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Something she lost
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eBook402 Seiten5 Stunden

Something she lost

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Über dieses E-Book

Michael und Jillian Dansky haben alles, was man sich wünschen könnte – eine glückliche Ehe, erfolgreiche Karrieren, eine strahlende Zukunft. Doch ein kleiner Fehler in einer düsteren Oktobernacht ändert alles. Nach einer Halloweenparty döst Michael am Steuer kurz ein – und als er wieder aufwacht, ist nichts mehr, wie es war.

Michael kann gerade noch rechtzeitig bremsen, als er das kleine Mädchen auf der Straße sieht. Aus Sorge um das Kind bringt er sie nach Hause – aber das Gebäude, in dem sie zu leben behauptet, steht leer, und das Mädchen verschwindet mit den Worten: "Komm und finde mich!" Doch jemand – oder etwas – will verhindern, dass Michael das Mädchen wiederfindet. Plötzlich wird Michael verfolgt. Und seine Frau Jillian scheint wie ausgewechselt, eine grausame und rachsüchtige Person, die Michael kaum noch wiedererkennt …
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum11. Sept. 2019
ISBN9783959819725
Something she lost
Autor

Christopher Golden

Christopher Golden is the New York Times bestselling author of such novels as Of Saints and Shadows, The Myth Hunters, Snowblind, Ararat, and Strangewood. With Mike Mignola, he cocreated the comic book series Baltimore and Joe Golem: Occult Detective. He lives in Bradford, Massachusetts. 

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    Buchvorschau

    Something she lost - Christopher Golden

    Danksagungen

    1

    Der Abend des Maskenballs war eine Art wahnwitziger, riskanter Walzer, die Stimmen lauter und das Gelächter alberner, als irgendjemand erwartet hätte. Das lag nun einmal in der Natur von Masken.

    Michael Dansky lehnte mit einem Guinness in der Hand an der Wand und beobachtete das Kommen und Gehen der bunten Kostüme und die Körpersprache ihrer Träger. Ein Maskenball hatte etwas an sich, das die Menschen veränderte. Die Hemmschwelle sank, und das nicht nur aufgrund des Alkohols. Die Frage war, dachte Michael, ob eine Maske dem Träger erlaubte, sich in der Illusion zu verlieren, jemand anderes zu sein, oder ob es das Verbergen des Gesichts war, das ihm den Mut verlieh, mehr von dem zu zeigen, der er tief im Inneren wirklich war.

    Das Wayside Inn war ein charmantes Fleckchen Erde, an dem man sich vorstellen konnte, dass das neunzehnte Jahrhundert niemals geendet hatte. Michael beobachtete, wie sich seine Frau Jillian in ihrer elisabethanischen Robe durch den Ballsaal bewegte. Unter ihrer eleganten Halbmaske lächelte sie. Für Michael war sie immer sexy gewesen, doch heute war sie mehr als das. Es lag eine unbestreitbare Laszivität in der Art, wie sie sich über die Tanzfläche bewegte, und in ihren Augen hinter dieser Maske schimmerte eine Sinnlichkeit, die ihm den Atem raubte. Während sie durch den Raum ging, berührte eine andere Frau sie am Arm und die beiden begannen eine Unterhaltung, die sich in Lächeln und Lippenbewegungen ausdrückte. Die Worte selbst verloren sich im Stimmengewirr des Maskenballs. Jillians Haare waren von einem tiefen Kastanienbraun und ihre braunen Augen funkelten schelmisch. Die Frau, mit der sie sprach, war eine dünne Blondine, die als Flaschengeist verkleidet war.

    Michael stieß sich von der Wand ab und ging durch den Ballsaal auf sie zu. Er war sich vage bewusst, dass die Flasche Guinness in seiner Hand die Wirkung seines eigenen Kostüms ein wenig untergrub: Umhang, Stiefel, Hut und Degen des schneidigen Musketiers D’Artagnan. Dennoch lag eine gewisse Selbstsicherheit in seinem Gang, die entweder das Kostüm, der Alkohol oder noch wahrscheinlicher eine Mischung aus beidem hervorrief.

    Der Ballsaal wurde von zwei großen Treppen eingerahmt, die sich zu beiden Seiten des Raums zu einem Balkon im ersten Stockwerk hinaufwanden, der auf das Erdgeschoss hinabsah. Es gab Kronleuchter, aber sie waren nicht so kitschig wie die, die er bei Hochzeitsfeiern in den Bankettsälen diverser Hotels gesehen hatte. Der Maskenball war ein jährliches Ereignis zugunsten des Merrimack Valley Children’s Hospital und in den drei Jahren ihrer Ehe hatten Jillian und er ihn sich niemals entgehen lassen. Es war Samstagabend, drei Tage vor Halloween, und auch wenn der Feiertag inzwischen von moderneren Kostümen geprägt war, bestanden die Veranstalter des Balls darauf, dass niemand eine Verkleidung tragen durfte, die von etwas aus der Zeit nach dem neunzehnten Jahrhundert inspiriert worden war. Die Musik unterlag der gleichen Beschränkung. Einigen Leuten, mit denen Michael gesprochen hatte, fehlte zwar die vertraute Tanzmusik, aber andere machten das Beste daraus, versuchten sich an Menuetten und Walzern oder sogar an einer Quadrille, die Miri Gallaway und Victoria Peristere den Teilnehmern jedes Jahr beibrachten.

