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Shine on me Kampf zweier Seelen um Liebe und Überleben
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Shine on me Kampf zweier Seelen um Liebe und Überleben
eBook484 Seiten5 Stunden

Shine on me Kampf zweier Seelen um Liebe und Überleben

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Über dieses E-Book

Tessa und Damor, beide Ü-50, beide vom Leben gebeutelt, lernen sich in einer Partnerbörse kennen. Liebevoll und zärtlich beginnt ihre Beziehung. Doch einer von ihnen ist nicht fähig zu echten Gefühlen. Sein Ziel ist es, den Partner zu zerstören. Nach einer wahren Geschichte.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum24. Nov. 2020
ISBN9783740797157
Shine on me Kampf zweier Seelen um Liebe und Überleben
Autor

Tessa Thoram

Die Autorin, die die Geschichte selbst erlebt hat und sich unter dem Pseudonym Tessa Thoram verbirgt, lebt in Franken. Sie schreibt vor allem Satire, Thriller und All-Ager.

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    Buchvorschau

    Shine on me Kampf zweier Seelen um Liebe und Überleben - Tessa Thoram

    Kapitel

    1.

    Tessa hatte es sich gemütlich gemacht, auf ihrem zerschlissenen Sessel am alten Kachelofen. Mit Duftlampe, Decke und einem scheußlich schmeckenden Efeutee. Und der ‚Tante Jolesch‘ von Torberg. Jetzt streckte sie sich, schob den Zugregler am Ofen ein wenig auf und legte zwei Holzscheite nach. Mehr nicht, denn der Kaminschacht war marode. Bei starkem Wind wie heute drückte sich sonst gerne mal der Rauch nach innen, wenn der Ofen zu voll war.

    Als es von der Küche her gluckerte, stand sie auf und schlurfte zum Herd. Sie löffelte aufgeschäumte Sahne in eine Tasse und goss den Espresso nach. Der musste jetzt einfach sein. Trotz Erkältung, wieder einmal. Tessa nippte vorsichtig. Genau die richtige Temperatur, stellte sie befriedigt fest. Langsam trank sie einen großen Schluck. Und freute sich. Dass es gut roch und schmeckte, was sich da in ihrer Tasse befand.

    Befriedigt stellte Tessa den Kaffee beiseite und widmete sich den anderen Düften, die ihre Küche durchzogen: Tannenharz und Thymianöl, das sie nun in die aufgelöste, abgekühlte Sheabutter rührte. Da knallte es zweimal an der Haustür. Tessa erschrak, machte eine fahrige Bewegung und ein Teil der Mixtur schwappte über den Rand. Sie brummte ärgerlich, schlurfte zur Tür und öffnete sie.

    Zusammen mit Helen drängte sich der stürmische Wind herein. Tessa schauderte und wich zurück. Mit einer ungeduldigen Handbewegung winkte sie ihre Schwester zu sich.

    Helen schnupperte. „Hmmm, bei dir duftet es schon nach Weihnachten."

    „Duftlampe. Zimt und Orange", sagte Tessa.

    Sie gingen ins Esszimmer. Helen schnupperte erneut. „Jetzt wird’s komisch."

    Tessa lachte und hustete gleich darauf. „Ich hab mir gerade einen Espresso und eine Erkältungscreme gemacht."

    „Mir auch was", verlangte Helen und stellte einen Laptop auf den Tisch.

    „Was, Kaffee oder Thymiancreme?" Tessa grinste und ging in die Küche.

    Helen antwortete nicht, sondern öffnete den Laptop und fuhr ihn hoch. Dann begann sie, lebhaft zu erzählen. Sie konnte es anscheinend nicht abwarten, bis Tessa wieder bei ihr war.

    Tessa kühlte das Espressokännchen ab, befüllte es erneut und stellte es wieder auf den Herd. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, als sie von der Küche aus Helens begeisterten Bericht vernahm. Oh Helen, was stellst du nur mit mir an? Tessa schüttelte den Kopf, schniefte laut und wärmte sich die klammen Hände an Helens Kaffeetasse, bevor sie ins Esszimmer zurück schlurfte.

    „Ganz ehrlich, krächzte sie hustend, „du hast sie doch nicht mehr alle. Halb war sie belustigt, halb verärgert . Sie stellte den Espresso vor Helen ab und setzte sich.

    „Kann sein. Helen drehte den Laptop zu ihr hin und drückte ihr die Maus in die Hand. Helen arbeitete zuhause nur mit der Maus und hatte sie jetzt anscheinend extra mitgebracht. Nach einem Schluck Kaffee sagte sie: „Du guckst das jetzt durch, dann wird’s reingestellt.

    Den Teufel würde Tessa tun. Sie nahm die Hand weg und versah Helen mit einem bösen Blick. „Nein, echt nicht."

    „Na gut, dann kommt es ungeprüft rein." Helen machte Anstalten, nach der Maus zu greifen.

    „Untersteh dich!" entfuhr es Tessa. Widerwillig schnappte sie nach der Maus. Also gut. Je schneller sie das jetzt durchzog, umso eher bekam sie wieder Ruhe. Nach dieser verlangte ihr angeschlagener Körper nämlich sehr.

