Neuere Archiv- und Informationszugangsgesetze - Chance für eine Ergänzung des Rechtsfriedens?: Ein Beispiel aus dem Schulwesen in Kleve am Niederrhein
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Über dieses E-Book
Hans Bernd Jerzimbeck
Der Autor hat im therapeutischen und im pädagogischen Berufsfeld gearbeitet. Dieses ist sein drittes Schreibprojekt zu einem historischen Thema neben der beruflichen Arbeit.
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Buchvorschau
Neuere Archiv- und Informationszugangsgesetze - Chance für eine Ergänzung des Rechtsfriedens? - Hans Bernd Jerzimbeck
Schluss
1. Lesehinweis
Die Broschüre ist mit ihren vielen Fußnoten nicht einfach zu lesen. In Kapitel 8, der „Zusammenfassung", sollen Leserinnen und Leser, die nicht so schnell die Broschüre sich erlesen können oder wollen, an den Stand der schnelleren Leser näher herangeführt werden. So auf den gleichen Wissensstand gebracht, wird den Lesern die Diskussion auf annähernder Augenhöhe möglich.
2. Vorwort
„Geschichte ist vorbei. Warum sich um den Schnee von gestern kümmern und den Toten nicht ihre Ruhe lassen? Die Menschen haben noch nie etwas aus der Geschichte gelernt." In Wirklichkeit streiten sich die Menschen schon immer leidenschaftlich über Geschichte, finden eine neue Sichtweise auf Vergangenes, sehen Parallelen zur Gegenwart. Der Kampf gegen das Vergessen ist ein dauerndes Thema der Menschheit, selbst der Einzelnen (mit zunehmendem Alter noch intensiver). Auch werden Ereignisse aus der eigenen Lebenszeit mit immere größerem Abstand anders, im besten Fall klarer, gesehen. Wegen dieser positiven Sichtweise auf eine Beschäftigung mit der Vergangenheit bemühte sich der Verfasser [HBJ] um zwei kleine Veröffentlichungen¹.
Das Suchen in Archiven kann auch heute noch zu Überraschungsfunden oder neuer Nutzung bzw. Bewertung bekannter Akten führen. Um das Geeignete zu finden und damit aus der Vergangenheit fruchtbar für die Gegenwart zu erzählen und zu berichten, muss Einiges zusammenkommen: dass die Quellen die Zeiten überstehen und auch gefunden werden.
Neben der Chance der Überlieferung und des Auffindens war die „natürliche" Auslese der sprachlichen Quellen (mündliche gegenüber schriftlichen Quellen) bei den zwei vorigen Projekten – und ist bei diesem Vorhaben – von besonderer Bedeutung. Denn diese Auslese bevorzugt im Laufe der Zeit die schriftlichen Quellen und damit deren Inhalte.² Da Schriftliches aus alten Bibliotheken, archäologischen Funden, aus Amtsstuben und Kontoren Jahrtausende nur von einem kleinen Kreis der Schreib- und Lesekundigen erstellt werden konnte, ergibt es notwendigerweise ein einseitiges Bild durch Zeugnisse aus der Sicht von Regierung, Administration, Produktion und Handel. Für eine Darstellung, die einen Schwerpunkt in der Sozialgeschichte hat, ist die zu geringe Gewichtung der Mündlichkeit oft eine Schwäche. Diese muss dann anderweitig so weit wie möglich ausgeglichen werden.³ In dieser hier vorliegenden Arbeit geht es darum, einen Wissensstand in einem Teil der Klever Bevölkerung als deren „mündlich erhaltenes Gemeingut aus Gesprächen des letzten Jahres zu erschließen und ihn durch einen Glücksfund aus dem Archiv in seiner Wahrheit bestätigt und noch weiter aufgefächert zu finden. Damit besteht die Möglichkeit ein „Aussterben
des verbal tradierten, nicht verschriftlichen Wissens und eine Legendenbildung in Schrifterzeugnissen zu verhindern.
Unentdeckte und unerwartete schriftliche Informationen, wie sie hier nach 50 Jahren vorliegen, können heute in der Öffentlichkeit noch eine Wirkung entfalten, da noch ein Teil der damaligen Zeitgenossen leben. 20-30 Jahre später wird der Zugang trotz neuer Informationen wirklich nur noch „historisch" sein.
Hier ist als Form nicht die Biografie geeignet sondern die Dokumentation einer innerbehördlichen und strafrechtlichen Aufarbeitung sowie der zugrunde liegenden Probleme.
