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Atelier des Todes
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eBook358 Seiten4 Stunden

Atelier des Todes

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Über dieses E-Book

Lassen Sie sich von einer Mörderin fesseln, die zehn Menschen auf ihrem davon völlig unbelasteten Gewissen hat. Viola Kroll, eine erfolgreiche, schöne und gut situierte Lektorin aus Berlin, ist eine aparte und kluge Person. Und doch ist sie aus dem gleichen psychopathischen Holz geschnitzt, aus dem auch manche Präsidenten und Topmanager gemacht sind. Was hat sie dazu gebracht?Morden ist für Viola eine Kunst. Jeder ihrer Morde bringt sie ihrem Ziel näher, ein perfektes Kunstwerk zu erschaffen. Die Künstlerin kommt der Perfektion sehr nahe. Nur dumme Zufälle bringen Polizei auf ihre Spur. Gegen das Glück der Dummen haben Kunst, Intelligenz und Planung kaum eine Chance, und so gerät Viola in Gefahr, dass ihre Höhenflüge bald enden.
Viola Kroll mordet spurlos. Bis sie eines Tages an einen ebenbürtigen Kollegen gerät, auch er ein verborgen lebender Mörder aus dem Literaturbetrieb, und zugleich wegen seiner Anonymität ein perfektes Opfer für Viola. Doch ihre Opfer machen Fehler. In mühsamer Kleinarbeit nähert sich ihr die Polizei. Wird sie Viola einholen?Nick Stein präsentiert uns eine sympathische Mörderin, bei der es schade wäre, wenn die Polizei sie schnappen würde. Lernen Sie Viola kennen und lassen Sie sich von ihr einwickeln! Oder setzen Sie auf Kommissar Lukas Jansen, der sie schnappen will, komme was wolle ...
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum10. Juli 2020
ISBN9783740767594
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    Buchvorschau

    Atelier des Todes - Nick Stein

    morden…

    Die Mörderin

    Die Wiege der Mörderin

    Als die kleine Viola wohlriechend und hübsch in ihrer Wiege lag, sah ihr niemand an, dass eine Karriere als erfolgreiche Mörderin vor diesem niedlichen Kind lag. Eine böse Fee war nicht anwesend, als Violas Eltern in bester Gesellschaft die Geburt ihres Kindes feierten.

    Kein Fluch lastete auf ihr.

    Ihr Vater nannte sie zärtlich Vi, ihre Mutter liebevoll Ola. Unterschiedliche Namen: War dies der erste Riss in der Persönlichkeit dieser jungen und wohlbehüteten Dame?

    Wie entwickelte sich die junge Viola?

    Es muss Gründe geben, wenn ein behütetes und sorgenfreies Mädchen später reihenweise Menschen ums Leben bringt. Welcher Mensch möchte das schon, dass jemand aus den eigenen Kreisen reihenweise Mitmenschen ermordet. Wie leicht könnte man selbst zum Opfer werden!

    Passen Sie auf, wenn Sie jemand schief ansieht oder sich in aller Freundlichkeit erbietet, Ihnen Zucker in den Tee zu geben. Es könnte Ihr letzter sein.

    Die Rede ist von einer wohlerzogenen, gesitteten und angenehmen Gesprächspartnerin, die man sich gut als Schwiegertochter vorstellen könnte. Einer Frau, der man die Psychopathin nicht anmerkt; die Massenmörderin, die mit dem kalten Kalkül der Notwendigkeit und aus Bequemlichkeit tötet, nicht aus den niederen Instinkten Wut und Hass oder aus Hilflosigkeit. Auf jenen Typus von Mördern wird die Rede noch kommen.

    Im Nachhinein weiß jedermann genau, warum es so und nicht anders ausgehen musste. Alle hatten schon immer so einen Verdacht und haben es lange vorher geahnt.

    Die Gene sind schuld, werden einige sagen. Ein Fingerzeig, der heutzutage für das steht, was in früheren Zeiten Vorsehung und Schicksal hieß.

    Viola hatte ausgezeichnete Gene mitbekommen.

    Ach was, einzig und allein Erziehung und Umwelt haben sie geformt, wenden andere ein.

    Viola hatte die bestmöglichste Erziehung genossen, die man in Berlin bekommen konnte. Das kann es nicht gewesen sein.

