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Vaterwerden und Vatersein heute: Neue Wege - neue Chancen!
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Vaterwerden und Vatersein heute: Neue Wege - neue Chancen!
eBook565 Seiten5 Stunden

Vaterwerden und Vatersein heute: Neue Wege - neue Chancen!

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Über dieses E-Book

Immer das Gleiche oder revolutionäre Aufbrüche? Zwischen diesen Extremen sind die aktuellen Diskurse um Väter und Vaterschaft zu verorten. Hinter dem neuen "Väter-Hype" stehen vielschichtige gesellschaftliche Umbrüche des Familienlebens, der Beziehungen zwischen den Geschlechtern und der bislang am traditionellen männlichen Lebensmodell orientierten Erwerbswelt. Vaterschaft entwickelt sich daher von einer Vorgabe zu einer Aufgabe. "Vaterwerden und Vatersein heute" liefert hierzu differenzierende Sichtweisen und Analysen. Experten der Familien- sowie Sozial- und Rechtswissenschaften beleuchten rechtliche und biologische Grundlagen des Vaterseins und rekonstruieren die "Wege in die Vaterschaft". Sie geben Einblicke in das Spannungsfeld zwischen den neuen Ansprüchen an das Vatersein auf der einen Seite und den Realitäten des Alltags auf der anderen Seite. Beiträge, die die praxisorientierte Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse der Väterarbeit und der Familienpolitik kritisch reflektieren, runden den Band ab.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Juli 2010
ISBN9783867931434
Vaterwerden und Vatersein heute: Neue Wege - neue Chancen!

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    Buchvorschau

    Vaterwerden und Vatersein heute - Verlag Bertelsmann Stiftung

    Autoren

    I Einführung

    Vom »ewigen Praktikanten« zum »reflexiven Vater«? Eine Einführung in aktuelle Debatten um Väter

    Karin Jurczyk, Andreas Lange

    1 Väter und Vaterschaft heute: populär, weil prekär

    Immer das Gleiche oder revolutionäre Aufbrüche? Zwischen diesen Extremen lassen sich die aktuellen Diskurse um Väter und Vaterschaft verorten. Die einen konstatieren gleichbleibende »Verhaltensstarre bei verbaler Aufgeschlossenheit« (Beck 1986: 169), die anderen sehen »die« Väter im Aufbruch zu einer aktiven, engagierten bzw. involvierten Vaterschaft, auf jeden Fall aber jenseits der Rolle von »mother‘s little helper« und des »ewigen Praktikanten« in der Familie.

    Mediale Aufmerksamkeit ist dem Thema über die Wissenschaften hinaus derzeit gewiss. Abzulesen ist dies beispielsweise am Schwerpunkthema Väter des neuen Familienmagazins »wir« der Süddeutschen Zeitung im Dezember 2008. So lässt uns etwa Lucas Podolski wissen. »Was soll ich im P1, wenn ich einen Sohn zuhause hab« (Baumann und Burkert 2008: 48). Diese Ikone eines jugendkulturellen Fußballstars kontrastiert das Münchner Partyleben mit dem Erlebnis, Vater zu sein, und bilanziert einen eindeutigen Punktsieg für das Letztere. Mittlerweile gibt es spezielle »Betriebsanleitungen« für den Vater in Form des »Papa-Coachings aus Expertenhand«, mit einer speziellen Checkliste, die dabei helfen soll, sogenannte Qualitätszeiten mit dem Nachwuchs nachhaltig zu gestalten (Baisch und Neumann 2008).

    Hinter dem neuen Väter-Hype stehen jedoch allgemeine, vielschichtige und keineswegs lineare gesellschaftliche Umbrüche: vor allem des Familienlebens (Peuckert 2008), der Beziehungen zwischen den Geschlechtern (Jurczyk 2008; Ostner 2008) und der bislang am traditionell-männlichen Lebensmodell orientierten Erwerbswelt. Sie alle tangieren das Vatersein. Dabei sind in Anlehnung an Burkart (2008), Kassner (2008) sowie Meuser (2007) mindestens folgende unterschiedliche Ebenen systematisch zu unterscheiden:

    Blitzlicht 1: Bilder, Diskurse, Konzepte und Praktiken von Vaterschaft. Ein Systematisierungsvorschlag

    - Überdauernde kulturell typische Bilder von Vaterschaft

    - Gesellschafts- und epochentypische Diskurse und darin enthaltene explizite Leitbilder und Rollenvorschriften

    - Kollektive Deutungsmuster und implizite Normen

    - Individuelle Vaterschaftskonzepte als Einstellungen, Auffassungen, Überzeugungen, Gefühle und Normen hinsichtlich der Bereiche Mutterschaft, Vaterschaft, Kindheit, Familie und Erziehung je konkreter Väter

    - »Fathering« als prinzipiell beobachtbare soziale Praxis von Vaterschaft, die zergliedert werden kann in »doing with children« (Engagement) und »doing for children« (affektives und gedankliches Engagement und Sicherung der ökonomischen Existenz)

    Es ist von Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Ebenen auszugehen, allerdings sind keine einfachen Kausalitäten feststellbar. Weder neue Diskurse noch subjektive Vaterschaftskonzepte schlagen sich 1:1 in veränderten Praktiken nieder.

    Brachte die sogenannte klassische Moderne im Zuge der Industrialisierung das Leitbild und korrespondierend dazu die soziale Praxis einer streng hierarchisierten Arbeitsteilung der Geschlechter mit dem Vater als außerhäuslichem Versorger und der Mutter als häuslicher Fürsorgender als bürgerliche Normalitätsfolie erst hervor (Hausen 1978), erleben wir derzeit eine Erosion dieser Rollenzuweisungen. War die väterliche Rolle weitgehend auf die »Alimentation« des Nachwuchses (Lenzen 1991) beschränkt, welche die weitgehende Delegation fürsorglicher Arbeit an die Mütter sowie an gesellschaftliche Funktionssysteme mit sich brachte, und gehörte Vaterschaft zwar zum männlichen Lebensentwurf, ohne aber den Alltag von Männern über die Erfüllung der Ernährerrolle hinaus zu tangieren, so steht aktuell in Frage, was »richtiges« väterliches Verhalten ist.

