Turnen ist mehr: Patriotismus als Lebensform
Von Arete Verlag
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Über dieses E-Book
Bei allem Konservatismus waren und sind Turnen und Turnbewegung aber auch einem steten ideellen und sozialen Wandel ausgesetzt.
Diesem Wandel spüren die Autorinnen und Autoren in insgesamt 16 Beiträgen nach. Sie beginnen bei den Begründern des deutschen Turnens Jahn und Friesen, analysieren Turnkult sowie Festkultur im 19. Jahrhundert und schauen schließlich auf die Erben, Epigonen und Exporteure der Turnbewegung in Deutschland, den USA und Brasilien. Abschließend beantworten sie die Frage, wie viel des ursprünglichen Turnens noch (oder wieder?) in der heutigen, ausdifferenzierten Sport- und Freizeitkultur überlebt hat.
Der Text ist mit zahlreichen vierfarbigen Abbildungen illustriert.
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Buchvorschau
Turnen ist mehr - Arete Verlag
Michael Krüger / Gerd Steins (Hg.)
Turnen ist mehr – Patriotismus als Lebensform
Geschichte der Körperkultur in Studien und Materialien Band 1
Arete Verlag Hildesheim 2014
Bibliografische Informationen
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© 2014 Arete Verlag Christian Becker
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Dies gilt auch und insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmungen und die Einspeicherung sowie Datenvorhaltung in elektronischen und digitalen Systemen.
Umschlag vorn: Das Völkerschlacht-Denkmal bei Leipzig. Festzeitung für das zwölfte deutsche Turnfest Leipzig 1913. Heft Nr. 3, nach S. 70. Farblithografie von Max Seliger (1865 – 1920). Umschlag hinten: Das Klettergerüst. Kolorierte Lithografie aus Jonas, F.H.: Gut Heil! Ein Festgeschenk für für Deutschlands turnende Jugend. Leipzig: J. Berthold, 1856, Nr. 41. (Beide: Bibliothek/Bildarchiv des Forum für Sportgeschichte - Fördererverein für das Sportmuseum Berlin)
Layout/Satz/Umschlaggestaltung: Gerd Steins, Berlin
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
ISBN 978-3-942468-46-6
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
MICHAEL KRÜGER / GERD STEINS
Vorwort
HANSGEORG KLING
Grußwort der Jahn-Gesellschaft
JÜRGEN DIECKERT
Nach-Denken über Friedrich Ludwig Jahn mit und ohne Bart.
Grußwort zur Tagung Vom Turnen auf der Hasenheide zum Sport als Kulturgut
JOSEF ULFKOTTE
Die Erfindung des Turnens:
Der Beginn der modernen Turn- und Sportbewegung in Deutschland
THOMAS HOLLERBACH
Patriotismus als Lebensform.
Die Modernität von Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852)
NORBERT GISSEL
Form und Funktion des Turnens bei den Gießener Schwarzen:
Vom Turnplatz aus muß sich unser ganzes Staatsleben sowie unsere ganze Kunst kerngesund neu entwickeln!
MANFRED NIPPE
Franz Lieber: Vom Turner der Hasenheide zum Berater von Abraham Lincoln
MICHAEL THOMAS
Friedrich Friesen und Magdeburg – Säkulum und Denkmaleinweihung 1885 und 1893
MARTIN KLEMENT / GERD STEINS
Josef Jungmann, Friedrich Ludwig Jahn und Deutsches Volksthum
LOTHAR WIESER
Turnen unter Palmen - Jahnkult in Brasilien
SWANTJE SCHARENBERG
Die Hasenheide als Impulsgeber für die gesamte Freizeitsportbewegung
GERD STEINS
Denktage und Nationalfeste der Turner nach der Völkerschlacht
JOSEF ULFKOTTE
Die vormärzliche Turnfestkultur – Muster und Vorbild für das Erste Deutsche Turn- und Jugendfest in Coburg (1860)
MICHAEL THOMAS
Von der Waffenübung zum Turniertheater.