    Michael liebte das alles. Die Musik und die altmodischen Kostüme erinnerten an eine einfachere Zeit, eine Ära, in der die Menschen noch an das Geheimnisvolle geglaubt hatten. Er arbeitete als Artdirector bei Krakow & Bester, einer Werbefirma aus Andover, und auch wenn er durch seine Arbeit die Geschichte von Stilen und Bildern erforschen konnte, brachte sie ihn auch mit viel zu vielen Leuten in Kontakt, die vollkommen fantasielos waren.

    Das hier war die reinste Freude.

    Auf dem Weg zu seiner Frau verbeugte er sich galant vor einer wunderschönen Piratin und einer von Draculas Bräuten. Inmitten ihrer Unterhaltung mit dem blonden Flaschengeist entdeckte ihn Jillian aus dem Augenwinkel und ein Schmunzeln umspielte ihre Lippen. Sie winkte ihm zu.

    Plötzlich wurde sein Blick auf Jillian von mehreren Paaren versperrt, die zu einer fröhlichen Melodie tanzten. Er versuchte sich einen anderen Weg zu ihr zu bahnen und stieß fast mit einem stämmigen Heinrich dem Achten und einer blutverschmierten Anne Boleyn zusammen. Michael lachte so laut auf, dass er fast sein Guinness verschüttet hätte.

    »Was ist denn so verdammt witzig, Bauer?«, verlangte König Heinrich zu wissen.

    »Zum Beispiel dieser Bart«, erwiderte Michael.

    Der König schnaubte beleidigt, berührte aber besorgt seinen angeklebten Bart. Sein richtiger Name war Teddy Polito und seine liebreizende tote Braut war seine Ehefrau Colleen. Teddy war Texter bei Krakow & Bester, ein halber Neurotiker, dessen Gesicht zu einer ewigen Grimasse verzerrt zu sein schien. Doch trotz seiner diversen Ticks und Schrullen hatte der beleibte Mittvierziger ein großes Herz.

    »Hab fast eine Stunde gebraucht, um dieses verdammte Ding richtig hinzubekommen«, murmelte Teddy.

    Michael gelang es nicht, sein Grinsen zu unterdrücken. »Das ist … ziemlich erstaunlich.«

    Colleen warf ihrem Mann einen Blick mit erhobener Augenbraue zu. »In der Tat. Man sollte doch meinen, dass nach so viel Aufwand etwas weniger Klebstoff zu sehen wäre.«

    Teddy legte sich eine Hand aufs Herz. »Das tat weh.«

    Seine Frau stieß ihn mit ihrer ausladenden Hüfte an. »Du Riesenbaby.« Ihre braunen Haare hatten einen rötlichen Schimmer und ohne ihre großen grünen Augen hätte sie ziemlich durchschnittlich ausgesehen.

    »Das stimmt, Colleen. Keine Ahnung, warum wir es überhaupt mit ihm aushalten.«

    »Ich bin ein Enigma«, sagte Teddy fröhlich.

    »Das ist Teil deines Charmes«, bestätigte Michael. Er sah sich um. »Und wo ist jetzt meine bezaubernde Frau hin?«

    Jillian stand noch immer bei ihrer blonden Flaschengeistfreundin auf halber Höhe der rechten Treppe, einen Drink in der Hand. Als Michael sie wiederentdeckte, begann Jillian zu lachen. Ihre Wangen wurden rot, sie hob den Handrücken vor ihren Mund – ein Überbleibsel ihrer Zeit mit Zahnspange – und trat einen Schritt von dem Flaschengeist zurück.

    Sein Herz schien stehen zu bleiben, als ihr Fuß die Stufe verpasste. Von der Tanzfläche des Ballsaals aus, inmitten der Tanzenden und mit dem Klang von Lauten, Fiedeln und Blechflöten in den Ohren, musste er mit ansehen, wie sie fiel. Jillian ließ ihr Getränk los und das Glas purzelte über den Rand des Treppengeländers und zerschellte auf dem Boden. Sie fing sich mit der leeren Hand ab, die andere verdeckte weiter ihren Mund. Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Dann erhellte eine Art peinlich berührter Belustigung ihr Gesicht, sie drehte den Leuten unter sich den Rücken zu und tat so, als sei der Vorfall nie passiert. Die Hand hatte sie immer noch vor dem Mund und Michael wusste, dass sie ein Lächeln verbarg. Der Flaschengeist lachte vor Erleichterung. Sie nahm Jillian am Arm und führte sie weiter die Stufen hinauf.

