Internationaler Buchmarkt
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Über dieses E-Book
Die deutsch-amerikanische Autorin dieses Bandes, Corinna Norrick-Rühl, ist Juniorprofessorin für Buchwissenschaft in Mainz. Anglophone Buchmärkte stellen einen Schwerpunkt in ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit dar. Darüber hinaus ist sie in der internationalen wissenschaftlichen Community im Bereich Book Studies hervorragend vernetzt.
Das Wissen um die Zusammenhänge im internationalen Buchgeschäft gewinnt in einer zunehmend globalisierten Branche immer weiter an Bedeutung. Nicht nur in ökonomischer Perspektive gilt es neue Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen, sondern auch die kulturellen Auswirkungen eines transnationalen Buchmarktes zu hinterfragen. Der vorliegende Band liefert zahlreiche Zahlen und Fakten, spricht aber auch grundsätzliche Probleme im internationalen Buchmarkt sowie buchpolitische Fragestellungen an.
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Buchvorschau
Internationaler Buchmarkt - Corinna Norrick-Rühl
kann.
Praxisbeispiel
Jedes Jahr darf sich ein ›Ehrengast‹ der Welt auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Meistens sind das Länder: daher spricht die Branche hier von den sogenannten Gastlandauftritten auf der Buchmesse. Doch zeigt ein Blick in die lange Gästeliste seit 1988, dass die Nation nicht immer das entscheidende Merkmal war, um die Präsentation mit Leben zu füllen. Mal war die ganze ›arabische Welt‹ zu Gast (2004), mal nur eine kleine, wenn auch wirtschaftsstarke Sprachregion: Katalonien (2007). Gleich zwei Mal, 1993 und 2016, standen Bücher, die auf Niederländisch oder Flämisch produziert worden waren, ganz gleich ob in den Niederlanden oder in Belgien, im Mittelpunkt des Interesses. Und 2017 wollte Francfort en français nicht nur die Literatur aus dem Nachbarland, sondern die frankophone Literatur weltweit vorstellen. Die anglophonen Länder sind hingegen auffällig unterrepräsentiert – nur Neuseeland (2012) findet sich auf der Liste der bisherigen Ehrengäste. 2020 wird sich Kanada zweisprachig mit englisch- und französischsprachiger Literatur vorstellen. Die Inszenierung der verschiedenen Nationen und Sprachräume durch die Länder selbst sowie durch die deutschen Verlage, die die übersetzten Bücher vermitteln, rückt zunehmend in den Blick der Forschung. Marco Thomas Bosshard untersucht Buchmessen als Räume kultureller und ökonomischer Verhandlung, mit einem besonderen Schwerpunkt auf den spanischsprachigen Buchmarkt und deren Wechselwirkung mit dem deutschen Buchmarkt.
Reflektion Kapitel 1: Ein Gedankenspiel zum besseren Verständnis der internationalen Beziehungen im Buchmarkt: Überlegen Sie, welches Buch aus einem anderen Sprachraum Sie zuletzt gelesen haben. Das kann auch ein Sachbuch oder wissenschaftliches Werk sein. Wenn Sie das Buch noch zur Hand haben, recherchieren Sie im Impressum den Ursprungsverlag, den Namen des Übersetzers, ggf. die Institution, die die Übersetzung finanziell gefördert hat. Online können Sie sich auch die Gestaltung der Originalausgabe anschauen. Sie werden sehen: es muss nicht nur der Text übersetzt werden, sondern auch die Paratexte müssen in eine andere Sprache und für einen anderen Markt überführt werden.
PARATEXTE Der französische Literaturwissenschaftler Gérard Genette (1930–2018) entwickelte die Idee der Schwellen (frz. seuils) zum Text in seiner Monografie Seuils (1987), die 1989 ins Deutsche übersetzt wurde. Der Übersetzer Dieter Hornig wählte für die Schwellen den treffenden Begriff Paratexte. Unter den Paratexten versteht Genette das ›Beiwerk des Buches‹ – alles, was dem eigentlichen Text zugeordnet ist. Das kann den Text direkt umgeben, also materiell und räumlich: das Cover, der Titel, das Vorwort, der Klappentext, das Impressum. Es können aber auch Texte sein, die nur indirekt mit dem Ursprungstext zusammenhängen, also zum Beispiel Rezensionen, Interviews, oder auch Tagebucheinträge des Autors. Genette unterscheidet verschiedene Kategorien, etwa verlegerische Para-texte und auktoriale Epitexte. Interessanterweise wurde das Buch erst 1997 ins Englische übersetzt (Paratexts. Thresholds of Interpretation, Cambridge UP).
