Bernemann sitzt auf der Düne: Ein heiterer Nordseeroman
Von Peter Biqué
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Über dieses E-Book
"Humor ist unser ständiger Begleiter, treffsicher wird unsere Nase zu dem geführt, worauf es ankommt, wenn wir woanders sind als zu Hause ..." (ow, Essen)
Ähnlich wie Bernemann sitzt auf der Düne
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Buchvorschau
Bernemann sitzt auf der Düne - Peter Biqué
haben.
1.
Bernemann saß auf der Düne. Es war seine Lieblingsdüne hinter dem Strand von Neßmersiel; sie war vielleicht einen guten Meter hoch, und etwas Höheres gab es weit und breit nicht. Ein paar Büschel Strandgras standen auf ihr herum, und das war alles.
Der kleine Kumpel Bernemann saß jedenfalls dort oben auf seiner Lieblingsdüne. Er saß dort im Laufe eines Tages immer wieder einmal und schaute an den Strandkörben vorbei auf das graue Wattenmeer bei Flut und äugte hinüber zu den roten Klinkerhäusern der Insel Baltrum.
Ich selbst hing ganz in der Nähe in meinem Strandkorb und schmökerte. In aller Regel schmökerte ich einen völlig schundigen Wildwestreißer, so etwas wie Der Skalp des Komantschen oder Billy the Kid rechnet ab oder Die Kutsche des Verderbens, aber als Alibibuch hatte ich immer einen Gedichtband von Hölderlin, William Butler Yeats oder Joseph von Eichendorff bereitliegen. Wenn sich zum Beispiel eine blondlockige Schönheit oder ein seriös aussehender Herr meinem Strandkorb näherte, tauschte ich flugs die Bücher aus, ließ den Wildwestschinken hinter meinem Rücken verschwinden und renommierte mit dem Hölderlin als gediegener Lyrikkenner.
Der siebenjährige Bernemann durchschaute natürlich inzwischen auch schon, was für eine Augenwischerei ich da betrieb, aber bisher hatte er mich noch nicht verpetzt. Ich hatte also keinen Grund, an meiner Strategie etwas zu ändern.
Bernemann sprach manchmal darüber, wie er sich in die Ferne träumte, wenn er auf seiner Düne hockte.
»Das Meer«, so sagte er einmal, »geht doch hinter der Insel Baltrum noch weiter, oder?«
»Es geht«, hatte ich gekontert, »noch viel, viel weiter. Es geht an der friesischen Küste vorbei, und irgendwann kommt die Insel Helgoland, und rechts liegt dann noch Dänemark und die unglaublich lange und wunderschön zerklüftete Küste von Norwegen …«
»Norwegen ist cool, stimmt’s?«
»Norwegen ist extrem cool. Es gibt dort schneebedeckte Berge und Wasserfälle und Fjorde, die tief ins Land einschneiden, und danach kommt noch die Inselgruppe Spitzbergen mit ihren Eisbären und dann noch Grönland und Island. Es ist nordwärts noch ganz schön was los in unserer Nordsee.«
»Manno.«
Und gelegentlich erzählte er mir dann, wie er auf der Düne sitzt und sich Richtung Nordpol träumt. Auf Spitzbergen ist er auf einem Eisbären geritten, und vor Grönland hat er die blau schimmernden Eisberge im stahlgrauen Eismeer gesehen, und die Pottwale, wie sie gerade untertauchen, und als er an Land gegangen ist, hat er Erik den Roten getroffen. Und mit Leif Eriksson ist er dann als Ehrengast mit dessen Wikingerschiff nach Island geschippert, und dann sogar bis hinüber nach Nordamerika, wo sie eine Gruppe von Skrälingern getroffen und mit ihnen das Kalumet des Friedens geraucht haben.
»Gell, die Skrälinger sind die Indianer.«
»Ja, Bernemann, so haben die Nordmänner die Indianer genannt. Aber ich kann nicht billigen, daß du mit ihnen das Kalumet des Friedens rauchst.«
»Warum denn nicht?«
»Es wird dich«, sagte ich, »ganz scheußlich im Halse kratzen. Dein junger Körper ist noch nicht bereit für die Raucherei. Und überhaupt ist das Rauchen auch für die Erwachsenen nicht gesund.«
»Ich habe aber«, krähte der kleine Kumpel, »ein Foto gesehen, da bist du drauf und hast eine brennende Zigarette im Mund!«
»Ach«, wiegelte ich ab, »das ist lange her.«
2.
Am späten Nachmittag packten wir unsere Sachen zusammen, Billy the Kid und Hölderlin und alle anderen Kleinigkeiten, und verschlossen den Strandkorb, den wir am nächsten Tag wieder beziehen wollten.