    Erst da atmete Michael wieder aus.

    »Ich glaube, da hat jemand etwas zu viel Spaß«, kommentierte Colleen, aber es lag kein Vorwurf in ihren Worten. Jillian trank nicht viel und wurde schnell beschwipst, wenn sie mehr als ein Glas Wein hatte. Die Politos wussten das.

    »Ich sehe mal nach, ob sie in Ordnung ist«, beschloss Michael.

    »Tu das«, sagte Teddy. »Wir können ja mitkommen und ihr Hallo sagen.«

    »Keine Sorge«, erwiderte Michael, den Blick weiter auf Jillian gerichtet, die sich inzwischen mit Ned Bergh, einem örtlichen Immobilienmakler, und seiner Frau Sue unterhielt.

    Jillian gestikulierte wild mit ihren Händen und ihr Gesichtsausdruck war sehr lebhaft, während sie eine Geschichte erzählte – vielleicht sogar die, wie sie kurz zuvor ihr Glas hatte fallen lassen. »Wir werden uns schon nicht plötzlich in Kürbisse verwandeln.«

    Michael drehte sich mit wehendem Umhang um und die drei gingen Richtung Treppe. Er gab sich dabei ganz seiner Rolle des D’Artagnan hin, eine Hand auf dem Griff seines Degens trug er die Arroganz eines Musketiers zur Schau.

    D’Artagnan führte König Heinrich und die auferstandene Anne Boleyn die Stufen hinauf. Einige Leute riefen Teddys Namen und er winkte. Einmal blieb er stehen, lehnte sich vor und murmelte etwas in das Ohr eines Mannes, den Michael vage als Lokalpolitiker wiedererkannte. Der Mann reagierte mit einem wissenden Lachen voll versteckter Andeutungen. Teddy hatte eine Vorliebe für versaute Witze. Colleen hatte nicht gehört, was ihr Mann gesagt hatte, aber sie gab ihm aus Prinzip einen Klaps auf die Schulter.

    Michael sah ebenfalls Menschen, die er kannte, auch wenn es durch die Kostüme und Masken manchmal ein bisschen schwierig war, direkt zu erkennen, um wen es sich handelte. Gary Bester, Sohn eines der Gründer seiner Agentur, winkte ihm von der anderen Treppe aus zu und Michael war froh, so weit entfernt zu sein. Gary war als Großer Böser Wolf verkleidet und seine Freundin Brittany als Rotkäppchen. Das Mädchen war neunzehn, die Rezeptionistin der Agentur und die Art Frau, von der selbst der anständigste Mann kaum den Blick abwenden konnte. Gary war unglaublich nervig, redete endlos, ohne etwas zu erzählen zu haben, und war irrsinnig eifersüchtig auf jeden Kerl, den Brittany auch nur ansah. Es war am besten, den beiden aus dem Weg zu gehen.

    Der Blick auf den Maskenball vom oberen Treppenabsatz war außergewöhnlich. Die wirbelnden Farben, der Klang von Fiedel und Laute, Akkordeon und Cembalo sowie das altmodische Dekor des Ballsaals kombiniert raubten ihm den Atem. Teddy und Colleen wurden von einem etwa fünfzig Jahre alten Mann beiseitegezogen, den Michael nicht erkannte, also blieb er einen Moment an der Balustrade stehen, um den Anblick auf sich wirken zu lassen.

    Das Lachen seiner Frau riss ihn aus seiner Träumerei und als er sich umdrehte, stellte er fest, dass sie immer noch mit den Berghs sprach. Inzwischen hatten sich ihnen weitere Personen angeschlossen, einschließlich eines stämmigen Mannes mit dicker Nase und ergrauenden Locken und eines dünnen Iren mit schütterem weißem Haar. Michael kannte den ersten Mann nicht, der einen Sombrero und einen Poncho trug, aber der ältere Bursche war Stadtrat Bob Ryan. Er trug eine verblichene Jeans, alte Stiefel, eine lange Jacke und einen Hut, der seine erstaunlich blauen Augen verdunkelte. An seiner Hüfte konnte Michael zwei sich überkreuzende Waffengürtel aus Leder sehen. Bisher hatte Michael auf diesem Ball niemanden entdeckt, der in seinem Kostüm authentischer wirkte.