Zur Versportlichung der Turniere im Mittelalter (13. bis 16. Jahrhundert)
ALEXANDER PRIEBE
Die Ettersburger Spiele der Deutschen Landerziehungsheime (1922-1939)
Ein Turn- und Sportfest der Reformpädagogik
ALEXANDER PRIEBE
Die Deutsche Turnerschaft und die Turnwettbewerbe bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin
Weitere Literatur
Fußnoten
MICHAEL KRÜGER /GERD STEINS
Vorwort
Der vorliegende Band zur Turn- und Vereinsgeschichte fasst die wissenschaftlich-historischen Beiträge zusammen, die auf zwei Fachtagungen 2010 und 2011 in Coburg und Berlin gehalten wurden. Beide Tagungen wurden aus Anlass wichtiger Jahrestage zur deutschen Turngeschichte durchgeführt. 2010 wurde an das erste Allgemeine Deutsche Turn- und Jugendfest erinnert, das 1860 am selben Ort in Coburg gefeiert wurde. 2011 schließlich wurde an die Eröffnung des Turnplatzes auf der Hasenheide in (damals bei) Berlin durch Friedrich Ludwig Jahn vor 200 Jahren erinnert.
Sowohl die Eröffnung der Hasenheide 1811 in Berlin als auch das Coburger Turnerfest 1860 waren von zentraler Bedeutung für die Turn- und Sportgeschichte in Deutschland und weltweit. Auf der Hasenheide wurde das Turnen erfunden (siehe Gerd Steins: Wo das Turnen erfunden wurde), und in Coburg wurde es zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Institution. Sie stellt die Grundlage für die Entwicklung der Turn- und Sportvereine und ihrer Verbände bis in die Gegenwart dar. Während Jahn seine romantisch inspirierte Idee der Deutschen Turnkunst mit seinen jugendlichen Anhängern auf dem Gelände vor den Thoren Berlins wie eine Art Happening zelebrierte, gaben ihr die älter gewordenen Turner und Jahn-Jünger eine feste organisatorische Form. Das Turnen hatte sich seit 1811 gewandelt und stabilisiert. Es war zum Bestandteil der Erziehung in den Schulen geworden. Hunderte von Turnvereinen mit Satzungen und Regeln hatten sich gegründet. Die Revolution und ihre Wunden schienen verheilt zu sein. Der missglückte Umsturzversuch von 1848/49 war auch für die Turnvereine ein traumatisches Ereignis gewesen. Viele Revolutionäre, unter ihnen zahlreiche Turner, mussten emigrieren, einige waren verhaftet und eingekerkert worden. Es hatte auch Tote und Verwundete gegeben. So etwas durfte nicht wieder geschehen. Am Turnen wollten sie jedoch festhalten. Turnen, das bedeutete seit Jahn das Turnen an Geräten und im Freien, Spiele und Übungen, Gymnastik und Athletik, Wanderungen und Feste, die Stärkung des Körpers und die Freiheit des Geistes, sound mind in a sound body, wie es die deutsch-amerikanischen Turnbrüder in ihrem Motto aufgenommen hatten, und wie sie es als humanistisch gebildete Emigranten von ihrem Lateinunterricht an deutschen Gymnasien noch in Erinnerung hatten. Von ihren politischen Zielen wollten die Turner auch nicht lassen. Die Einheit des Volkes – das Deutsche Volksthum wie es Jahn genannt hatte – und die Freiheit der Bürger waren ebenfalls Teil des turnerischen Selbstverständnisses. Aber nun setzte man Prioritäten. Während bei Jahn auf der Hasenheide noch nicht klar erkennbar war, auf welches konkrete kulturelle und auch politische Konzept das Turnen eigentlich hinauslaufen könnte oder sollte, war man sich in Coburg weitgehend einig, dass Turnen an sich an erster Stelle stehen müsse, also nicht die politische Ausrichtung des Turnens – die sollte jedem Einzelnen überlassen bleiben –, sondern das praktische Turnen an den Geräten, Laufen, Springen und Werfen an der frischen Luft, wie es bei GutsMuths und den Turnsystematikern beschrieben wurde, sowie das gemeinsame, gesellige Miteinander und die Pflege von turnbrüderlicher Gemeinschaft. Dass all dies dazu beitragen sollte, die Gemeinschaft der Nation sowie patriotisches Denken, Fühlen und Handeln zu stärken, das schien den Turnern vor 150 Jahren in Coburg eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein.
In den in diesem Band versammelten Beiträgen wird auf die unterschiedlichsten Kontexte und Facetten dieser Turnkultur seit dem 19. Jahrhundert eingegangen.
