Ulrichsläuten: Kriminalroman
Von Matthias Klösel
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Und Beckmann erfährt, dass sich eine lange tot geschwiegene Vergangenheit nicht so einfach beerdigen lässt wie eine Leiche.
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Buchvorschau
Ulrichsläuten - Matthias Klösel
Zum Buch
Terror in Augsburg Die Frühlingsgefühle von Kommissar Beckmann erfahren eine merkliche Abkühlung, als ausgerechnet an seinem freien Wochenende eine Frauenleiche bei einer Kleingartenanlage an der Wertach gefunden wird. Beckmann sind Schrebergärten und spießige Gartenzwerge zuwider. Dass seine Exfrau sich immer so einen Garten gewünscht hat, macht die Sache auch nicht gerade besser.
Doch wer war die junge Frau, die eines viel zu frühen, gewaltsamen Todes gestorben ist? Als Beckmann und sein Kollege Poborsky kurze Zeit darauf auch noch den Tod eines Kleingärtners in der gleichen Gartenanlage aufklären müssen, bekommt der Kommissar eine regelrechte Gartenzwergphobie. Doch der unscheinbare tote Mann entpuppt sich als höchst zwielichtige Figur, die die Kommissare tief in die Vergangenheit Augsburgs führen, als der Terror der RAF auch im provinziellen Augsburg seine Spuren hinterließ. Sie stoßen auf eine Geschichte von Rebellion, Freundschaft und Verrat. Und Kommissar Beckmann erfährt, dass sich eine lange tot geschwiegene Vergangenheit nicht so einfach beerdigen lässt wie eine Leiche.
Matthias Klösel leitet die Theaterwerkstatt Augsburg. Nach Abitur und Schreinerlehre absolvierte er seine Schauspielausbildung in Hamburg. Es folgten Engagements am Jungen Theater Augsburg, Stadttheater Augsburg, Sensemble Theater Augsburg, Theater Ingolstadt, Kreuzgangspiele Feuchtwangen, Komödie im Bayerischen Hof und anderen Theatern.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Tourneekoller (2008)
Impressum
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © bboellinger / Pixabay
ISBN 978-3-8392-6322-8
Prolog
Gartenzwerge (Augsburg Wiki)
Der Gartenzwerg an sich ist männlicher Natur, in der Regel misst er maximal 69 Zentimeter und ist klassischerweise mit einer roten Zipfelmütze bekleidet. Meist hält er eine Schubkarre in der Hand, eine Spitzhacke oder auch eine Laterne. Zu seinen Füßen liegt oft ein Igel oder ein süßes, kleines Reh. Das natürliche Refugium des Gartenzwergs sind Vor- und Kleingärten. Dort ist er meist in größeren Ansammlungen zu finden. War der Gartenzwerg bis in die 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts beinahe vom Aussterben bedroht, so hat sich sein Bestand seit damals deutlich erholt. 1981 gründete sich eine »Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge« mit Sitz in Basel. Sie trug maßgeblich dazu bei, dass sich der Gartenzwerg in heimischen Gärten wieder weitgehend ungestört verbreiten konnte. Um das Image der Gartenzwerge stand es lange Zeit nicht zum Besten. Der Gartenzwerg galt als Inbegriff des Spießbürgertums. Im Zuge der Renaissance des Gartens als grünes Refugium in den verdichteten Betonwüsten der Städte hat sich allerdings auch das Image des Gartenzwergs deutlich verbessert. Ein Wermutstropfen trübt allerdings die erfreuliche Erholung der Population der Zwerge. Die Produktion einheimischer Gartenzwerge ist fast vollkommen zum Erliegen gekommen. Die neu hinzugekommenen Gartenzwerge sind ausschließlich Migranten aus osteuropäischer beziehungsweise chinesischer Produktion, was sich leider auch in der Qualität der Zwerge zeigt. Die Migrantenzwerge haben die einheimische Population fast vollständig verdrängt, so wie zuvor schon der asiatische Marienkäfer unsere angestammte heimische Marienkäferart weitgehend verdrängt hat. In der Stadt Augsburg gibt es insgesamt nach Berechnungen des Stadtverbands der Kleingärtner 3.698 Kleingärten, in denen gesamt 15.392 Gartenzwerge bei der letzten Zählung in ihren Biotopen angetroffen wurden. Im Vergleich zur Vorjahreszählung betrug das Plus beinahe 15 Prozent. Der Anteil der Migranten unter den Gartenzwergen betrug nach Schätzungen fast 50 Prozent der gesamten Population, Tendenz weiter steigend.