    Denn die Neuorganisation der Erwerbsverhältnisse im Zuge der Globalisierung, die Entgrenzungen und Prekarisierungen der Erwerbsarbeit (Schier et al. 2008) und die durch die Krise der Finanzmärkte hautnah erfahrbare Ökonomisierung aller Gesellschaftsbereiche (Schimank und Volkmann 2008) trüben die Aussichten auf zukünftige Arbeitsmarktchancen und bringen für Männer wie Frauen Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation, erst recht aber um die Versorgung der Familie mit sich (Grabka und Frick 2008: 106). Die Verschiebung vom Industrie- zum Dienstleistungssektor, die Erosion männlicher und weiblicher Normalbiographien (Krüger 2006) sowie die Durchsetzung der Teilzeitarbeit von Müttern tragen dazu bei, dass die selbstverständliche Fundierung der Rolle des Vaters als Alleinernährer der Familie strukturell, d. h. auch jenseits von individuellen Wünschen, erodiert. Forciert wird dies dadurch, dass sich die Anforderungen an berufliche Qualifikationen von traditionellerweise typisch maskulin besetzten Werten und Eigenschaften hin zu sogenannten Soft Skills verschieben, wodurch identitätsverbürgende Orientierungsrahmen von Männlichkeit und Väterlichkeit Stück für Stück verloren gehen (Böhnisch 2003; Gesterkamp 2008). Beruhte der männliche Arbeitsstolz bis weit in die 60er Jahre auf einer Mischung aus physischer Kraft, Geschicklichkeit, Ausdauer und Beharrlichkeit, haben sich mittlerweile als weiblich geltende Attribute wie Kommunikationsfähigkeit, Organisationsgeschick, Teamfähigkeit und Empathie stärker in den Vordergrund geschoben.

    Viele Männer sehen diese neuen Anforderungen und Umstrukturierungen als Verunsicherungen eines »einstmals« gefestigten Männer- und Väterbildes, wenngleich Rollenmodifikationen bei genauerer Betrachtung die Moderne von Beginn an begleitet haben und es zudem eine erhebliche sozialstrukturelle und kulturelle Variationsbreite von Vaterschaft gab und gibt. Der Blick zurück zeigt, dass die sogenannte Krise der Vaterschaft und Neuanläufe zur diskursiven Bestimmung des Väterlichen in der Kultur (Frömmer 2008) die Moderne mit periodischen Ausschlägen immer wieder durchziehen. Die neuzeitliche Philosophie etwa dekonstruiert die väterliche Allmacht (Thomä 2008: 31 f.), fast gleichzeitig rekonstituiert sich jedoch eine »Ordnung der Geschlechter« (Honegger 1991), in der mit einem patriarchalen Ehe- und Familienrecht, der beginnenden Industrialisierung und der medizinischen Domestizierung des weiblichen Körpers der Mann und Vater eine gerade im Vergleich zur bäuerlichen Lebensgemeinschaft ungeahnte Vormachtstellung erhält.

    Trotz erster und zweiter Frauenbewegung gibt es auch heute noch vereinzelte intensive Bemühungen um die »Reanimation« des klassischen Patriarchats, beispielsweise durch den amerikanischen Publizisten Philip Longman (2006) und den deutschen Philosophen Norbert Bolz (2006), die patriarchale Verhaltensweisen gegenüber den »ungeheuren Zumutungen« der Gleichberechtigung verteidigen möchten. Als ein Zeichen der Suche kann interpretiert werden, dass nach einer Zeit der Dominanz einer sozialkonstruktivistischen Sichtweise auf das Geschlechterverhältnis wieder verstärkt darum gerungen wird, den Stellenwert auch biologischer Faktoren hinsichtlich vermeintlich typisch weiblicher und männlicher Geschlechtscharaktere, Temperamente und Kompetenzen neu zu bestimmen. Dafür spricht etwa die große Aufmerksamkeit, die Publikationen wie etwa von Louann Brizendine (2006) »Das weibliche Gehirn« oder von Susan Pinker (2008) »Das Geschlechter-Paradox. Über begabte Mädchen, schwierige Jungs und den wahren Unterschied zwischen Männern und Frauen« derzeit zuteil wird. Insgesamt widerstehen die neuen Väterdiskurse nicht immer der Gefahr, über das Konstrukt Vaterschaft versus Mutterschaft vermeintlich natürliche Geschlechterdualismen erneut aufleben zu lassen.

    Weder versprechen diese beharrlichen und vereinfachenden Versuche der Geschlechterstereotypisierung adäquate Lösungen für die anstehenden Gestaltungsaufgaben der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, noch passen sie zu den grundlegend veränderten Orientierungen der heutigen Frauen- und Müttergeneration (Allmendinger 2008). Auch wenn diese durchaus heterogene Lebensentwürfe verfolgt (Keddi 2003), so ist doch eine Sicherheit definitiv zu Ende gegangen: »die Sicherheit nämlich, dass die beste Lösung für die Familie und all ihre Mitglieder die Zuweisung des Geldverdienens an den Mann und des Familiepflegens an die Frau sei - mit Bandbreiten der Rollenerweiterung zwar, so etwa des Vaters als Zuerzieher und der Mutter als Zuverdienerin, aber mit doch klarer Hauptverantwortung für den geschlechtsspezifischen Bereich« (Krüger 2006: 191).

