Florence Nightingale: Nur Taten verändern die Welt
Von Nicolette Bohn und Annett Büttner
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Über dieses E-Book
Dieses Lebensbild zeichnet anschaulich ihre äußere und innere Entwicklung nach. Wie sie ihre Berufung erkannte und lernte, zu ihr zu stehen. Und wie sie trotz Rückschlägen die Kraft fand, gerade als Frau das Korsett der gesellschaftlichen Erwartungen zu sprengen und ihre Berufung zu leben. In zahlreichen Quellentexten kommt Florence Nightingale selbst zu Wort.
>> aktuell zum 200. Geburtstag am 12. Mai 2020
>> Lebensbild einer starken Frau
>> der Mensch hinter den Legenden
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Buchvorschau
Florence Nightingale - Nicolette Bohn
Verlag
Inhalt
Vorwort
Einleitung
FRÜHE EINFLÜSSE
Florence’ Eltern
Die Wohnsitze der Familie Nightingale
Zwei grundverschiedene Charaktere
Eine ungewöhnliche Bildung
»Gott rief mich in seinen Dienst«
DIE JAHRELANGE SUCHE NACH DER BERUFUNG
»Was soll ich tun?«
Begegnung mit Mary Clarke
Die Jahre 1839–1844
Liebe und Ehe als größte Versuchung
Krankenpflege setzt Wissen voraus
»Ich studierte Krankenhäuser«
Entscheidung gegen die Ehe
Sidney und Elizabeth Herbert
Rückkehr nach England
Die Reise nach Ägypten
Der erste Besuch in Kaiserswerth
Wachsende Probleme mit der Familie
Lösung von der Familie
Wieder in Kaiserswerth
In der Harley Street Nr. 1
DER KRIMKRIEG
Die Auswahl der Pflegerinnen
Die Reise in die Türkei
In der Hölle von Skutari
Die beste Strategie – Geduld und Gehorsam
Die britische Armee und ihre Dienststellen
Das Blatt beginnt sich zu wenden
Mary Stanley sorgt für Konflikte
Das Fiasko von Kulali
Am Krimfieber erkrankt
Missgunst und Gerüchte
Mr. Bracebridge redet zu viel
Florence wird zur Legende
Der Ruf der Soldaten wandelt sich
DIE JAHRE NACH DEM KRIMKRIEG
Das Ende des Krimkrieges
Florence’ Kampf um Reformen
Statistiken für Reformen
Das Royal Victoria Hospital in Netley
Sidney Herbert stirbt
Der Sepoy-Aufstand in Indien
Die Sanitätskommission für Indien
Bemerkungen über Krankenhäuser
Florence und die Gründung des Roten Kreuzes
Das Nightingale’sche System
Freundschaft mit Benjamin Jowett
Errichtung einer Hebammenschule
Die Armenrechtsreform
Florence und die Frauenemanzipation
Sommer 1872 – Rückkehr nach Embley
Letzte Lebensjahre und Tod
ANHANG
Ehrungen
Der Nachlass
Lebensstationen
Personenverzeichnis
Verwendete Quellen und Literatur
Bildnachweis
Danksagung
Über die Autorin
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Vorwort
Fällt in der Öffentlichkeit der Name Florence Nightingale, so ist er oft mit Zuschreibungen wie »die berühmteste Krankenschwester der Welt«, »Pionierin der Krankenpflege« oder »the lady with the lamp« verbunden. Wer aber war die reale Frau hinter den Legenden? Dieser Frage geht das vorliegende Buch nach, das ihren Lebensweg in einem Stil, der an einen Entwicklungsroman erinnert, einer breiten Öffentlichkeit nahebringen soll.
Geboren in einer sehr wohlhabenden britischen Familie, die am Hof von Queen Victoria verkehrte, strebte sie entgegen den Konventionen der damaligen Zeit nach beruflicher Selbstständigkeit und schlug Heiratsanträge aus, die sie zur Untätigkeit verdammt hätten. Untypisch für ihre Gesellschaftskreise, interessierte sie sich bereits in ihrer frühen Jugend für Fragen der Krankenpflege und deren Organisation. Führt man sich vor Augen, dass das öffentliche Bild der Pflegerin zu dieser Zeit von »Mrs. Gamp«, einer literarischen Figur von Charles Dickens, geprägt war, die er als ungebildet, unsauber, stets alkoholisiert und von verkommener äußerer Erscheinung dargestellt hatte, so wird das geradezu Revolutionäre an der Beschäftigung einer Angehörigen des Großbürgertums mit diesem Berufsfeld deutlich. In der Öffentlichkeit ihrer Zeit wurde Nightingale insbesondere durch ihre bahnbrechende Tätigkeit in den Lazaretten des Krimkrieges (1854–1856) bekannt.