Dieses die Verwaltungs-, Sozial-, Gesellschaftsgeschichte und auch die Sozialpsychologie berührende Thema wird mit seinen Ergebnissen ausgewertet im Rahmen eines übergeordneten Themas (nämlich das im Titel genannte). Diese Einbindung hat den Sinn, das Thema aus der Gefahr der unsachlichen Konfrontation und unproduktiver Konflikte zu holen. Das Mittel, diesen Sinn zu erreichen, ist, mögliche Einwände gegen eine Veröffentlichung in den Kontext eines laufenden wissenschaftlichen Diskurses zu stellen. Gemeint ist der Diskurs über Informationen zwischen Amtsgeheimnis und Amtsverschwiegenheit sowie dem Recht von Individuum und Öffentlichkeit auf Informiertheit im Rahmen der Zivilgesellschaft. Dabei wird hier vertreten, dass die Freigabe von Informationen bekannte Schwächen des Konzepts „Rechtsfrieden" in Hinblick auf verbreitetes Gerechtigkeitsempfinden ausgleichen kann. Eine Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass die Beteiligten an den jeweiligen öffentlichen Diskussionen Spielregeln der Zivilgesellschaft einhalten oder sich zumindest hauptsächlich an ihnen orientieren. Dass die Broschüre sowohl den wissenschaftlichen als auch den journalistischen Bereich betrifft, hat Bedeutung für die Herangehensweise an das Thema und setzt unterschiedliche rechtliche Rahmen.
¹ 1. Ashauer-Jerzimbeck, Hans Bernd, Bekenntnis zu Weltoffenheit und Menschenfreundlichkeit, Zur Erinnerung an den Esperantisten Paul Tarnow (1881-1944), in: Düsseldorfer Geschichtsverein (Hrsg.), Düsseldorfer Jahrbuch 85, 2015, S. 271-289. 2. derselbe, Der anarcho-syndikalistische Fabrikarbeiter und Schmied Anton Rosinke (1881–1937), Zum 80. Jahrestag seines Todes durch Gestapofolter, in: Düsseldorfer Geschichtsverein (Hrsg.), Düsseldorfer Jahrbuch 88, 2018, S. 249-276.
² Neben sprachlichen Dokumenten sind auch Bauten, Anlagen und Spuren von Eingriffen des Menschen in Landschaft und Umwelt sowie (Kunst-)Gegenstände Zeugnisse der geschichtlichen Vergangenheit.
³ Ob es um die Befragung von Zeitzeugen durch die Verfasser von historischen Schriften geht oder um die Nutzung von mündlichen Quellen aus zweiter Hand – immer müssen die Entstehungsgründe, Umstände der Übermittlung und Verwendungszwecke der Aussagen kritisch betrachtet werden.
3. Einleitung
Anlässlich des 200. Jubiläums des Klever Gymnasiums 2017 gab es eine Festschrift. Sie beschäftigte sich in nur wenigen Sätzen und mit wenigen Worten mit einem Thema, was in meinen sporadischen Gesprächen mit ehemaligen Schülern über die letzten 50 Jahre einen großen Raum einnahm: den Umgang des Lehrers Wilhelm Michels mit seinen Schülern. – Auch vorher war dieser Lehrer für viele Schüler ein Problem. - Die Festschrift hält sich an drei Stellen bei Wilhelm Michels auf:
o Im Beitrag über Erlebnisse eines ehemaligen Schülers und später Lehrers der Schule mit den Worten „befremdlicher Umgang"⁴,
o im Beitrag eines ehemaligen Schülers mit den Bezeichnungen „übergriffigen Lehrstil" und „zerrissener Mann"⁵,
o in einem weiteren Beitrag eines ehemaligen Schülers indirekt, dafür ausführlicher.⁶
Die ersten beiden Textstellen sehen den Lehrer Michels zwar im kritischen Licht, doch sind es Attribute (befremdlich, übergriffig, zerrissen) die dies – einer Festschrift angemessen – nur ohne konkrete Beschreibung und ohne neue Hintergrundinformationen ansprechen. Die letzte Textstelle zieht einen Schlussstrich, der Betroffenen unter die Haut gehen muss. Auf rein abstraktem Niveau wird ein gegenseitiges Abwägen zwischen Schädigungen einzelner Lehrer an ihren Schülern (viele Lehrer ... großen Schrecken verbreitet; Fußnote 6) und Schädigungen durch Schüler an einzelnen Lehrern (einige Studienräte ... sich sehr gut als Opfer eigneten – ebd.) vorgenommen und diese als ausgewogen erklärt. Als wenn sich dies gegeneinander aufrechnen ließe! Damit widerfährt weder den geschädigten Lehrern noch den geschädigten Schülern Gerechtigkeit. Obwohl sicher nicht so geplant, gibt diese Verharmlosung und Relativierung den Andeutungen der beiden anderen Textstellen den Anschein von etwas Unbedeutendem. Am Ende scheint damit alles gesagt. Denn mehr findet sich nicht in der Festschrift zur „Beinahe-Revolte" (s. Hagen, vorige Seite) an der Schule im Jahr 1969 und seinem Anlass.
Bei Gesprächspartnern, mit denen der Verfasser [HBJ] über diese Textstellen sprach, nahm er – auch heute noch, 50 bis 60 Jahre danach – Unruhe oder Empörung über diese Darstellung der wirklichen Verhältnisse wahr. Die Gesprächspartner waren zwischen 63 und 74 Jahre