    Plakativ ausgedrückt: Mit dem sich seit den späten 80er Jahre andeutenden »Ende der Hausfrauenehe« als sozialstrukturell verankertem allgemeingültigem Modell (Peschel-Gutzeit 2008) bekommen nun auch Männer mehr und mehr ein Vereinbarkeitsproblem (Meuser 2007). Zudem erfahren sie mit den allgegenwärtigen »gender troubles« auf der Ebene von Identitäten und kulturellen Leitbildern derzeit ein Vakuum bei der Definition ihrer männlich-väterlichen Rolle. Eine positive Nebenwirkung dieser Suchbewegungen, Erosionen und Irritationen ist jedoch die Erkenntnis, dass auch Väter wichtige Beiträge zur Sozialisation von Kindern leisten können und wollen. Aus der Perspektive der Kinder und im Dienste des Kindeswohls tragen Väter dazu bei, ihnen eine hohe und variantenreiche Elternumwelt zu bieten.

    Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Entwicklungen wird nachvollziehbar, warum seit Mitte der 80er Jahre (Dunde 1986) die Figur des neuen Vaters auftaucht, der sich vor allem als liebevoller Erzieher qualifizieren soll. Nach einer eher kurzen Diskussionsphase um eine Umkehrung der Rollen durch die neuen »Hausmänner« (Strümpel et al. 1988) setzte sich als neue väterliche Idealfigur der »provider und carer« (Smith 2007) durch, der ökonomische Versorgung und soziale Fürsorge für Kinder gleichzeitig erbringen soll.

    Diese neue Idealfigur geht allerdings in vielerlei Hinsicht an den Realitäten vorbei. Sie produziert zumindest heftige immanente Widersprüche. Viele Männer sind mental und habituell nach wie vor so stark auf die Erwerbsrolle fixiert, dass ihnen der selbstverständliche Zugang zur aktiven Familienrolle erschwert ist. Anerkannte neue männliche Rollenmodelle fehlen, noch mehr jedoch staatliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Unterstützung involvierter bzw. engagierter Vaterschaft (Tölke 2007). Männer, die versuchen, alternative Entwürfe von Männlichkeit zu leben, d. h. solche, die anstreben, eine stärkere Familienorientierung auch im Alltag umzusetzen, bekommen nicht selten eine offene Geringschätzung ihres Verhaltens seitens der Kolleginnen und Kollegen in der Arbeitswelt und des privaten Umfelds zu spüren. Verstärkt wird dies dadurch, dass bestimmte egalitäre und partnerschaftliche Verhaltensweisen von Männern von ihren Partnerinnen zwar überwiegend als »sympathisch«, aber viel weniger als »männlich« eingeschätzt werden. Damit sind Ambivalenzen vorprogrammiert (Döge und Volz 2002): Männer sollten fürsorglich, emotional und sensibel und gleichzeitig mit dem männlichen Charisma eines George Clooney ausgestattet sein (Süfke 2008). Insgesamt gesehen ähnelt der intensiv geführte öffentliche Diskurs über Väter demjenigen über Familie (Burkart 2008): Er schwankt zwischen harscher Kritik und Schuldzuweisung von Vätern als »Versager« auf der einen und Stilisierung und Idealisierung als »neue Helden« auf der anderen Seite (Villa und Thiessen 2009).

    Unsere These lautet deshalb: Vaterschaft ist populär, weil sie prekär und zugleich reflexiv geworden ist. Sie hat sich von einer gesellschaftlich regulierten Vorgabe zu einer mit vielen Fragezeichen und Widersprüchen behafteten Aufgabe verändert. Nicht mehr allein Väter in Trennungs- und Scheidungskonstellationen müssen ihre Vaterrolle und -identität be- und überdenken. Vieles deutet darauf hin, dass es sich um einen Prozess handelt, der immer mehr Väter in ganz unterschiedlichen Lebenslagen und Lebensphasen und insbesondere auch schon junge Männer betrifft (Bertelsmann Stiftung 2008).

    Reflexivität der Vaterrolle bedeutet jedoch nicht, dass der Weg heutiger Väter vom »ewigen Praktikanten des Privaten« (Hofer 2008) geradlinig und bruchlos hinein in das »Herz der Familie« (Döge 2007) verläuft. Empirische Studien halten der populären Beschreibung der neuen engagierten Väter einen realistischen Spiegel vor, der die Schwierigkeiten und Widersprüche hinsichtlich des tatsächlichen Engagements der Väter deutlich macht (Lange und Zerle 2008), einen europaweiten Väter-»Eskapismus« anhand der steigenden Zahlen alleinerziehender Mütter und abgebrochener Vater-Kind-Beziehungen statistisch analysiert (Jensen 2008) und sinkende sowie verschobene Kinderwünsche diagnostiziert (Tölke und Hauk 2005). Zur Realität gehören auch die »dunklen« Seiten der traditionellen väterlichen Vormachtstellung in der Familie, die Gewalt und Missbrauch einschließen können; diese werden heute durch die Stärkung der Kinderrechte und des Kinderschutzes sowie der Demokratisierung der Familie zumindest stärker skandalisiert.¹ Wie immer die »Lösungs«-Wege der Kinderfrage, d. h. der auf Vaterschaft bezogenen Einstellungen und Praxen von Männern, auch sind, jedenfalls führen sowohl die Irritationen im Geschlechterverhältnis als auch die Umstrukturierungen der Erwerbswelt dazu, dass traditionelle Rollenskripts von Vätern nicht mehr »einfach so«, d. h. selbstverständlich umgesetzt werden. Vielmehr kann und muss reflexiv mit der Vaterrolle umgegangen werden - die Folge sind vielfältige väterliche Praxen.