Bis heute am wirkmächtigsten ist jedoch ihre Reform der Krankenpflege. Wesentliche Impulse dafür empfing sie vom weltweit ersten Diakonissen-Mutterhaus in Kaiserswerth bei Düsseldorf, das sie zweimal besuchte. Bald emanzipierte sie sich jedoch von diesem kirchlichen Vorbild und etablierte die Pflege an der Krankenpflegeschule, die sie 1860 gegründet hatte, als einen weltlichen Beruf.
Krankenpflege ist eine Kunst, und wenn sie zu einer Kunst gemacht werden soll, bedarf sie exklusiver Hingabe und genauso harter Vorbereitung wie die Arbeit jedes Malers oder Bildhauers.
Mit dieser Ansicht brachte Florence Nightingale ein neues Verständnis des Pflegeberufes zum Ausdruck, der nun nicht mehr nur aus Berufung, sondern erst nach einer gründlichen Ausbildung ausgeübt werden sollte.
Unter ihrer Leitung hat er sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in England von einer verachteten Beschäftigung ungebildeter Vertreter der untersten Bevölkerungsschichten zu einem gesellschaftlich anerkannten qualifizierten Beruf auch für bürgerliche Frauen entwickelt. Das von ihr etablierte »Nightingale-System« beinhaltete eine fundierte theoretische und praktische Ausbildung junger Schwestern durch erfahrene Oberinnen an weltlichen Schulen und in der Krankenhauspraxis. Damit löste sie die Pflege aus der Bevormundung durch Ärzte und Kirchen und schuf ein völlig neues Berufsverständnis. Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft konnten sich so – nicht zuletzt durch die von ihr verfassten Bücher »Notes on Hospitals« und »Notes on Nursing« – eigenständig entwickeln. Die Aufnahme der Absolventinnen in den »Nightingale Fund« beförderte eine zentrale Registrierung der in der Krankenpflege tätigen Personen und damit die Selbstverwaltung der Pflege.
Nach ihrem System wurde bald in vielen Krankenhäusern des anglo-amerikanischen Raumes ausgebildet. Dies führte zu einer frühen Professionalisierung, die unter anderem in der Einrichtung des ersten Universitätslehrstuhls für Krankenpflege im Jahr 1907 an der Columbia University in New York zum Ausdruck kam. Durch die Vorherrschaft konfessioneller Schwesternschaften, die die Krankenpflege stets ausschließlich als christliche Berufung und nicht als einen weltlichen Beruf ansahen, setzte die Akademisierung in Deutschland ca. 100 Jahre später ein. Von einigen frühen Ausnahmen abgesehen, entstanden erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts Bachelor-Studiengänge an Fachhochschulen. Es wird noch dauern, diesen Rückstand aufzuholen.
Die Würdigung der Verdienste Florence Nightingales um die Professionalisierung der Krankenpflege sollte jedoch nicht den Blick auf weitere Betätigungsfelder verstellen. So erwarb sie sich bleibende Verdienste um die Modernisierung des britischen Militärsanitätswesens, das erst durch ihre Vorschläge auf einen Stand gebracht wurde, der einer zivilisierten Gesellschaft würdig war. Darüber hinaus war sie wegweisend für den Einzug statistischer Erhebungen in das Gesundheitswesen. So wandte sie das 1801 von dem schottischen Ingenieur William Playfair entwickelte Kreis- oder Tortendiagramm erstmals auf medizinische Belange an. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer publizistischen Tätigkeit waren die Zustände in der indischen Kolonie, sowohl innerhalb der britischen Armee als auch in der Zivilbevölkerung.
Dass sie dennoch ein »Kind ihrer Zeit« war, soll nicht verschwiegen werden. So äußerte sie in ihrem Krankenpflegelehrbuch die zeittypische Ansicht: »Jede Frau ist eine Krankenschwester.« Das demonstriert ihr generelles Einverständnis mit den Geschlechterrollen des 19. Jahrhunderts, und auch ihr hierarchisches Dienstverständnis erinnert zuweilen an militärische Strukturen.