    »Anwälte sind nicht mehr als ein Sprachrohr«, verkündete Jillian, als sich Michael dem Kreis anschloss, der sich um sie herum gebildet hatte. Ihre Zuhörer lachten mit ihr und sie bedachte sie mit einem sarkastischen Grinsen. »Das ist genau wie bei der modernen Medizin. Die Krankenschwestern machen die ganze Arbeit. Die Ärzte sahnen den Ruhm ab. In einer Kanzlei machen die Rechtsanwaltsfachangestellten alles und die Anwälte tauchen nur kurz vor Gericht auf und unterschreiben den Papierkram.«

    Der Mexikaner kniff die Augen zusammen. Ein Anwalt. So viel war offensichtlich. »Ich kenne nicht viele Anwaltsgehilfen, die einem Richter Fälle vortragen.« Jillian winkte ab. »Ach bitte, Benny. Das ist doch nur Show. Ich rede von der eigentlichen Arbeit. Sicher, wir stehen nicht im Rampenlicht, aber wir haben die Choreografie festgelegt, mein Lieber. Wir haben die Musik und den Text geschrieben. Aber wie auch immer, das ist nicht mein Bereich. Ich mache Wirtschaftsrecht. Da gibt es genauso viele Kriminelle, aber sie sitzen hinter Schreibtischen statt hinter Gittern.«

    Noch während sie sprach, bemerkte sie Michael und ihre Augen leuchteten auf. »Hallo, mein hübscher Musketier.«

    Michael verbeugte sich. »Mademoiselle.«

    »Ah, D’Artagnan«, sagte Bob Ryan und tippte sich an den Hut. »Señor Bartolini und ich wollten Ihre bezaubernde Frau gerade davon überzeugen, dass sie nächsten Herbst eine wunderbare Kandidatin für den Stadtrat abgeben würde.«

    Michael hob eine Augenbraue und sah zu Jillian. In ihren Augen lag ein Funkeln, das er sofort erkannte. Sie hatte sich einst in den Kopf gesetzt, Jura studieren zu wollen, aber nachdem sie Rechtsanwaltsfachangestellte geworden war und mitbekommen hatte, wie viel Stress und Überstunden Anwälte im ersten Jahr erwarteten, war ihr klar geworden, dass sie für diesen Beruf einfach nicht masochistisch genug war. Dennoch genoss sie es, alles über die Vorgänge zu erfahren, und mochte ihre Arbeit in der Kanzlei. Rechtsanwaltsfachangestellte zu werden war ein Kompromiss gewesen, aber einer, mit dem sie leben konnte.

    Jillian war in sehr kurzer Zeit an die Spitze der Anwaltsszene Bostons geklettert. Sie pendelte jeden Tag in die Stadt und kam fast jeden Abend spät nach Hause. Sie war leitende Rechtsanwaltsfachangestellte bei Dawes, Gray & Winter, der größten und mächtigsten Kanzlei in Boston. Und auch wenn sie nicht oft darüber sprach, wusste Michael, dass sie auf die Büroleitung aus war.

    Dieses Funkeln in ihren Augen war ihr stiller Ehrgeiz.

    »Du bist jetzt also Politikerin?«

    »Nö«, erwiderte sie. »Aber ich bin eine Frau des Volkes.«

    Sie streckte die Hand nach ihm aus und Michael ergriff sie. Ihr Gang war temperamentvoll, als sie den Kreis der Zuhörer durchbrach und auf ihn zukam, doch er wusste, dass das vom Alkohol kam. Wenn sie eine Trinkerin gewesen wäre, hätte es ihn beunruhigt. Doch stattdessen hatte ihr Schwips etwas Süßes, sogar Unschuldiges an sich. Jillian schlang ihre Arme um ihn und küsste sanft seine Schläfe, dann löste sie sich langsam von ihm und stellte sich an seine Seite.

    »Tja, Süße«, sagte Michael mit Blick auf seine Frau, »meine Stimme ist dir sicher.«

    Um Mitternacht war der Maskenball immer noch in vollem Gange. Michael und Jillian hatten stundenlang getanzt und waren durch den Ballsaal gewirbelt. Die Politos hatten sich ihnen angeschlossen, aber die Danskys waren jünger und in besserer Verfassung und schon bald mussten Teddy und Colleen eine Pause einlegen und verbrachten einen Großteil des Abends mit anderen Freunden.

    Das Tanzen forderte seinen Tribut. Michaels Füße taten in seinen D’Artagnan-Stiefeln weh und seine Stirn, seine Brust und sein Nacken waren schweißbedeckt. Und doch kam es ihm mit seiner Frau in den Armen so vor, als seien sie beide Marionetten, dass der gleiche Zauber, der sie in die Vergangenheit versetzt hatte, sie mit einer Art kindlicher Freude erfüllte, die es ihnen unmöglich machte nicht zu tanzen.

    Es gelang ihnen sich ab und an auszuruhen, zumindest lange genug, um sich ein wenig mit anderen zu unterhalten und sich gegenseitig alberne Dinge zuzuflüstern. Beim Tanzen verbrannten sie beide etwas vom Alkohol, also machte sich Michael keine Sorgen wegen der zusätzlichen Drinks, die Freunde ihnen ausgaben. Es wäre unhöflich sie abzulehnen.

