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Schwarze Töne: Baden-Baden Blues 2
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Schwarze Töne: Baden-Baden Blues 2
eBook234 Seiten3 Stunden

Schwarze Töne: Baden-Baden Blues 2

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Über dieses E-Book

Hauptkommissar Harry Köhler - aus dem rauen Hamburg in den Süden Deutschlands versetzt - ist erleichtert: Endlich gibt es wieder einen Mord in der beschaulichen Kleinstadt Baden-Baden, in diesem Paradies am Rande des Schwarzwalds. Noch bevor die Ermittlungen richtig in Gang kommen, verschwindet ein junges Mädchen, das sich auf dem Young-Music-Festival vergnügt hat. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen? Das Mädchen ist noch dazu die Tochter eines alten Bekannten aus Harry Köhlers Hamburger Zeit. Und so führen ihn die Recherchen zurück in seine alte Heimat.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum25. Sept. 2013
ISBN9783954570911
Schwarze Töne: Baden-Baden Blues 2

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    Buchvorschau

    Schwarze Töne - Rex Richter

    Rex Richter

    Schwarze Töne

    Baden-Baden Blues 2

    AQUENSIS

    t h r i l l e r

    Für meine wunderbare Frau Christine

    und in memoriam Felix!

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Widmung

    Schwarze Töne

    Impressum

    Klappentext

    »Da oben, sehen Sie, da steht er. Der springt gleich! Oh Gott, oh Gott!«, brüllt ein älterer Herr mit beigefarbener Hose, kariertem Wanderhemd und Handy im Anschlag. »Ich habe Sie angerufen. Das hat ja gedauert. Wir alle dachten schon, Sie kommen nicht mehr. Sind Sie wirklich von der Polizei? Ich mein ja nur, bei dem Auto  …« Hauptkommissar Köhler blickt verächtlich auf den gelben Nissan Micra von Kommissar Linsel und hält seinen Dienstausweis hoch. Der Kollege sucht derweil an seinem neuen Kleinwagen nach eventuellen Schäden. Die Fahrt von Baden-Baden hinauf zum Fremersbergturm war leider nicht ohne Zwischenfälle verlaufen. Diverse Schlaglöcher, andere rücksichtlose Verkehrsteilnehmer und etliche Steigungen und Kurven machten dem kurzfristig zum Dienstwagen umfunktionierten Boliden arg zu schaffen.

    »Treten Sie zurück, oder wollen Sie, wenn der hier aufschlägt, gleich mit erschlagen werden.« Der Hauptkommissar schaut die etwa dreißig Meter hinauf zur Aussichtsplattform. Auf dem Metallgeländer steht ein bunt gekleideter Mensch mit weit ausgebreiteten Armen, so als wolle er im Freibad vom Zehner springen. Das Problem ist hier natürlich nicht nur die enorme Höhe, sondern auch das nicht vorhandene Wasser. Selbstmordalarm!

    »Bleiben Sie ganz ruhig. Nicht springen, ich komme zu Ihnen«, versucht er den Lebensmüden zu beruhigen.

    Hinter einem braunen Holztor steht der Wirt des Gasthauses am Fremersberg mit weit aufgerissenen Augen hinter seiner Brille und ruft: »Tun Sie doch endlich was!«

    Köhler reißt wortlos die schwere Eisentür auf und macht sich auf den Weg nach oben. Natürlich, kein Fahrstuhl! Eine metallene Wendeltreppe führt ihn in endlosen Schleifen hinauf. Schon nach den ersten Metern rast sein Herz wie wild und er beginnt zu japsen wie ein Hund in der Wüste.

    Konditionell hat sich im letzten Jahr bei ihm nichts verbessert. Wie auch, das Bier und die HB schmecken ihm immer noch vorzüglich, und mit Ende vierzig rächt sich das jeden Tag mehr.