    2.

    Damor gähnte so herzhaft, dass sein Bart zitterte und leise an der Bettdecke raschelte. Das kitzelte, und mit einem kleinen Quietschen rieb er sich das Kinn. Dann fuhr er sich mit beiden Händen durch die roten Locken und kratzte sich auch dort ausgiebig. Er warf einen Blick aus dem Fenster auf den Dortmunder Himmel. Dunkle Wolken, peitschender Wind, prasselnder Regen. Die ganze Woche war so gemeldet.

    Depri-Wetter, dachte Damor. Also nichts mit Weißen Weihnachten.

    Er schielte jetzt auf den Wecker: kurz vor 9. Seine Mitbewohner waren jetzt alle schon auf der Arbeit. Damor gähnte noch einmal, dann zog er die Beine an die Brust und die Decke bis ans Kinn. Er hatte keine Lust, aufzustehen. Seit Barbara ihn vor zwei Monaten so Knall auf Fall verlassen hatte, waren seine Tage öde. Es fühlte sich an, als steckte er unter einer trüben Glasglocke. Kein Wunder.

    Wie konnte ich mich nur so in ihr täuschen, grübelte er wieder einmal. Aus heiterem Himmel einfach zwei Wochen irgendwohin verschwinden und einen ihrer blöden Cousins als ‚Auszugsvollstrecker‘ zu uns beordern. Echt das Letzte! Er war wie im Schock gewesen. Scharf zog er jetzt den Atem ein. Es tat immer noch weh.

    Ächzend drehte Damor jetzt seine 1,93 Meter auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Mit Ende 50 in Rente zu gehen, war schon immer sein Traum gewesen. Alle Hobbys genießen zu können, bevor die Tage nur noch ausgefüllt waren mit diversen Zipperlein, Arztbesuchen und kurzen Gängen mit dem Rollator, die Straße hinauf und hinunter.

    Nachdenklich befühlte er ein ansehnliches Loch unter der Achsel in seinem Oberteil. Ich könnte jetzt alles machen, wozu ich Lust hätte, dachte er. Spazieren gehen, malen, meditieren... Warum kann ich mich zu nichts aufraffen? Er wusste es. Er brauchte einfach eine Gefährtin, die mit ihm ging. Unwillkürlich schüttelte Damor den Kopf. Es störte ihn, dass das so war. Er hatte es schon immer gehasst, von jemandem abhängig zu sein. Aber er kam gegen diese Sehnsucht nicht an, sie war übermächtig.

    Damor stieß einen Unmutslaut aus, drehte sich wieder auf die Seite und schloss die Augen. Er verscheuchte die trüben Gedanken und versuchte, sich an seinen Traum zu erinnern. Es gelang ihm nicht. Das Trommeln der Regentropfen klang jetzt fast wie ein Rhythmus. Klack-klack, klack-klack-klack, klack-klack...

    3.

    Tessa seufzte, zog die Nase hoch und überflog dann ihr Profil in der Partnerbörse, das Helen schon angelegt hatte. Eigenmächtig, ohne sie vorher zu fragen. Tessa schüttelte erneut den Kopf und verzog das Gesicht. Was für eine Schnapsidee! Aber sie konnte ja erst einmal mitspielen, bis Helen wieder Ruhe gab. „Ganz Deutschland? Tessa zog die Augenbrauen hoch. „Ich kann doch nicht nach Hamburg oder Berlin fahren! Wie stellst du dir das vor? Können wir uns nicht auf Franken oder wenigstens auf Bayern beschränken?

    Helen gab keine Antwort.

    „... bis 60? Ich will doch keinen Greis!"

    Helen machte ein strenges Gesicht und klopfte mit den Fingerknöcheln auf den alten Esszimmertisch.

    Wider Willen musste Tessa lächeln. Es klang nicht so unerbittlich wie sonst, der Wind boykottierte ihre Schwester. Heute klopfte, rüttelte und klapperte er besonders mit den zahlreichen maroden Bestandteilen ihres alten Häuschens. Es war das Elternhaus gewesen, Tessa hatte es übernommen, nachdem beide Eltern kurz nacheinander gestorben waren. Sie hatte sich gefreut, dass sie nach zwanzig bewegten Jahren wieder in ihrem Heimatdorf Hausen gelandet war.

    „Also, nach zwei Ehen und deinen anderen Versuchen wäre mal ein erfahrener Mann nicht das Verkehrteste. Meine ich", sagte Helen jetzt.

    Tessa ahnte, was ihre Schwester sonst noch dachte. Etwa, dass Tessa mit ihren grauen, langen Zöpfen älter aussah als ihre 47. Und dass ihre zerschlissenen, x-mal geflickten Jeans und die grauen und braunen Sweaters alles andere als eine Augenweide waren. Sie musterte ihre gepflegte Schwester. Auch Tessa hatte sich früher oft geschminkt und schöne Kleider getragen. Aber jetzt hatte sie zu kämpfen. Sich acht Stunden täglich um behinderte Menschen zu kümmern, danach dafür zu sorgen, dass das alte Haus nicht zerfiel, das war kein Zuckerschlecken. Und dazu noch den großen Garten halbwegs nachbarkompatibel zu halten. Und bis vor kurzem auch noch zwei Kinder alleine großzuziehen. Da hatte man weder Zeit noch Lust zum Sich-Herausputzen.

