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Mit Deutschland leben!: Felix Rexhausens Literatur zwischen Zersetzung und Formspiel
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eBook245 Seiten2 Stunden

Mit Deutschland leben!: Felix Rexhausens Literatur zwischen Zersetzung und Formspiel

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Über dieses E-Book

Felix Rexhausen (1932 – 1992) gehörte als Schriftsteller, Journalist und Satiriker zu den wenigen Störenfrieden, die schon zu Beginn der 1960er Jahre dem Mief der Adenauer-Ära den Kampf ansagten. Seine undogmatische Vernunft war der Ideologie der Zeit in vielem voraus. Besonders drastisch bewies er dies in seiner Radioglosse Mit Bayern leben (WDR 1963), in der er das Hinterwäldlerische des Franz-Josef-Strauß-Lands jener Jahre aufspießte. Die Glosse löste einen Medienskandal aus und verschaffte Rexhausen einen Job als Kolumnist beim Spiegel. Sein Roman Lavendelschwert. Dokumente einer seltsamen Revolution (1966) wurde für kurze Zeit zum Kultbuch der sich gerade erst formierenden Schwulenbewegung. 2001 wurde der jährlich verliehene Journalistenpreis des Bundes lesbischer und schwuler Journalisten nach Rexhausen benannt, 2015 ein Platz am Kölner Hauptbahnhof.
Neben Hubert Fichte und Guido Bachmann gehörte Rexhausen in den 1960er Jahren zu den wenigen offen schwul auftretenden Autoren deutscher Sprache. Der Germanist Benedikt Wolf legt die erste Monografie zum Werk Rexhausens vor und entdeckt zahlreiche Aspekte in dessen zersetzenden Formspielen, die eine Rückbesinnung auf diesen heute fast vergessenen Autor überaus lohnend erscheinen lassen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. März 2020
ISBN9783863003043
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    Buchvorschau

    Mit Deutschland leben! - Benedikt Wolf

    Abbildungsverzeichnis

    Einleitung

    1981 erschien in der Zeitschrift Twen ein Artikel über eine aufregende Subkultur. Er beginnt mit der Beschreibung eines Vorfalls beim Hamburger Konzert des US-amerikanischen Showpianisten Liberace, eines homosexuellen Mannes, der, so unfassbar homosexuell seine künstlerische Selbstdarstellung wirkte, zeitlebens gerichtlich gegen Presseberichte vorging, die ihm Homosexualität attestierten:¹

    Als der amerikanische Prachtkitschgrossist «Mr. Showmanship» Liberace jüngst Europa verwöhnte, bot er seinen Riesenabend auch im Hamburger Congreß Centrum dar. Auf letztklassigen Plätzen ließen sich zwei Damen nieder, die außerordentlich erstklassig aufgemacht waren. Und dann bald: begeistert wie kaum sonstwer. Sie seufzten, tuschelten, verdrehten die Augen, schmachteten, juchzten, hechelten, schmatzten, gierten, gieksten; ihre anlaßgerecht üppigen Gewänder umhüllten zwei wahrhaft Hingerissene. In der Pause konnten die beiden reich geschmückten Liberace-Jüngerinnen denn auch nicht an sich halten. Entrüstet, erschüttert, empört eilten sie immer wieder auf irgendwelche Herrschaften zu und forderten grell zeternd Rechenschaft von ihnen: «Er ist so wundervoll! So einmalig! Und Sie – wie können Sie in einem solchen Karstadt-Kleidchen zu Liberace kommen?! Er ist so wundervoll, ach! Aber Sie – in Rock und Bluse hier! Im Blazer! Und wo sind ihre Juwelen! Wenn Sie keine haben, dann bleiben Sie doch von sowas weg! Gehen Sie zu Hagenbeck! So kann man sich doch für ihn nicht anziehen! Er ist so überirdisch wundervoll!» (BIB 238, S. 46)²

    Man ahnt, was hier los ist: Liberaces Hamburger Publikum wurde Opfer von Tunten – Tunten, die zu ihrer eigenen Freude anderen den Spaß verderben und hierin auf die Jämmerlichkeit dieses Spaßes und die verschüttete Möglichkeit einer Lust verweisen, die diesen Namen verdiente.