    Doch schließlich stieg Jillian der Alkohol zu Kopf.

    »Zeit, nach Hause zu gehen«, flüsterte Michael ihr ins Ohr.

    Sie verzog das Gesicht. »Aber Liebling, es ist noch zu früh. Niemand sonst geht schon.« Sie musste kurz stehen bleiben, um das zu sagen, und als sie es tat, schwankte sie gegen ihn. Sie runzelte die Stirn und sah auf ihre Füße hinab, als hätten diese sie verraten. Dann lachte sie sanft und hob ihren Blick wieder.

    »Andererseits …«

    Jillian hakte sich bei Michael unter und sie gingen zum Ausgang. Auf dem Weg verabschiedeten sie sich von Freunden und Bekannten. Jillians Blick war verschleiert und jetzt, wo sie nicht mehr tanzte, konnte Michael sehen, wie betrunken sie war. Als sie zu Ned Bergh »Bis dann« sagte, lallte sie. Es war das erste Mal, seit er sie kannte, und Michael schwor sich, es ihr gegenüber niemals zu erwähnen. Er wusste, dass es ihr peinlich sein würde.

    Am unteren Absatz einer der Treppen sah er den Revolverhelden Bob Ryan wieder, doch er mied seinen Blick und manövrierte Jillian schneller zum Ausgang. Vielleicht würde es Ryan davon abhalten, Jillian als Kandidatin zu unterstützen, wenn er sie für eine Trinkerin hielt.

    Mit jedem Schritt stützte sie sich mehr auf ihn und als sie endlich am Ausgang waren, hielt er sie praktisch aufrecht. Eine kalte Brise wehte ihnen ins Gesicht, als sie in den schwachen Lichtkegel der Lampe über der Tür traten. Er reichte nicht ganz bis zum Parkplatz, doch der Mond strahlte hell und wurde von Chrom und Glas reflektiert.

    Michael hielt inne und blinzelte ein paarmal. In der eiskalten Luft streckte er sich. Seine Wangen brannten. Es war Ende Oktober, aber heute Abend fühlte es sich wie Dezember an. Sein Atem gefror.

    »Michael«, begann Jillian.

    Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden, ersetzt von Scham.

    »Pst«, flüsterte er. »Wir bringen dich jetzt nach Hause ins Bett.«

    Sie zog eine Augenbraue hoch. »Das ist deine Antwort auf alles.«

    Er musste lachen. »Was ist falsch daran?«

    »Gar nichts.«

    Während sie das sagte, verlor ihr Blick seinen Fokus und ihre Lider flatterten. Er befürchtete, dass sie jeden Moment das Bewusstsein verlieren könnte.

    Michael musste sich erst einmal orientieren. Ihr waldgrüner Volvo stand ganz links auf dem Parkplatz. Er nahm sich einen Moment, um Jillian besser zu stützen, schlang ihren Arm um seinen Hals und half ihr dann über den Parkplatz zu taumeln. Wenn sie irgendwo anders gewesen wären, hätte er sie einfach auf den Arm genommen, so wie er sie in ihrer Hochzeitsnacht über die Schwelle ihres Zimmers getragen hatte. Aber sie kannten hier so viele Leute und Jillian würde nicht wollen, dass jemand Zeuge eines solchen Spektakels wurde.

    Am Auto angekommen war er gezwungen, Jillian gegen die Tür zu lehnen, während er in der Tasche seines Kostüms nach dem Schlüssel suchte. Sie hing unsicher am kalten Metall und das Marionettenbild von vorhin kam ihm wieder in den Sinn. Doch dieses Mal war es eine Marionette mit durchtrennten Fäden. Ein leises Summen lag auf ihren Lippen, aber er konnte sich keinen Reim darauf machen.

    »Schatz, du bist komplett durch«, sagte er mit einem sanften Lächeln.

    Während er mit einer Hand seine Frau in Position hielt, drückte er auf den Knopf des Autoschlüssels und die Türen wurden entriegelt. Es war ein wenig mühselig, doch es gelang ihm, sie auf den Rücksitz zu befördern und hinzulegen. Ihre Augenlider flatterten kurz und langsam streckte sie ihm eine Hand entgegen.

    »… liebe dich so sehr«, murmelte sie.

    »Ich dich auch«, sagte Michael und sah zu, wie ihr die Augen zufielen. Sie wirkte in diesem Moment so unschuldig und er stellte sich vor, wie sie als kleines Mädchen gewesen sein musste. Damals allerdings natürlich nicht betrunken, dachte er und musste schmunzeln.

    Er hatte fest vor, sie am nächsten Tag gnadenlos zu necken.