    Die Vorsichtigen wiegen mahnend den grauen Schädel und weisen uns darauf hin, dass beides eine Rolle spiele.

    Man könne das nicht einfach auf das eine oder andere reduzieren. Das wäre doch alles verwickelt und verzwickt. Kaum jemand wäre in der Lage, das in seiner ganzen Komplexität richtig zu verstehen.

    Es hätte doch alles auch ganz anders kommen können, wenn da nicht zufällig dies und jenes passiert wäre. Man weiß es nicht, man weiß es nicht!

    Die erwachsene Viola hätte aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht und berichtet, dass es sich so ergeben hat. Dass es zielführend war. Dass es sogar Spaß gemacht hat. Lust. Die ihr immer noch Herz und Schoß wärmt.

    Wenn Viola denn darüber ein Wort verloren hätte. Denn vom redseligen Typ war sie nicht. Sie hätte sich nie herabgelassen, ihre geistigen, künstlerischen und mörderischen Höhenflüge von Zuhörern verwässern und beschmutzen zu lassen.

    Worüber man nicht reden kann, darüber kann man sich zumindest ordentlich freuen.

    Ihre Mutter, Genoveva Kroll, geborene Heinemann, war mit den berühmten Wittgensteins verwandt, über drei Ecken, wie Genoveva gern ungefragt erzählte. Sie hatte deren aristokratisches Aussehen geerbt. Hochgewachsen, blond, strahlend helle blaue Augen, schlank.

    Selbst die letzten Kriegsjahre, in denen sie aufgewachsen war, hatten es nicht vermocht, ihren aufrechten Gang und ihren Sinn für das Gute, Schöne und Bare zu brechen.

    Natürlich trug die Mutter keine Mördergene in sich. Ihre Erziehung war makellos gewesen, und so wollte sie ihr Erbe weitergeben. Viola, spätgeborenes Einzelkind, sollte ihr spiegelblank geputztes tafelsilbernes Ebenbild werden, um eine Stufe erhöht.

    Ola sollte gebildet sein, Tennis und Golf spielen, Dressur reiten, Musik und Literatur beherrschen. Und halte auf dich, Kind, sonst wird nichts aus dir!

    Materiell reich beschenkt, sah die kleine Viola auch noch hervorragend aus. Was für ein edles Profil sie hat, meinte die arme Verwandtschaft, ohne schmeicheln zu wollen. Denn das brachte nichts ein; im Hause Kroll gab man nichts auf Schönrederei, weder gute Worte noch Brot und Schinken.

    An ihrem Aussehen waren tatsächlich die Gene schuld. Das schafft die Umwelt nicht, aus einem hässlichen Entlein einen Schwan zu machen. Auch ihr Vater, Julius Kroll, geborener Kroll, sah erstklassig aus, weshalb sich Genoveva Heinemann schlussendlich für ihn entschieden hatte.

    Der andere Grund für das verarmte Fräulein Heinemann hatte darin gelegen, dass Krolls Vater sich als Produzent strategisch wichtiger Waren gut über den Krieg gerettet hatte.

    Gustav Kroll hatte keine Waffen hergestellt, was ihm die Alliierten schlecht angekreidet hätten, sondern die Werkzeugmaschinen dafür, mit denen bei Bedarf auch andere Güter hergestellt werden konnten. Kroll war nicht einmal Parteimitglied gewesen, nur Förderer der lokalen freiwilligen Feuerwehr.

    Er hatte gelöscht, nicht gezündelt.

    Auch dies war kein Wesenszug, der seinem Sohn und später seiner Enkelin eine Veranlagung zum Morden mitgegeben haben könnte. Zumal er mit seiner Firma im Wiederaufbau so viel Geld erwirtschaftet hatte, dass er nicht einmal die Steuer betrügen musste.

    Kein Kristallisationskern von Kriminalität hatte sich so in Julius bilden können, der als einziger Sohn vom Krieg übrig geblieben war und alles geerbt hatte.

    Und das hatte Genoveva noch mehr überzeugt als Julius’ gutes Aussehen. Denn die Kunst, den Krieg zu überleben und während aller Wirren seine Schäfchen im Trockenen zu halten, zeugte von Tatkraft und Intelligenz. Das Geld war lediglich die logische Dreingabe, wie Genoveva Heinemann sich selbst gegenüber überzeugend argumentierte.