    Der Twen-Artikel stammt von dem Schriftsteller Felix Rexhausen, der seit 1966 in Hamburg lebte. Er zeichnet hier ein Porträt der Hamburger Tunten-Kultur. Die beiden Damen, die Liberace viel zu ernst nehmen und damit seinem Publikum dessen Schein der Ernsthaftigkeit entziehen, sind Gunter Schmidt und Corny Littmann, legendäre Tunten der Hamburger Szene. Littmann hatte 1980 von sich reden gemacht, als er in einer mediengestützten Aktion öffentlich einen Einwegspiegel auf einer Hamburger von Schwulen frequentierten Toilette zerschlagen und so auf die skandalöse Überwachung durch die Polizei aufmerksam gemacht hatte.³

    Der Schriftsteller Rexhausen, der selbst vor allem als Satiriker Bekanntheit erlangte, versteht die Aktion der beiden Tunten beim Liberace-Konzert als eine Form der Satire: «Die solcherart zurechtgewiesenen Herrschaften waren angewidert. Mißvergnügt erlebten sie: Satire, Satire auf Liberace und sein Publikum, in Szene gesetzt von Corny und Gunter.» Die beiden zitierend deutet Rexhausen auf einen spezifischen Zug in dieser Satire, einen schwulen Zug: «Eine Satire wie diese, sagen die beiden, ist schon von der Idee her schwul, und der Form wie dem Inhalt nach können nur Schwule sie auf die Beine stellen.» Und er führt aus:

    Als schrille, in Damenkleidern steckende Männlichkeiten, als «Tunten» also ein feines Geldpublikum zu verarschen, das sich blöde genug ist, bei der Aufwandsgalatante Liberace zu hocken, und im übrigen hanseatisch normale, gesittet brave Menschheit darstellt, von zwei schrillen Tunten in einfach degoutanter Weise gestört: auf welchem anderen Mist als auf dem schwulen könnte diese Idee wachsen? (BIB 238, S. 46)

    Das spezifisch Schwule, so deutet Rexhausen an, liegt in der (Ver-) Kleidung der Tunten und hängt mit dem Geschlecht zusammen: «in Damenkleidern steckende Männlichkeiten». Der Effekt dieser schwulen Taktik, die hier in eine Beziehung zum Geschlecht gesetzt wird, sei es, so impliziert es Rexhausens Text, den Gegensatz von Verkleidung und Kleidung aufzuheben oder alle Kleidung als Verkleidung zu entlarven: Das Publikum ist nicht einfach «hanseatisch normale, gesittet brave Menschheit», es stellt sie dar.

    Auch Rexhausen wollte in einfach degoutanter Weise stören, und zwar die deutschen Zustände seiner Zeit in umfassender Weise. Dass er dafür physisch sogenannte Damenkleider angelegt hätte, ist mir nicht bekannt (ich will es keineswegs ausschließen). Doch er hat immer und immer wieder Verkleidungen – auch weibliche – angelegt: Kleider aus Sprache, die die Verkleidungen entlarven, in denen seinen Zeitgenossen das ideologische Gerede ihrer Gesellschaft entgegentrat. Das hört man schon im Ton der Darstellung des Twen-Artikels. Sprachlich macht sich die Phrase «in einfach degoutanter Weise» auf vertrackte Weise sowohl mit dem hanseatischen Bürgerpublikum als auch mit dessen Karikatur durch die beiden Tunten gemein.