    Blitzlicht 2: Der reflexive Vater

    In einer qualitativen Studie zeigt Williams (2008), dass die heutige Vätergeneration bemüht ist, ihre Vaterschaft anders zu gestalten, als sie die Vaterschaft ihres eigenen Vaters erlebt hat, wobei der gemeinsamen Zeit mit den eigenen Kindern große Bedeutung zukommt. Zudem kristallisiert sich heraus, dass die kulturell angebotenen Modelle jeweils höchst individuell miteinander kombiniert werden. Drittens manifestiert sich, dass das Verhältnis von Vaterschaftsvorstellung und den konkreten Vaterschaftspraktiken immer auch in erheblichem Maße durch die konkreten sozioökonomischen Rahmenbedingungen moderiert wird.

    Vor dem Hintergrund, dass eine engagierte, kindbezogene Vaterschaft eine hohe kulturelle Popularität besitzt, gleichzeitig das traditionelle väterliche Verhalten individuell und gesellschaftlich problematisiert wird und durch massive Veränderungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfelds prekär wird, strukturieren wir den aktuellen Diskurs um Vaterschaft zusammenfassend entlang dreier Stichworte, die aus unserer Sicht die »Hot Spots« der aktuellen Väterdebatte ausmachen. Es geht um die Bedingungen des väterlichen Engagements (Abschnitt 2), die derzeit feststellbaren unterschiedlichen Formen des Vaterseins und des korrespondierenden Engagements (Abschnitt 3). Anschließend skizzieren wir kurz die Konsequenzen des Engagements (Abschnitt 4). In einem abschließenden Teil geben wir einen Ausblick auf die Beiträge des vorliegenden Bandes, in denen die einzelnen Aspekte sehr viel differenzierter beleuchtet werden, als es diese Einführung vermag (Abschnitt 5).

    2 Bedingungen des Engagements von Vätern in Familie und Erziehung

    Was heißt väterliches Engagement?

    Seit Mitte der 80er Jahre wird in der Forschung versucht, ein angemessenes Verständnis der inhaltlichen Dimensionen sowie der Bedingungen des väterlichen Engagements bzw. seiner Beteiligung zu erarbeiten (als aktueller Überblick Fthenakis 2006; Kohn 2008). Väterliche Beteiligung setzt sich demnach zusammen aus den Dimensionen Interaktion, Verfügbarkeit und Verantwortlichkeit. Auf der Basis dieser Einteilung wurde eine wegweisende, die Forschung bis heute beeinflussende Sichtweise der Determinanten des Engagements erstellt, um die bis dato vorliegenden Forschungsergebnisse zu organisieren und zu strukturieren (Lamb 1987). Aus einer Fülle vorliegender Ergebnisse generalisiert Lamb (ebd.) vier Faktorenbündel und identifiziert »Motivation«, »Skills«, »Social Support« sowie »Institutional Barriers« als Prädiktoren für väterliches Verhalten.

    Aus ihrer Sichtung leitet er ab, dass dem Faktor Motivation eine Schlüsselrolle zukommt. Doch selbst dann, wenn Väter motiviert sind, sich an der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu beteiligen, kann es an den hierfür notwendigen Fähigkeiten fehlen, die sie in die Lage versetzen würden, diese Aufgaben tatsächlich auszuführen. Die Unterstützung durch relevante Dritte, wie z. B. die Partnerin, Verwandte, Freunde oder Kollegen, fördert die Übernahme einer aktiven Rolle. Den direktesten Einfluss auf das »Involvement« haben nach Lamb (ebd.) institutionelle Barrieren, wobei der Arbeitsplatz als wichtigste Barriere bezeichnet wird. Wir greifen diesen Vorschlag einer Bündelung von Determinanten von väterlichem Engagement im Folgenden auf, »soziologisieren« ihn jedoch dahingehend, dass wir weitere kulturelle Faktoren einblenden und von einer Hierarchie der Einflüsse ausgehen, d. h. wir messen sozialstrukturellen Faktoren großes Gewicht bei, ohne die Relevanz der anderen Faktoren zu leugnen.

    Eine Reihe von Befunden aus den letzten Jahren belegen, dass werdende und tatsächliche Väter es als sehr wichtig erachten, in der Familie zu partizipieren, viel Zeit mit ihren Kindern zu verbringen und sich um deren emotionales Wohlbefinden sowie deren Entwicklung zu kümmern (z. B. Hofäcker 2007). Baur (2007) zeigt anhand einer aktuellen Befragung, dass sich die Mehrheit der Untersuchten bezüglich der Hausarbeit für eine Gleichverteilung der Rollen sowie für eine aktive Vaterschaft ausspricht. Jedoch halten Männer gleichzeitig an ihrer Ernährerrolle fest (Lange und Zerle 2008), d. h. sie wollen einen Teil ihrer (Familien-)Rolle verändern, ohne jedoch die notwendigen Konsequenzen für den anderen Teil der Berufsrolle einzubeziehen. Diese grundlegenden Ambivalenzen und inneren Widersprüche sind neben den institutionellen Barrieren wesentliche Gründe für den Graben zwischen Motiven und Einstellungen auf der einen und dem Verhalten auf der anderen Seite, wie in einer Vielzahl von Untersuchungen belegt wird (z. B. Ostner 2008). Dieser Graben lässt sich nicht einfach mit einem Hinweis auf die Verhaltensstarre von Männern »weg«-erklären.