»Denkst du noch daran«, fragte ich, »daß Karla übermorgen ankommt?«
»Jaaa, echt voll cool!«
Karla war seine Ferienfreundin vom letzten Jahr. Sie war zwei Jahre älter als Bernemann, aber die beiden hatten sich trotzdem angefreundet, sie waren Seite an Seite durchs seichte Watt gewatet, und sie hatten Muscheln gesammelt, in Bullys Strandimbiss Eiskrem geschlabbert und Krabben gemampft. Und als Marietta für ein paar Tage nach Helgoland gefahren war, um einmal im Jahr ihre Ruhe zu haben, begann ich sogar, mich mit Karlas alleinerziehender Mutter, einer gewissen Frau Anja Wolke, ein wenig anzufreunden.
Diese zwei würden also auch wieder an die Nordsee kommen. Marietta war jetzt noch für ein paar Tage in Mailand, um höchst überflüssige, aber gut bezahlte Modefotos zu machen, und ich rechnete im Laufe der nächsten Woche mit ihrer Ankunft an der Nordsee. Wir würden alle zusammen wieder schöne Tage an der Nordsee haben. Das Wetter? Momentan war es warm und trocken, etwas bewölkt manchmal, aber immerzu trocken. Mir persönlich gefällt es auch an der Nordsee, wenn es regnet. Aber ich weiß, daß das nicht jedermanns Sache ist.
3.
Wir fuhren zu Mutter Gretchens Pension in Nesse, wo wir uns immer niederzulassen pflegen, wenn wir in Ostfriesland weilen. Mutter Gretchen leitete noch einen Gastronomiebetrieb, den man als alte Schule (oder auf Neuhochdeutsch auch: Old School) bezeichnen konnte, wobei man diese Bezeichnung aber auf gar keinen Fall als politisch betrachten darf, sondern kulturell zu verstehen hat. Es gab bei ihr eine klassische ostfriesische Küche, allerlei Fisch und Pinkel und Nordseekrabben mit Spiegeleiern und Bratkartoffeln in vielen fantasievollen Variationen, oft gab es abends dezente friesische CD-Musikuntermalung im Gastraum, also Godewind und Knut Kiesewetter und Fiede Kay und etliche regionale Nordmusik von der Küste mit urigen Künstlern. Interessant war auch Mutter Gretchens Festnetztelefon, ein uraltes Gebilde in einem schummerigen Vorraum, ein schwarzes Ungetüm mit einem schweren Hörer und einer Gabel, auf der dieser Hörer im Ruhestand lagerte, und mit einer Wählscheibe wie aus den 1960er Jahren. Mutter Gretchen ließ ihre Gäste ausschließlich mit diesem antiken Fossil telefonieren, ganz egal, ob jemand von hier aus anrufen wollte oder ob ein Anruf von draußen einging. Ich wußte allerdings, daß Mutter Gretchen in aller Klammheimlichkeit auch über ein modernes Mobiltelefon verfügte. Sie zelebrierte eben gern ihr Firmenbild als klassisch-altmodischen Pensionsladen von einiger Tradition.
Als wir vom Strand eintrafen, kam Mutter Gretchen aus dem Gastraum und gab uns ein Zeichen. Sie war eine kleine, dralle Person mittleren Alters mit hellwachen aquarellblauen Augen und einem geflochtenen Haarzopf, den sie rund um ihren Hinterkopf drapiert hatte.
»Du, hör mal, Peter«, sagte sie, »da sitzt ein Herr im Schankraum und wartet auf dich.«
»Aber Mutter Gretchen«, sagte ich, »ich kenne hier niemanden.«
»Ich auch nicht«, piepste Bernemann.
»Jaja, ich weiß«, sagte unsere Gastwirtin. »Aber es handelt sich gewissermaßen um einen offiziellen Besuch.«
»Habe ich was falsch gemacht? Hab ich einen Strafzettel kassiert oder was?«
»Nein, nein, nein«, beschwichtigte sie, »geh nur mal rein und sprich mit ihm. Ich bringe dem Bernemann ein Eis.«
»Cool!«
In der hinteren rechten Ecke des Gastraums saß ein Mann um die Vierzig, der einen zerknitterten Herbstmantel trug wie weiland Inspektor Columbo. Er hatte einen dichten schwarzen Schnauzbart.
Ich wunderte mich ein wenig, denn Bernemann und ich waren sommerlich gekleidet. Andere Gäste befanden sich momentan nicht im Raum. Ich trat an den Tisch des Mannes.
»Sie wünschen mich zu sprechen?«
»Wenn Sie Herr Andersen aus dem Zimmer 102 sind.«
»Peter Andersen, Zimmer 102«,