Steinerne Parolen
Von Ylljet Aliçka
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Über dieses E-Book
Der Autor beschreibt in seinen Erzählungen die Erfahrungen einfacher Menschen unter der stalinistischen Herrschaft von Enver Hodscha in seinem Land Albanien und einige der oft ebenso absurden Situationen nach dem Umbruch.
Der Autor Ylljet Aliçka wurde am 23. Juni 1951 in Tirana geboren. Der Erzählband erschien zuerst in Fr
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Steinerne Parolen - Ylljet Aliçka
Tomasz Chmielik: Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe
Ylljet Aliçka wurde am 23. Juni 1951 in Tirana geboren. Sein Leben in Albanien glich dem Dutzender von Kollegen, die während der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts studierten. Er erlangte sein Diplom in der naturwissenschaflichen Universität in Tirana und am Ende des Studiums bekam er den Befehl, als Lehrer in einem verlorenen Gebirgsdorf in der Gegend von Mati zu arbeiten. Ganz selbstverständlich war der erste und wichtigste Auftrag des Rektors der folgende: er sollte eine auf dem Bergeshang aus Steinen zusammengesetzte Parole in Stand halten, und zwar so, dass man sie von Weitem sieht. Solche Parolen konnten kurz oder lang sein. Die langen, die sich auf mehrere zehn Meter ausbreiteten, zum Beispiel „Man soll denken, man soll arbeiten, man soll leben wie Revolutionäre gaben der Rektor und der Parteisekretär gewöhnlich den Lehrern, die man verdächtigte, ideologisch unsicher zu sein und nicht das richtige Klassenbewusstsein zu haben. Und die kurzen, zum Beispiel „Weg mit dem Imperialismus
behielten sie für ihre Schützlinge.
Von 1983 bis 1992 bekam er eine Stelle im Lehrbücherverlag, wo er Lehrprogramme für Biologie, Chemie und Mathematik entwarf. Im Jahre 1989 errang er den Doktortitel in Psychologie, und ein Jahr später reiste er nach Grenoble, wo er ein Stipendium an der Universität Stendhal erhalten hatte. Bald darauf begann seine Karriere als Diplomat. Im Jahre 1992 wurde er als Direktor für Auswärtige Angelegenheiten im albanischen Ministerium für Kultur, Sport und Jugend angestellt. Fünf Jahre später erhielt er eine Stelle als Presseberater in der Vertretung der Europäischen Union in Tirana. 2007 wurde er Botschafter der albanischen Republik in Paris und ab 2008 vertrat er Albanien gleichzeitig als Botschafter bei der UNESCO. 2013 kehrte er nach Tirana zurück, wo er wieder im Ministerium für Kultur, Sport und Jugend arbeitet.
Seine Karriere als Schriftsteller begann spät, er war schon 46 Jahre alt. Dass er Schriftsteller sein würde, entschied der pure Zufall. Im Jahre 1995 nahm er an einem Kolloquium in Frankreich teil und etwas später lud man ihn zu einem gemütlichen Zusammensein mit Freunden ein. Man unterhielt sich auf angenehmste Weise und plötzlich schlug jemand vor, die Gäste sollten doch von ihrem „ersten Mal" mit einer Frau erzählen. Als Aliçka an der Reihe war, begann er von der kommunistischen Partei zu spre‒chen, den steinernen Parolen und der ersten Liebeserfahrung … auf einem schmutzigen Berghang! Einer der anwesenden Gäste war Redakteur einer französischen Literaturzeitschrift und insistierte. Er solle das doch schreiben! So entstand seine berühmteste Novelle – Die steinernen Parolen (Parullat me gurë). Der erste Schritt war getan. Im Jahre 1997 veröffentlichte er als Erstlingswerk das Bändchen Tregime (Erzählungen), aber es fand kein Echo bei der albanischen Literaturkritik. Doch der französische Botschafter in Tirana übersah das Werk nicht und er übersetzte die Erzählungen ins Französische. Dies war ein Wendepunkt im Leben des Autors. Drei Jahre später erschienen in Tirana die Erzählungen Kompromisi (Der Kompomiss), die die Leser sofort entzückten. Es war das Signal zur glorreichen Heimkehr. Wie aus dem Ärmel geschüttelt regnete es Preise und Auszeichnungen. Im Jahre 1999 erhielt Aliçka den ersten Preis im internationalen Literaturwettbewerb von Teramo (Italien) und ein Jahr später den zweiten Preis im internationalen Wettbewerb Arts et Lettres in Bordeaux. Ende 2000 verlieh ihm die Académie Internationale de Lutèce eine Bronzemedaille. Und so wurde Aliçka, der erst vor kurzer Zeit anfing zu schreiben, einer der bekanntesten albanischen Schriftsteller in Europa. Was ihn noch bekannter und berühmter machte, war der franco‒albanische Film Parullat (Die Parolen). Drei Erzählungen aus dem Band Kompromisi – Die steinernen Parolen (Parullat me gurë), Der kleine Mann (Burri i vogël) und Eine Dorfgeschichte (Histori fshati) sind die Themen des Films und dienten ihm als Ausgangspunkt für das Drehbuch, das er schrieb. Die Regie führte Gjergi Xhuvani. Beim Filmfestival von Cannes (2001) bekam dieser Film den Jugendpreis. In Albanien wurde der Erzählungsband Kompromisi zum Buch des Jahres erkoren und das Ministerium für Kultur, Sport und Jugend verlieh ihm seinen wichtigsten Preis Penda e Argjendtë (Die silberne Feder).