    Er klappte die hintere Tür zu und setzte sich dann auf den Fahrersitz. Sobald er saß, spürte er ein Kribbeln im Gesicht, ein leichter Bierschwips, der durch seinen Kreislauf zirkulierte. Er startete den Volvo und der Motor schnurrte leise auf. Er spürte die sanfte Vibration unter sich, als er sein Fenster öffnete und die kalte Nachtluft hineinließ. Ein paar Sekunden lang zog er Bilanz über seinen Zustand. Abgesehen von diesem kleinen Schwips fühlte er sich eher erschöpft als betrunken.

    Er legte beide Hände ans Steuer, atmete tief ein und ließ die kalte Luft erneut über sein Gesicht strömen. »Das wird schon«, sagte er laut. Seine Stimme klang im Inneren des Wagens seltsam und seine Hände wurden von der Anzeige unheimlich beleuchtet. »Das wird schon.«

    Michael ließ das Fenster auf, während er vom Parkplatz herunterfuhr. Er warf einen Blick über seine Schulter, eine Hand am Steuer, um nach Jillian zu sehen. Wein und Erschöpfung hatten sie in einen tiefen Schlaf versetzt und sie schnarchte leise. Ab und an murmelte sie etwas. Er lächelte und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.

    Ein Teil des Charmes des Wayside Inn bestand darin, dass es an der Old Route 12 lag, die sich durch ein halbes Dutzend Städte im Merrimack Valley schlängelte, auf der aber nie viel Verkehr war. Seit der Einweihung der Old Route 12 vor vielen Jahrzehnten hatten andere große Highways sich in die Region erstreckt. Drei verschiedene Interstates verliefen kreuz und quer durch den nördlichen Teil von Massachusetts und jeder, der es eilig hatte, tat gut daran, sie zu benutzen. Dadurch blieb der Old Route 12 nur Lokalverkehr. Und um diese Uhrzeit war sie absolut verlassen.

    Die Straßenlaternen lagen weit auseinander, aber sie glitten in ihrem ganz eigenen Rhythmus über ihn hinweg, ließen ihr Licht auf die Windschutzscheibe fallen und beleuchteten das Innere des Wagens. Von Telefonmasten hingen schwarze Kabel und an einigen Stellen kreuzten sie auch hoch über ihm die Straße. Ein Großteil der Old Route 12 war von Bäumen gesäumt und auch wenn gelegentlich ein Einkaufszentrum, eine Tankstelle oder ein Restaurant auftauchte, lagen an dieser Straße hauptsächlich Wohnhäuser. Einige waren noch recht neu – Ende des vergangenen oder Anfang dieses Jahrhunderts erbaut –, aber die Mehrheit war viel älter. Schon oft hatte Michael die Gebäude im georgianischen, viktorianischen und Kolonialstil bewundert.

    Die Fenster waren alle dunkel, aber an einigen Häusern waren die Lampen über den Haustüren eingeschaltet. Auf den Stufen standen ausgehöhlte Kürbisse und an Laternenmasten waren Vogelscheuchen gebunden. In einer Seitenstraße sah er eine Villa, deren kompletter Vorgarten in eine Halloweenszene verwandelt worden war, mit orangen Lichtern, riesigen Kürbissen und einem Sensenmann. Es war, als hätten die Besitzer Halloween mit Weihnachten verwechselt.

    Die Reifen surrten über die Straße und trotz des Oktoberwinds in seinem Gesicht begann Michael sich schläfrig zu fühlen. Das Vorbeiziehen der Straßenlampen lullte ihn ein. Er blinzelte ein paarmal und als ihm zum ersten Mal der Kopf auf die Brust sank, setzte er sich aufrechter hin.

    »Scheiße«, flüsterte er.

    Er schlug sich ein paarmal ins Gesicht, gerade fest genug, dass es auf seinen eiskalten Wangen brannte, und riss seine Augen so weit wie möglich auf. Zeit für Musik. Etwas Lebhaftes.

    Vor ihm lag eine lange Kurve, also wartete er, bis er sie durchfahren hatte, bevor er einen erneuten kurzen Blick auf die Rückbank warf. Jillian schlief tief und fest. Er bezweifelte, dass das Radio sie aufwecken würde. Aber selbst wenn, besser so, als wenn sie im Graben erwachte … oder Schlimmeres. Michael schaltete das Radio ein und wechselte schnell zum Sender Kiss 108. Er hasste die gesamte Hip-Hop-Szene, aber er wusste, dass die Musik ihn wachhalten würde. Der hämmernde Bass, den er so oft aus anderen Autos hatte dringen hören, während sie an ihm vorbeigefahren waren oder neben ihm an der Ampel gewartet hatten, drang aus den Lautsprechern und er drehte die Musik sogar noch lauter, wenn auch mit angewidertem Gesicht.