    Ein Fenster taucht auf. Das müssen dann wohl die ersten zehn Meter gewesen sein. Ihm beginnt zu schwindeln. Noch zweimal so viel. Immer im Kreis herum nach oben. Das wird hart! Das nächste Fenster ist in Sicht. Er stoppt kurz. Atmen. Eine Beule an seiner Stirn pocht wie ein Presslufthammer. Er war auf der Fahrt in Linsels gelber Karre mit dem Kopf aufs Armaturenbrett gestoßen. Hinsetzen! Geht nicht! Weiter, Leben retten! Da, jetzt fühlt er sich wie im Karussell, alles dreht sich. Und das konnte er schon als Kind nicht vertragen. Der Mageninhalt drängt nach oben.

    »Neiiin  …!« Aber da ist es schon zu spät. Er übergibt sich auf die staubigen Stufen. Wahrscheinlich eine leichte Gehirnerschütterung, denkt er, soweit Denken in seinem Zustand überhaupt möglich ist. Er geht weiter. Schritt für Schritt kämpft er sich nach oben. Wieder ein Fenster. Moment, waren das nicht schon drei? Mehr als dreißig Meter hat der Turm doch gar nicht. Oh nein, die Fenster sind in kleinerem Abstand gesetzt.

    Was tun? Aufgeben? Niemals! Die Menschen da unten bauen auf ihn. Das ist sein Job! Wenn es doch bloß endlich wieder einen Mord gäbe, dann müsste er sich mit so einer Scheiße hier nicht beschäftigen und könnte wieder in Ruhe ermitteln. Er quält sich noch ein paar Stufen weiter, dann muss er sich wieder hinsetzen. Das ist aber nun doch nicht mehr normal. So fertig kann er doch gar nicht sein. Der Kopfschmerz wird stärker. Er schafft es nicht! Er, Hauptkommissar Harald Köhler, einstmals der schnellste Stürmer der Kreisliga Westheide, ist am Ende seiner Kräfte. Er wird das arme Schwein da oben nicht retten können. Den brummenden Schädel zwischen seinen Händen, sitzt er auf einer der Metallstufen, zehn Meter entfernt vom Ziel, und gibt auf. Gedanken kreisen. Was hat diesen Menschen da oben zu dieser Verzweiflungstat getrieben? Warum will der nicht mehr leben? Vielleicht hinterlässt er oder sie Kinder oder einen Partner. Tragödien, wie er sie in seiner fast zwanzigjährigen Dienstzeit in Hamburg oft erlebt hat. Da oben, in der Großstadt, vor seiner Versetzung nach Baden-Baden, war Verzweiflung sein täglicher Begleiter. Zerrüttete Existenzen, die nur noch diesen letzten Ausweg wissen und sich damit verabschieden aus einem Leben, das oft diesen Namen nicht verdient hatte.

    »Komm Alter, reiß dich zusammen!«, versucht er sich noch mal anzutreiben. »Du schaffst das!« Plötzlich hört er Martinshörner. Feuerwehr und Notarzt treffen ein. Das treibt ihn noch mal an, gibt ihm noch mal einen Schub. Zusammen mit den Einsatzkräften hat er eine reelle Chance, die Zielperson zu retten. Dann hätte er endlich mal wieder etwas Sinnvolles in seinem Job geleistet. Seit der spektakulären Mordermittlung vor über einem Jahr verplempern er und sein Team eigentlich nur ihre Zeit mit Bagatellen. Aber ein Menschenleben retten, das wär wirklich mal was anderes. Er steht mit zittrigen Knien auf und nimmt die letzten Meter in Angriff. Dann endlich erreicht er tatsächlich schwitzend, keuchend und schwindelnd die Stahltür zur Außenterrasse.

    »Ganz ruhig, ich bin bei Ihnen«, will er die Person in ein Gespräch verwickeln, um dann ganz schnell zuzupacken. Doch genau in dem Moment, als er Sichtkontakt hat, stürzt sich der Mensch in die Tiefe. Von unten hört er die entsetzten Schreie der Schaulustigen. Sein Magen sackt ihm in die Kniekehle. Verloren, Herr Hauptkommissar! Niederlage auf der ganzen Linie. Er will sich gerade nach hinten gegen die Wand fallen lassen, als von unten, aus dem Nichts, plötzlich der Selbstmörder am Geländer vorbei nach oben schießt. Zuerst glaubt er an eine Halluzination, wegen der Gehirnerschütterung, doch dann erkennt er das Seil.