Die englischsprachige Literatur über Florence Nightingale füllt ganze Bibliotheken, die deutschen Veröffentlichungen haben dagegen nur einen bescheidenen Umfang. Umso verdienstvoller ist diese Publikation anlässlich ihres 200. Geburtstages, die sicher einen Beitrag dazu leisten wird, nicht nur ihrer Persönlichkeit, sondern der Pflege generell auch in Deutschland die Anerkennung zu verschaffen, die ihrer gesellschaftlichen Bedeutung entspricht.
Der Geburtstag Florence Nightingales am 12. Mai, der international als »Tag der Krankenpflege« begangen wird, bietet eine gute Gelegenheit, dies öffentlichkeitswirksam einzufordern.
Annett Büttner
Einleitung
Es macht viel aus, wenn man die Großen zu Freunden hat.
Als Florence Nightingale am 13. August 1910 im Alter von stolzen 90 Jahren verstirbt, schreibt die »New York Times« in einem Nachruf: »Kaum ein Leben verlief nutzbringender als das ihre.« Am 12. Mai 2020 jährt sich ihr Geburtstag zum 200. Mal. »Die Dame mit der Lampe« / »Der Engel der Krim« / »Heldin des Dienstes« / »Wegbereiterin des Roten Kreuzes« / »Verfechterin für mehr Menschlichkeit« – die Liste der Beinamen, die die Pionierin der modernen Krankenpflege im Lauf der Jahrhunderte erhalten hat, ist lang. Zahlreiche Legenden und Mythen ranken sich um die Frau aus England, die es sich bereits in jungen Jahren zur Aufgabe gemacht hatte, Armen und Kranken zu helfen, und der es gelang, der modernen Krankenpflege in der westlichen Welt den Grund zu legen.
Das »Florence Nightingale Krankenhaus« in der Kaiserswerther Diakonie in Düsseldorf erinnert bis in die Gegenwart an das Wirken seiner berühmten Namensgeberin. Im Burggarten von Kaiserswerth, nahe der Ruine der alten Kaiserpfalz, stehen die bronzenen Denkmäler von Florence Nightingale und Theodor Fliedner. Die Wege dieser im christlichen Glauben und Humanismus tief verwurzelten Menschen sollten sich im Verlauf ihres Lebens kreuzen und zu weitreichenden Verbesserungen des Krankenhauswesens und zu Sozialreformen führen.
Florence Nightingale ist es gegen alle Widerstände gelungen, die Krankenpflege zu reformieren und zu einem in der Gesellschaft anerkannten Beruf zu entwickeln, von dem sich vor allem alleinstehende, unverheiratete Frauen angesprochen fühlten.
Doch welche Einflüsse und Bedingungen führten dazu, dass es Florence Nightingale gelang, als junge Frau in der Regency-Epoche und später im viktorianischen England des 19. Jahrhunderts ihren Weg mit dieser Zielstrebigkeit zu verfolgen? Wer war Englands »lady with the lamp« fernab von Mythen und verklärender Legendenbildung? Wie ist sie aufgewachsen? Wie hat sie gelebt und gearbeitet? Und in welcher Form prägten ihr starker christlicher Glaube, die Familie sowie einflussreiche Freunde und Bekannte ihr Werk und ihren Lebensweg?
Florence Nightingale auf das warmherzige, helfende und von christlicher Nächstenliebe geprägte Frauenbild des 19. Jahrhunderts zu begrenzen, hieße, diejenigen Persönlichkeitsmerkmale auszuklammern, die ihren Weg in die Krankenpflege überhaupt erst möglich machten – Eigenschaften, die für eine Frau im viktorianischen England ungewöhnlich und unerwünscht zugleich waren, da sie ausschließlich Männern zugesprochen wurden: Durchsetzungsvermögen, ein außergewöhnlicher und kritischer Intellekt und eine umfangreiche Bildung, gepaart mit Härte, Dominanz und Willensstärke. Florence hätte ohne diese Eigenschaften den jahrelangen Kampf um ihr Berufsziel, dem sich Familie und Gesellschaft in den Weg stellten, nicht gewinnen können. Die Zeitspanne zwischen dem ersten »Ruf Gottes«, den Florence im Alter von 17 Jahren vernommen zu haben glaubte, und ihrer endgültigen Gewissheit, Kranke pflegen zu wollen, erstreckte sich bis zu ihrem 33. Lebensjahr. 16 Jahre lang war sie familiären und inneren Konflikten ausgesetzt, die dazu führten, dass sie sich im Alter von 31 Jahren ihren eigenen Tod herbeiwünschte.