    Mitte der Sechziger heirateten Julius Kroll und Genoveva, und ihr Geschäft gedieh so gut wie ihr Einfluss in der Gesellschaft. Das Paar zog vom Osten nach West-Berlin, in die Enklave der Freiheit.

    Dann muss es eben andere Einflüsse gegeben haben, die aus Viola das machten, was sie heute ist, hören wir. Ohne Grund wird so eine doch nicht zur Mörderin! Die hat es doch nicht nötig!

    Mord aus Notwendigkeit?

    Wir denken an die gequälte Ehefrau, die vor Gericht aussagt, es wäre nicht mehr anders gegangen, sie hätte sich nicht mehr zu helfen gewusst.

    An einen gemobbten Lehrer, der zum Überleben keinen anderen Ausweg mehr sieht, als den Quälgeist von Schüler mit seinem Auto zu überfahren.

    Das verstehen wir. Wir heißen es nicht gut, aber wir verstehen es. Nur wären diese Fälle kein Mord gewesen. Zwar war ein Vorsatz vorhanden, es fehlten aber die kaltblütige Planung und die niederen Motive, wie Habgier oder Sadismus. Der echte Mörder weiß und billigt, dass er eine rote Linie überschreitet.

    Zurück zu unserer Viola.

    Wenn sie in den frühen Achtzigerjahren geboren worden war, als einziges Kind eines reichen und angesehenen Paares, waren die Eltern schon jenseits der Vierzig. Klar, für den Mann vielleicht kein großes Problem, aber eine Mutter? Mit über Vierzig?

    Da sind die Gene doch schon mutiert, hören wir. Rauchende Schornsteine und saurer Regen, Strahlung aus den neuen Kernkraftwerken, das macht doch die beste DNA kaputt.

    Die Umwelt auch, gerade in Berlin, Mensch, das zerstört die wohlerzogenste Psyche, wenden andere ein. Die Insellage, diese Leute in Kreuzberg, ein korrupter Senat, die Mauer.

    Und die Gewissheit, von außen versorgt zu werden, es soll dir nicht mangeln, da meint man schnell, man könne sich alles erlauben.

    Sehen Sie sich doch nur die Kinder der Gutsituierten in den Siebzigern und Achtzigern an! Alle in der APO, in K-Gruppen und deren Nachfolgeorganisationen! Berlin ist doch voller Langhaariger und linker Spinner!

    Ein behütetes Kind wie Viola, ein zartes, blondes Mädchen, das schon beinahe eine Etüde von Mozart auf dem Klavier konnte, soll plötzlich in eine Kita mit all den Kindern dieser linken Besserwisser? Womöglich den Nachmittag zusammen mit den anderen Kindern in irgendwelchen Wohngemeinschaften verbringen, wo die Leute Hasch rauchen und vor aller Augen rumvögeln? Vor den Kindern! Das soll sie nicht verdreht haben?

    Lassen wir die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche besser am Breitscheidplatz. So schlimm wird das nicht gewesen sein. Viola lebte in Dahlem, nicht in Kreuzberg. Violas Freundinnen im Kita-Alter waren alle wie sie, verrückt nach rosa Ponys für Barbie, die sie kämmen konnten, und nach schönen Sachen zum Anziehen.

    Und selbst die Radikalinskis aus den Siebzigern waren zehn Jahre später von den Spießbürgern, die sie so vehement kritisiert hatten, kaum noch zu unterscheiden.

    Das alles tropfte von Viola ab wie Morgentau von einer Rose.

    Was bleibt an Zündschnüren übrig, die in Viola glommen?

    Sehen wir uns die minderen Charakterzüge der Eltern an.

    Die kleine Genoveva hatte schon früh gelernt, dass ihre Familie mütterlicherseits mit dem arischen Zweig der Familie Wittgenstein verwandt war, nicht etwa mit dem jüdischen. Das hatte sie schon mit vier vor jedem, der es nicht wissen wollte, herausgeplärrt.