Während der Wende, die 1992 nach dem Sturz des diktatorischen Regimes von Enver Hoxha begann, kam es zu einem unheilvollen Zusammentreffen von schrecklichen Verbrechen, Verfolgungen und grausamen Unterdrückungen, von allerlei Sehnsüchten nach Freiheit und meistens von den bescheidenen Versuchen, einfach irgendwie ein menschenwürdiges Leben zu führen in einer unmenschlichen Zeit. Diese Geschehnisse durchpflügten förmlich das ganze Albanien im sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Landes. Es vermehrten sich Werke, welche ganz offen die Lebenserfahrungen von Personen darstellten, die in den Strudel der Geschichte geraten waren. Es fehlten auch nicht Berichte über Märtyrertum und Bitterkeit in diesen oft mit Wut und Rachelust bespickten Beschreibungen jener verlorenen Generationen, denen man während der Regierungszeit Hoxhas für immer das Rückgrat gebrochen hatte. Doch Aliçka wählte eine andere Art, die Sache darzustellen und eben dies unterscheidet ihn von den Autoren, die ebenfalls von der Vergangenheit und der Wende berichten. Beim Beschreiben des täglichen Lebens unter dem Kommunismus bedient er sich des Grotesken und der Ironie, er weist auf verschiedene Versuche, die menschliche Würde zu wahren im Widerstand und im Kampfe gegen die Absurdität der ideologischen Schranken, Hindernisse und Zurechtweisungen. So zeigt er auch, wie die Albaner versuchten, wieder zu sich zu finden und sich wieder an ein Zusammenleben in der nachkommunistischen Gesellschaft zu gewöhnen. Eine große Anzahl seiner diesbezüglichen Gedanken und Überlegungen enthält das Werk Një rrëfenjë me nddërkombëtare (Erzählungen über Ausländer), das 2006 in Tirana erschien und den angesehenen KULT‒Preis für das beste Buch des Jahres erhielt.
Dieser Band La ŝtonaj sloganoj (Parullat me gurë), den Tomasz Chmielik und Bardhyl Selimi ins Esperanto übersetzten, erschien im Jahre 2013 in Świdnik (Polen).
¹ Der erste Teil des Buches besteht aus Erzählungen, die auf Fakten beruhen. Sie wurden aus der Perspektive der persönlichen Erfahrungen des Autors geschrieben. Sie beschreiben das Leben in der albanischen Provinz. Der Autor erscheint da als Dorfschulmeister und Erzähler. Diese Geschichten beschließt die ironische Darstellung der lächerlich wirkenden Verzweiflung nach dem Tod Hoxhas, worüber man in einem Betrieb der Stadt N. berichtete. Im zweiten Teil stellt uns der Autor Menschen vor, die irgendwie versuchen ihren Platz zu finden unter den neuen Lebensbedingungen in der nachkommunistischen Zeit. Er spart nicht an Ironie, an Spott, Urteilsstrenge und Tadel, doch immer spürt man Mitleid und milde Sympathie. Unter diesen Menschen befindet sich ein Angestellter einer Leichenhalle, ein Schriftsteller, der Grabinschriften verfasst und ein ehemaliger Diplomat, der erfundene Adelstitel verkauft. Am Ende entdeckt der Leser die rührende Geschichte des alten Ehepaares, das in einem Gebirgsdorf wohnt und zu einer Hochzeitsfeier in der Hauptstadt Tirana eingeladen wird. Für sie ist das eine Reise zwischen zwei verschiedenen Welten, in denen zwei Arten von Ordnung und Moral herrschen. Auf der Heimfahrt nach dieser Reise sind sie durch das Entdecken und das Erleben einer Nähe und einer Zärtlichkeit, die sie vorher nicht gekannt hatten, reicher geworden.
Mit seinen Erzählungen drückte Aliçka aus, was für die albanischen Schriftsteller und ihre Leser nicht ganz klar war: Sie sollten sich in ihrer wiedergefundenen früheren Lebensart nicht in eine alte Realität einschließen lassen und sie sollten das Ganze nicht dauernd „wiederkäuen" und sich mit diesen schmerzhaften Geschehnissen nicht martern, denn das hieße stehen bleiben und vielleicht dauernd die Zukunft verspielen. Er schlägt vor, dass jeder persönlich mit dieser Vergangenheit abrechnet, man solle aber gleichzeitig für das sorgen, was dann folgen wird. Man schreibe über diese schreckliche und grausame Vergangenheit, aber verabschiede sich auch nach und nach davon.