    Dieses Buch ist Rexhausens Spiel mit den sprachlichen Kleidern gewidmet. Es widmet sich dem Funktionieren dieses Spieles und seinen gesellschaftskritischen Implikationen. Es fragt besonders danach, welchen Stellenwert das Schwule in diesen Spielen hat und inwiefern Rexhausens Texte dieses Spiel auch in die Richtung von etwas transformieren, das über die journalistische Satire hinausgeht: in Literatur (die nicht mehr unbedingt satirisch sein muss).

    Wie Littmann und Schmidt gehörte auch Felix Rexhausen zu den «mißratene[n] Söhnen aus gutem Hause» (BIB 238, S. 46). 1932 in Köln in bürgerlichen Verhältnissen geboren, verbrachte er seine Kindheit in Leipzig und Hamburg. Die Bombardierung Hamburgs durch die West-Alliierten 1942 erlebte er zwar unbeschadet und als Beobachter, der in einem gutsituierten Vorort zu Hause war, aber doch als einschneidendes Ereignis.⁴ Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre in Köln, das er 1956 mit dem Diplom abschloss, wurde er 1959 ebenfalls in Köln in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften promoviert. Nachdem er die Universität verlassen hatte, wurde er freier Mitarbeiter beim Westdeutschen Rundfunk (1961–1964). 1961 war er an der Gründung der westdeutschen Sektion von Amnesty International beteiligt und wurde ihr erster Schatzmeister.⁵ In diese Zeit beim WDR fällt auch das Ereignis, das ihn in der Bundesrepublik schlagartig bekannt machte, ein größerer Presseskandal (nachdem es im selben Jahr schon einen kleineren Skandal um Rexhausens Blasrohr-Sendung im WDR gegeben hatte⁶): Im September 1963 wurde seine satirische Radioglosse Mit Bayern leben! gesendet, ein polemischer Frontalangriff auf die reaktionären bayerischen Zustände – und man musste schon sehr verbohrt (oder eben Bayer) sein, um sich durch diesen Angriff gerade in seiner Bayernehre getroffen zu fühlen. An den bayerischen Zuständen zeigte Rexhausen auf, was an den deutschen Zuständen seiner Zeit verkehrt war. Die Bayerinnen aber, allen voran ihr Ministerpräsident Alfons Goppel, der öffentlich protestierte (Wildenthal, BIB 444, S. 85), verstanden das nicht und gingen gegen den Glossenschreiber vor: mit dem Ergebnis, dass Rexhausen beim WDR nicht mehr unter seinem eigenen Namen schreiben durfte – und dass er sich in der sich anschließenden Medienlawine⁷ einen Namen machte. Es folgte eine Station beim Kölner Stadt-Anzeiger (1964–1966) und dann der Umzug nach Hamburg wegen einer Stelle beim Spiegel, wo er in den heißen Jahren der Prä-68er-Ära arbeitete. Den Spiegel verließ er 1968, um von da an als freier Schriftsteller und Journalist in Hamburg zu leben.⁸

    Auf die Veröffentlichung der kurzen Radioglosse Mit Bayern leben! als Buch 1963 gemeinsam mit Zuschriften an den Autor (deren Authentizität im Einzelnen zu prüfen wäre) folgten in relativ schneller Folge weitere Buchpublikationen: die satirischen ‹Ratgeber› Mit deutscher Tinte (1965) und Die Sache (1968), aber auch die beiden Bücher, für die Rexhausen heute noch bekannt ist, der satirische Roman Lavendelschwert (1966), der von einer bundesrepublikanischen Revolution der Homosexuellen erzählt, und der pornografische Roman Berührungen (1969), publiziert unter dem Pseudonym Stefan David.