    Es war nicht einmal gelogen, aber doch kokett und sehr unkameradschaftlich dem Rest der Verwandtschaft gegenüber, Ludwig Wittgenstein eingeschlossen. Ein kleiner, schwarzer Fleck auf dem Tafelsilber ihres Charakters, der sich partout nicht wegputzen ließ.

    Ein winziger Verrat. Ein Im-Stich-Lassen von anderen zum eigenen Nutzen. Ein Schuss Selbstgerechtigkeit. War es das, dieses Manko im Charakter? Aber tun wir das nicht alle, unseren Vorteil wahren und dafür kleine Unebenheiten in Kauf nehmen? Macht uns das zu potenziellen Mördern? Ich bitte Sie! Uns doch nicht! Mich nicht, und Sie, liebe Leser, schon gar nicht. Lesern reicht Gruseln und Entsetzen aus zweiter Hand, wirklich bei einem Mord dabei sein möchten niemand.

    Die bange Frage an uns alle lautet nun:

    Wenn eine so gestandene, integre und gut situierte Person zur mehrfachen Mörderin wird, steckt dieses Potenzial womöglich auch in jedem von uns? Wie dünn ist unsere Glasur über der Gewalt? Sehen Sie – ja, Sie da! Leser! Sehen Sie sich mal um, wen würden Sie am liebsten umbringen?

    Haben schon mal daran gedacht? Na? Vielleicht nicht gerade jetzt, aber von der Person, an die Sie da gerade denken, hatten Sie schon mal so was von die Nase gestrichen voll, dass es Ihnen schon in den Fingern gejuckt hat, geben Sie’s zu. Damit gedroht haben Sie jedenfalls schon mal, im Zorn, wir haben’s alle gehört.

    Wir lesen viel davon, dass es die Gequälten und Benachteiligten sind, die Opfer, die selbst zu Tätern werden. Die misshandelten und vergewaltigten Kinder, die grausam Rache üben, die verdrehten Psychopathen, die der Welt ihr ganzes Elend zurückgeben.

    Die mag es geben, und viele gönnen sich diesen kleinen Grusel – davon zu lesen und dem doch entgangen zu sein.

    Viola gehörte nicht zu den Unholden, den Triebgestörten und sozial verdrehten Monstern. Im Gegenteil. Sie gehörte zum Goldrand der Gesellschaft. Sie gehört sogar immer noch dazu. Aber wir wollen nicht vorgreifen.

    Die meisten echten Morde funktionieren anders. Meist finden sie in Beziehungen statt oder aus Habgier. Aus lange unterdrücktem Missfallen wird Wut, aus Zorn erwächst die impulsive Tat. Oder sie sind situationsbedingt. Etwas kocht hoch, und Rumms!

    Ein Einbrecher wird vom Hausherrn erwischt, der eine Schrotflinte in der Hand hält. Die ist nicht geladen, doch das weiß der Einbrecher nicht. Er schießt, der Hausherr ist tot. Bleich erscheint die Ehefrau im Türrahmen. Sie hat alles gesehen und gehört, die Hand vor dem Mund. Die erschießt er zur Sicherheit gleicht mit. Ein Totschlag, gefolgt von einem Mord. Passiert.

    Ein bis zur Weißglut verärgerter und sich völlig zu unrecht bedrängt fühlender Ausländerfeind stößt einen indischen Mathe-Studenten, der im Begriff stand, die Fields-Medaille zu gewinnen und der Humboldt-Universität zu neuem Ruhm zu verhelfen, vor die U-Bahn. Auch schon passiert. Oder es wird noch passieren. Warten Sie’s ab.

    Bei einer Kneipenschlägerei zieht einer ein Messer, der andere haut ihm eine Flasche auf den Schädel. Das gibt hässliche Schnittwunden, die genäht werden müssen, oder eine weitere Beerdigung.

    Bitte ergänzen Sie selbst diese Liste um Ihnen bekannte Fälle. Oder schreiben Sie’s dem Autor, dann kommt das in einen der nächsten Krimis. Versprochen.

    Die meisten Morde entstehen aus häuslicher Gewalt. Bei Viola Kroll, die nur einmal und mit einem unscheinbaren Männlein verheiratet war, fällt auch dieser Grund aus. Wir kommen darauf später noch zurück.

    Alle bisher genannten Motive treffen also auf Viola Kroll nicht zu.