    Tief in seinem Schädel breitete sich ein dumpfer Schmerz aus. Er war nicht sicher, ob das Guinness, die Musik oder die kalte Luft der Grund dafür war. Wahrscheinlich eine Kombination aus allem, dachte er. Er wurde sich eines bitteren Geschmacks im Mund bewusst und fuhr mit seiner Zunge über seine Zähne. Er liebte Guinness, aber wie jedes andere Bier hinterließ es einen Film im Mund. Michael wollte etwas anderes trinken. Er versuchte sich zu erinnern, ob es auf der Old Route 12 einen Dunkin’ Donuts gab. Wenn der immer noch geöffnet hatte, könnte er sich einen Kaffee holen. Den einen bitteren Nachgeschmack durch einen anderen ersetzen.

    Die Straße summte. Der Motor schnurrte. Seine Lider begannen trotz der Musik wieder schwer zu werden. Seine Wangen fühlten sich taub an und auch wenn er glauben wollte, dass es an der kühlen Oktoberluft lag, wusste er es besser. Hauptsächlich, weil seine Füße ebenfalls taub waren, obwohl es unten im Fußraum nicht so kalt war.

    Nein, es war das Guinness, das zu wirken begann.

    Vielleicht hatte er doch mehr getrunken, als ihm bewusst gewesen war.

    Die Musik dröhnte in seinen Ohren und der Kopfschmerz begann zu pulsieren. Eine Straßenlampe raste an der Windschutzscheibe vorbei und er musste blinzeln. Das Surren der Reifen auf der Straße war wie weißes Rauschen. Sein Verstand wanderte zurück zu der Zeit, als er acht Jahre alt gewesen war und mit seiner Familie eine Busreise nach Florida gemacht hatte. Mitten in der Nacht waren sie durch Lafayette gefahren.

    Sein Kopf sackte nach vorn und die Bewegung riss ihn aus dem Sekundenschlaf. Michael hob ruckartig den Kopf und sein Herz hämmerte in Panik. Die Straße wand sich nach rechts … aber der Volvo fuhr geradeaus, überquerte die Gegenfahrbahn und raste auf zwei Telefonmasten zu – ein älterer und ein neuerer, der diesen stabilisieren sollte.

    Sein Mund schmeckte nach Alufolie. Galle stieg in seiner Kehle auf. Sein Gesicht war nicht mehr taub, sondern glühte.

    Mit steifen Armen presste er sich in seinen Sitz und riss das Steuer mit aller Kraft nach rechts.

    In diesem Moment fiel die Straßenlampe über ihm aus und hüllte die Kurve in Dunkelheit.

    Es war niemand sonst auf der Straße.

    Seine Reifen quietschten auf dem Asphalt.

    Ein Freudenausbruch, wie er ihn noch nie zuvor verspürt hatte, machte sich in ihm breit, als ihm klar wurde, dass er es schaffen würde, dass er das Auto wieder auf Spur gebracht hatte. Dann erreichte er die letzten Meter der Kurve, zu weit auf dem Seitenstreifen, und sah das kleine Mädchen am Straßenrand.

    Es war blond. Ein winziges Ding, gefangen im grellen Licht seiner Scheinwerfer, die goldenen Haare schimmernd, als wäre es ein Engel. Bluejeans. Eine gerüschte Bauernbluse. Und doch waren es ihre Augen, die am bemerkenswertesten waren. Sie sah Michael durch die Windschutzscheibe hindurch an, starrte vollkommen furchtlos ins Scheinwerferlicht. Sie wirkte, als sei sie gerade erst aus einem tiefen Schlummer erwacht.

    »Verdammte Scheiße!«, schrie Michael.

    Seine Hände rissen das Lenkrad nach links.

    Der Volvo verfehlte sie so knapp, dass er aus dem Beifahrerfenster sehen konnte, wie der Luftzug an ihr zerrte. Im Schein des Armaturenbretts fluchte er immer wieder, während er auf die Bremse trat. Die Reifen rutschten leicht über den Straßenbelang, doch dann griff das Antiblockiersystem und der Wagen rollte kurz aus, bevor er stehen blieb.

    »Oh mein Gott«, flüsterte er und versuchte verzweifelt seinen Herzschlag und seine Atmung zu verlangsamen. Er spitzte die Lippen und atmete tief aus.

    Ich bin ihr ausgewichen, dachte er. Ich bin ihr ausgewichen.

    Die Nachtluft strömte herein und umschmeichelte sein Gesicht. Das half ihm wieder zu Atem zu kommen. Sein Herz hämmerte immer noch in seiner Brust, aber es beruhigte sich langsam. Aus dem Radio drang ein weiterer Rapsong und plötzlich fühlte er sich von all dem überwältigt. Er schlug auf den Radioknopf und mit einem Mal war es still im Auto, abgesehen von seinem eigenen Atem und dem Schnurren des Motors.

