"Hier stehe ich und kann nicht anders!": Martin Luther, Martin Luther King und die Musik
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Buchvorschau
"Hier stehe ich und kann nicht anders!" - Evangelische Verlagsanstalt
I. M ARTIN L UTHER UND M ARTIN L UTHER K ING , J R. UND DEREN B EDEUTUNG FÜR HEUTE
H
IER STEHE ICH UND KANN NICHT ANDERS!
Martin Luther und Martin Luther King, Jr.
Michael Haspel
Haben Sie sich eigentlich auch schon einmal gefragt, wie es kommt, dass gerade jemand wie Martin Luther King, Jr., der selber so etwas wie ein Reformator wurde, schon als Kind den Namen Martin Luther bekommen hat, als man noch gar nicht wissen konnte, dass er einmal Führer der Bürgerrechtsbewegung, Anti-Kriegs-Aktivist und Friedensnobelpreisträger werden würde?Das Spannende ist, er hieß gar nicht von Anfang an so. Er wurde als Michael King, Jr. geboren. Als sein Vater 1934 zu einem internationalen Baptisten-Kongress nach Berlin fuhr, war er von Martin Luther so beeindruckt, dass er nach seiner Rückkehr sowohl seinen als auch den Namen seines Sohnes änderte. Ob so etwas Menschen in ihrem Lebensweg beeinflusst?
Als Martin Luther King, Jr. 1964 in Berlin auf der Waldbühne und im Ostteil der Stadt in der Marien- und Sophienkirche zu tausenden Menschen gesprochen hat, sagte er, dass der Busboykott in Montgomery und damit die Bürgerrechtsbewegung aus Gehorsam gegen das Gewissen heraus begonnen habe. Wie Martin Luther vor dem Reichstag zu Worms gesagt hat: »Ich stehe hier. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir«, so war es für Rosa Parks am Beginn des Busboykotts in Montgomery und für viele andere: Sie konnten nicht mehr anders, als der Ungerechtigkeit und dem Unrecht auf Grund ihres Glaubens zu widerstehen. King sagte dazu: »So begann unsere Bewegung nicht durch die Pläne der Menschen, sondern durch das mächtige Handeln Gottes.«
Für King war sein politisches Engagement immer Ausdruck seines Glaubens, und er war davon überzeugt, dass Gott die Bürgerrechtsbewegung unterstützt, allen Widrigkeiten zum Trotz. Diesem Zusammenhang von Glauben und Gerechtigkeit, persönlicher Gottesbeziehung und gesellschaftspolitischem Engagementmöchte ich auf den Spuren, die Martin Luther King gelegt hat, nachgehen.
King hat immer wieder gesagt: Eine Religion, die sich nicht um das Seelenheil der Menschen und die existentiellen Grundfragen kümmert, sei genauso wenig eine gute Religion wie eine, die sich nicht um das Wohlergehen der Menschen, Überwindung der Not und Gerechtigkeit kümmert.
Für ihn gehören drei Dimensionen zusammen: die persönliche Gottesbeziehung, die Liebe zum Nächsten, die daraus fließt, und das Engagement für eine gerechtere Gesellschaft auf dem Weg zum Reich Gottes.
King hat z. B. oft zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter gepredigt und angemahnt, dass in einer Welt, in der die unterschiedlichen Kinder Gottes immer mehr miteinander vernetzt sind, christliche Nächstenliebe nicht zur Selbstgenügsamkeit homogener Gemeinden auf den Inseln der Glückseligen werden dürfe. Allerdinges hat er immer wieder betont, wie wichtig diese Dimension des unmittelbaren Helfens ist. Aber er ist nicht dabei stehen geblieben, er hat sich auch immer wieder auf das Prophetenwort des Amos bezogen:
»Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.« (Amos 5, 21–24)
Eine selbstbezügliche Frömmigkeit lehnt King mit Amos ab. Zum wahren Gottesdienst gehört Musik, gehört Dank in Gebeten und Liedern.
Aber wenn Gottesdienst darauf beschränkt bleibt und sich nicht den Nächsten und der Welt zuwendet, dann schmeckt er schal. Unmittelbare Nächstenliebe strömt aus dem Glauben, in demwir selber Gottes Liebe erfahren. Aber es soll nicht nur die aktuelle Not gelindert werden, sondern auch die Ursachen von Ungerechtigkeit sollen behoben werden.
Beim Busboykott in Montgomery ging es ja nicht darum, dass Rosa Parks auf ihrem Platz sitzen bleiben durfte, sondern darum, die ungerechten Gesetze zu ändern, welche die Schwarzen benachteiligten. Gute Entwicklungszusammenarbeit zielt ja nicht nur darauf, Hunger zu lindern, sondern die Strukturen zu ändern, die zu Hunger führen. Das ist auch die Frage, die sich bei uns bei den Tafeln und angesichts der Situation der Geflüchteten stellt: Es ist wichtig, bei Not unmittelbar zu helfen, aber wie werden die Ursachen für die Not bekämpft?
Schon im Alten Testament gab es das Wissen, dass Gerechtigkeit nur durch Recht gewonnen werden kann. Aber das Recht allein garantiert noch keine Gerechtigkeit. Die Bürgerrechtsbewegung war nach zehn Jahren erfolgreich: 1964 und 1965 wurden wichtige Gesetze erlassen, die endlich die rechtliche Gleichheit der Schwarzen vor allem beim Wahlrecht garantierten. Aber wird man davon satt?Kann man sich davon etwas kaufen?
Die wirtschaftliche Situation der meisten Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen hat sich durch die rechtliche Gleichstellung nicht geändert. Deshalb hat sich King in den letzten vier Jahren seines Lebens vor allem der Armutsfrage zugewandt und sich für soziale Gerechtigkeit – übrigens für Weiße und Schwarze – eingesetzt. Aber die Kosten für den Vietnamkrieg, die Drogen, welche die schwarzen Gettos überschwemmten, und die Ölkrise verschärften die Situation noch. King selber sprach manchmal davon, dass sein Traum zum Alptraum geworden sei. Und in den letzten Jahren seines Lebens war er einer der unbeliebtesten Menschen in der Öffentlichkeit der USA.
Recht ist die Voraussetzung für Gerechtigkeit, aber allein garantiert es sie noch nicht. Sie muss immer weiter erkämpft werden. Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Für King ist Gerechtigkeit nicht nur ein politisches Ziel, für ihn ist sie eine Glaubensverheißung. Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit. So wie er uns einzelne im Glauben gerecht macht, gleichsam ins Recht setzt, so zielt das Handeln der Gerechtfertigten auf Gerechtigkeit als Vorschein auf das Reich Gottes, das dadurch mitten unter uns schon beginnt und wächst.
King kann gar nicht anders denken und glauben, glauben und denken, als dass die persönliche Gottesbeziehung, die Erfahrung der Liebe Gottes uns aus den Zwängen und Engstirnigkeiten unseres Lebens so befreit, dass wir die Liebe, die wir erfahren, auch in den Nächstenbeziehungen lebendig werden lassen können. Und dass die zwischenmenschliche Ebene eingebettet sein muss in gerechte Strukturen, die Gottes Verheißung entsprechen und vorwegnehmen. Das ist die Grammatik seines Traums. Persönliche Glaubenserfahrung, gelebte Nächstenschaft und Einsatz für Recht und Gerechtigkeit, die aus Not und Versklavung