    Leider können wir es uns nicht so einfach machen und sagen, na ja, das lag eben an ihrer Kindheit, oder an Onkel Gerd, der sie mal da unten angefasst hat, oder an der aufgeheizten Atmosphäre beim Mauerfall, wo ihr ein Vopo seine Maschinenpistole in die Hand gedrückt hat, bevor er jubelnd in den Westen entwichen ist.

    Leider nicht.

    Wir werden Viola also eine Weile begleiten müssen und sehen, wie sie geworden ist, was sie ist. Angesehen und berühmt und eine mindestens zehnfache Mörderin. Wird man ja nicht so ohne Weiteres. Wie viele Leute haben Sie auf dem Gewissen? Keinen? Das haben wir uns schon gedacht. Sonst würden Sie nicht nach solchen Titeln greifen, sondern selbst zur Tat schreiten. Oder lesen Sie dieses Buch etwa gerade in der Gefängnisbibliothek?

    Gleichzeitig lassen wir auch die Polizei zu Wort kommen. Einer muss so einer Täterin schließlich das Handwerk legen. Eine mehrfache Mörderin, berühmt und reich? Bitte? Wo kommen wir denn da hin, wenn so was frei rumläuft?

    Wobei die Geschichte mit der Polizei etwas handwerklicher daherkommt als die Geschichte des einfallsreichen Mordens. Das Böse zieht uns magisch an, das Gute ist langweilig.

    Hand aufs Herz: Wie ist das bei Ihnen selbst? Sie wollen hier doch etwas über Blut und Tod und Gewalt und Grusel lesen, oder? Sonst hätten Sie ein Buch über Gandhi gekauft.

    Trotzdem natürlich vielen Dank, dass Sie dieses Buch gekauft haben.

    Ein Buch über Gandhi oder eines vom Dalai Lama erwerben Sie bitte auch noch. Seien Sie auch dafür bedankt.

    Die Polizei

    Glamour und Tristesse

    Wir können bereits erahnen und werden noch davon lesen, was für eine Frau Viola Kroll war. Effizient, klug, schön, zielbewusst. Frei von Gefühlen und Reue. Eine Frau auf einer Mission zum Erfolg. Eine Frau mit einer guten Herkunft, ausgezeichneter Bildung, fantastischem Aussehen und großem Charisma.

    Eine Traumfrau mit exzellenten Beziehungen. Eine Profi-Lektorin, die ihrem Verlag und sich selbst zu tollen Erfolgen verholfen hatte. Eine reiche junge Dame, die später die Wirtschaft am Lago Maggiore ankurbelte.

    Eine Kulturschaffende, die Talenten zum Durchbruch verholfen hatte, den diese niemals von sich aus erreicht hätten. Eine Geburtshelferin guter Literatur. Eine Muse.

    Was kann eine Frau mehr tun, als gute Bücher an die Öffentlichkeit zu bringen und damit die Welt ihrer Vollendung ein Stück näher zu bringen?

    * * *

    Wie trist ist dagegen die Arbeit der Polizei! Statt dem Guten, Schönen und Wahren (ersatzweise: Baren) hinterherzujagen, muss sie im Kot der Gesellschaft wühlen. Sie muss denen folgen, die gegen die Regeln verstoßen.

    Sie kann die grauenhaften Dinge, die sich die Gesellschaft antut, nur selten verhindern; sie muss hinter der Gesellschaft aufräumen und die Missetäter aus dem Verkehr ziehen. Arme Kerle, diese Müllmänner des sozialen Drecks.

    Hart arbeiten, schlecht bezahlt werden und das für den Preis kaputter Familien. Das ist das Los eines Polizisten.

    Die Gesellschaft setzt sich Regeln, die Polizei muss sie durchsetzen. Sie muss den Verkehr regeln. Sie muss häusliche Gewalt mitansehen und die Folgen erklären. Sie muss nach all denen suchen, die den Regeln und Menschen Gewalt antun.

    Sie muss Berichte schreiben. Sie muss in Sitzungen zuhören. Sie muss Diagramme an die Wand malen. Fotos und Spuren suchen. Sie muss schon wieder irgendwohin fahren, nachts, während der Ehepartner weiter schlummern darf, was früher oder später unweigerlich zu Krisen führte.