    Noch eine Ahnung überfiel Tessa. Ihr Blick wurde traurig und ein wenig bitter. Von Helens anderen Gedanken, die sie aber niemals aussprechen würde. Dass Tessa seltsam war, schon immer gewesen. Dass sie nicht nur mit Männern, sondern mit den meisten Menschen Probleme hatte.

    Helen fing ihren Blick auf. Sanft nahm sie ihr die Maus aus der Hand und klickte das Profil auf ‚aktiv‘.

    4.

    Klack-klack, klack-klack-klack, klack-klack... Das Geräusch der Regentropfen kam jetzt nicht mehr von außen, Damor hörte es in seinem Inneren.

    ...gluck... gluck, gluck...gluck... Wenn er trank, machte es immer ein lustiges Geräusch in seinem Hals. Aber der kleine Daniel-Moritz lächelte nicht. Er war satt und doch nicht satt.

    Das Gesicht vor ihm aber lächelte. Und lächelte doch nicht. Es flüsterte und schrie doch leise: „Ich werde dich versorgen, wie ich es auch bei den anderen getan habe. Weil es meine Pflicht ist. Meine Brust bekommst du aber nicht, DU nicht! HERR, bewahre mich vor allem Übel, HERR, gib mir die Kraft für diesen Balg, HERR, Deine Wege und Prüfungen sind unergründlich – rote haar und sommersprossen sind des teufels volksgenossen rote haar und sommersprossen sind des teufels volksgenossen..."

    Daniel-Moritz’ Hals machte jetzt kleine, klagende Geräusche. Auf seiner Haut lag etwas Warmes und Weiches, aber in ihm drinnen war es schrecklich kalt. Dann hörte er die tiefe Stimme: „Bertha, wo bist du? Was macht denn unser kleiner roter Teufel? Und dann das dunkle Lachen, Lachen: „Ha-ha, ha-ha-ha, ha-ha... Klack-klack, klack-klack-klack...

    Damor wurde ein zweites Mal wach. Hatte er schon wieder gelacht im Traum? Er tat das oft, konnte sich aber an den Rest des Traumes nicht mehr erinnern. Es blieb immer nur ein schales Gefühl zurück, das nicht zum Lachen passten wollte.

    5.

    Aus dem Laptop starrte Tessa ihr Ebenbild entgegen. Allerdings in Bluse und Sommerkäppi. Und der Haken im Kästchen aktiv‘. Für einen Moment war sie sprachlos über Helens eigenwillige Machenschaften. „Mensch, ich bin doch noch gar nicht durch!" Ein Hustensturm erstickte ihre Empörung.

    „Nur die Ruhe. Helens Stimme klang dumpf, ihre Nase steckte in der fast leeren Kaffeetasse. „Du kannst es jederzeit ändern. Bei den Hobbys hab ich Malen, Lesen und Schreiben rein, in der Natur sein und Essen gehen. Esoterik lieber nicht, damit du nicht gleich in eine Schublade gesteckt wirst. Das Foto hab ich von deiner Kur genommen, da bist du ein bisschen braun und lächelst wenigstens mal.

    „Das ist doch schon fast drei Jahre her!"

    „Na wenn schon. Ist doch nur für den ersten Eindruck."

    Tessa ergab sich. Wenn Helen etwas wollte, machte sie es. Da biss die Maus keinen Faden ab. Wenigstens konnte Tessa sich jetzt gleich wieder in ihren Sessel kuscheln. Mit ihrer Decke und einer schönen, heißen Wärmflasche.

    Doch Helen machte ihr einen Strich durch die Rechnung:

    „Komm, sagte sie und zog Tessa hoch. „Hol deinen Tabak, wir gehen auf den Balkon. Eine Zigarette mit mir wirst du schon verkraften.

    Damor streckte sich jetzt ausgiebig. Er schob das bittere Gefühl beiseite, das er beim zweiten Aufwachen gefühlt hatte. Seufzend kickte er die Decke weg und stand auf. Er schlurfte ins Bad und ließ das Duschwasser an. Unter der heißen Dusche drängte sich der Gedanke an eine Frau wieder in den Vordergrund.

    Ich hab beruflich viel erreicht und steh finanziell gut da, dachte Damor. Ich bin sensibel, aber auch ein Kämpfer. Ich hab einen interessanten Freundeskreis und ich sehe doch noch ganz passabel aus, oder?

    Sicher, las er die Antwort im Duschkopf, indem sich sein Gesicht spiegelte.

