Eddie und die beste Freundin der Welt
Von Viveca Lärn und Angelika Kutsch
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Buchvorschau
Eddie und die beste Freundin der Welt - Viveca Lärn
Saga
Eddie macht eine Busreise
Ich bin ein echter Busreisender. Niemand kann mich rausschmeißen, dachte Eddie und fühlte in seiner Jackentasche nach. Da lag die Fahrkarte, wo sie hingehörte. Und sie war der Beweis, dass er ein echter Busreisender war. Es ist noch gar nicht lange her, da hat Arne ihn zum Busbahnhof in Göteborg gebracht. Als sie dort ankamen, war der Platz voller Busse, vielleicht fünfunddreißig Stück, und auf dem schmutzigsten Bus stand Lysekil-Express. Der gefiel Eddie am besten, und mit dem sollte er fahren. Auf dem Schild stand 840.
Eddie sah sich vorsichtig um. Wo waren die anderen 839 Busse geblieben, das musste man sich wirklich fragen. Hoffentlich waren sie nicht geradewegs ins Meer gefahren.
Arne hatte Eddie eine kleine Papiertüte aus weichem weißen Papier gegeben. Das war keine Spucktüte für den Fall, dass es Eddie schlecht wurde, oder für irgendwas anderes Dummes, nein, sie war fast bis oben hin mit Süßigkeiten gefüllt, Gummibärchen, Lakritzschnecken und Pfefferminzbonbons. Und das war nicht das einzige Gepäck, das Eddie dabeihatte. Da war auch noch sein Rucksack. In dem lagen zwei T-Shirts, ein bisschen Unterwäsche, eine Taschenlampe, eine leere Schnupftabakdose, der Sultanol-Spray gegen sein Asthma, ein Donald-Duck-Heft von 1993 und das Schraubglas mit der Wasserschildkröte Maxon Jonsson. Eddie hatte Löcher in den Deckel gebohrt, damit Maxon Jonsson während der Reise Luft kriegte.
Arne kümmerte sich um alles für Eddie im Bus. Er ging hin und her und musterte kritisch jeden Platz in dem leeren Bus. Zuerst inspizierte er die Plätze gleich hinterm Busfahrer, schien aber nicht ganz zufrieden zu sein.
«Gute Lüftung! An und für sich ganz gut für Allergiker», sagte er. «Aber zu unruhig. Das kann ja richtig gefährlich werden. Stell dir mal vor, da kommt eine Horde Tanten durch die Vordertür reingestürmt und legt sich sofort mit dem erstbesten Fahrgast an. Und das bist du! Vielleicht haben sie sogar rot karierte Einkaufswagen dabei, mit denen sie zuschlagen können. Und es können noch viel schlimmere Sachen passieren. Falls der Busfahrer ohnmächtig wird und überm Lenkrad zusammensackt – dann musst du eingreifen und fahren, Eddie!»
«Wa-, wa-, was», sagte Eddie und seine Unterlippe begann zu zittern. «Ich kann doch keinen Bus fahren. Ich bin doch erst sieben Jahre alt.»
«Gerade deswegen sollst du ja auch nicht hier sitzen. Dafür sorg ich schon», sagte Arne zufrieden. «Da hast du Glück.»
Sie bahnten sich einen Weg durch den fast unheimlich leeren und stillen Bus. Es war nicht mal richtig hell da drinnen, nein, es war schummrig und es roch nach alten Bananen.
Als sie zum ersten Platz hinter der Mitteltür kamen, leuchtete Arnes Gesicht auf.
«Der ist gut», sagte er. «Hier hast du genügend Platz für die Beine und brauchst dich nicht wie eine Ziehharmonika zusammenzufalten.»
Eddie guckte auf seine kurzen Beine runter. Die Jeans waren fast sauber.
«Das wird prima, Harne», sagte er begeistert. «Hier setz ich mich hin. Hier hab ich genügend Platz für die Beine und muss sie nicht wie eine Ziehharmonika zusammenfalten.»