Beharrlich und mit schier grenzenloser Kraft hielt sie fest an der Vorstellung, von Gott berufen worden zu sein, und nutzte jede auch noch so kleine Möglichkeit, ihrem Ziel näherzukommen. Heimlich begann sie Studien über englische Krankenhäuser zu betreiben und Statistiken zu entwickeln, wobei ihr vor allem ihre mathematischen Fähigkeiten zugutekamen. Unterstützt von gesellschaftlich und politisch einflussreichen Persönlichkeiten, konnte sie im Alter von 32 Jahren schließlich nach Deutschland in die Kaiserswerther Diakonissenanstalt reisen, um die Pflege von Kranken und Bedürftigen unter christlichen Gesichtspunkten zu erleben und zu erlernen.
Der Aufenthalt in Kaiserswerth wurde nicht nur wegbestimmend für Florence Nightingales Werk, sondern auch zu einem entscheidenden Wendepunkt für ihr weiteres Leben. Sie konnte sich dort ihrer Bestimmung endgültig bewusst werden und begann, sich nach ihrer Rückkehr in die Familie gegen die Untätigkeit, die ihr nach wie vor aufgezwungen wurde, zur Wehr zu setzen. Ihr Vater sprach ihr schließlich – zum Leidwesen der Mutter – eine Leibrente von jährlich 500 Pfund zu, um ihre Selbstständigkeit und ihren beruflichen Weg zu unterstützen.
Als 1854 der Krimkrieg ausbrach, nutzte Kriegsminister Sidney Herbert seine jahrelange Freundschaft zur Familie Nightingale dazu, Florence um Hilfe zu bitten. Sie sollte mit zahlreichen Helferinnen in ein Militärkrankenhaus nach Skutari (Osmanisches Reich) gesandt werden. Sidney Herbert räumte ihr die alleinige Befehlsgewalt ein. Dadurch war es Florence möglich, für diesen Einsatz von vornherein nur Pflegerinnen auszuwählen, die strengen moralischen und christlichen Maßstäben entsprachen.
Nach dem Krimkrieg wandelte sich das gesellschaftliche Ansehen der Pflegerinnen. Hatten sie bisher gemeinhin als »betrunkene, lüsterne Weiber« aus untersten Gesellschaftsschichten gegolten, so sah man in ihnen nun achtbare und von christlicher Nächstenliebe geprägte Frauen. Auch ist es Florence Nightingale und ihren Pflegerinnen zu verdanken, dass das Bild der einfachen britischen Soldaten, die als »rohe Monster«, »Tiere« und »Abschaum der Gesellschaft« galten, einem grundlegenden Wandel unterzogen wurde.
Bis in unsere Gegenwart hinein ist der Einsatz Florence Nightingales während des Krimkrieges beispielhaft geblieben. Obwohl sie und die Pflegerinnen, die sie zu diesem Einsatz begleiteten, im Lazarett in Skutari nicht erwünscht waren und dort katastrophale hygienische Zustände herrschten, setzte sich Florence gegen alle Widerstände durch. Sie und ihre Pflegerinnen trotzten der Ablehnung von Armeeführung und Ärzten, die Frauen in einem Militärhospital zunächst nicht akzeptieren wollten. Florence leitete die Pflegerinnen an und unterwies sie in den Grundbegriffen von Hygiene und Pflege. In erster Linie war sie – wie man aus heutiger Sicht sagen würde – in der Pflegedienstleitung tätig. Ihr unermüdlicher Einsatz rettete unzähligen Soldaten das Leben. Die im Krimkrieg verwundeten und im Sterben liegenden Soldaten erblickten in ihr das Urbild der christlich-liebenden Mutter. Sie pflegten ihren Schatten zu küssen, wenn sie an ihren Betten vorüberging.
1856 neigte sich der Krimkrieg seinem Ende zu. Florence Nightingale war als »lady with the lamp«, »Retterin der Soldaten« und »Engel der Barmherzigkeit« zur Legende geworden. Auf zeitgenössischen Zeichnungen ist zu sehen, wie sie mit einer Lampe in der Hand des Nachts durch die dunklen, langen Gänge des Militärkrankenhauses in Skutari wandelt.
*
Leben und Werk von Florence Nightingale sind vor allem von drei gesellschaftlichen Bereichen geprägt: von der industriellen Revolution in England, von den Zuständen in den Spitälern und von der Stellung der