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Segeln am Limit: Meine Jagd nach dem America's Cup
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Segeln am Limit: Meine Jagd nach dem America's Cup
eBook298 Seiten3 Stunden

Segeln am Limit: Meine Jagd nach dem America's Cup

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Über dieses E-Book

Vom Wunderkind zum zweifachen America's-Cup-Sieger Jimmy Spithill ist ein seltenes Talent, ein Segler der Superlative. Er ist Match-Race-Weltmeister und gewann 2010 und 2013 mit seiner Crew den America's Cup. Aber er will nicht nur zu den Besten gehören, er will der Beste sein. Und dazu gehört mehr als nur Talent. Sein Weg verlief nicht gerade, weshalb er respektvoll von Freunden und Gegnern »The Pitbull« genannt wird. Er ist die Hauptperson in einem Drama, das eines der spektakulärsten der Sportgeschichte ist. Der Ausnahmesportler erzählt von Niederlagen, Schicksalsschlägen und Siegen – und auch über sich selbst.
SpracheDeutsch
HerausgeberBenevento
Erscheinungsdatum29. Aug. 2017
ISBN9783710950193
Segeln am Limit: Meine Jagd nach dem America's Cup

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    Buchvorschau

    Segeln am Limit - Jimmy Spithill

    2017

    Kapitel 1

    »Es ist unwahrscheinlich, dass er je wieder Sport treiben wird.«

    Ich war zwölf Jahre alt und saß nervös im Behandlungszimmer eines Arztes in Sydney, eines Arztes, den ich nicht mochte. Er ignorierte mich und sprach über meinen Kopf hinweg mit meiner unübersehbar besorgten Mutter, aber schlimmer noch, er hatte soeben etwas gesagt, das mich wütend machte.

    »Eine Operation kann das Problem beheben«, hatte er gemeint, »aber es ist unwahrscheinlich, dass er je wieder Sport treiben wird.«

    Statt zu widersprechen, biss ich mir auf die Zunge. Ich durfte ihn nicht gegen mich aufbringen, denn meine Eltern standen kurz davor, der Operation zuzustimmen. Das bedeutete, dass er mein rechtes Bein mit Skalpellen, Bohrern und allen möglich medizinischen Geräten bearbeiten würde, um ein Problem zu lösen, das ich seit meiner Geburt mit mir herumschleppte. Ich hatte es satt, ich wurde immer besorgter und aufgeregter. Ich wollte nur noch raus aus diesem stickigen Raum und in der Bucht vor unserem Haus Segeln gehen.

    Was mir am meisten gegen den Strich ging, war, dass dieser Arzt offensichtlich keine Ahnung hatte. Mein Leben drehte sich schon damals nur darum, ein guter Sportler zu sein, obwohl mein rechtes Bein 5 Zentimeter kürzer war als das andere. Der Fuß war drei Schuhgrößen kleiner als der linke und besaß eine Zehe zu wenig, während zwei weitere zusammengewachsen waren.

    Überraschenderweise hatte mich das nie gestört, bis ich auf die Highschool kam. Dort entwickelte es sich zu einer echten Plage, und ich hatte chronische Rückenschmerzen, die immer schlimmer wurden. Daraus entstand natürlich noch ein anderes Problem: Ich wurde zunehmend zur Zielscheibe der Schulhofschläger. Ein kleiner, rothaariger und sommersprossiger Junge, der noch dazu hinkte, forderte Spott und Prügel geradezu heraus. Damals fiel es mir nicht leicht, mit dem Mobbing zurechtzukommen, aber ich denke, langfristig hat es mich zu einem besseren Menschen gemacht. Ich legte mir eine dicke Haut und viel Entschlossenheit zu.

    Als ganz kleines Kind war ich überzeugt davon, dass es völlig normal war, wenn man am rechten Fuß nur vier Zehen besaß und zwei davon zusammengewachsen waren. Das änderte sich mit vier oder fünf Jahren. Eines Tages betrachtete ich den Fuß meines Vaters und dachte: »Das ist ja komisch! Er hat fünf Zehen!« Ich fing an zu lachen und machte mich lustig über ihn. »He Dad, was stimmt denn mit deinem rechten Fuß nicht?« Leicht erstaunt informierte er mich, dass Füße normalerweise gleich groß sind und je fünf Zehen haben. Mir blieb die Spucke weg. Zehn Minuten lang sagte ich kein Wort, blickte nur zwischen seinen und meinen Füßen hin und her. Ehrlich – bis zu diesem Tag war mir das nie aufgefallen. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass für die meisten Menschen ihre Füße ein Spiegelbild voneinander sind.