    Überall wurde er geschätzt und war beliebt. Warum, zum Teufel, klappte es nur mit den Frauen nicht? Warum ließ ihn seine Sensibilität immer an Exemplare geraten, die sich als kompliziert oder als wirklich krank herausstellten? Damors nackte Füße klatschten auf dem gefliesten Boden, als er in sein Zimmer ging und seine T-Shirts begutachtete. Nach welcher Farbe war ihm denn heute? Er entschied sich für rot, seine Lieblingsfarbe. Als er sich angezogen hatte, ging er ins Bad zurück. Nach dem Kämmen seiner widerspenstigen Locken hielt Damor inne und sah sich in die Augen.

    Du brauchst eine Frau, sagten sie zu ihm. Tu was! Jetzt sofort!

    Damor wies mit dem Finger auf sein Spiegelbild. „Also gut, gab er auf die Herausforderung zurück. „Das kostet mich nur einen Fingerzeig.

    Zehn Minuten später dampfte und duftete in der WG-Küche verführerisch ein Ingwer-Schoko-Tee. Damor setzte sich damit an den Tisch. Er knurrte, als er die harte, blanke Fläche des Stuhls spürte. Die zerschlissenen Stuhlpolster hatten sie weggeworfen und noch keiner der vier Herren hatte sich dazu aufraffen können, sie zu ersetzen. Nur Wolfgang hatte sein eigenes, das Relikt eines Indienbesuchs.

    Damors Laptop war hochgefahren und der Bildschirm zeigte die Seite eines Dating-Portals. Sein Zeigefinger lag jetzt auf dem Touchpad. Er tippte kurz darauf, und der grüne Haken unter dem Aktivitätsmodus sprang aus dem Kästchen ‚ruhend‘ in das von ‚aktiv‘.

    Damor atmete tief ein. Dann hob er seine Tasse und hielt die Nase in den Duft seines scharf-süßen Tees.

    6.

    Tessa öffnete die Klappe am Wasserkessel und das Ventil stellte sein enervierendes Pfeifen ein. Sie brachte ihr Gesicht aus dem Dampf und hielt den Kessel über die Tasse mit dem Efeu-Teebeutel. Da knallte es zweimal durch das ganze Haus. Tessa zuckte zusammen und verschüttete das heiße Wasser auf ihr Abendbrot neben der Tasse.

    „Sch...", zischte sie. Es gab nur einen Menschen, der ihren alten Löwenkopf-Türklopfer so bediente, dass man eher an einen Blitzeinschlag dachte als an Besuch.

    „Helen, du hast immer ein perfektes Timing. Tessa stellte den Wasserkessel wieder ab und lief zur Haustür. „Einen Kaffee bitte, sagte Helen zur Begrüßung. Sie kickte mit ihrem Laptop das Buch beiseite, das auf dem Esszimmertisch lag.

    Tessa schüttelte den Kopf. Wie konnte man um diese Uhrzeit noch Kaffee trinken? Sie brummte: „Mir geht’s immer noch beschissen, danke der Nachfrage."

    „Nur mal nachgucken."

    Seufzend warf Tessa ihr durchweichtes Brot weg. Sie kochte einen Espresso und stellte ihn so hart vor Helen hin, dass er bis zum Tassenrand hochschwappte. „Hier, sagte sie, „du kannst ja mal nachsehen. Ich für meinen Teil möchte jetzt bitte wieder in meine Decke und in Ruhe weiterhusten.

    „Nichts da. Helen zog Tessa auf einen Stuhl. „Wir gucken zusammen, ob was Schnuckeliges dabei ist. Nur ganz kurz.

    Tessa überlegte. Helen brachte es eiskalt fertig, für sie zu antworten oder sogar ein Date auszumachen. Sie ergab sich, stützte den Kopf in ihre Hände und seufzte tief. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt. Woher sollte sie die Kraft nehmen für einen Mann, für Dates und Unternehmungen? Sie war jetzt fast zehn Jahre ohne Partner. So ziemlich alle ihre Beziehungen waren in einer Katastrophe geendet. Darauf hatte sie keine Lust mehr. Mit verquollenen Schnupfenaugen blickte sie ins Leere. Sollte Helen doch gucken, Tessa würde sich schön bedeckt halten.

    Indische Klänge, zwei Männerstimmen und das helle Flurlicht drangen in Damors Zimmer. Er saß auf seinem Bett, das Laptop auf den Knien. Wolfgang und Uwe brutzelten etwas in der Küche, Herbert war noch unterwegs. Auf dem Bildschirm vor ihm sahen ihn die blau-grauen Augen einer Frau an. Sie faszinierten ihn.

    Wie bewegtes Wasser, dachte er. Das Profil hatte er nur flüchtig gelesen. Hier waren alle auf irgendeine Art sozial oder ökologisch tätig. Das gehörte zum Profil der Partnerbörse. Damor tat zwar selbst nichts in der Richtung, aber fast alle seiner bisherigen Frauen. Seine Ex-Frau war Sonderpädagogin, unter seinen anderen Beziehungen waren eine Lehrerin und eine Sozialpädagogin gewesen. Barbara, die letzte, war Tanztherapeutin. Diese Frau hier arbeitete mit behinderten Menschen.