1 Tod eines Terroristen
Augsburg, 2. März 1972
Augsburg ist ein Scheißkaff. Augschburg, sagen die Eingeborenen hier, in ihrem grässlichen, provinziellen schwäbischen Dialekt. Er sehnt sich zurück nach Berlin. Das pulsierende Leben dort, die Kneipen, die Wielandkommune. Der lustvolle Kampf gegen den Schweinestaat.
Mein Gott, was war das für ein Spaß gewesen, als sie das Hohe Gericht in Moabit geleimt haben. So ähnlich sahen sich der Werner und er jetzt wirklich nicht, dass man mit einem simplen Brillentausch jemandem vormachen konnte, er sei der Werner Pröll und nicht der Hans Eisenstein. Aber genau das ist passiert. Als der kreuzdämliche Richter den Werner zur Untersuchungshaft verdonnerte und ihn selbst freisprach, verließ statt seiner der Werner den Saal. Lief einfach raus, mir nichts, dir nichts. Und wie die Bullen den Werner wegsperren wollten, hat er ihnen gesteckt, dass er nicht der Rauch, sondern der Hans Eisenstein ist, und die Bullen haben ihn zähneknirschend laufen lassen müssen und den Werner zur Fahndung ausgeschrieben. Was haben sie gelacht damals über ihre »Verwechslung-go-Out«, legendär in der Szene, da waren sie Helden. Wer dir da alles immer die Schulter klopft. Und ewiglich kreist der Joint über den revolutionären Köpfen. High sein, frei sein, Terror muss dabei sein.
Der Werner – so eine Scheiße. Er könnte immer noch ausflippen, wenn er an den Tod von seinem Brother denkt. Die Bullenschweine haben ihn kaltblütig erschossen. Der hat doch gar keine Waffe dabeigehabt, das ist unvorstellbar. Der Werner, das war der friedfertigste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte. Keiner Fliege konnte der was zuleide tun. Sein Freund Werner Pröll. Am 4. Dezember 1971 kaltblütig umgebracht von einem Vertreter des Schweinesystems.