Jürgen Dieckert eröffnet den Berichtsband mit einer Reflektion seiner Jahnrede, die er 1968 in der Hasenheide beim Deutschen Turnfest hielt. Gleichfalls stiftete er dem Sportmuseum Berlin das mit handschriftlichen Ergänzungen versehene Urmanuskript, dessen erste Seite hier abgebildet ist.
Josef Ulfkotte weist in Die „Erfindung" des Turnens – Der Beginn der modernen Turn- und Sportbewegung in Deutschland nach, dass das Jahnsche Turnen durchaus Züge moderner Sportlichkeit aufwies. Letztlich verdeutlicht der Autor, dass mit der Eröffnung des Hasenheideturnplatzes die moderne Turn- und Sportbewegung in Deutschland begann. Diesem Tatbestand wurde zwischenzeitlich mit der Aufnahme Jahns in die Hall of Fame des deutschen Sports in die Katagorie Ideengeber des Sports nun auch öffentlich sichtbar Rechnung getragen.
Thomas Hollerbach legt in Patriotismus als Lebensform – der Turnvater Jahn (1778 - 1852) den Schwerpunkt auf das gemeinschaftsbildende Element des Turnens, besonders auf den Aufbau von patriotischen, deutsch-nationalen Loyalitätsgefühlen sowie deren womöglich instrumentelle Ausnutzung. Volkstümliche Festlichkeiten, Feierlichkeiten und Gebräuche wie auch die Leibesübungen und Turnspiele stellten für Jahn jene Gelegenheiten da, die teilnehmenden Akteure wie auch deren Zuschauer als eine große innig verbundene Familie zu konstituieren zu versuchen.
Norbert Gissel lenkt die Aufmerksamkeit der Sporthistorik in Form und Funktion des Turnens bei den Gießener Schwarzen auf den wichtigen Beitrag der sogenannten Schwarzen in der Turnentwicklung und welche Funktion diese studtentische Gruppierung in ihren politischen Bestrebungen hatte.
Manfred Nippe beschreibt in Franz Lieber: Vom Turner der Hasenheide zum Berater des amerikanischen Präsidenten das Leben eines Turners von der Berliner Hasenheide. Franz Lieber ist der bekannteste Schüler Friedrich Ludwig Jahns, dessen Name sowohl im deutschen Brockhaus und in Meyers Konversationslexikon als auch in der Encyclopedia Britannica, amerikanischen Nachschlagewerken und dem weltweiten Web zu finden ist. Neben Carl Schurz, dem Bürgerkriegsgeneral und
US-Kriegsminister
, ist er einer der erfolgreichsten Deutsch-Amerikaner des 19. Jahrhunderts. Als Gründungsvater des internationalen Kriegs- und Völkerrechts und Berater von Abraham Lincoln hat er internationale Rechts- und Politikgeschichte geschrieben. Seit seiner Jugend als Hasenheideturner war er publizistisch tätig. Sein persönlicher Nachlass – mehr als 15.000 Briefe, Tagebucheintragungen und Dokumente – liegt in amerikanischen Universitäts- und Staatsarchiven, ein Schatz, der im im Wesentlichen erst noch gehoben werden muß.
Michael Thomas untersucht in Friedrich Friesen und Magdeburg – Säkulum und Denkmaleinweihung 1885 und 1893 wie sich auf lokaler Ebene die städtische Gesellschaft an der von den Turnern ins Leben gerufenen Erinnerungskultur beteiligte und welche Wertvorstellungen man mit der historischen Gestalt des jugendlichen Friesen verknüpfte. Der in Magdeburg geborene und im Befreiungskrieg gefallene Karl Friedrich Friesen gehörte während der Napoleonzeit als preußisch-deutscher Patriot, liberaler Jugend- und Nationalerzieher zu den Begründern der deutschen Turnbewegung in Berlin. Zusammen mit Friedrich Ludwig Jahn war er auch der geistige Vater der studentischen deutschen Burschenschaftsbewegung. In seiner Heimatstadt Magdeburg, die er im Jahre 1800 Richtung Berlin verlassen hatte, geriet Friesen für lange Jahre in Vergessenheit. Erst nach der preußischdeutschen Reichseinigung von 1871 wurde er als großer Sohn seiner Vaterstadt ins kulturelle Gedächtnis der Magdeburger aufgenommen.