    »Juhu«, kreischt eine ekstatische junge Stimme. »Ist das geil, Wahnsinn!« Köhler traut seinen Augen nicht. Er schaut über das Geländer in die Tiefe und sieht, wie der Bungee-Jumper langsam, kurz vor dem Boden, auspendelt. Anstelle der gerade noch zu hörenden Angstschreie aus der Menge ertönt nun donnernder Applaus. Das darf doch wohl alles nicht wahr sein. Drehen diese bescheuerten Extremsportler jetzt völlig durch? Na warte, das wird teuer! Er rappelt sich auf und macht sich auf den beschwerlichen Weg, immer im Kreis herum, an seinem Erbrochenen vorbei, wieder nach unten.

    Der Treppenlauf abwärts beschleunigt sein inneres Karussell noch mal entscheidend. Er klammert sich mit der rechten Hand ans Geländer, bis die Handflächen fast zu glühen beginnen. Adrenalin treibt ihn an. Diesen Bungee-Jumper, den knöpft er sich vor, das steht fest. »Dem poliere ich die Fresse, und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben tue!«, stachelt er sich an.

    Dann endlich stürmt er aus der Tür. Vor seinen Augen flackert alles. Er will geradeaus laufen, doch sein Körper vollführt zwei, drei Drehungen, dann knallt er der Länge nach auf den schotterigen Parkplatz, direkt vor den Notarztwagen. Köhler rührt sich nicht mehr. Sofort stürzen zwei Sanitäter auf den am Boden liegenden Mann zu. Während seiner Bewusstlosigkeit läuft vor seinem inneren Auge noch einmal die Fahrt zum Einsatzort am Fremersbergturm ab.

    »Linsel, pass auf, sonst trägt es uns vorn am Golfplatz aus der Kurve!«, hört er sich wie aus einem tiefen, schwarzen Tunnel rufen. Sein Kollege klammert sich eisern am Lenkrad fest und richtet den Blick starr geradeaus auf die leere Serpentinenstrecke vor ihm. Leer ist die Straße aber tatsächlich nur vor den beiden Polizisten, denn hinter ihnen hat sich eine Schlange, bestehend aus mindestens zwanzig Autos gebildet. Doch keiner der anderen Fahrer schimpft oder flucht hinter dem Steuer, geschweige denn versucht, mithilfe der Lichthupe dem gelben Nissan Micra vor ihnen Beine zu machen. Auf dem Dach des kleinen, nagelneuen Japaners von Kommissar Linsel thront das magische blaue Blinklicht, welches unmissverständlich signalisiert, hier passiert etwas ganz Wichtiges. Profis, Polizei im Einsatz! Warum der gepflegte Herr am Steuer die Geschwindigkeit des gelben Kleinwagens konsequent nicht über 50 Kilometer pro Stunde steigen lässt, spielt keine Rolle. Und überholen käme einem tätlichen Angriff gleich. Somit ergeben sich die Menschen in ihr Schicksal. Irgendwann wird die blinkende Zwergente schon abbiegen.

    Oder stehen da zwei ganz dreiste Typen auf Kriegsfuß mit der Baden-Badener Nobelkarossenarmada, bestehend aus teuren, spritfressenden Sportwagen, Limousinen und Geländewagen? Womöglich Aktivisten der grün-roten Landesregierung, die dem verschwenderischen Treiben Einhalt gebieten wollen?