    Trotzdem sah ich meinen rechten Fuß nicht als Problem an, obwohl er manchmal für Frustrationen sorgte. Da er drei Schuhgrößen kleiner war, trug ich an ihm natürlich einen viel zu großen Schuh. Ich war zu jung, um zu begreifen, dass es eine einfache Lösung gegeben hätte. Man hätte nur ein zweites, kleineres Paar Schuhe, das zu diesem Fuß passte, kaufen müssen. Und ich begriff auch nicht, dass meine Eltern diese Möglichkeit nicht nutzten, weil zwei Paar Lederschuhe für sie einfach zu teuer gewesen wären. Sie hatten finanzielle Probleme, daher konnten sie sich lediglich eine dicke Sohlenverstärkung für meinen rechten Schuh leisten, um das Hinken zu vermindern.

    Ich fand eine persönliche, kostengünstige Lösung: ich stopfte den Schuh mit Socken, Lumpen oder anderem Zeug aus, um den Fuß darin zu verkeilen. Aber das funktionierte nicht richtig. Nur allzu oft rutschte er mir schon vom Fuß, wenn ich einfach nur so dahinschlenderte. Dann musste ich anhalten und ihn erneut ausstopfen. Erst Jahre später, als ich Rugby in einer höheren Juniorliga zu spielen begann, wurde es besser. Das lag daran, dass mir jedes Mal der Stiefel wegflog, wenn ich über das Feld sprintete, und das schien meinen Eltern ebenso peinlich zu sein wie mir. Jedenfalls trieben sie die Mittel auf, um mir zwei Paar Sportstiefel von unterschiedlicher Größe zu kaufen, und auch zwei Paar normale Straßenschuhe.

    Aber gegen mein Hinken half das nichts. Die einzige Möglichkeit war eine Operation, und deshalb saß ich jetzt in der Praxis dieses Arztes, den ich nicht leiden konnte.

    Nachdem er das Problem gründlich analysiert hatte, meinte er in beruhigendem Ton zu meiner Mutter, dass er volles Vertrauen in einen Erfolg der Operation hätte – bevor er den vernichtenden Zusatz anbrachte, dass ich vermutlich im Sport nie wieder etwas taugen würde. An dem Punkt verschwammen meine Gedanken. Es interessierte mich nicht mehr, als er meiner Mutter anhand einer Schautafel des menschlichen Körpers an der Wand die Details der Operation beschrieb. Stattdessen überlegte ich mir, wie ich die Behauptung des Arztes, was den Sport betraf, widerlegen konnte. Ich dachte daran, mit meinem kleinen Manly Junior Segelboot Regatten zu fahren und beim Rugby nun noch schneller zu rennen und härter anzugreifen, wenn ich zwei gleich lange Beine hatte. Ich wollte ihn Lügen strafen.

    Währenddessen lauschte meine Mutter seinen Worten: »Wir werden das Wachstum des linken Beins reduzieren, indem wir eine Wachstumsfuge entfernen. Dann kann das rechte Bein aufholen, bis es gleich lang ist.«

    Sie machte sich natürlich Sorgen, denn die Operation war nicht ohne Risiko. Es handelte sich um eine zukunftsweisende neue Technik – es war eines der ersten Male überhaupt, dass sie angewandt wurde, und auch das erste Mal, dass der Chirurg sich daran versuchte.

    Glücklicherweise verlief alles gut, und nach acht Wochen konnte ich die Krücken wegwerfen. Ein paar Monate später, an meinem dreizehnten Geburtstag, war ich wieder voll beweglich. Allerdings dauerte es noch zwei Jahre, bis beide Beine gleich lang waren und das Hinken zu einer fernen Erinnerung verblasste. Heute kann ich, obwohl meine Füße immer noch unterschiedlich groß sind, mit vollem Tempo rennen – wenn auch in verschiedenen Schuhen!