    Genauere Auswertungen von Zeitbudgetdaten zeigen beispielsweise, dass Väter ihren Zeitumfang für das erzieherische und familiale Engagement punktuell erhöhen, wenn dafür Spielräume vorhanden sind - etwa am Wochenende, und hier wiederum intensiv am Sonntag (Grunow 2007). Insgesamt hat sich jedoch ihr Engagement in den Jahren von 1991 bis 2001 nur um gerade zwei Minuten erhöht. Interessant sind in diesem Zusammenhang vertiefende Befunde zur Bedeutung des Bildungsstatus der Väter. Nachdem auch durch international vergleichende Zeitbudgetuntersuchungen seit Längerem der Zusammenhang zwischen elterlicher Bildung und dem Umfang sowie der Qualität von Betreuungszeit bekannt ist (Sayer, Gauthier und Furstenberg 2004), belegt Smith (2007), gestützt auf Daten des Europäischen Haushaltspanels, dass besser verdienende Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen - was wiederum als Bildungseffekt interpretiert werden darf. Dahinter stehen zwei sich gegenseitig in ihrer Wirkung bekräftigende Effekte. Erstens führt vermehrte Bildung aufseiten der Väter zu einem verstärkten Interesse am Aufwachsen der Kinder sowie einem differenzierten Wissen über die Notwendigkeit, auch als Vater für das Kind da zu sein - und damit zu einem größeren »Investment«. Zweitens leben - aufgrund der sich im Kohortenverlauf verstärkenden Bildungshomogamie von Partnerschaften (Blossfeld und Timm 2003) - gebildete Väter häufig mit gebildeten Müttern zusammen, die ein verstärktes Engagement der Väter diskursiv wie praktisch einfordern, und zwar um der Kinder willen sowie um ihre geschlechtergerechten Partnerschaftsmodelle zu realisieren.

    Insgesamt gesehen aber bleibt es trotz dieser Tendenzen bei einer starken Ungleichverteilung der Care-Zeiten zwischen Müttern und Vätern und der Differenz zwischen Einstellung und Umsetzung bei Vätern.

    Die Makroebene des Engagements: Sachzwänge der Erwerbswelt und Bedingungen des Wohlfahrtsstaats

    Der Graben zwischen Einstellung und Verhalten von Vätern hat jedoch weitere Gründe. Er ist auch Resultat struktureller Zwänge der Arbeitswelt und Arbeitskultur (Schier und Szymenderski i.d.B.), des Fehlens väterorientierter Politik (Jurczyk und Rauschenbach i.d.B.), Ausdruck unterschiedlicher Typen wohlfahrtsstaatlicher »Care-Regimes« sowie deren Wechselwirkungen mit männlichen Identitäten.

    Die hiesigen Arbeitsbedingungen sind - neben hartnäckigen Zuschreibungen hierarchisierter männlicher und weiblicher Zuständigkeitsbereiche entlang der Achse »privat« und »öffentlich« (Jurczyk und Oechsle 2008) - gekennzeichnet durch das bekannte Lohndifferenzial zwischen Männern und Frauen (Hinz und Gartner 2005), das innerfamiliale Entscheidungen über Arbeitsteilungen mitbestimmt. Die ungleichen Verdienstchancen schlagen sich nieder in dem immer wieder beobachteten, auf den ersten Blick paradoxen Sachverhalt, dass die Väter nach der Geburt des ersten Kindes trotz des Wunsches nach einer aktiven Vaterschaft ihr berufliches Engagement zeitlich ausdehnen (Kalicki, Peitz und Fthenakis 2006; Vascovics, Rost und Rosenkranz 2000). Lange Arbeitszeiten und verdichtete Arbeitstakte wiederum führen zu Qualitätseinbußen in der Interaktion mit den Kindern, wie quantitative (Crouter et al. 2001) sowie qualitative Studien (Jurczyk et al. 2009) eindrücklich nachweisen.

    Die Bedingungen der Erwerbsarbeit sind nach wie vor am männlichen Modell der lebenslang vollzeitig tätigen »Normalarbeitskraft« ausgerichtet, die freigestellt ist von Fürsorgepflichten (BMFSFJ 2006). Dies zeigt sich beispielsweise anhand der »Anwesenheitskultur« in der Arbeitswelt, bei der Präsenz und Sichtbarkeit immer noch mehr zählen als die erbrachte inhaltliche Leistung (Auer 2006). Insbesondere für Männer in Führungspositionen werden die Folgekosten sichtbar, auch für die Betroffenen selbst - bis hin zum Fremdwerden in der eigenen Familie (Liebold 2006). In der Arbeitswelt ist für Männer Vereinbarkeit immer noch nicht vorgesehen: »Damit ist die Wahlfreiheit für Paare, ein für sie passendes Modell der Aufteilung von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit zu übernehmen, in der Regel ganz erheblich eingeschränkt. Die männliche Berufskarriere ist nach wie vor nur schwer vereinbar mit einer familienbedingten Berufspause, und selbst wenn kein beruflicher Aufstieg anvisiert wird, fürchten viele Männer negative Konsequenzen für ihren weiteren Berufsverlauf, wenn sie Elternzeit nehmen oder eine Teilzeitbeschäftigung anstreben« (Rost 2006: 161).

    Eingebettet sind Arbeitskulturen und die Aufteilung von Aufgaben zwischen den Geschlechtern schließlich in hochgradig differente wohlfahrtsstaatliche »Care-Regimes«. So belegt Smith (2007) eine sehr unterschiedliche Beteiligung von Vätern an der Gesamtbetreuungszeit von Kindern in europäischen Ländern, die von elf Prozent in Griechenland bis hin zu 33 Prozent in Dänemark reicht. Solche großen Varianzen kommen durch das Zusammenwirken von geschlechterkulturellen Leitbildern und den korrespondierenden konkreten sozial-, arbeits- und familienpolitischen Maßnahmen zustande, wie Beckmann (2008) anhand eines Vergleichs der »Care-Regimes« in Frankreich, Schweden und Deutschland plausibel machen kann.