Am Eingangsbeispiel wird klar: die Nation ist nur bedingt ein sinnvolles Ordnungskriterium für Buchmärkte. Auch historisch gewachsene Sprach- und Kulturgemeinschaften können hilfreiche Beschreibungsmerkmale sein. Wie eng Buchmarktstrukturen mit kulturhistorischen Fragen zusammenhängen, wird bei einem Blick nach Afrika deutlich. Kommunikationshistorisch spielt Oralität (also die mündliche Überlieferung von Informationen und Texten) in afrikanischen Gesellschaften eine viel größere und wichtigere Rolle als Schriftlichkeit. Auch heute sind der Austausch von Informationen und die Weitergabe von Traditionen eng mit Oralität verbunden. Da die Kolonialmächte das Lesen aus Europa mitgebracht und den Ureinwohnern aufgezwungen haben, ist bis heute das Verhältnis zu Büchern und Lesen problembehaftet. Isabel Hofmeyer plädiert in ihrem lesenswerten Aufsatz The Globe in the Text: Towards a Transnational History of the Book für eine kritische und ganzheitliche buchhistorische Betrachtung der Buchdistribution in den Kolonien am Beispiel der British and Foreign Bible Society, gegründet im 19. Jahrhundert. Hofmeyer betont darin, dass das Buch je nach Kontext als ›Geschenk‹ (oft von christlichen Missionaren) oder als ›Ware‹ in die Kolonien importiert und damit von Vornherein mindestens doppelt kodiert und politisch brisant war. Für viele Menschen in den ehemaligen Kolonien ist bis heute die Identifikation mit einer westlich geprägten Buch- und Lesekultur schwierig. Damit sind die Anforderungen an einen funktionstüchtigen Buchmarkt in Gesellschaften, in denen der Buchdruck und das Lesen als ›Mitbringsel‹ des Kolonialismus gesehen werden, anders als in Gesellschaften, in denen Schriftlichkeit und Buchdruck schon seit Jahrhunderten das Kommunikationssystem prägen.
Einen weiteren Zugang könnten wirtschaftliche beziehungsweise politische Gemeinschaften bieten, die buchpolitische und buchwirtschaftliche Maßnahmen gemeinsam veranlassen und durchsetzen. Ein Beispiel für eine buchpolitisch abgrenzbare Gemeinschaft wären die Staaten, die sich in der Berner Übereinkunft (Berne Convention for the Protection of Literary and Artistic Works) von 1886 oder der Genfer Konvention (Universal Copyright Convention) von 1952 zusammengefunden haben, um Urheberrechtsfragen international anzuerkennen. Ferner werden auf EU-Ebene Fragen zur Buchpreisbindung, zu E-Books usw. verhandelt; somit könnte eine solche geografisch-politische Gemeinschaft auch eine weiterführende Perspektivierung bieten. Auch der Lizenzmarkt, der zwischen nationalen Rechten, Rechten für einen Sprachraum und globalen Rechten trennt, löst diese Frage von Fall zu Fall auf unterschiedliche Weise. So wurden im 20. Jahrhundert im Rahmen des Traditional Markets Agreement (TMA, 1947 bis 1976 in Kraft) im anglophonen Bereich, wie weiter unten ausgeführt wird, Rechte in drei Kategorien geteilt: das Vereinigte Königreich und die traditionellen Commonwealth-Mitglieder (je nach Vertrag mit oder ohne Kanada) bilden einen Lizenzraum; die USA und die Philippinen einen zweiten Lizenzraum und die restliche Welt einen offenen Markt.
Auch die Geschichtswissenschaft ist in Folge von Diskussionen transnationaler und postkolonialer Theorien gegenüber der Nation als Untersuchungseinheit kritisch(er) eingestellt. Denn politische Grenzen sind beweglich und zum Teil diskutabel. Nationale Besonderheiten wiegen in vielen Bereichen weniger schwer als die transnationalen Gemeinsamkeiten. Angewandt auf die Buchwissenschaft und book history ist hier zur weiteren Vertiefung Sydney Sheps Analyse und Modellvorschlag in Books in global perspectives empfehlenswert. Außerdem widmet sich James Raven in seiner neuen Einführung in die Buchwissenschaft What is the history of books? (2018) der zunehmend globalen Perspektive der Disziplin; er spricht gar von einem #global turn in der book history.
Global perspectives demand new approaches.
James Raven⁴
Dennoch: die bestehenden großen Projekte zur Buchhandelsgeschichtsschreibung sind national initiiert und angelegt. In Deutschland wird die Geschichtsschreibung des Buchhandels von der Historischen Kommission des Börsenverein des deutschen Buchhandels vorangetrieben. Die derzeit noch unvollständig vorliegenden Handbücher in der Reihe Geschichte des deutschen Buchhandels beginnen mit dem Kaiserreich und führen die buch- und verlagshistorisch interessierten Leser über die Weimarer Republik in das ›Dritte Reich‹, ins Exil, in die Jahre 1945 bis 1949 und danach parallel in die DDR und die BRD bis zur Wiedervereinigung. Hier gilt also klar das Prinzip der Nation als Beschreibungsmerkmal. Damit vergleichbar sind auch andere groß angelegte buchhistorische Projekte in Frankreich (Histoire de l’édition française, Fayard, 4-bändig, abgeschlossen), den USA (A History of the Book in America, University of North Carolina Press, entstanden in Zusammenarbeit mit der American Antiquarian Society, 5-bändig, abgeschlossen), Großbritannien (The Cambridge History of the Book in Britain, Cambridge University Press, bislang 7-bändig, seit 2019 abgeschlossen) oder Kanada (History of the Book in Canada, University of Toronto Press, 3-bändig,