«Ich heiß Arne», sagte Arne, aber seine Stimme klang nicht böse.
«Genau», antwortete Eddie. «Jetzt fällt’s mir wieder ein.»
Bewundernd guckte er seinen großen Bruder an. Arnes runde Brillengläser waren ganz frisch geputzt und blank. Das waren sie meistens. Weil Arne sich nichts entgehen lassen wollte. Er wusste tatsächlich fast alles, obwohl er doch erst zehn Jahre alt war. Zum Beispiel, wie Zentralschlösser funktionieren. Eddie wäre froh gewesen, wenn Arne im selben Bus wie er mit nach Lysekil gefahren wäre. Aber das wagte er nicht laut zu sagen. Das hätte Arne nicht gefallen.
«Und außerdem sprichst du nicht mit fremden Leuten», schärfte Arne ihm mit strenger Stimme ein. «Fremde Leute wollen dir bloß Kokain aufschwatzen.»
«Ih. Dann nehm ich aber nur ein kleines Stück. Was ist das übrigens?», fragte Eddie. Er fand, es klang irgendwie lecker. Coca-Cola mochte er sehr gern. Von Kokain bekam man wahrscheinlich noch mehr Nasenkribbeln.
Arne seufzte. «Das ist Rauschgift! Weißt du denn gar nichts vom Leben?»
Er fasste nach Eddies Handgelenk. Dort saß ordentlich befestigt Arnes eigene Swatch-Armbanduhr mit Tigerband aus Kunststoff. Plötzlich bereute er es, dass er sie verliehen hatte.
«Pass bloß gut auf meine Tiger-clock auf», sagte er. Er sprach es englisch aus. Teiger-clock sagte er. «Kannst du denn jetzt die Uhr?»
«O ja», sagte Eddie. «Zehn nach neun.»
«Das war es, als wir von zu Hause losgefahren sind, Blödmann», sagte Arne gereizt. «Es ist sinnlos, dass ich dir meine Uhr leihe, wenn du sie doch nicht kannst, das ist dir ja wohl klar. Dann ist es besser, ich trage sie selbst.»
«Aber ich kann die Uhr, Arne», sagte Eddie eifrig. «Frag mich mal, wie spät es ist.»
«Das hab ich grad getan, und da hast du gesagt, es ist zehn nach neun, Blödmann. Das war es doch vor einer Stunde.»
«Ich hab vergessen, dass wir jetzt Winterzeit haben», sagte Eddie listig und beide fingen an zu lachen. Eddie zog die Jackenärmel bis über die Hände, damit Arne seine Uhr vergaß.
In dem Augenblick kam der Busfahrer. Er sah die Jungen nicht einmal an, sondern zog seine Jacke aus, die er an einen Haken in der Fahrerecke hängte. Dann öffnete er seine Fahrkartentasche und holte eine magnetische Karte hervor, die er in dem grünen Fahrkartenapparat stempelte.
«Hast du das gesehen?», fragte Arne. «Der arme Fahrer, der muss auch bezahlen, obwohl er den Bus fährt.»
Der Fahrer hatte fettige Haare und ernste blaue Augen. Er guckte in den Rückspiegel, stellte das Radio ein und dann startete er den Motor.
«Hilfe», flüsterte Eddie. «Jetzt fährt er los, du musst aussteigen, Harne, tu’s nicht!»
Arne presste die Lippen zusammen. Er wünschte, der Bus nach Lysekil wäre kleiner. Eddie sah in diesem hier so winzig aus.
Seine Brillengläser beschlugen. Er versetzte Eddie einen Stoß gegen die Schulter, sodass Eddie auf den Sitz plumpste.
«Tschau, Eddie!», sagte er.
Eddie blinzelte und schluckte.
«Tschau, Arne», flüsterte er.
