer als jeder Gebirgsbach, aber härter als Stahl!« Die Erinnerung an die ungewöhnliche Begegnung schien den Zetul immer noch aufzuwühlen. Fahrig wischte er durch die Luft. »Aber was erzähl ich da? Ihr werdet Euch seine Sachen später selbst ansehen wollen.«

    »Du warst bei dem Handgemenge!«, erinnerte ihn der K’atok.

    »Die zwei mutigsten Bauern rückten dem Fremden mit ihren Mistgabeln und Stöcken zu Leibe. Ich war noch zu weit weg, als einer der beiden es beinahe geschafft hätte, den Fremden aufzuspießen. Doch plötzlich gab es einen Donner und den mit dem Spieß riss es von den Beinen. Ich hab ihn mir später angeschaut! Sein Oberschenkel sah aus, als wäre er von einem unsichtbaren Speer durchbohrt worden.«

    Das Gesicht des K’atoks nahm einen angespannten Ausdruck an.

    »Ja!«, fuhr der Zetul fort, »und gerade als der Zweite ihn auf seine Mistgabel nehmen wollte, gab es wieder diesen Donner und dem Bauer zerriss es seine Gabel in den Händen!« Seine Finger ahmten dabei das Auseinanderplatzen nach.

    »Ich traf gerade rechtzeitig ein, als der Bauer mit dem Rest Stock in der Hand auf ihn einschlug. Einen Moment später …« Der General machte eine vielsagende Handbewegung. »Es war nicht einfach, das aufgestachelte Pack zurückzuhalten, die

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