    Dieser Arzt erfuhr nie, dass er mein Leben gleich doppelt umgekrempelt hatte – durch die erfolgreiche Operation, und entscheidender noch, durch die Andeutung, dass dieser Junge nie wieder Sport treiben würde.

    Am Ende meines letzten Highschooljahres musste ich an ihn denken, als mir an der Pittwater Highschool die Auszeichnung als Sportler des Jahres für meine Erfolge im Segeln, Boxen, australischem Football, in der Rugbyliga und im Cricket verliehen wurde.

    Ich bin froh, dass dieser Arzt ein Feuer in mir entfacht hat. Seit damals habe ich alles nur Menschenmögliche getan, um bei jedem Unterfangen der Beste zu sein und den Erfolg für mich sprechen zu lassen.

    Kapitel 2

    »Ich werde im America’s Cup segeln.«

    Mein erstes Wort lautete anscheinend nicht »Mama« oder »Papa«, sondern »Ote«.

    Meine Mutter berichtet, dass ich jedes Mal, wenn wir an den Booten in der Rushcutters Bay im Hafen von Sydney vorbeikamen, den Blick nicht davon wenden konnte und pausenlos »Ote« sagte.

    Damals wohnten wir in einem kleinen Haus in einer Vorstadt östlich von Sydney, nicht weit vom Zentrum entfernt. Mein Vater Arthur war Ingenieur bei einer Telekommunikationsfirma, und meine Mutter Jenny arbeitete in der Zentrale von Australiens internationaler Fluggesellschaft Qantas.

    Irgendwann gerieten meine Eltern in eine Art verfrühte Midlife-Krise – sie hatten genug von der Hektik des Stadtlebens. Sie wollten den Asphaltdschungel hinter sich lassen und sich einem Leben zuwenden, in dem es mehr Natur als Nachbarn gab.

    Nach reiflicher Überlegung entschieden sie sich für den Hawkesbury River, einen eindrucksvollen mäandrierenden Fluss, der 120 Kilometer landeinwärts von Broken Bay und Pittwater verläuft, nur 30 Kilometer vom Hafen von Sydney entfernt. Bald hatten sie ihr Traumhaus am Ufer gefunden und sich mit dem Verkäufer auf einen Preis geeinigt. Sie leisteten eine Anzahlung, Verträge wurden ausgefertigt – und währenddessen stach ein anderer Interessent meine Eltern aus. Er hatte mehr geboten und den Handel abgeschlossen.

    Sie waren am Boden zerstört. Von meinem Standpunkt aus kann ich im Rückblick nur sagen, dass ich froh darüber bin. Hätten sie dieses Stück Land gekauft, würde ich heute vermutlich Pferde reiten und keine »Ote« segeln, schon gar nicht die schnellsten Katamarane der Welt.

    Wenig später hatten wir mehr Glück, und mein Leben kam in die richtige Bahn. Mum und Dad besaßen ein 35-Fuß-Segelboot, mit dem wir regelmäßig vom Hafen von Sidney aus Ausflüge auf dem Pittwater und in die sich anschließenden Wasserwege machten. Ich war noch keine zwei Jahre alt, als wir bei einer dieser Gelegenheiten in der Elvina Bay ankerten, einer malerischen, abgeschiedenen und baumbestandenen Bucht in der Südwestecke des schönen Pittwater. Wir trafen uns dort mit einem Freund der Familie, der auf den Spitznamen »The Rock« hörte und auf der nahegelegenen Insel Scotland Island lebte.

    Mum und Dad gefiel es an diesem geschützten Ankerplatz so gut, dass wir fast jedes Mal dort hinfuhren, wenn wir auf dem Pittwater segelten. Eines Tages erzählte »The Rock« meinen Eltern, dass in der Elvina Bay ein winziges Cottage zu verkaufen sei. Nichts Besonderes – eine einfache Hütte mit einem einzigen Schlafzimmer, gebaut aus dem billigsten damals erhältlichen Material, aus Asbestzementplatten. Sie stand auf einem kleinen Hügel auf einem Morgen Land, das vorne an die Bucht und hinten an einen schönen und dicht bewachsenen Nationalpark grenzte.