    Sie muss sich anschießen lassen. Sich von Demonstranten in die Eier treten lassen. Mit Farbbeuteln bewerfen lassen.

    Sie muss in jede stinkende Ecke des Landes schauen, die Toten begutachten, die Vergewaltigten in die Klinik bringen, den Betrügern das Handwerk legen. Sie alle auf frischer Tat ertappen, was niemals wirklich gelingt.

    Die Polizei kann nur hinter dem Verbrechen hinterherräumen. Müllmänner.

    Die Polizei, wir sagten es bereits, muss in der Scheiße der Gesellschaft wühlen und daraus die ganz schlechten Elemente aussortieren. Kein Job, den man sich freiwillig heraussuchen würde.

    Wir alle sitzen lieber auf dem Sofa oder liegen im Bett und sind heilfroh, dass uns nichts zustößt, geben wir’s doch zu! Ein bisschen Gruseln als Beitrag zur sozialen Sicherheit. Reicht das? Geben Sie doch bitte mal etwas von all dem Guten weiter, das Ihnen widerfährt.

    Trotzdem, bei all der Öde, all dem Grauen, all dem Unrat: Es gibt sie, die Polizisten, die hartnäckig dafür sorgen, dass alles seinen (in Violas Fall: ihren) Richter findet. Sie machen ihren Job.

    Es gab einen, der tat das sogar gern. Auch wenn er den Fall, der ihn zum Schluss zu Viola Kroll führen sollte, liebend gern abgegeben hätte, weil er Wichtigeres und Besseres zu tun hatte.

    So glorreich und strahlend Violas Karriere war, so schön ihr Leben verlief, beendet wurde beides durch die hart arbeitende, gestresste und todmüde Polizei, von der sie Welten trennte.

    Ein alter, müder Mann und ein unerfahrener, naiver Jungspund weigerten sich, einfach so aufzugeben. Wie fade, wie schade, dass so ein wunderbarer Weg wie der von Viola Kroll, gesch. Wunderlich, durch solch triste Polizeiarbeit zu Ende kommen sollte!

    Die Polizei brauchte eine Weile, bis sie dort war, wo sie hinwollte. Anfangs war sie Lichtjahre hinter Viola zurück.

    Mit der Zeit und mit viel Geduld holte sie auf. Wir tauchen jetzt ein in den langweiligen und mühsamen Kosmos der Polizei und begeben uns auf die Spuren eines Killers, der die Polizei zu Viola Kroll führte: Gerd von Witzleben alias Gerd Winzmann (neben weiteren Pseudonymen, denen wir noch begegnen werden).

    Der hatte einen Mann auf dem Gewissen, der eine Freundin bei der Polizei hatte. Diese Freundin hatte ein hohes Tier bei der Polizei zum Ehemann. Dieser Mann, Polizeioberrat Dr. Klose aus Hamburg, brauchte einen Dummen, der ihm die bohrenden Fragen seiner Gemahlin beantworten half.

    Er fand einen Jungspund, der ganz andere Dinge im Sinn hatte. Er wollte bei seiner Freundin sein, die mit Zwillingen von ihm schwanger war und die einen eigenen Fall für ihn hatte, der ihn viel mehr interessierte.

    Der junge Mann, Lukas Jansen, hatte kaum Erfahrung, und wollte Dr. Kloses Anliegen so schnell wie möglich wieder loswerden. Und ausgerechnet der sollte unserer Viola Kroll gefährlich werden?

    Beginnen wir wie immer am Anfang.

    Die Polizei

    Der Auftrag

    An einem Montag hatte die Einsatzleitung in Kiel etwas für den jungen Lukas Jansen. Er sollte sich doch bitte um eine Vermissten-Anzeige kümmern. Die Kieler Polizei hatte alle Hände voll zu tun, die erfahrenen Kollegen wurden anderswo gebraucht.

    Zu allem Überfluss stammte der Vermisste aus Hamburg, nicht aus Schleswig-Holstein. Allerdings lag der Verlag, in dem er arbeitete, in Reinbek, also in Schleswig-Holstein, wenn auch gleich hinter der Grenze zu Hamburg.