Für solch einen Abschied taugen bestens Satire, Sarkasmus und Ironie. Nur das Lachen, manchmal mit Tränen vermischt, ist fähig, sich von einer drückenden Ergriffenheit zu befreien und sich vor Wahnsinn zu schützen. Der Mensch kann sich nicht in seinem eigenen Schmerz, in ein dauerndes Zurückdenken und in Hass einschließen, er kann sich auch nicht von der neuen Realität absondern. Das sollte man auf eine andere Weise betrachten, aus einer gewissen Distanz. Denn, ob man es will oder nicht, der Mensch kann nicht ewig in dem herumwaten, was einmal war, und er kann sich auch nicht dauernd gegen die Gegenwart und die Zukunft wehren. Dies drückte Dorota Horodyska, die polnische Übersetzerin von Aliçkas Erzählungen, auf ausgezeichnete Weise aus: Gegenwart und Zukunft lassen sich besser verstehen, wenn man sieht, wie der oft hilflose Mensch, der in eine Freiheit entlassen wird, die er nicht einmal erträumte und ahnte, und die ihn überrumpelt, sich bemüht, darin seinen Platz zu finden. Er versucht die Bande mit der 'kranken Welt der kranken Menschen' zu brechen. Nicht die offizielle Geschichtsschreibung ist der Kern dieser Erzählungen, sondern der einfache Mensch, der darin lebt und oft unterdrückt wird. Am wichtigsten ist sein Dasein und seine moralische Entscheidung.
Aliçka belehrt den Leser über Albanien. Nicht das hinter dem Schimmelpilz der Bunker und der Müllhalden versteckte Albanien, sondern das Albanien der Hinterhöfe und der Kneipen, der Klassenräume und der Büros, der Busse und der Bahnhöfe. Dank dieser Lektionen ist das Land nicht mehr unverständlich und unzugänglich wie einst, es wird paradoxerweise menschlicher, näher in seiner Eigentümlichkeit und seiner Unterschiedlichkeit.
Aber wer ist Aliçkas Protagonist? „Derjenige aus der Zeit des Hoxha‒Regimes besteht aus zwei Persönlichkeiten, die sich gegenüberstehen: die offizielle, die öffentlich erscheint und eine dauernde Selbstbeherrschung verlangt, und die häusliche, private, scheinbar authentische. Das dauernde Hin und Her von einer zur anderen ist die Suche nach einem Kompromiss zwischen den Geschehnissen und den Problemen, die sich nicht vereinen lassen, die sich auch nicht lösen lassen und folglich zu einer Entzweiung führen, fast zur Schizophrenie (auch auf gesellschaftlichem Gebiet). Unter den Bedingungen der Veränderung versucht der Protagonist seine privaten Bemühungen mit den allgemeinen in Einklang zu bringen. Seine Wahl ist der Kompromiss, der auf der Moral beruht, ohne auf die Bedürfnisse der anderen zu achten, für sich selbst soviel wie möglich zu ergattern, und dann eifrig und wild zu kämpfen, damit einem nichts weggenommen wird.
Der Protagonist ist dauernd gezwungen, eine Wahl zu treffen: zwischen Ehrlosigkeit und Aufrichtigkeit, zwischen Uneigennützigkeit und Hang zum Betrügen, zwischen dem Menschlichen und dem, was gar nicht menschlich ist. Oft findet er den dritten Weg: er rechtfertigt sein Handeln mit der Angst oder einfach so, dass der Instinkt ihm alles befahl oder dass es ihm so besser behagt. Dann trifft er einen Kompromiss mit seinem eigenen Gewissen. Er macht sich von Zeit zu Zeit Vorwürfe, aber meistens betrüben sie ihn nicht." (Dorota Horodyska)
Ylljet Aliçka betrachtet die Realität des kommunistischen Regimes und dessen Änderung aus dem Inneren durch die Augen des einfachen Albaners. Und diese graue Alltäglichkeit beeindruckt sehr. Und gleichzeitig ermöglicht sie, es zu verstehen, wie ein Mensch werden kann, der immer wieder und für eine lange Zeit jeglicher Freiheit beraubt wird, dessen Denken und Handeln man programmiert und von oben herab überwacht. Und was wird aus ihm, wenn alle Mauern fallen und alles erlaubt ist?
Ylliet Aliçka stellt den universellen Mechanismus des totalen Bösen dar, der unabhängig von den historischen und kulturellen Traditionen verstanden werden kann. Er lädt gleichzeitig zum Disput mit anderen Menschen ein, zu einem „Austausch europäischer „Erfahrungen
.
Die in dieser Ausgabe hier folgende Version dieses Werks von Yllet Aliçka ist eine Übersetzung aus der Brückensprache Esperanto von Edmond
ludwig