    Sein Blick fiel auf die Uhr des Armaturenbretts, ein grün-weißes Leuchten, das 0:21 zeigte. Warum zum Teufel wanderte ein kleines Mädchen ohne Jacke nachts um halb eins die Old Route 12 entlang? Während er auf die Uhr starrte, gab es einen Moment – nur einen kurzen Moment –, in dem er davon überzeugt war, dass das Mädchen verschwunden sein würde, wenn er aufblickte. Oder dass es vielleicht nie dagewesen war.

    Den Fuß immer noch auf der Bremse warf er einen Blick über seine Schulter, und da war sie, nur ein paar Meter hinter dem Auto, in das dunkelrote Leuchten seiner Bremslichter getaucht. Abgase wirbelten aus dem Auspuff und sie schien in einem blutroten Nebel verloren zu sein. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert.

    Michael stockte der Atem und wieder schauderte es ihn, aber dieses Mal war weder der Alkohol noch die kalte Nachtluft die Ursache. Es war der abwesende, verlorene Ausdruck in ihren Augen.

    2

    Schock, dachte Michel. Sie steht unter Schock.

    Bei dieser Erkenntnis stieß er erleichtert den Atem aus. Er saß immer noch auf seinem Sitz und hatte den Kopf so weit nach hinten verdreht, wie es möglich war, ohne den Fuß von der Bremse zu nehmen. Die Bremsleuchten warfen das Mädchen in ein unheimliches Licht und die Abgase, die um sie herumwirbelten, verstärkten diesen Effekt noch. Aber jetzt, wo Michael ihr Gesicht genauer betrachtete, war er davon überzeugt, dass sie unter Schock stehen musste.

    Warum sollte sie auch nicht? Ich hätte sie fast überfahren.

    Das blonde Mädchen war vielleicht sieben, auf keinen Fall älter als acht. Ihr Gesicht war ausdruckslos, die Augen weit aufgerissen, aber es stand keine Überraschung in ihnen, nur eine absolute Leere.

    Das arme Ding.

    Michael sah zu Jillian. Sie hatte auf dem Rücksitz auf der Seite gelegen, doch die Vollbremsung hatte sie leicht nach vorn geschleudert, sodass ihr linker Arm nun auf die Fußmatte hing und ihre Knie über den Sitz hinausragten. Sie murmelte, wachte aber nicht auf.

    Wieder hob er seinen Blick. Das Mädchen stand immer noch da, unbeweglich und verloren.

    Michael drehte sich nach vorn, stellte den Motor ab, zog den Schlüssel ab und öffnete seine Tür.

    »Bist du in Ordnung, Süße?«, fragt er so sanft, wie er konnte.

    Das Mädchen bewegte sich nicht, als er auf sie zukam. Ohne die Bremsleuchten war sie nicht mehr in dieses rote Licht gehüllt. Nur der Mond erhellte jetzt noch die Straße – die nächste Laterne war zu weit entfernt – und in diesem Licht wirkten die Züge des Mädchens verschwommen und blass. Michael ging ganz langsam auf sie zu, um sie nicht noch mehr zu verängstigen.

    »Hallo. Wie heißt du?«

    Sie schien immer noch wie erstarrt und blickte ins Leere. Michael ging vor ihr auf die Knie. Langsam berührte er ihren Arm und zog instinktiv die Finger zurück. Ihre Haut war kalt. Eiskalt. Was hatte er in einer so kühlen Nacht auch anderes erwartet? Schließlich trug das Mädchen nur eine Jeans und eine dünne Baumwollbluse. Plötzlich fragte er sich, was passiert war, dass sie hier so allein herumlief. Hatten ihre Eltern Angst um sie oder handelte es sich um die Art grausamer Menschen, von denen er gelegentlich in der Zeitung las?

    »Süße? Ich heiße Michael. Kannst du mir deinen Namen sagen?«

    Keine Antwort.

    »Hast du dich verlaufen?«

    Sie blinzelte, stieß ein kaum hörbares Keuchen aus und richtete endlich ihren Blick auf ihn. Ihr Gesicht war engelsgleich, aber es versetzte ihm einen Stich ins Herz, als sie an ihrer Unterlippe zu kauen begann. Dann verzog sie einen kurzen Moment die Lippen zu einem Schmollen.

    »Die Lichter waren hell«, sagte sie. Ihre leise Stimme war von jener Wichtigkeit erfüllt, die die Äußerungen von Kindern oft begleitete.

    »Ja. Ich weiß. Mein Auto. Ich hätte dich fast erwischt, Süße, aber es ist alles gut gegangen. Ja? Du bist in Ordnung. Also … hast du dich verirrt? Stimmt das?« Inzwischen vermutete er, dass sie einem Eichhörnchen, Vogel oder sonst etwas gefolgt war und dabei die Orientierung verloren haben musste. So etwas konnte hier im Wald leicht passieren.

    Halloween. Wie aus heiterem Himmel kam ihm dieser Gedanke in den Kopf. Der Tag selbst war

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