    Ungefähr zur gleichen Zeit und im Zusammenhang mit der Bekanntheit unter Schwulen, die er durch diese Bücher erreichte, begann Rexhausen in den neuen Schwulenzeitschriften zu publizieren. Die Bundesrepublik hatte 1949 den schwulenfeindlichen Paragrafen 175 des Strafgesetzbuchs in der von den Nationalsozialisten verschärften Form übernommen. 1957 hatte obendrein das Verfassungsgericht die Position vertreten, bei dem nationalsozialistisch modifizierten Paragrafen handele es sich nicht um spezifisch nationalsozialistisches Unrecht. Erst 1969 kam es zu einer ersten Reform dieses Paragrafen. Einvernehmlicher Sex zwischen Männern bzw. männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren einerseits und über 21 Jahren andererseits wurde damit legal.⁹ Unmittelbar nach dem Inkrafttreten dieser Reform erschien im Herbst 1969 das erste Heft der Zeitschrift Du & Ich. Diese Zeitschrift für homosexuelle Männer unterschied sich deutlich von den in höchstem Maße auf Dezenz bedachten Homophilenblättern der 1950er Jahre. Im Frühjahr 1970 folgte als zweite Zeitschrift für homosexuelle Männer – mit einzelnen Beiträgen für homosexuelle Frauen – die him.¹⁰ Die Bedeutung dieser Zeitschriften für die Geschichte der Homosexualität in der Bundesrepublik ist enorm. Nicht nur ist ihr Erscheinen als Anzeichen eines gewandelten gesellschaftlichen Klimas zu werten, sie haben auch selbst einen erheblichen Beitrag zur Modernisierung des Selbstbildes der homosexuellen Männer geleistet.¹¹

    Nachdem him im Dezember-Heft 1970 die pseudonym veröffentlichten Berührungen äußerst positiv rezensiert hatte – «das bedeutsamste Buch, das in den ganzen letzten Jahren über unser Problem erschienen ist» (Graf, BIB 418, S. 53) –, steuerte Rexhausen 1971 die ersten Beiträge zu dieser Zeitschrift bei – und zwar nicht nur unter Pseudonymen, sondern auch unter seinem bürgerlichen Namen. Den Auftakt machte der Text Losung 71. Seid stolze Schwule, ein Plädoyer für die selbstverständliche Verwendung des Wortes ‹schwul› nicht nur unter Schwulen (das, schreibt Rexhausen, geschehe so oder so seit langem), sondern auch gegenüber Heterosexuellen:

    [E]rst wenn der Schwule selbstbewußt und aufrecht und stolz genug ist, vor Nicht-Schwulen sich oder irgendwelche Neigungsgenossen schwul zu nennen, das ganz selbstverständlich und ohne Anführungsstriche schwul zu nennen[,] was schwul ist – erst dann kann das Wort zu einem nützlichen neutralen Wort der Umgangssprache werden (BIB 100, S. 17).

    Das äußerte Rexhausen wohlgemerkt im Januar-Heft 1971 der him: nicht nur lange vor der Übernahme der gay pride-Rhetorik aus den USA,¹² sondern auch Monate bevor Rosa von Praunheims Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt, angefangen mit der Aufführung im Kino Arsenal in Westberlin am 15. August 1971, die Gründung schwuler Aktionsgruppen wie der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) und vieler anderer auslöste.¹³ Rexhausen sprach sich also für das explizit Schwule aus, bevor es in der Bundesrepublik eine Schwulenbewegung im eigentlichen Sinne gab. Man muss dazunehmen, dass Rexhausen 1966 in Lavendelschwert vorgemacht hatte, wie man das Wort ‹schwul› ohne Abwertung verwendet,¹⁴ Jahre, bevor der Praunheim-Film das Wort in provokanter Weise ungefähr 100 Mal aussprach.¹⁵ Freilich zeigt Losung 71, dass Rexhausen dies mit etwas anderer Stoßrichtung als die Schwulenbewegung tat. Während es ihm um ein «nützliche[s] neutrale[s] Wort» geht, das von negativen Konnotationen zu befreien sei, ging es der Schwulenbewegung, zumindest deren radikaleren Vertretern darum, die gesellschaftssprengende Energie eines gerade nicht nützlichen und neutralen Schwulseins freizusetzen.

