Begegnisse eines jungen Thierquälers: Eine neue Erzählung für die Jugend: Der Gerechte erbarmt sich auch seines Thieres
Von J. Alois Meier
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Begegnisse eines jungen Thierquälers - J. Alois Meier
J. Alois Meier
Begegnisse eines jungen Thierquälers
Eine neue Erzählung für die Jugend: Der Gerechte erbarmt sich auch seines Thieres
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2022
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066114299
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel. Das Dohlen-Nest.
Zweites Kapitel. Karls Strafe.
Drittes Kapitel. Karl fällt in seinen Fehler zurück.
Viertes Kapitel. Karl im Gefängnisse zu Bremen.
Fünftes Kapitel. Karl entweicht aus dem Gefängnisse.
Sechstes Kapitel. Karl zu Schiffe.
Siebentes Kapitel. Kummer im elterlichen Hause.
Achtes Kapitel. Karl wird Sklave.
Neuntes Kapitel. Karls Beschäftigung als Sklave.
Zehntes Kapitel. Die verschleierte Dame.
Eilftes Kapitel. Karl im Hause Osmin's.
Zwölftes Kapitel. Osmin vor Hassan.
Dreizehntes Kapitel. Karl reist in die Heimath.
Vierzehntes Kapitel. Karl und Margaretha.
Fünfzehntes Kapitel. Der Brief.
Sechzehntes Kapitel. Karl im elterlichen Hause.
Erstes Kapitel.
Das Dohlen-Nest.
Inhaltsverzeichnis
An einem stürmischen Tage befanden sich viele Knaben auf der Wiese nächst einem Städtchen unfern Bremen, welche alle lebhaft beschäftigt waren, einen papiernen Drachen steigen zu lassen.
Karl Daruff zeichnete sich besonders aus; er war der Besitzer des Drachen, den er triumphirend trug, während ihn seine Jugendgenossen eng umgaben, wie ein Fahnenträger eingeschlossen ist, wenn es in's Feld geht.
Das Bild des Drachen, welches mit hellen Farben von Karl auf dem Papiere entworfen war, bot den Vorübergehenden vielen Stoff zum Lachen und zu allerlei schnurrigen Bemerkungen; denn fürwahr, es machte der Phantasie des Künstlers Ehre, welcher ein Wesen erschuf, das dem Kopfe nach einem grimmigen Löwen, dem Laufe nach einem Krokodille und dem Ringelschwanze nach vollkommen einem Delphine glich.
Die Tauben auf dem Felde flüchteten sich schon von Ferne und eilten dem Schlage zu, so bald sie des Bildes gewahr wurden und ein Fuhrmann, der des Weges kam, hatte den Aufwand aller seiner Kräfte nothwendig, um die ob dem schauerlichen Anblicke scheu gewordenen Stiere an sich zu halten.
Karl suchte nun auf der Wiese eine etwas erhabene Stelle aus, die Schnur wurde so weit es nothwendig, aufgerollt, und als sich jetzt wieder der Wind stärker erhob gab er dem Drachen einen leichten Stoß nach oben, dieser schwebte allmählig empor und auf einmal stand er majestätisch oberhalb dem Städtchen und lustig war es anzusehen, wie schnell sich alle Tauben von den Dächern flüchteten, indem sie die Erscheinung wohl für einen hungerigen Geier halten mochten.
Die Knaben auf der Wiese freuten sich sehr, bis ihre Freude plötzlich dadurch gestört wurde, daß die Schnur bei einem heftigen Windstoße zerriß und der Drache nun frei in den Lüften schwebte. Aller Augen folgten den Bewegungen desselben, der sich allmählig senkte, dann wieder horizontal vom Winde fortgerissen wurde. Auf einmal erhielt er eine Richtung nach dem in der Nähe sich befindenden Walde, die Knaben aber verloren ihn nicht aus dem Auge, und eilten dem Walde zu und Karl war der Erste.
Auf einem hohen Baume ließ sich endlich der Drache nieder und verwickelte sich mit der Schnur in dem Wipfel. Karl entledigte sich sogleich seines Rockes und schickte sich an, den Baum zu ersteigen. Zwar wollten ihm einige Andere zuvorkommen, allein er als Eigenthümer des Drachen bestand darauf, daß es nur ihm zustehe, den Baum zu ersteigen. Mit vieler Fertigkeit kletterte er den Stamm empor, kam dann von Ast zu Ast immer höher, bis er den Wipfel erreichte, und so dem Drachen nahe war. Da rief er: »seht! seht! ein Vogelnest!« Die unten Stehenden vergaßen über dem Neste den Drachen und äusserten einstimmig den Wunsch, zu ersehen, was sich in dem Neste befinde.
Allein Karl griff zuerst nach dem Drachen, schnitt ihn von der Schnur, mit welcher er sich im Laubwerke verwickelt hatte, ab und stieß ihn über den Wipfel hinaus und glücklich langte der Drache unten an und wurde mit Jubel empfangen.
Hierauf machte sich Karl näher an das Nest hin und begann, dasselbe zu untersuchen.
Drei Jungen, rief er, sind in dem Neste, drei Jungen, aber noch ganz nackt! Und während er dieses sagte, entflog eine Dohle, welche das Nest gesucht hatte.
Junge Dohlen! junge Dohlen! rief Karl, und nun nahm er unbarmherzig die nackten Dohlen aus dem Neste und warf sie vom Baum.
Seine Jugend-Genossen, welche mehr Mitleid mit den jungen Vögeln hatten, riefen ihm zu, die Brut doch zu schonen und sie ruhig im Neste zu lassen; allein Karl erwiederte: ich kann von jeher die Raben und Dohlen nicht leiden, was liegt auch daran, ob drei Dohlen mehr oder weniger herum fliegen! Und mit diesen Worten warf er auch das dritte Junge aus dem Neste, dann griff er das Nest selbst an und suchte es zu zerstören; er riß es auseinander. Da sah er auf einmal etwas blinken, er langte nach dem blinkenden Gegenstande und sieh! es war ein kostbarer, goldner Ring mit einem Edelstein. Freudig betrachtete Karl den Ring und schon rief er: »was hab ich gefun––« da hielt er inne, und überlegte, ob es nicht besser sei, seinen Fund zu verheimlichen? Er entschied sich kurz für die Verheimlichung, steckte den Ring zu sich, warf den übrigen Theil des Nestes auch noch vom Baume und stieg dann herunter.