Das war der Punkt. Der Punkt, der alles geändert hat. Der Punkt, der aus ihm einen anderen gemacht hat. Der Haschrebell Hans Eisenstein, der fröhliche Anarchist. Es war einmal. Das spielerische Aufbegehren gegen die verlogene Spießermoral – mit dem Tod Werners war diese Episode zu Ende gegangen. Der alte, verspielte Hans ist Geschichte. Er hat sich verpuppt, eingesponnen, verwandelt. Ist in anderer Gestalt in diese beschissene, kapitalistische, imperialistische Welt wieder eingetaucht. Macht kaputt, was euch kaputt macht. Das Schweinesystem wird sich noch wundern. Die Nazis haben seine Großeltern im KZ ermordet, allein seine Mutter hat das Lager überlebt, und heute sitzen die gleichen alten Nazis wieder in den entscheidenden Positionen in Polizei, Justiz und Geheimdienst. Bundesnachrichtendienst – ein Sammelbecken für Altnazis. Die Justiz – fest in den Händen ehemaliger NS-Richter, ein Unrechtssystem, das oberflächlichst gesäubert zum Rechtssystem umdeklariert wird. Kurt Georg Kiesinger, ein Bundeskanzler, der im Nazistaat Karriere gemacht hat. Das Mäntelchen in den Wind gehängt und gewendet, und schon wird aus einem Nazi ein Demokrat. So einfach. Und alles wird totgeschwiegen. Und die Springerpresse mit ihrer Hetze gegen die Studenten immer vorneweg. »Lasst unsere Polizei mit dem Pack, Gesindel und Gesocks nicht allein.« Und ein Mord ist nur ein Mord, wenn ein Bulle stirbt, aber wenn ein unbewaffneter Student stirbt durch eine Polizistenkugel, dann ist das Notwehr. Der Benno Ohnesorg war der Erste. Ein friedlich demonstrierender Student, der gegen den Schahbesuch protestierte, erschossen am 2. Juni 1967 auf offener Straße. Grundlos. Erst der Benno und jetzt der Werner. Er hat ihn immer gewarnt, nicht leichtsinnig zu sein. Er hat nur gelacht, der Werner. Das Lachen ist ihm vergangen vor der Zeit. Und so ist der Hans von der »Bewegung 2. Juni« zur Konkurrenz gewechselt, der Roten Armee Fraktion, die ihnen, der Stadtguerilla, den »Tupamaros West-Berlin«, früher immer zu pseudointellektuell und elitär vorgekommen war.
Aber die Genossen von der RAF sind einfach radikaler. Es ist genug gequatscht worden. Es müssen endlich Taten folgen. Er fühlt den sanften Druck der Makarov 9 mm im Hosenbund, die Peter ihm besorgt hat. Ein gutes Gefühl. Er wird sich nicht so einfach abknallen lassen. Natürlich darf geschossen werden im revolutionären Kampf. Sonst hätten sie sich ja gleich Hare-Krishna anschließen können und Räucherstäbchen anzünden anstatt Kaufhäuser.
Lebe wild und gefährlich. Das Motto für ein Leben im Untergrund. Die Irene hat das nicht wollen.
War eines Morgens nicht mehr da. Einfach so. Ihren Abschiedsbrief hat er immer dabei. In den Nächten, wenn er wieder einmal wach liegt, vermisst er sie besonders. Ihre Haare, die nach Sandelholz riechen, ihr Muttermal zwischen den Schulterblättern. Aber es gibt kein Zurück. Er hat sich entschieden, gegen das Schweinesystem zu kämpfen. Immer gejagt, immer auf der Flucht. Das Schweinesystem schlägt zurück. Aber sie werden es ihnen zeigen. Der kapitalistisch imperialistische Komplex hat sich überlebt. Die Bevölkerung ist in weiten Kreisen auf ihrer Seite. Viele sind zu feige, um sich dem bewaffneten Kampf direkt anzuschließen – aber es findet sich immer jemand, der einem einen Schlafplatz anbietet und nicht weiter nachfragt.
Vier Wochen sind sie bereits in A. Die Wohnung in der Georgenstraße hat Carola von einem Augsburger Immobilienmakler angemietet. Bar bezahlt, im Voraus. Ein Mietblock. 60er-Jahre, viele Parteien, ein Kommen und Gehen, unauffällig. Die perfekte Tarnung. Direkt gegenüber befindet sich die Kirche St. Georg, der junge Pfarrer grüßt immer freundlich.
»Grüß Gott.«
»Grüß Gott.« Wenn der wüsste …
Die letzten Tage haben sie die Reese-Kaserne im Stadtteil Kriegshaber observiert. Die alten Nazikasernen haben jetzt die Amis okkupiert. Wenn das mal keine Symbolik ist. Die Reese-Kaserne: Standortquartier des Kommandanten. Das Offizierskasino. Dort werden sie die Bombe platzieren. Direkt am Eingang. Die Planungen nähern sich dem Ende. Das Ammoniumnitrat und ausreichend Kalium haben sie schon