    Köhler spürt, dass es mit ihm zu Ende geht. Vor seinem inneren Auge läuft ein letzter Film ab, während er röchelnd im Staub vor dem Fremersbergturm liegt. Doch, sagt man nicht, wenn der Sensenmann an die Tür klopft, läuft das ganze Leben noch mal vor einem ab? Warum kommt ihm immer nur diese Einsatzfahrt zum Selbstmörder in den Sinn? Wo ist seine geliebte Frau Eva? Wo seine glückliche Kindheit auf dem Lande in der Lüneburger Heide? Wo die vielen Schwerverbrecher, die er zur Strecke gebracht hat? Nichts! Nur Linsel und er in diesem gelben Nissan Micra auf dem Weg zum Aussichtsturm. Ist das die letzte Erinnerung, bevor er all die anderen im Dienst verendeten Kollegen im Polizistenhimmel trifft?

    »Soll ich aussteigen und einen schönen Strauß Blumen pflücken oder einfach mal ein Stückchen neben deinem neuen Gefährt herlaufen?« Schon wieder diese Autofahrt. Köhler schwillt der Kamm, er kann nicht mehr.

    »Linsel, wenn du nicht sofort auf die Tube drückst, greife ich dir ins Lenkrad und steuere deine gelbe Eiterbeule in den nächsten Abgrund. Harakiri, dann ist Feierabend! Wir haben einen Einsatz! Da steht ein Selbstmörder auf dem Fremersbergturm. Glaubst du, der wartet mit dem Absprung, bis dein neuer japanischer Freund nach oben auf den Berg gekrochen kommt?«

    »Herr Hauptkommissar, das hier ist eine reine Gefälligkeit meinerseits. Nur weil ich meinen neuen Wagen zur Verfügung stelle, können wir überhaupt da oben hoch. Sie wissen genau wie ich, dass der Dienstpassat in der Werkstatt steht. Und Sie haben ja gar kein Auto!«, entgegnet der Assistent selbstbewusst. Die Stimme des Kollegen klingt in Köhlers Koma-Fantasie wie ein Roboter.

    »Hast du schon mal etwas von Trauerarbeit gehört? Du schlachtest meinen geliebten Scorpion und gestattest mir nicht, um ihn zu weinen?« Linsel hatte am Aufklärungsabend der Mordfälle, vor einem Jahr, Köhlers Ford Scorpio in dem kleinen Flüsschen Oos versenkt. Ein Schlag, von dem sich der Hauptkommissar bis heute nicht vollständig erholt hat. Daher kommt wahrscheinlich auch dieses neuerliche Einsatzfahrttrauma. Er will keinen neuen Wagen. Da müsste er sich schon wieder richtig verlieben, wie damals in den Scorpion. Aber dazu ist es bisher nicht gekommen, und somit fährt er entweder mit dem Bus bis ins Kommissariat, wo dann der Dienstwagen auf ihn wartet, oder er lässt sich von Linsel chauffieren. Für Ausflüge mit seiner Gattin Eva nehmen die Eheleute dann ihren BMW-Cabrio, den er nur im äußersten Notfall selber steuert.

    Passt nicht zu seinem Image, wie er findet. Was genau sein Image ist, weiß er eigentlich selber nicht genau. Altrocker, Bluesbulle, Langhaardackel, wobei seine Frisur nur knapp die Ohren bedeckt. Das reicht aber heutzutage schon aus, um, wie schon öfter geschehen, von den meist kurz geschorenen Mitmenschen als Gammler tituliert zu werden. Ja, die Siebziger sind lange vorbei, Herr Hauptkommissar.

    »Linsel, wie kann ein erwachsener Mann nur so ein Auto kaufen? Schämst du dich gar nicht?«

    »Sie sollten sich schämen! Ihre veralteten Ansichten stehen völlig konträr zur modernen Welt. Haben Sie schon einmal etwas von ökologischem Bewusstsein gehört? Dieser Wagen verbraucht nicht einmal sechs Liter Benzin auf hundert Kilometer. Der Schadstoffausstoß ist minimal und der Anschaffungspreis war einfach unschlagbar günstig. Außerdem findet man immer einen Parkplatz.«

    »Parken ist das Stichwort! Gib Gas!«, schreit Köhler gegen die laute Opernmusik an, die ihm, zusammen mit dem nähmaschinenartigen Surren des Micra-Motors, den Rest gibt. »Mach doch mal dieses Gejaule aus. Da dreht man ja durch.« Linsel, in seinem schicken grauen Anzug von Mode-Weber gekleidet wie ein Geschäftsmann am Steuer seiner neuen S-Klasse, dreht sich zur Seite.