    Damors Blick glitt über ihr Gesicht, wanderte von den Augen zu ihrem Mund. Weich ist ihr Lächeln. Ihre Lippen sind schmal, aber auf eine ganz eigene Art sinnlich.

    Dann ging sein Blick über den Rest der Gestalt. Direkt schön ist sie nicht, dachte er. Aber die Figur ist in Ordnung.

    Das Aussehen war Damor schon wichtig. Aber Modell-Typen mochte er nicht, zumindest nicht als Partnerin. Wenn eine Frau zu schön und gepflegt war, fühlte er sich unsicher. Lieb musste sie vor allen Dingen sein. Das war es, was er brauchte. Lieb und einfühlsam und verständnisvoll. Aber das waren ja alle seine Frauen gewesen. Zunächst! Nach seiner langjährigen, kranken Ehe und den zahlreichen Fehlversuchen sehnte sich Damor nach einem liebevollen Hafen.

    „Das habe ich verdient, murmelte er der Frau zu. „Wirst du das für mich sein?

    Man bekommt immer das, was man verdient, klang es in seinem Kopf. Damor atmete tief ein und der Duft von gebratenem Fleisch und Rosenkohl stieg ihm in die Nase. Dann klickte er den Like-Button an.

    7.

    Helen rollte und klickte mit ihrer Maus herum. „Ey, du hast schon zwölf Likes! Sie strahlte und schlürfte an dem heißen Espresso. „Was sagst du dazu?

    Tessa knurrte nur etwas Unverständliches.

    Helen sah die potentiellen Kandidaten kritisch durch. „Der mit dem Bierbauch nicht", entschied sie.

    „Also ehrlich, Tessa war empört. „Das Aussehen war mir nie wichtig. Vielleicht steckt hinter dem Bierbauch ja ein lieber Bär?

    „Mnch, Helen machte ein zweifelndes Geräusch. „Der sieht mir eher nach einem aus, dem du Pantoffeln, Chips und Bier an den Fernseher tragen musst.

    „Um Gottes Willen, hustete Tessa. „Ehrlich, Helen, ich will wirklich keinen mehr. Das wird doch nur wieder ein Desaster.

    Ihre Schwester schüttelte missbilligend den Kopf und blickte sie streng an. „Jetzt reden wir mal Tacheles, sagte sie. „Du weißt, dass du noch nie ein Händchen für Männer gehabt hast. Lass mich da mal ran, ich suche dir einen richtigen Schnuckel.

    Tessa senkte den Blick. Es tat weh, aber Helen hatte Recht.

    Mit zusammengekniffenen Augen durchforstete Helen die Profile. „Guck mal, der ist interessant. Ingenieur im Ruhestand, groß, rote Locken, blaue Augen. Er hat einen schrecklichen Rübezahl-Bart, aber das lässt sich ja schnell ändern."

    Hustend und skeptisch betrachtete Tessa das Foto. Sie stand nicht auf rote Haare. Aber der Mann sah gut aus, soweit man das bei dem wilden Bart überhaupt beurteilen konnte. Er war groß und schlank und sehr aufrecht. Aber etwas lag in seinen Augen, das Tessa seltsam vorkam. Sie blickten irgendwie so intensiv. „Viel zu schön, sagte sie dann. „Der passt doch gar nicht zu mir.

    „Hallo? Helen klopfte mit den Fingerknöcheln. „Das hast du mal verdient!

    Tessa musste plötzlich lachen. Vor zehn Minuten hatte sie etwas in ‚Tante Jolesch‘ gelesen, das sie nun zitierte: „Was ein Mann schöner ist wie ein Aff’, ist Verschwendung."

    Helen lachte auch. „Im Ernst, du kannst doch mal mit ihm telefonieren, dann sieht man weiter."

    „Helen, ich will aber keinen Mann, echt nicht. Mir geht’s auch ohne schon beschissen genug."

    „Ich kann ihm auch schreiben, dann geb‘ ich ihm deine Nummer..." Helen beugte sich über die Tastatur.

    „Hey, du spinnst! Komm, lass mich mal ran, bevor du hier was vom Pferd schreibst."

    Zufrieden stand Helen auf. „Jetzt koch ich dir einen Tee, den wirst du schön austrinken. Damit du dem armen Kerl nicht was hustest, wenn ihr telefoniert."

    8.

    Helen wohnte mit ihrer Familie in einem großzügigen Einfamilienhaus in Eberle, etwa sechs Kilometer von Tessa entfernt. Sie saß jetzt mit ihrem Mann Rufus und ihrem Bruder Leonhard bei einem Glas Wein. Es war, wie meistens, ein spontaner Besuch, Leonhard kam von einem Ärztekongress in Bayreuth. Geplante Treffen zwischen den drei Geschwistern gab es kaum mehr, seit ihre Eltern gestorben waren.

    Das Gespräch drehte sich wieder einmal um Tessa. Helen hatte es schon bereut erwähnt zu haben, dass die Schwester heute Abend ein Date hatte. Leonhard und Tessa hatten nicht das beste Verhältnis.