    Mum und Dad verliebten sich augenblicklich in das Haus und seine Möglichkeiten, selbst wenn es von den 20 Anwesen in der Bucht im schlechtesten Zustand war. Es lag auf einer Halbinsel mit weitem Blick über das Wasser und war nur mit dem Boot zu erreichen. Für meine Eltern war es dasselbe, wie auf einer Insel zu wohnen. Es gab sogar ein kleines Bootshaus mit Anlegesteg am Ufer. Der Nachteil daran war der Preis, denn er lag hart an der Grenze ihres Budgets. Also schmiedeten sie einen Plan – kaufen, renovieren, verkaufen –, der allerdings nie umgesetzt wurde. Aber am Ende bekamen sie alles geregelt, und 1982 wurden wir Anwohner von Elvira Bay.

    Mit zwei Kindern – einem Dreijährigen und einem vier Monate alten Baby – in eine Zweizimmerhütte auf einem Hügel ohne Zufahrtsstraße zu ziehen, erforderte Mut. Und den besaßen meine Eltern offenbar. Später erzählten sie mir von dem ersten Morgen, als sie unter dem rauen Keckern der Kookaburras dort aufwachten, umgeben von eindrucksvollen Eukalyptusbäumen, mit einem spektakulären Blick aufs Meer. Sie waren überzeugt, ihr Paradies gefunden zu haben. Es war ein herrlicher Ort für Kinder. Sie hatten nur wegen der Nähe zum Wasser Angst, dass meiner Schwester Katie und mir etwas zustoßen könnte, solange wir noch zu jung zum Schwimmen waren. Mir passierte nie etwas, aber Katie fiel zweimal rein und musste gerettet werden.

    Meine Großeltern väterlicherseits, die auf dem Festland in einer Vorstadt westlich von Sidney wohnten, waren ausgerechnet bei den beiden Gelegenheiten zu Besuch, als Katie vom Steg plumpste. Meine Großmutter sagte streng: »Arthur, ständig passiert hier so etwas. Das ist zu gefährlich. Und ihr seid hier so weit weg von allem! Wie kann man nur so leben?«

    Sie waren nicht besonders beeindruckt von unserem bescheidenen Heim, das buchstäblich am Auseinanderfallen war. Aber das störte meine Eltern nicht. Wir Kinder lernten bald schwimmen, und was das Haus anging, konnte Dad sein Talent als Baumeister beweisen. Die Umbauten an der Hütte waren bald in vollem Gang, aber es war keine leichte Aufgabe. Das Baumaterial musste mit unserem kleinen Aluminium-Dingi aus dem nächsten Ort, Church Point, geholt und auf dem Seeweg zum Haus transportiert werden. Am Ufer luden wir alles aus – Bauholz, Fliesen, Steine und Zement – und schleppten es die Treppen hoch bis zum Haus.

    Als Kind in der Elvina Bay war man entweder im Wasser oder im Busch. Ohne Straßen gab es keine Autos, daher ließen Mum und Dad uns schon in jungen Jahren »an der langen Leine« spielen. Trotzdem war das Schöne an der Elvina Bay, dass sie nicht allzu weit vom Rest der Welt entfernt lag. In nur 90 Minuten konnten wir mitten in der City von Sydney sein.

    Es mag ein Klischee sein, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen. Aber in einer winzigen Küstengemeinde wie Elvina Bay, wo niemand die Tür zusperrte, war das Realität. Ich war eines der jüngsten Kinder von den zehn Jungs und ein paar Mädchen, die gemeinsam herumzogen und die Gegend unsicher machten. Es war ein bisschen wie Wilder Westen am Meer für Kinder. Jeder kannte jeden, es gab keine Regeln, und wir konnten tun und lassen, was wir wollten, solange wir rechtzeitig zum Abendessen nach Hause kamen. Wir waren den ganzen Tag im Freien beim Segeln und Schwimmen, durchstreiften den Busch oder kletterten Wasserfälle hinauf. Wirklich übertrieben war nur, wenn wir uns nachts aus dem Haus schlichen und barfuß durch den Busch liefen – denn im australischen Busch kann einen so ziemlich alles umbringen! Ich weiß nicht, wie wir das überstanden haben, aber wir sind alle noch am Leben.