    Derartige makrostrukturelle Rahmenbedingungen verstärken das bei unterschiedlichen Vätertypen in unterschiedlicher Ausprägung immer noch vorhandene Selbstkonzept als Familienernährer. Dies gilt in Zeiten einer hohen Sorge um die Arbeitsmarktlage sogar noch akzentuierter (Schier und Szymenderski i.d.B.). Spiegelbildlich dazu führen alle Abweichungen, sei es Arbeitslosigkeit (Baur und Luedtke 2008: 81), sei es Teilzeitarbeit, zu Identitätsproblemen vieler Väter; zudem reagiert das Umfeld höchst irritiert. Eine Untersuchung zu Teilzeit arbeitenden Vätern zeigt, dass, obwohl die interviewten Väter sich mal mehr, mal weniger von klassischen Männlichkeitsbildern abgrenzen, sie doch der Versuch eint, ihren männlichen Habitus besonders hervorzuheben, da sie beruflich eine »feminisierte« Position einnehmen (Buschmeyer 2008). Sie grenzen sich zum Teil von ihren Kolleginnen und »weiblicher« Teilzeitarbeit ab oder erzählen eine Lebensgeschichte, in der die emotionale Seite von Beziehungen kaum vorhanden ist.

    Innerfamiliale Determinanten väterlichen Engagements: Aushandlungen und »Gatekeeping«

    Schließlich sind die Diskrepanzen zwischen Einstellungen und Praxis von Vätern auch als Konsequenzen innerfamilialer Dynamiken und Aushandlungen zu deuten. Familienwissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass ein wesentlicher Faktor, der die Erbringung von Erziehungs- und Sorgeleistungen durch die Väter reguliert, die erlebte Partnerschaftsqualität ist. Das väterliche Erziehungs- und Sorgeverhalten ist stärker davon abhängig als das mütterliche Verhalten dem Kind gegenüber, resümieren Heinrichs und Hahlweg (2008) den Stand der Forschung. Zudem beobachtet die Forschung sogenannte »Gatekeeping-Prozesse« der Mütter, die vor dem Hintergrund sich ändernder Geschlechterverhältnisse und -beziehungen als in sich komplexes Konstrukt einer verstärkten Aufmerksamkeit bedürften. Sie stellen einen roten Faden dar, über den das unauflösliche Wechselspiel der väterlichen und der mütterlichen Elternfunktion am deutlichsten zutagetritt. Es wird darauf hingewiesen, dass sich Mütter schwer damit tun, dem Mann Raum für sein Vatersein zu geben, dass sie häufig aber gleichzeitig - wie in einer widersprüchlichen »Doppelbotschaft« - sehr wohl ein väterliches Engagement einfordern, aber damit festliegende Vorstellungen verbinden, wie dieses Engagement auszusehen habe. Auf solche Art und Weise werde aktive Vaterschaft in großem Umfang verleugnet und abgelehnt (Walter 2008: 30).

    Der klassischen Studie zum Thema von Allen und Hawkins (1999) zufolge erweisen sich 21 Prozent der Mütter in »normalen« Familien als »Gatekeepers« im Sinne von »Gate Closers«. Drei Dimensionen machen dieses »Gatekeeping« aus: Standards und Verantwortung im Hinblick auf Pflege und Erziehung des Kindes, die im negativen Falle dem Vater abgesprochen werden; mütterliche Identitätsbestätigung, die immer wieder validiert werden muss; und die Auffassung von Familienrollen, die im Falle einer strikten Aufgabenteilung ebenfalls dazu beiträgt, Väter auszuschließen. Bei der Untersuchung der Frage, ob dieses Gatekeeping auch Konsequenzen hat, zeigt Gaunt (2008): Die väterliche Beteiligung an Care-Aufgaben, also die aktive Beteiligung an der Pflege und Erziehung der Kinder, konnte am besten vorhergesagt werden durch die Gatekeeping-Dimension »Standards und Verantwortlichkeiten«. Das Gatekeeping steht als eine dynamische Interaktion zwischen Müttern und Vätern auch als Dimension des »Doing Family« in Scheidungs- und Patchworkfamilien im Fokus (Trinder 2008; Sieder i.d.B.).

    Das Ausmaß und die konkrete Form des väterlichen Engagements bis in die feinsten Texturen des Alltags hinein sind demnach auch eine Folge der Mischung aus unausgesprochenen Maximen und permanenten Aushandlungen. Es ist damit durchaus offen für Neugestaltungen, wenn auch nur mit einem jeweils konkret und individuell zu bestimmenden Aufwand. Folgt man der Auffassung, dass Liebe und Gerechtigkeit, Individualität und Solidarität zwischen den Generationen und Geschlechtern unter bestimmten Bedingungen miteinander vereinbar sein können (Jurczyk 2001; Kleingeld und Anderson 2008), dann wird eine Stellschraube sichtbar, die väterliches Engagement in eine positive Richtung bewegen kann. Auszuhandeln zwischen den Partnern sind praktische Standards, aber vor allem auch Gerechtigkeitsnormen hinsichtlich der Aufteilung von Pflege, Erziehungs- und Haushaltsaufgaben. Dabei müssen die jeweiligen Einbindungen der Partner in andere Verpflichtungen als bestimmende Faktoren einbezogen werden.