    Leonhard hielt seinen Volkacher Kirchberg kennerisch ins Licht. Dann schlürfte er ihn und verteilte ihn an alle Geschmacksknospen. „Ein guter Tropfen, lobte er. „Was Tessa wohl heute Abend mit ihrem neuen Opfer zu sich nimmt? Ich tippe auf Ayurveda-Tee mit Dinkel-Quinoa-Plätzchen. Ohne Zucker natürlich. Begleitet vom Odeur einer Duftlampe und einschläfernden Meditationsklängen. Oder er darf einen Kamillentee mittrinken und ihr Wadenwickel machen, wenn sie wieder mal krank ist. Leonhard verdrehte die Augen.

    „He. Helen klopfte auf ihren schönen Nussbaumtisch. „Sei doch nicht immer so garstig mit ihr. Sie kann doch nichts dafür, dass sie so oft krank ist. Und lass ihr doch ihren Eso-Kram, sie tut ja keinem weh damit. Helen fragte sich immer, wie ihre Eltern drei so unterschiedliche Kinder hatten hervorbringen können. Leonhard, den totalen Pragmatiker, Tessa, die Soziale und Spirituelle und sie selbst, eine gesunde Mischung aus beidem.

    „Was? Leonhard zog die Augenbrauen hoch. „Und wie nennst du das, dass ihr eigener Sohn sie kaum mehr besucht, weil ihm die Lebensart seiner Mutter peinlich ist?

    Helen seufzte. Leo war das Patenkind ihres Bruders und nach ihm benannt. Leonhard war nicht verheiratet und hatte keine eigenen Kinder. Er hatte Leo ganz unter seine Fittiche genommen, seit dieser ebenfalls Medizin studierte. „Ach, und du mit deiner Ablehnung und deinem Dünkel hast wohl nichts dazu beigetragen, Herr Doktor?" Helen konnte sich das nicht verkneifen. Leo war ein guter Junge, gescheit und strebsam. Auch Emmy war in Ordnung, seine Schwester, die Germanistik studierte. Leo war nur zur Zeit ein bisschen zu sehr von seinem ehrgeizigen Patenonkel beeinflusst.

    Helen blickte ihren Bruder ernst an. „Emmy und Leo gehen beide ihren Weg. Das hat Tessa zehn harte Jahre alleine geschafft. Zählt das denn gar nichts bei dir?"

    „Gute Gene, mehr nicht. Leonhard lehnte sich zurück. „Tessa ist auch nicht dumm. Aber es gibt so ’ne Dummheit und so ’ne! Wer das Gymnasium schmeißt, weil er ‚helfen‘ will und wer von einer Männerkatastrophe in die andere rennt, der hat trotz aller Gescheitheit nicht kapiert, wie’s im Leben läuft. Leonhard zeigte seine offenen Hände. „Schau, helfe ich als Arzt denn nicht? Aber ich bekomme wenigstens gutes Geld dafür. Von der Anerkennung in der Gesellschaft ganz zu schweigen."

    „Jetzt mach aber mal halblang! Helens Ton wurde schärfer. „Irgendwer muss sich ja auch um unsere Kinder kümmern! Und um die Kranken, Alten und Behinderten. Was kann Tessa denn dafür, dass die Gesellschaft uns nicht sehen will und uns so schlecht bezahlt? Helen hatte selbst als Krankenschwester gearbeitet, bevor sie Rufus geheiratet hatte. Rufus war Leiter eines Privatsanatoriums. Er verdiente gut, deshalb hatte Helen sich ganz ihren beiden Kindern Pauline und Sebastian widmen können. Aber sie half jetzt gerne in der Gemeinde, wo immer Hilfe nötig war.

    Rufus, der bisher schweigend zugehört hatte, griff nach seinem Weinglas. „Haben wir wieder einmal ein gefährliches Thema? Er blickte gelassen von einem zum anderen. „Ich bin raus aus der Nummer. Ihr findet mich in meinem Arbeitszimmer. Wenn ihr nach der Schlacht eure zerzausten Haare und eure zerrissenen Kleider und blutigen Striemen versorgt habt. Er stand auf und gab Helen einen Kuss auf den Kopf. Dann nickte er Leonhard zu und ging.

    Helen schickte ihm ein kleines Lächeln hinterher. Rufus tat sich die Streitgespräche um das schwarze Schwester-Schaf nicht mehr an. Er konnte sie lassen, wie sie war. Jetzt war ihm sicher nach Beine-Hochlegen, sanftem Blues und seinem Wein. Später würden sie alle drei noch zum Marokkaner essen gehen. Wenn sich das Thema Tessa, wie immer ohne Ergebnis, erschöpft haben würde.

    Leonhard konnte es einfach nicht lassen. „Der arme Mann. Wer ist denn diesmal das Opfer?"

    „Hallo? Helen sah ihren Bruder böse an. „Zehn Jahre war sie jetzt alleine! Da darf sie doch mal wieder ein Date haben, oder? Sie verschwieg lieber erst einmal, dass sie selbst für dieses Date gesorgt hatte. „Und was heißt armer Mann... der ist gestandene 58, und Ingenieur gewesen. Der wird schon auf sich aufpassen können. Und was soll sie ihm denn tun? Ihm den Arm brechen?"