    Neben Artikeln in den Schwulenzeitschriften – seit dem Ende von him (1976 in him applaus unbenannt) in Du & Ich – schrieb Rexhausen in seinen Jahren als freier Journalist und Schriftsteller eine Fülle von Beiträgen für Zeitungen und Zeitschriften des heterosexuellen Mainstreams. Dazu kommen Radiosendungen: sowohl ausgedehnte Albernheiten in vielfolgigen Sendereihen als auch eingehende Porträts historischer Persönlichkeiten vom Barock bis ins 20. Jahrhundert.¹⁶

    Doch auch die literarische Produktion riss nicht ab. Rexhausen veröffentlichte drei Lyrikbände, Gedichte an Bülbül (1968/1972), Spukspaßspitzen (1970) und Die Lavendeltreppe (1979), zwei Theaterstücke, Dem Neuen ist Seife egal (1970)¹⁷ und Dreiecke (1971),¹⁸ und steuert 1979 den Text zu einer Revue mit dem Titel … dann mal wieder rechts bei.¹⁹ Es folgten weitere satirische Bücher, Von großen Deutschen (1969) und Germania unter der Gürtellinie (1972). Dazu kommt, als Ergebnis einer Beschäftigung als «Stadtteilschreiber» des Hamburger Stadtteils Harvestehude, ein historisch-spielerisches Buch In Harvestehude (1979). Um die Mitte der 1970er Jahre macht sich eine Tendenz zu Spielereien bemerkbar, zu «Gutenacht-» (BIB 19) und anderen «Geschichten» (BIB 20), Texten rund ums Fahrrad (BIB 24) und ähnlichem.

    Ab der Mitte der 1980er Jahre arbeitete Rexhausen an einem umfangreichen Buchmanuskript mit dem Titel Die Ich-Illusion, in dem er sich mit dem unbeständigen und phantasmatischen Charakter des Ichs auseinandersetzte. In einer Mischform aus Abhandlung, essayistischen und aphoristischen Passagen und Anekdoten entfaltet Rexhausen hier seine Antwort auf die Frage nach dem Ich.²⁰ Hans Rillow fasst das treffend zusammen:

    Was ist das, was einen Menschen «Ich» sagen läßt? […] Ein zufällig zustandegekommenes Individuum, Resultat einer Vielzahl von Determinanten, veränderlich von einer Sekunde zur andern, kurzum: ein höchst instabiles Zufallsprodukt, das selbstbewußt die Bühne der Welt betritt und sonor ins Parkett schmettert: «ICH! ICH BIN ICH!» (Rillow, BIB 441, S. 69)

    Man fühlt sich an die großen Ich-Krisen in der Literatur des Fin de Siècle erinnert; an die Verunsicherung durch Ernst Machs Verständnis vom Ich als einer Denknotwendigkeit, die eine letztlich illusionäre Position an der Schnittstelle verschiedener Sinneseindrücke fasst; oder an die Verunsicherung durch Sigmund Freuds Erkenntnis vom Ich, das nicht Herr im eigenen Haus ist. Das wirkt aus der Zeit gefallen – gerade auch, weil Rexhausen die Subjektkritik, die in der französischen Philosophie und Psychoanalyse der Nachkriegszeit geführt wurde, nicht zur Kenntnis genommen zu haben scheint. Rexhausens Versuche, dieses Manuskript bei einem Verlag unterzubekommen, scheiterten. Die große Zahl an Verlagsabsagen dokumentieren diesen Misserfolg,²¹ der den vormals erfolgreichen Autor, der sich mit der Ich-Illusion nach längerer Zeit wieder ins ernsthafte Fach wagt, hart getroffen haben muss.

    Den Schwulen hielt Rexhausen 1987 noch einmal den Spiegel vor, indem er die Fragebögen, die Martin Dannecker im Vorfeld seiner 1990 veröffentlichten Studie Homosexuelle Männer und AIDS unters schwule Volk brachte, in seinem «Umfragebogen» Der heutige Homosexuelle und Weihnachten (1987) aufs amüsanteste persifliert.