    »Monatelang haben Sie mich mit ihrer Bluesmusik gequält. Hier, in meinem Auto, bin ich der DJ. Endlich kann ich mal bestimmen, was wir hören. Anna Netrebko! Sie sind ein Banause, wenn Sie diese wunderbare Stimme als Gejaule bezeichnen. Aber was erwarte ich von einem Mann in einer dreißig Jahre alten, abgetragenen Lederjacke.« Vor ihnen taucht die Abzweigung hinauf zum Fremersbergturm auf. Linsel drosselt noch einmal die Geschwindigkeit, und ab geht’s in den Wald.

    Köhler hält sich die Ohren zu und liegt mit der Stirn auf dem streng nach Plastik riechenden Armaturenbrettchen. Er will bis zur Ankunft nichts mehr sehen oder hören. Dann gibt es einen entsetzlichen Ruck. Die Stirn des Hauptkommissars prallt mit voller Wucht auf die harte Ablage. Sterne kreisen vor seinem Gesichtsfeld und ein bohrender Schmerz schießt ihm durch den Kopf.

    »Aua, was ist denn nun los?« Er drückt seine rechte Hand auf die pochende Stelle und fühlt, wie sich innerhalb weniger Sekunden eine Beule bildet.

    »Verdammt«, schreit Linsel erschrocken auf. »Diese Schlaglöcher ruinieren mir noch den Wagen.«

    »Das sind nicht die Schlaglöcher. Du hättest dir vielleicht ein Auto mit richtigen Rädern kaufen sollen und keinen Kinderwagen. Da wird natürlich jede kleine Pfütze zum Krater. Bring uns jetzt endlich zum Fremersbergturm, bevor wir beide draufgehen!«, befiehlt er ein letztes Mal, während sein Geist sich langsam verabschiedet. Er hat das Gefühl, in eine weiche, grün-weiße Wolke einzutauchen. Der Polizistenhimmel  …?

    »Hallo, hallo, was ist mit Ihnen?« Der Notarzt gibt ihm leichte Backpfeifen. »Sind Sie noch da?«

    Doch Köhler rührt sich nicht. Auch Kommissar Linsel ist nun bei seinem Chef.

    »Herr Hauptkommissar, was ist passiert? Sagen Sie doch etwas!« Der Kollege beginnt, sich ernsthafte Sorgen zu machen.

    In diesem Moment kommt der Wirt der Fremersberg-Gaststätte mit einem großen Tablett voller Biergläser zum Ort des Geschehens. Von den Schaulustigen kommt ein lautes »Aaaaah«.

    »Wenn jemand Durst hat. Eine kleine Runde Freibier. Wir haben dann übrigens jetzt geöffnet. Jeden Tag ab elf Uhr. Dienstags Ruhetag.« Die größtenteils älteren Herrschaften rennen auf den Mann zu und greifen nach den Gläsern. Ein stämmiger Mitsechziger will sich gerade das erste kühle Getränk sichern, als er über eine Baumwurzel am Boden stolpert und ins Straucheln gerät. Mit der einen Hand am Tablett versucht er, sich mit der anderen am Wirt festzuhalten. Dieser verliert das Gleichgewicht und die Gläser stürzen zu Boden. Der köstliche Inhalt eines vollen Humpens Rothauspils ergießt sich über den Kopf des am Boden liegenden Hauptkommissars, worauf dieser die Augen öffnet.

    »Danke, Prost!«, sind seine ersten Worte nach der Ohnmacht. Dann blickt er nach oben in die Gesichter der über ihm stehenden Menge.