    Jansen wurde seitens der Landespolizei Hamburg kooptiert, hatte ihm der Einsatzleiter erklärt. Was hieß, dass die Hamburger keinen anderen Dummen für den Job gefunden hatten, wie ihm sein Kumpel Onno auseinandersetzte.

    Jansen musste sofort los. Es gab einen Zeugen. Dieser Mann war der letzte, der den Vermissten gesehen hatte. Der eigentlich dafür zuständige Beamte war allerdings seit zwei Tagen in Urlaub. Zur Seite würde Jansen eine erfahrene Polizeimeisterin stehen, Frau Mertens, eine etwas korpulente und unattraktive Mittvierzigerin.

    Der Hamburger Vermisste war ein bekannter Lektor von einem ebenso berühmten Verlag aus Reinbek. Nachdem er sich ein paar Tage im Dienst auffällig verhalten hatte, schroff, desinteressiert und lustlos, hatte ihm sein Chef ein paar Tage Urlaub verordnet. Den hatte er überzogen, was bis dahin nie vorgekommen war.

    Wohin er gefahren war, wussten weder seine langjährige Freundin noch Kollegen oder Chef.

    Zu guter Letzt war er in die Firma zurückgekehrt, mit einem schweren Kopfverband, und mit einer Anzeige gegen ihn wegen schwerer Körperverletzung, die er auf Sylt begangen haben sollte.

    Dr. Golz, so der Name des Cheflektors, hatte sich noch unzugänglicher und schroffer als vorher gezeigt. Er war uneinsichtig, grob und gemein und hatte sofort gekündigt, als sein Chef ihn freundlich und nachsichtig an seine Arbeit erinnert hatte. Und an seine Freundin Renate, die Golz komplett links liegen gelassen hatte.

    Dann verschwand der auch außerhalb des Verlagswesens sehr bekannte Lektor und tauchte nicht wieder auf.

    Normalerweise hatte er täglich Kontakt zu wichtigen Persönlichkeiten gehabt. Er sprach mit anderen Verlagen, saß in Talkshows, trat bei gehobenen literarischen Zirkeln auf.

    Dr. Golz fand man bei nahezu allen wichtigen Kulturveranstaltungen der Stadt Hamburg, zusammen mit vielen Freunden aus den besseren Kreisen der Stadt. So jemand wie er verschwand nicht einfach so.

    Unter seinen Bekannten befand sich ein Kriminaloberrat der Stadt Hamburg, und den hatte nach einigen Tagen Golzens Freundin angesprochen, Renate Schiller, die Nachfahrin eines in der Stadt sehr beliebten Politikers, die den Oberrat und seine Frau sehr gut kannte.

    Viel hatte der junge Polizist nicht. Er wusste, dass Golz sich auf Sylt in einem Szene-Lokal danebenbenommen hatte. Er hatte trotz Verbotes geraucht – als Nichtraucher, wie seine Freundin erstaunt kommentiert hatte – und einem Mann, der ihn auf die Verbotsregelung hingewiesen hatte, mit einem brutalen Faustschlag die Nase gebrochen.

    Golz war kein Schwächling. Er hatte in seiner Jugend als Hobby-Sportler geboxt, in derselben Halle, wo Max Schmeling früher trainiert hatte. Der Freund des Opfers hatte ihm aus Notwehr von hinten eine teure Weinflasche übergezogen, Golz war schwer verletzt im Krankenhaus gelandet. Von wo er bald wieder abgehauen war.

    Jansen erstaunte der Bericht des Arztes, der Dr. Golz untersucht hatte. Der Patient hatte Schwermetalle, Amphetamine und einen sehr hohen Nikotinspiegel im Blut gehabt, die der Arzt sich nicht erklären konnte. Dr. Golz hatte, kaum dass er halbwegs wiederhergestellt gewesen war, das Weite gesucht und stand für Rückfragen nicht mehr zur Verfügung.

    Als Erstes nahm Jansen sich den Wohnort von Golz vor, in Barmbek-Süd, einem schönen Teil Hamburgs unweit der Alster.

    Von dort war Dr. Golz an seinem letzten Arbeitstag wie jeden Tag zu seinem Verlag in Reinbek gefahren. Golz fuhr meistens mit der S-Bahn, der schnellsten Verbindung. Es war hoffnungslos, dort nach Spuren zu suchen. Nur fuhr diese S-Bahn nicht immer. Es gab eine andere passable Verbindung, bei der er einen Bus nehmen musste. Und die passte zeitlich gut zu seinen Arbeitszeiten.