    „Sein Herz. Leonhard blickte Helen bedeutsam an. „Wie sie es schon mit wer weiß wie vielen gemacht hat.

    „Du übertreibst. Die hatten allesamt ihre eigenen Macken."

    „Ja, weil sie sich auch immer die schrägsten Typen aussucht!" Leonhard war laut geworden.

    „Dieses Mal nicht." Helen lehnte sich zufrieden zurück und verschränkte die Arme.

    „Oh, und warum nicht? Leonhard wurde sarkastisch. „Hat sie endlich was dazugelernt? Macht sie wieder einmal eine Therapie? Oder hat sie endlich eine Erleuchtung bekommen durch eine transzendentale Meditation?

    „Nein."

    Leonhard hob beide Hände. „Also, was spricht dafür, dass es diesmal nicht genauso im Fiasko endet wie die 30 Jahre zuvor?"

    Um Helens Mund zuckte es. „Weil ich ihn für Tessa ausgesucht habe. In einem Portal für sozial und ökologisch engagierte Menschen. Wo ich sie angemeldet habe."

    Leonhard schlug sich an die Stirn. „Gott helfe dem armen Ingenieur."

    9.

    Von Damors Familie wusste niemand von seinem Date im schönen Oberfranken. Von seinen Freunden auch nicht. Damor hielt sich da schön bedeckt. Zu seinen drei Schwestern und seinem Bruder hatte er kaum Kontakt. Zu seiner Ex-Frau nur sporadisch und zwangsweise. Etwa, wenn es um das Haus ging, in dem sie noch wohnte und das ihm zur Hälfte noch gehörte. Oder wenn etwas anlag, das ihre vier Kinder betraf. Die Kinder sah Damor auch nur selten. Jan, der Älteste, war Ingenieur, wie er selbst. Annbritt war Tierpflegerin, Sören und Nils studierten Jura und Informatik. Damor besuchte zwei, dreimal im Jahr jedes seiner Kinder für ein paar Tage. Dass sie zu ihm kamen, mochte er nicht. Bis vor kurzem hatte er mit Barbara eine schöne Wohnung am Rand von Köln gehabt. Davor... Es war wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass er die Kinder, und nicht sie ihn besuchten. Sie brauchten nicht so viel zu wissen von seinen unglücklichen Beziehungsversuchen. Aber Damor war ein Kämpfer, ein stiller. Er würde sie schon noch finden, seine Gefährtin, für das Teilen von Gebiss und Rollator und das gemeinsame Meckern über das schreckliche Essen vom Seniorenlieferservice.

    Als Damor seinen grünen Volvo in den Windschatten des LKWs fuhr, ruckte der Wagen heftig. Der Tag war stürmisch und eiskalt. Doch Damor blieb ruhig. Er fuhr gerne und war ein sicherer Fahrer. Gemächlich zuckelte er hinter dem LKW her. Bloß nicht abgehetzt und gestresst sein beim ersten Date mit ihr, dachte er. Er rechnete mit guten fünf Stunden bis zu dem kleinen Kuhkaff bei Bayreuth. Mein Gott, ich freue mich auf sie!

    Damor fühlte sich gut vorbereitet. Er hatte kein Deo aufgetragen, weil Tessa keine chemischen Düfte vertrug. Er hatte apricot-farbene Rosen besorgt und eine Schachtel Dinkel-Schoko-Plätzchen, weil diese nicht zu den zahlreichen unverträglichen Dingen von ihr gehörten.

    Bis Weihnachten hatte es leider nicht geklappt. Damor hatte einen Kurs gebucht, er wollte Weihnachten keinesfalls alleine oder in der WG verbringen. Unter einem spirituellen Deckmantel war dies ein Treffen von einsamen Ü-Fünfzigern gewesen, die alle das Alleinsein fürchteten, besonders an Weihnachten. Der Kurs war teuer und ein Rücktritt ohne Verlust nicht möglich gewesen. Und es hätte ja auch etwas Passendes dabei sein können. War aber nicht.

    Während des Kurses hatten er und Tessa schon ein paarmal miteinander telefoniert. Damor lächelte, als er daran dachte. Er hatte in der Partner-Börse nur eine einzige Zeile an Tessa geschrieben. Nämlich, dass er nicht gerne schrieb, dahinter seine Handynummer. Tessa kam ihm recht unerfahren vor; sie hatte das gleich akzeptiert und noch am selben Abend hatten sie miteinander gesprochen. Sie hatte sich auch gleich darauf eingelassen, dass sie sich bei ihr trafen, damit nur einer von ihnen den langen Weg hatte.

    Der LKW fuhr nun schneller. Damor ließ ihn abziehen und lehnte sich gemütlich zurück. Er wusste, dass seine warme Stimme Eindruck auf Tessa gemacht hatte. Er war aber auch angenehm überrascht gewesen. Schön weich ist ihre Stimme, dachte er. Sie moduliert irgendwie ihre Sätze, wird mal heller, mal dunkler. Das klingt sehr erotisch. Passt gar nicht zu ihrem lieben, braven Aussehen und ihrem Profil. Typischer Frauenberuf, typische Frauenhobbys. Nichts Aufregendes. Aber sie malt!