    »Wo ist das Schwein? Den bringe ich um!« Der Bungee-Jumper hat das Durcheinander anscheinend genutzt, um heimlich zu verschwinden. Nur das vom Fremersbergturm baumelnde Seil erinnert noch an seine spektakuläre Aktion. Linsel und ein Sanitäter greifen dem nach Bier riechenden Köhler unter die Arme, ziehen ihn hoch und geleiten ihn zum Notarztwagen.

    »Ich dachte schon, Ihnen wäre was Schlimmes passiert«, klopft ihm der Kollege auf die Schulter. »Aber lassen Sie sich erst mal untersuchen. Man weiß ja nie!«

    »Linsel, hast du die Personalien von diesem Irren?!« Köhlers einzige Gedanken kreisen um Rache für die erlittenen Qualen.

    »Nein, leider nicht. Ich musste noch mal zu meinem Wagen und zwei Damen vertreiben, die es sich auf der Motorhaube bequem machen wollten. Können Sie sich das vorstellen? Der schöne neue Lack. Denen habe ich was gehustet. Ich habe nur gesehen, dass der Springer irgendwie asiatisch aussah.«

    »Leider hat er das mit dem Harakiri ja nicht durchgezogen«, antwortet Köhler. Die schnelle Untersuchung im Notarztwagen ergibt glücklicherweise keine ernsthaften Schäden. Keine Gehirnerschütterung, kein Herzinfarkt, kein Schlaganfall. Einfach nur eine riesige Beule am Kopf und erhebliche Defizite bei der Kondition. Trainingsrückstand!

    »Tun Sie mal was für Ihre Fitness und denken Sie mal daran, das Rauchen aufzugeben. In Ihrem Alter geht das sonst nicht mehr lange gut«, gibt ihm der Notarzt noch einen Tipp mit auf den Weg. Und dieser Weg führt die beiden Polizisten direkt vor die Fremersberg-Gaststätte auf einen kleinen Imbiss plus Kaltgetränk! Sie nehmen an einem der rustikalen Holztische Platz und Hauptkommissar Köhler steckt sich erst mal eine HB an. Langsam kommt er wieder runter. Körper und Geist erreichen wieder Normalzustand.

    »Wie können Sie denn jetzt schon wieder rauchen? Darf ich daran erinnern, was der Notarzt Ihnen mit auf den Weg gegeben hat?« Linsel schüttelt resignierend den Kopf. Köhler schweigt und starrt in Richtung eines Holzschuppens am hinteren Teil der Gaststätte. Das Tor steht offen und man erkennt zwei breite Autorücklichter, eine Chromstoßstange und ein Stück blaues Blech.

    »Was darf ich den Herren Beamten bringen?«, unterbricht der Wirt die kurze Schweigeminute.

    »Hallo Husti«, begrüßt Linsel den Mann.

    »Hallo Winfried, wie geht’s? Ist das dein neuer Flitzer da hinten? Oder setzt die Baden-Badener Polizei jetzt auf Entschleunigung bei der Verbrecherverfolgung?« Köhler unterdrückt einen Lacher.

    »Ich nehme einen gemischten Salat und ein Wasser«, übergeht der Assistent die Bemerkung souverän.

    »Und für mich bitte ein Pils und ein Jägerschnitzel mit Pommes. Da ich ja nun mit Bier von außen geduscht habe, will ich es jetzt auch von innen nicht versäumen«, gibt auch der Hauptkommissar seine Bestellung auf.

    »Verstehe, Dienst beendet«, entgegnet der Wirt lächelnd.

    »Genau. Krankgeschrieben. Beginne direkt mit der Therapie.«

    »Tut mir übrigens leid mit der Bierdusche. Na dann bis gleich.«

    Die beiden Kollegen schweigen sich wieder an. Köhler ist angesäuert, weil er die »Rettungsaktion« im Alleingang durchführen musste, und Linsel hat es langsam satt, dass

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