    War Golz mit diesem Bus nach Haus gefahren, nachdem er gekündigt hatte? Konnte man ihn darüber finden? Sein Verschwinden lag schon gut zehn Tage zurück. Jansen versuchte es trotzdem bei dem Busfahrer, der vormittags diese Strecke fuhr.

    Er hatte das Glück des Tüchtigen.

    Der Busfahrer kannte den Mann mit dem markanten Aussehen, er hatte ihn auch schon mal im Fernsehen gesehen. An den Tag, an dem Dr. Golz verschwunden war, konnte er sich zwar nicht mehr erinnern; er zeigte jedoch auf einen unscheinbaren kleinen Mann mit Hut, der gerade aussteigen wollte.

    »Fragen Sie den mal. Der sieht und hört alles. Wenn der es nicht weiß, kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.«

    Der Mann wusste. Oh ja, die Person auf dem Foto würde er kennen, gewiss doch, der saß immer in der dritten Reihe rechts am Fenster, wenn er den Bus um 8.45 h Uhr nahm.

    Und er wusste auch, wann dieser Herr das letzte Mal mit dem Bus gefahren war. Und wer neben ihm gesessen hatte. Ein Mann, der im gleichen Haus wie er selbst wohnte, sogar auf demselben Flur, in den Mundsburger Hochhäusern bei der Hamburger Meile.

    Der hätte ihn zwar noch nie wahrgenommen, der Herr wohnte da auch noch nicht lange, aber er, der Herr Mahndorf, hätte ihn sehr wohl gesehen. Und höflich gegrüßt, doch der hätte ihn gar nicht wahrgenommen.

    Den Namen des Mannes wusste er nicht, der Herr wäre sehr unzugänglich.

    Der Unbekannte hätte dem Mann auf dem Foto etwas zugesteckt. Jansen ließ sich erklären, wo der Mann wohnte, der den Zeugen zum Nachbarn hatte. Nicht viel, aber immerhin eine Spur.

    Was den Polizeischüler mehr irritierte, war der Umstand, dass Golz eine knappe Woche allein auf Sylt gewesen war. Er hatte sonst nie Urlaub genommen. Die Arbeit war sein Ein und Alles gewesen. Warum war er plötzlich allein nach Sylt gereist?

    Wenn er nach diesem Urlaub kurzfristig und kurz angebunden gekündigt hatte und verschwunden war, hatte er seine Entscheidung zu diesem Schritt vermutlich schon während des Urlaubs getroffen. Dort hatte er Zeit zum Nachdenken gehabt. Er war allein gewesen; allein denkt man mehr über alles nach als auf einem gemeinsamen Trip.

    Dr. Golz konnte dort jemanden kennengelernt haben, der ihn auf andere Gedanken gebracht hatte. Oder die.

    Diese Hypothese erschien Jansen am wahrscheinlichsten. Und das Wahrscheinlichste war meist auch das Richtige.

    Das hatte der junge Lukas in einem der Kurse gelernt; man nannte dieses Vorgehen Occams Rasiermesser. Und sein rasiermesserscharfer Schluss war, dass der Lektor eine Frau kennengelernt haben musste. Eine andere als seine alte Freundin Renate.

    Dr. Golz sah gut aus und war im besten Alter. Er war hetero, wenn man seiner Freundin Glauben schenken wollte. Er war allein in den Urlaub an einen Ort gefahren, an dem man leicht und schnell Leute kennenlernen konnte. Das sah nach Absicht und einer sexuellen Notlage aus.

    Jansen wurde immer klarer, dass Dr. Golz dort eine Frau kennengelernt haben musste. Mit der hatte er nach seiner Kündigung das Weite gesucht und gefunden. Vermutlich war er schlicht und einfach mit einer neuen Frau durchgebrannt.

    Jansen hatte den Job zugewiesen bekommen, ihn zu finden, und wollte die Aufgabe auch ordentlich beenden. Vielleicht hatte er Glück und Dr. Golz tauchte von selbst wieder auf, sobald er

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