    Der Alltag in der Bucht hatte auch ein paar Nachteile, aber die nahmen wir für unseren Lebensstil in Kauf. Wir wussten, dass Buschfeuer aus dem Hinterland in die Bucht durchbrechen und die Häuser bedrohen konnten. Manchmal zogen gewaltige Gewitter über den Hügeln im Westen auf und legten tagelang die Stromversorgung lahm. Aber darauf waren wir vorbereitet, das gehörte dazu. Für mich war das Größte der Gemeinschaftssinn, und dass man jederzeit Hilfe fand, wenn man sie brauchte.

    Je älter ich wurde, desto mehr zog es mich zum Wasser. Mit fünf bekam ich ein kleines Windsurfbrett für Kinder geschenkt, und sobald der Wind über die Elvina Bay und den Pittwater blies, war ich draußen und segelte, so schnell ich konnte.

    Nach australischen Begriffen galten meine Eltern als sozial benachteiligt. Sie hatten ständig mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Es half ein bisschen, als sie den Bootschuppen an einen Bekannten vermieten konnten, der ihn nur am Wochenende benutzte. Für mich hatte das einen besonderen Vorzug: Er besaß einen Hobie 14 Cat. Schon seltsam, dass ich meine ersten Segelerfahrungen auf einem Katamaran machte – heute segle ich die schnellsten der Welt.

    Ich liebte diesen Hobie. Bevor ich gut genug war, um alleine damit rauszufahren, wartete ich immer ungeduldig darauf, dass Dad von der Arbeit kam und wir Segeln gehen konnten. Am Wochenende standen die Kinder aus der Bucht Schlange danach. Es war ein Aufbruch ins Abenteuer. Oft drängten wir uns zu zehnt auf dem Ding, schwammen, tauchten, und segelten in den Buchten herum. Ich hätte mir kein schöneres Leben vorstellen können.

    An Schultagen war es wichtig, das Fährboot nach Church Point nicht zu verpassen. Jeden Morgen kam das kleine blau-weiße Schiff um die Landspitze in die Bucht getuckert, und der Skipper betätigte das Nebelhorn. Das war für mich das Signal, dass mir nur noch eine Minute Zeit blieb, um das zu beenden, was ich gerade tat, die Feuerschutzschneise hinunterzurennen und an Bord zu springen. Wenn man die Fähre verpasste, gab es ernste Schwierigkeiten mit den Eltern und der Schule. Aus irgendeinem Grund schien ich immer der Letzte zu sein, der an Bord hüpfte, nur Sekunden, bevor das Boot vom Steg ablegte.

    Ich erinnere mich noch gut an einen Morgen, als ich nach meinem Sprint zum Steg mit hämmerndem Herzen und ungeheuer erleichtert an Deck landete.

    »Morgen, James!«

    »Morgen, Len!«

    »Das war knapp, Kumpel. Irgendwann schaffst du’s nicht mehr!«

    »Keine Sorge, Len, bin nicht mal ins Schwitzen gekommen.«

    Es gab noch zwei Haltestellen zwischen Elvina Bay und Church Point – dem Tor zur Zivilisation. Von dort aus nahmen wir den Bus nach Mona Vale und hatten dann noch reichlich Zeit bis Schulbeginn.

    Ich erinnere mich gut, dass der Schulweg einmal nicht so verlief wie geplant. An diesem Morgen alberten ein Freund und ich auf unseren BMX-Rädern herum und hatten so viel Spaß dabei, dass wir die Zeit vergaßen und die Fähre verpassten. Jetzt saßen wir tief im Schlamassel, denn es bestand keine Chance mehr, rechtzeitig zur Schule zu kommen. Dann hatten wir einen Geistesblitz! Warum nicht einfach nach Church Point schwimmen? Klasse Idee! Wir rasten mit den Fahrrädern durch den Busch bis zu einer Stelle, die unserem Ziel am nächsten lag, zogen uns bis auf die Unterwäsche aus, sprangen ins Wasser und schwammen los. Es waren ungefähr anderthalb Kilometer – für uns eine lange Strecke –, aber glücklicherweise gab es eine Menge Festmacherbojen in der Bucht, wo wir uns ausruhen und wieder zu Atem kommen konnten. Damals verschwendeten wir keinen Gedanken an Haie! Als wir am Ufer ankamen, nahm uns ein freundlicher Mensch bis zur Schule mit, wo wir uns, nass wie wir waren, unbemerkt in den Raum mit den Fundsachen schlichen und ein paar Schuluniformen fanden, die wir anziehen konnten. Wir erreichten das Klassenzimmer ohne Zwischenfälle und setzten uns an unsere Tische, als wäre nichts gewesen. Mission erfüllt! Weder der Lehrer noch unsere Eltern merkten etwas.