Die deutsche Jahn-Forschung untersuchte viele Facetten der umstrittenen Persönlichkeit Jahns, nahm aber die Wirkung Jahnscher Schriften im Ausland eher marginal zur Kenntnis. Martin Klement und Gerd Steins legen in Josef Jungmann, Friedrich Ludwig Jahn und Deutsches Volkstum eine deutsch-tschechische Edition der Auszüge aus dem Jahnschen Volkstum vor und unterziehen erstmals Josef Jungmanns Übersetzung des Deutschen Volkstums einer Analyse im Kontext des beginnenden tschechischen Nationalismus.
Deutsche Einwanderer brachten das Turnen als Teil ihres kulturellen Gepäcks nach Brasilien. In ihren Turnvereinen orientierten sie sich in Praxis und Ideologie sehr stark an der Deutschen Turnerschaft. Sie bezogen Turnschriften aus Deutschland, schickten Delegationen und Wettkämpfer zu Deutschen Turnfesten, stellten Jahnbüsten auf, hängten Jahnbildnisse in die Vorstandszimmer. Lothar Wieser untersucht in Turnen unter Palmen – Jahnkult in Brasilien anhand ausgesuchter Beispiele aus verschiedenen Jahrzehnten die Aspekte des dortigen Jahnkultes.
Jahnehrung 2013 in Freyburg vor der Jahn-Erinnerungsturnhalle: Festabzeichen und Embleme trägt man neuerdings direkt auf der Haut.
Foto: Gerd Steins, 16. August 2013.
Swantje Scharenberg analysiert in Die Hasenheide als Impulsgeber für die gesamte Freizeitsportbewegung die Turnbewegung unter den Aspekt als Marketinginstrument, als Versammlungsort von Turnfesten und Gymnaestraden sowie als Teil der Sportlandschaft. Die Vorstellung, dass die Hasenheide als pars pro toto für die Gesamtentwicklung des Turnens - auch des Wettkampfsports - bzw. des gesamten Freizeitsports steht, liegt dem Beitrag gerade nicht zugrunde, entsprechend eignet sich auch keine systemtheoretische Vorgehensweise. Sondern es werden bewusst verschiedene Bewegungen des Hasenheidekörpers und die (Aus-)Richtungen bezogen auf die deutsche (Freizeit-)Sportentwicklung unter Zuhilfenahme moderner Ordnungssysteme in Augenschein genommen.
Die folgenden beiden Beiträge befassen sich mit der Kultur und Historie der Deutschen Turnfeste. Gerd Steins zeichnet in Denktage und Nationalfeste der Turner nach der Völkerschlacht die Genese der Turnfestidee und die Ausformung der frühen Turnfeste von 1814 bis 1817 nach. Josef Ulfkotte schließt daran zeitlich an und analysiert in Die vormärzliche Turnfestkultur – Muster und Vorbild für das 1. Deutsche Turn- und Jugendfest in Coburg en detail die Struktur und Programmabfolge der weiteren Turnfeste bis 1860.
Michael Thomas geht in Von der Waffenübung zum Turniertheater der Frage nach, wie und wann die hochmittelalterlichen Turniere einen sportlichen Charakter bekommen haben. In diesem Zusammenhang klärt der Autor zunächst einmal über den Charakter und die Besonderheiten des Sports im Mittelalter auf.
Alexander Priebe beschreibt in Die Ettersburger Spiele der Deutschen Landerziehungsheime (1922 - 1939) Ein Turn- und Sportfest der Reformpädagogik in der Sporthistorik bisher nicht wahrgenomme Sportfeste und geht der Frage nach, wie die pädagogischen Ideen der Turnbewegung auf der einen und der Sportbewegung auf der anderen Seite die Gestaltung der Ettersburger Spiele geprägt haben? Hier berichtet der Autor von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu anderen Turn- und Sportfesten in und außerhalb der Schulen.