    Als große Hindernisse für solche partnerschaftliche Aushandlungsprozesse erweisen sich jedoch folgende Sachverhalte: Erstens dass Frauen und Männer nach wie vor mit ungleichen Ressourcen wie Einkommen und Status ausgestattet sind und dass zweitens die verschiedenen Formen von Arbeit, Erwerbs- und Familienarbeit, immer noch eine gesellschaftlich sehr ungleiche Wertigkeit und damit auch sozialwie arbeitsmarktpolitische Anerkennung erfahren. Fürsorgearbeit ist in unserer erwerbszentrierten Gesellschaft nachrangig, privat und damit weitgehend unsichtbar. Die Nachteile, die damit bislang für Frauen verbunden sind, schlagen genauso auf Männer zurück. Es muss deshalb realistisch mitbedacht werden, dass Männer bei mehr väterlichem Engagement zwar individuell einiges gewinnen könnten, aber auch Privilegien zu verlieren haben. Ohne eine explizite symbolische wie materielle Anerkennung von Care-Arbeit in den sozialpolitischen Regelsystemen wird eine egalitäre Aufteilung der Aufgaben und Pflichten kaum zu erwarten sein. Individuelle Aushandlungsprozesse können die strukturell verankerten Hierarchien in den Geschlechterbeziehungen und die Abwertung der privaten Fürsorgearbeit nicht außer Kraft setzen.

    3 Jenseits der Determinismen: die Vielfalt von Vaterschaft heute

    Trotz aller aufgelisteten Zwänge und Restriktionen sind Freiräume und Varianzen in der Gestaltung von Vaterschaft zu vermuten. Wie mit der Aufgabe Vaterschaft umgegangen wird, hängt auch von einer Reihe von kulturellen, milieuspezifischen und individuellen Faktoren ab. Typologien wie diejenige von Matzner (2004) oder auch von Gumbinger und Bambey (i.d.B.) geben Hinweise auf die Vielfalt von Väterlichkeiten heute, inklusive der sie teilweise bestimmenden Widersprüchlichkeiten zwischen Intention und Umsetzung im Alltag. Eine zusätzliche Quelle von Diversität sind die biographischen Verläufe heutiger Väter, die ganz andere familiale Hintergründe haben als ihre eigenen Väter, nämlich solche, die sich zusehends verzweigen und nicht selten in komplexe Familienpatchworks münden (Sieder i.d.B.). Dazu kommen die ethnische Diversität von Vaterschaft, die Tunc (2008) beispielsweise anhand türkischer Väter der zweiten Generation untersucht hat, oder vor allem auch die milieuspezifischen Unterschiede von Vaterschaftskonzepten. So beschreibt Buschmeyer (2008) die ganz unterschiedlichen Ausprägungen von Vaterschaft im traditionalen, familistischen sowie im individualisierten Milieu.

    Diese Differenzierungslinien der Ausgestaltung von Vaterschaft auf der Ebene von Vorstellungen wie Praktiken sind deshalb zu akzentuieren, weil die einschlägigen Debatten zu Vaterschaft oftmals im Vergleich zu Mutterschaft geführt werden und sich dabei argumentative Homogenisierungen in der Form »die Väter von heute« einnisten. Des Weiteren zeigt sich bei genauer Betrachtung, dass jenseits aller beschriebenen Bedingungsfaktoren aktive Vaterschaft durch die »Pragmatik der Verhältnisse« befördert werden kann. So berichtet Scholz (2008: 118) aus ihrer Untersuchung zu ostdeutschen Männern: »Ostdeutsche Männer leisten einen größeren Anteil an der Reproduktionsarbeit als westdeutsche Männer, jedoch liegt der Anteil hier immer noch sehr deutlich unter dem der Frauen. Dieses Engagement wird von ihnen jedoch nicht geschlechterpolitisch verstanden, sondern ist pragmatisch orientiert.« Ähnliches wissen wir bereits aus der Untersuchung zur alltäglichen Lebensführung für die Gruppe der männlichen, auf dem Lande lebenden Schichtarbeiter (Projektgruppe Alltägliche Lebensführung 1995) sowie aus der Studie von Meuser (1998), die auch Facharbeiter berücksichtigt hat, sowie aktuell aus der Forschungsarbeit von Kassner (2008) zu egalitären Arrangements. Oft spielt hier das pragmatisch-solidarische Arbeitsethos des bäuerlichen und traditionellen Arbeitermilieus eine entscheidende Rolle, bei dem es nicht um ideelle Gleichheit, sondern ums »Zupacken« geht.

    4 Daddy matters! Väterliches Engagement und die Entwicklung der Kinder

    Seit etwa 1975 hat sich ein spezieller Forschungsstrang entwickelt, der von Fthenakis (1985) erstmals umfassend für die deutsche Debatte erschlossen worden ist. Er zeichnet die Beeinflussungspfade vom Vater auf die Kinder und die Folgen unterschiedlicher Grade des väterlichen Engagements nach. Hintergrund dieser Suche sind theoretische Positionen, z. B. aus der Bindungstheorie (Kindler 2002; Grossmann et al. 2008), die nicht nur nach den Leistungen, die beide Elternteile in unserer Kultur gleich gut erbringen, sondern auch nach den differenziellen Beiträgen von Müttern und Vätern fragen.

    Blitzlicht 3: Effekte des väterlichen Engagements

    Pleck und Masciadrelli (2004) finden in ihrer systematischen Literaturanalyse, die auf unterschiedlichen Datenquellen beruht und die vor allem das jeweilige mütterliche Engagement statistisch kontrolliert: Positives, engagiertes väterliches Verhalten bringt generell, über alle Altersgruppen bis hin zur Adoleszenz, eine Reihe von positiven Entwicklungsresultaten aufseiten der Kinder mit sich:

    - Kinder zeigen weniger Verhaltensprobleme,

    - sie zeigen weniger delinquentes Verhalten,

    - sie haben bessere Peerbeziehungen,

    - sie entwickeln höhere soziokognitive Kompetenzen, insbesondere ihre Empathie ist stärker ausgeprägt,

    - sie entwickeln nicht traditionelle, sondern »progressive« und egalitäre Einstellungen zur Arbeitsteilung in der Familie, und

    - sie profitieren insgesamt in Form höherer Lebenszufriedenheit.