    Als ich neun war, gab es zwei einschneidende Veränderungen in meinem Leben – ich bekam erstens einen jüngeren Bruder namens Thomas (kurz Tom) und zweitens die unverhoffte Möglichkeit, ein eigenes Segelboot zu besitzen. Letzteres war ein reiner Glücksfall. Unser Vater hatte bemerkt, dass ein Nachbar seine alte Manly Junior Segeljolle bei der jährlichen Sperrmüllsammlung wegwerfen wollte. Er zögerte keine Sekunde, fragte, ob wir sie haben könnten, und der Nachbar willigte gerne ein. Die Jolle hatte einen »stumpfen« Bug, war 2 Meter 60 lang, aus Sperrholz gebaut, außerdem schwer und reparaturbedürftig, aber für uns hieß es: Des einen Leid ist des anderen Freud. Wir halfen Dad beim Herrichten des Bootes, strichen es blau an und nannten es »Ventura«, nach einer Jacht, die Dad gehört hatte, bevor die Kinder kamen.

    Vom ersten Tag an, als wir die Ventura zu Wasser ließen, konnten Katie und ich gar nicht genug davon bekommen – wir waren bei jeder Gelegenheit draußen, und häufig begleitete uns Dad im Aluboot und schrie uns Segelanweisungen zu.

    Wir Kinder in der Bucht hatten viel Spaß miteinander, aber auch zwischen den Erwachsenen bestand ein erstaunliches Maß an Kameradschaft. Wenigstens einmal in der Woche – meistens am Freitagabend – trafen sich so gut wie alle am Fähranleger in Church Point auf ein paar Bier. Wir Kinder waren auch dabei und amüsierten uns. Wir nannten die Bude das »Church Point Hilton«, aber glauben Sie mir, es hatte keine Ähnlichkeit mit einem Hilton. Die Bandbreite der Gäste war erstaunlich, sie reichte vom einfachen Arbeiter bis zum Richter und allem, was dazwischenlag. Während das Bier wie Wasser durch die Kehlen floss, wurde die Gesellschaft immer lebhafter und lauter. Fast jeder Hundebesitzer aus der Bucht hatte sein Haustier dabei, daher waren Beißereien nichts Ungewöhnliches. Im Grunde fanden dort typische Aussie-Trinkgelage unter freiem Himmel statt.

    Eines Tages, als Dad nach Hause kam, sagte er mir, er habe gehört, dass am Sonntag im Avalon Sailing Club am anderen Ende des Pittwater eine Manly Junior Regatta stattfinde. Katies Begeisterung für das Segeln hatte zu dieser Zeit etwas nachgelassen, aber das konnten wir uns keinesfalls entgehen lassen – es war die erste Chance, mit unserem Segelboot ein Rennen zu fahren.

    Es war ein wunderschöner Morgen, und wir waren beide schon sehr früh auf den Beinen, um die Ventura aufzuriggen und zu Wasser zu bringen, damit wir nach Avalon segeln konnten. Dad folgte uns im Aluboot.

    Es herrschte kaum Wind, sodass wir ungefähr eine Stunde brauchten. Sobald wir angekommen waren, zogen wir unsere Jolle stolz auf den Strand zwischen die wartende Flotte der Manly Juniors. Wir merkten sofort, dass es einen großen Unterschied zwischen 90 Prozent dieser Boote und unserem gab: Sie bestanden alle aus Fiberglas und hatten neue Segel.

    Die Kids aus dem Klub beäugten unser Boot,

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