    Er starb 1992 an einer Lungenkrankheit (Pfaff, BIB 407). Seit 2001 ist der Preis des Bundes Lesbischer und Schwuler JournalistInnen nach Felix Rexhausen benannt, einem «ideale[n] Namenspatron», wie Axel Bach schreibt (Bach, BIB 436, S. 11).

    Man muss Felix Rexhausen als ein Kind der 1960er Jahre verstehen.²² Dieses Jahrzehnt war für die Bundesrepublik eine Zeit des Aufbruchs. Viele vor allem jüngere und liberal bis links orientierte Bundesbürgerinnen hatten die Adenauer-Ära als eine bleierne Zeit des Stillstands erlebt. Sie begannen in den 1960er Jahren die bundesrepublikanischen Realitäten in Frage zu stellen. Der Aufbruch der 1960er Jahre war ein gesellschaftlicher und politischer, doch er war zugleich ein sexueller. Schülerinnen- und Studentenbewegung stellten den repressiven sexualmoralischen common sense in Frage, sprachen von sexueller Emanzipation und sexueller Revolution und versuchten gar, eine befreite Sexualität als utopische Antizipation in die Tat umzusetzen.²³ Begleitet wurde die politische Sexrevolte von einer kommerziellen Sexwelle, die Ulrike Heider in ihrer lesenswerten Darstellung so beschreibt:

    Zu Beginn der 1960er Jahre erkämpften sich die Massenmedien in zähem Ringen mit Saubermännern und Zensoren Zentimeter um Zentimeter nackter Haut, Verkaufszahlen und Einschaltquoten stiegen stetig. Die Werbebranche entdeckte den Sex als idealen Verkaufssteigerer, und auch die Pornografie gedieh prächtig in diesem Klima.²⁴

    Rexhausen ritt mit einigen seiner Publikationen auf dieser Sexwelle. Das gilt besonders für den satirischen ‹Ratgeber› zum Schreiben von «Sexbücher[n]» (BIB 9, S. 13) Die Sache, was auch schon zeitgenössisch bemerkt wurde: Der Literaturwissenschaftler Jost Hermand nennt Die Sache 1970 ein «verpoptes Sexbuch», attestiert ihr «hahnebüchene[] Trivialität» und bezeichnet ihren Autor als «echte[n] Konsumautor».²⁵ Mit der Sexwelle in Zusammenhang stehen aber auch die satirische «Dokumentation» (BIB 16, S. 15) Germania unter der Gürtellinie und die pornografischen Berührungen (vgl. außerdem BIB 57 und 83). Das zu konstatieren erübrigt die Analyse des literarischen und kritischen Potenzials dieser Beiträge freilich keineswegs. Hermand geht allzu hastig vom Konstatieren einer Anlehnung an den Zeitgeist zum dünkelhaften ästhetischen Urteil über. Parallel zu seiner partiellen Beteiligung an der Sexwelle tat sich Rexhausen auch als journalistischer Chronist von Sexwelle und sexueller Liberalisierung hervor (BIB 78, 87, 93 und 99).

    Doch in einer Gruppe von Beiträgen, die er in den Jahren 1965 und 1966 in den Blättern für deutsche und internationale Politik veröffentlichte, zeigt er sich auch als ein Protagonist des linksliberalen Aufbruchs. Er äußert sich gegen die post-nationalsozialistischen Kontinuitäten, gegen den dumpfen Antikommunismus der Bundesrepublik und gegen das uniforme Parteienspektrum – Unionsparteien, Sozialdemokraten und Liberale –, das keine Alternative auf der Linken bot, die diesen Namen verdient hätte (BIB 43, 44, 53, 55 und 56). Rexhausen war kein Anhänger des Sozialismus, vor allem nicht des real existierenden in der DDR, wie einige Radiobeiträge verdeutlichen, die sich im Nachlass finden;²⁶

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