    Spiegelbildlich betrachtet geht nach Flouri (2005) ein gering ausgeprägtes positives Engagement von Vätern mit einer ganzen Palette negativer Verhaltensweisen bei Kindern einher. Dennoch lautet die Formel nicht »mehr Engagement gleich bessere Entwicklung«, denn es gibt zwei moderierende Variablen. Zum einen ist ein erzwungenes Engagement, beispielsweise durch Arbeitslosigkeit, nicht förderlich für die Sozialisationsverläufe der Kinder. Zum anderen ist väterliches Engagement nur dann förderlich, wenn die Eltern sich über die Art und den Umfang der Beteiligung einig sind - ein Sachverhalt, der bereits mit der mütterlichen Gatekeeping-Funktion umschrieben wurde.

    Zusammengefasst spricht damit eine Reihe von Gründen dafür, eine kombinierte, hinsichtlich ihrer Wechselwirkungen mit der Kinder- und Gleichstellungspolitik zu betrachtende Väterpolitik in Angriff zu nehmen, die über die sogenannten Vätermonate in der Elternzeit (Jurczyk und Rauschenbach i.d.B.) deutlich hinausreicht. Sie würde nicht nur Vätern ein breiteres Spektrum an Tätigkeiten und Erfahrungen ermöglichen, die Kindern in ihrem Alltag und ihrer Sozialisation zugutekommen, sondern wäre auch ein Beitrag zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in Familie und Arbeitswelt.

    5 Die Beiträge dieses Bandes

    Entlang der skizzierten »Hot Spots« von Vaterschaft heute möchten wir einen vertieften Einblick in aktuelle Forschungen geben und gliedern die Beiträge des Bandes in mehrere Abschnitte. Zunächst zeigen wir anhand ausgewählter Beispiele, wie Vaterschaft eingelassen ist in übergreifende Kontexte und sozialhistorische Entwicklungslinien. Der zweite Abschnitt beschreibt Entscheidungskonstellationen, Motive und Barrieren (junger) Männer auf dem Weg zur Vaterschaft. Hieran schließen sich differenzierte Analysen der Vielfalt von Vaterbildern und gelebter Vaterschaft an. Dass Vaterschaft heute von einem »natürlichen und selbstverständlichen Sachverhalt« und einer individuellen Entscheidung auch zu einem über die Wissenschaft hinausgehenden gesellschaftlich reflexiven Prozess geworden ist, zeigen die abschließenden Beiträge mit ihren Impulsen für Väterpolitik und eine unterstützende praktische Arbeit mit Vätern.

    Im Abschnitt »Kontexte und Rahmenbedingungen des Vaterseins« analysieren zwei der Beiträge zu Recht und Biologie oftmals vergessene Grundlagen der Ausgestaltungen der Väterlichkeit. Sie spannen das Bedingungsfeld Kultur und Biologie in maximaler Distanz auf. Vaterschaft und väterliches Engagement sind zu wesentlichen Teilen mitbestimmt von der Rechtssetzung; dies zeigt in einem historischen Rückblick auf die letzten 100 Jahre Lore Maria Peschel-Gutzeit anhand ausgewählter Etappen. Sie erinnert daran, dass das Bürgerliche Gesetzbuch, 1900 in Kraft getreten, die Bedürfnisse des (gehobenen) Bürgertums spiegelte und den Vater als Alleinentscheider in wichtigen Angelegenheiten installierte. Wichtige Elemente der väterlichen Herrschaft überdauerten bis zum Ende der Weimarer Republik. Entscheidende Zäsuren vollzogen sich erst im Rahmen der politischen Entwicklungen der 60er und 70er Jahre. Das Ehereformgesetz mit dem Übergang zur Zerrüttungsscheidung stellte das Kindeswohl in den Vordergrund. Im weiteren Verlauf entwickelte sich über diverse Zwischenschritte die Kodifizierung der gemeinsamen Sorge durch beide Eltern für das Kind. Den historischen Verlauf zusammenfassend, hält die Juristin fest, dass die dominierende Rolle des Vaters auf der einen Seite kontinuierlich abgebaut und auf der anderen Seite die Vaterschaft ausgebaut worden sei und Elternschaft zunehmend unabhängig von deren Ehestatus gelte. Am Horizont neuester Entwicklungen sieht die Autorin aufgrund der Abstammungsdiagnostik ein neues Problem: die Konkurrenz zwischen rechtlichem und biologischem Vater.

    Einem Kontextfaktor ganz anderer Art gibt Andreas Eickhorst Raum. Er umreißt Bedingungen und Formen väterlichen Engagements aus evolutionspsychologischer Sicht. Diese auf den ersten Blick verfremdende und für die Sozial- und Kulturwissenschaften fremde Perspektive hält bei genauerem Hinsehen einige bemerkenswerte Einsichten bereit. Die im Vergleich zu anderen Primaten lange Kindheitsphase bei den Menschen etwa erweist sich als Basis für eine Fülle von Möglichkeiten, die Nachkommen zu erfolgreichen Erwachsenen zu erziehen. Für sozialpolitische Akteure öffnet sich damit, so der Autor, ein lohnendes Fenster für Interventionen bei Vätern und Müttern, um einen erfolgreichen Kindheitsverlauf zu unterstützen. Wenn zudem gezeigt wird, dass Vaterschaft auf der einen Seite aus biologischer Sicht mehr Kür als Pflicht ist, andererseits aber Väter eine wichtige Rolle für die langfristige »Qualität« des Nachwuchses spielen können, dann ist dies ein wichtiges Argument für die große Plastizität der Vaterrolle. Insgesamt gesehen weist die Evolutionspsychologie zwar den Geschlechtern unterschiedliche Rollen und Profile zu, nichts davon spricht aber gegen eine intensivere Beteiligung der Väter, sondern es geht darum, diejenigen Mechanismen freizulegen, die dies ermöglichen.

    Den Kontext des

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