    Die Gespräche waren gut gewesen. Natürlich erstmal ein Abtasten, Fragen über Job, Familie, Hobbys. Aber sie waren bald in die Tiefe gegangen, hatten über Sinnfragen, Philosophisches und Spirituelles gesprochen. Das war gut so. Damor erzählte nicht gerne viel über sich. Und keine seiner Beziehungen hatte je ein Bild von ihm gesehen, nicht einmal seine Ex-Frau. Die meisten wussten nicht einmal, dass er malte. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass es sich nicht gut anfühlte, wenn andere zu viel von ihm wussten. Alle Frauen wollten immer sensible Männer. Aber wenn er seine Verletzlichkeit zeigte, nutzten sie es aus.

    Damor bemerkte, dass er jetzt statt seiner spritsparenden 90 schon 130 fuhr und sich wieder dem LKW näherte. Es drängte ihn anscheinend, diese Frau kennenzulernen. Trotzdem drosselte er die Geschwindigkeit wieder. Es war keine Eile nötig.

    10.

    Das Feuer in Tessas altem Kachelofen brannte gleichmäßig und strahlte eine wohlige Wärme aus. Die Zimmer waren halbwegs ordentlich und sauber. Bis auf das Kabüffchen, ihr Kreativzimmer. Aber da musste sie Daniel-Moritz ja nicht gleich hineinsehen lassen. Der Spiegel in der Garderobe zeigte ihr ein einigermaßen zufriedenstellendes Bild. Helen hatte sie zu allerlei Sachen überreden wollen, Friseur, neuen Klamotten, Kosmetikerin. Doch Tessa wollte in keine Rolle schlüpfen. Auch wenn die der selbstbewussten, attraktiven Frau – die sie durchaus beherrschte, wenn es sein musste – ihr die Nervosität erspart hätte, die sie jetzt überkam. Sie wusste aus leidvoller Erfahrung, dass diese Rollen keine Basis für eine gute Beziehung waren. So hatte sie hatte nur eine Jeans gewählt, die ihr gut stand, hatte die Haare frisch gewaschen und etwas Wimperntusche aufgelegt.

    Tessa seufzte, während sie den Wasserkessel aufsetzte und nach der Plätzchendose auf dem Küchenschrank angelte. Eigentlich hatte sie es beim Telefonieren bewenden lassen und Helen sagen wollen, dass der Mann nicht zu ihr passte. Irgendwie war sie aber dann doch in dieses Date hineingerutscht. Die Gespräche waren gut gewesen. Daniel-Moritz hatte sie von einem spirituellen Kurs aus geführt, das alleine war Tessa schon sympathisch. Zuvorkommend hatte er gesagt, dass er ihr den langen Fahrweg ersparen mochte und hatte sie gebeten, ein Zimmer in Bayreuth für ihn zu reservieren.

    Nervös tigerte sie jetzt in ihrem alten Häuschen umher, schüttelte hier ein Kissen auf, rückte dort Nippes zurecht. Tessa betrachtete ihre Einrichtung und es wurde ihr plötzlich bewusst, wie einfach sie wohnte. Alles hier war uralt oder von Second-Hand gekauft. Aber das war halt so, wenn man zwei Kinder alleine großzog und in einem Frauenberuf arbeitete. Würde es Daniel-Moritz zu schäbig bei ihr sein?

    Ihre Gedanken wanderten zu ihrem Eindruck am Telefon. Tolle Stimme hat er, dachte sie. Dunkel, aber nicht zu tief. Samtig, aber nicht zu weich. Und er spricht so schönes Hochdeutsch, mit diesem stimmhaften ‚s‘. Dagegen klingt unser Fränkisch richtig plump. Die Gespräche waren gut gewesen. Sie hatten einen Draht zueinander.

    Ein Blick auf die Küchenuhr verriet Tessa, dass sie noch Zeit hatte. Sie machte sich einen Espresso, setzte sich in ihr Kabüffchen und drehte sich eine Zigarette. Während sie den Rauch einsog, sann sie über ihren Traum von gestern Nacht nach.

    Ein Mann hat einen schwarzen Panther an der Leine. Tessa steht ganz nahe bei ihm. Obwohl sich das Tier ruhig verhält, hat sie ein wenig Angst vor ihm. Aber sie ist auch fasziniert von seinem grünen, wilden Blick, seiner Autonomie trotz der Leine, seiner Majestät. Plötzlich ist sie selbst der Panther. Sie durchstreift einen Dschungel. Der besteht aus vielgestaltigen Pflanzen, ist aber tief verschneit. Da sieht sie einen Schatten neben sich. Es ist noch ein Panther, ein Männchen. Sie pirschen gemeinsam durch den Dschungel. Das fühlt sich wunderbar an! Sie erreichen eine Lichtung, die den Blick auf einen blaugrünen See freigibt. Der Tessa-Panther tritt an das Ufer, um zu trinken. Aber der See ist gar

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