Arne sprang bei der Mitteltür hinaus und blieb mit den Händen in den Taschen an der Haltestelle stehen. Als der Bus anfuhr, gab er Eddie ein Zeichen, indem er den Kopf ein wenig zurückwarf, und lächelte lieb mit seinen neuen, großen, schiefen Zähnen. Er stellte den Schirm seiner Mütze aufrecht.
Eddie versuchte, auch ein bisschen zu lächeln. Anstelle von Schneidezähnen hatte er eine Lücke und er hatte keine Schirmmütze. Er winkte Arne mit beiden Händen und fühlte, wie es sich in seinem Bauch komisch zusammenkrampfte, als ob er tausend runtergefallene Pflaumen gegessen hätte.
Der Bus rollte davon. Eddie presste das Gesicht gegen die Fensterscheibe. Die war ganz kalt. Er konnte in die Autos runtergucken. In einem Rückfenster sah er einen flauschigen Hund mit großen Ohren. Eddie seufzte ein bisschen. Er durfte nicht mit Hunden zusammenkommen. Nicht mit einem einzigen. Dann kriegte er Asthma.
Ein bisschen wurde er auch deswegen nach Lysekil geschickt. Dort sollte er ein paar Herbsttage verbringen. Sein Papa Lennart hatte sich in den Kopf gesetzt, dass Meeresluft gut für Eddie wäre. Er selber würde achtundzwanzig Tage in ein Heim gehen, wo er «trocken» werden sollte. Das heißt, er sollte lernen, keinen Alkohol mehr zu trinken. Und Arne? Ja, der musste ausgerechnet heute zum Zahnarzt, weil er eine Zahnspange kriegte. Später würde er mit einem anderen Bus nach Lysekil hinterherkommen.
Was für ein Durcheinander! Eddie seufzte wieder. Wenn er selbst hätte entscheiden dürfen, wäre er zu Hause an seinem kleinen Bach geblieben. Dort wusste er, wie alles war. Und nachts hätte er in seinem eigenen Bett gelegen und den Lichtschein betrachtet, der immer dann über die Zimmerdecke wanderte, wenn unten auf der Landstraße ein Auto vorbeifuhr. Das war Geborgenheit. Nicht irgendeine fremde, schreckliche Stadt am großen, kalten, tiefen Meer.
«Bei meiner Schwester geht’s euch gut», hatte Lennart zufrieden gesagt. «Atme ordentlich durch, Eddie, wenn du schon mal am Meer bist. Das ist gut für dich.»
Eddie baumelte mit den Beinen. Er überlegte, wie alt man werden musste, bis sie zum Fußboden reichten. Wenn seine Tante ihn nun mal nicht abholen kam! Das sähe ihr richtig ähnlich. Sie hatte so eine kreischige Stimme und eine wütende Stirn.
«Ach, Eddie, hätte ich ihn abholen sollen? Wie sollte ich mir das merken – ich hab doch so viel zu tun. Ich muss Weißwäsche waschen und Buntwäsche und die Spüle putzen und noch so einiges. Wer ist das übrigens – Eddie?»
Lennarts ältere Schwester Ann-Sofie hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihrem kleinen Bruder. Wenn Lennart nüchtern war und ein kariertes Hemd trug, sah er fast wie Elvis Presley aus. Ann-Sofie sah eher aus wie ein japanischer Ringkämpfer oder wie eine der Frauen bei der Essensausgabe in der Schule. Und außerdem hatte sie vier riesige erwachsene Kinder, die alle einen Ring im Ohr trugen. Aber die waren von zu Hause ausgezogen, zum Glück. Eddie wurde fast ein bisschen wütend, als er daran dachte, dass Ann-Sofie vergessen könnte, ihn vom Bus abzuholen, wenn er ankam. Stand wahrscheinlich zu Hause und briet Fisch oder legte ein Riesenpuzzle, so ein ganz langweiliges, das hundertsechzehn Schwäne zeigte, die zwischen Eisschollen herumschwimmen. Oder sie blätterte in einem Versandhauskatalog mit der neuesten Damenunterwäsche und melierten Herrenunterhemden.