Das Turnen hat als olympische Sportart eine besondere Entwicklung vollzogen. Schon die Integrationdes Turnens in das olympische Programm 1896 wurde kontrovers diskutiert. Alexander Priebe beschreibt in Turnerkreuz oder fünf olympische Ringe – Die Turnwettbewerbe bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin diese schwierige Internationalisierung. Es galt einen Gestaltungsprozess zu initiieren, der die nationalen Turnsysteme zu einem international anerkannten standardisierten Wettkampfsystem entwickelte. An diesem Prozess der Versportlichung des Turnens hat sich die deutsche Turnerschaft als bedeutender und großer Verband nahezu nicht beteiligt, da sie sich erst 1934 in Vorbereitung auf die Berliner Spiele der Fédération International Gymnastique (FIG) anschloss. Ab 1934 hat sie jedoch über ihre Delegierten in der FIG wesentlich und auch in ihrem Interesse an der Gestaltung des olympischen Turnprogramms mitgewirkt. Damit wurde auch über die Berliner Spiele 1936 hinaus die Entwicklung des internationalen Turnsports wesentlich mitbestimmt. Bedeutsam ist auch die Frage, wie Carl Diem als Generalsekretär des Organisationskomitees der Olympischen Spiele 1936 diesen Prozess mitgestaltet hat.
Beide Tagungen wurden in Verbindung mit dem Deutschen Turner-Bund durchgeführt, namentlich mit Unterstützung von dessen Vizepräsidentin Frau Dr. Annette Hofmann. Die Coburger Veranstaltung wiederum wurde tatkräftig von der Stadt Coburg unterstützt, während in Berlin das Forum für Sportgeschichte – Fördererverein für das Sportmuseum Berlin als Ausrichter bereit stand. Allen Beteiligten und Unterstützern sei herzlich gedankt.
Das Jahn-Denkmal in der Berliner Hasenheide wurde zum Jubiläum im Juni 2011 herausgeputzt und mit einer neuen Zugangstreppe versehen, so dass man das Denkmal jetzt von Norden her leichter betreten kann.
Foto: Gerd Steins, 19. Juni 2011.
Die Sektion Sportgeschichte der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs), die seinerzeit die wissenschaftliche Leitung dieser Tagungen innehatte, existiert inzwischen nicht mehr, weil es kaum noch ein akademisches Fach Sportgeschichte an universitären Sportinstituten gibt. In ganz Deutschland ist lediglich eine W
2-Professur
an der deutschen Sporthochschule in Köln für Sportgeschichte denominiert. Das heißt jedoch nicht, dass es keine Sportgeschichte mehr in Deutschland gäbe – nur eben nicht mehr oder nur marginal im Rahmen der Sportwissenschaft. Neben den verschiedenen Zweigen der Geschichts- und Kulturwissenschaften wächst auch bei den Vereinen und Verbänden des Sports sowie in der Archiv- und Museumslandschaft das Interesse an Turn- und Sportgeschichte, oder auch Körpergeschichte. Hinter diesem Begriff verbirgt sich in der Regel die traditionelle Sportgeschichte, obwohl auch breitere Facetten der Körperkultur – das war der Fachbegriff in der
DDR-Historiographie
– damit gefasst werden.
Turnen war eine eigene, nationale Körperkultur in Deutschland. Heute ist sie einerseits in einer weltweit populären Sportkultur aufgegangen, und andererseits haben Ideen und Konzepte der deutschen Turnbewegung den internationalen Sport unserer Zeit befruchtet.
Wir wünschen dem Band eine zahlreiche Leserschaft und freundliche Aufnahme.
Grußwort der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft
Im August 2008 konstituierte sich in Freyburg an der Unstrut die Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft, die aus dem 1992 gegründeten Förderverein zur Traditionspflege und Erhaltung der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gedenkstätten hervorging. Über die Schwerpunkte des früheren Fördervereins weisen die Ziele der Jahn-Gesellschaft deutlich hinaus: Sie erhebt den Anspruch, in Kooperation mit dem Deutschen Turner-Bund (DTB) und den angeschlossenen Landesturnverbänden, mit Hochschulen, Organisationen und Institutionen, das Leben und Wirken des Initiators der Turnbewegung in seinen historischen Bezügen zu erforschen, die Entwicklung von Turnen, Spiel und Sport zu analysieren, im Jahn-Museum, dem einzigen Turn- und Sportmuseum in Sachsen-Anhalt, sportbezogene Ausstellungen zu präsentieren und wissenschaftliche Vorhaben zu fördern, die neue Perspektiven auf den Sport eröffnen.
Anlässlich der 150. Wiederkehr des ersten deutschen Turnfestes in Coburg veranstaltete die Sektion Sportgeschichte der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) 2010 in Coburg eine Tagung, deren Ergebnisse in diesem Band ebenso nachzulesen sind wie die für den Druck überarbeiteten Referate der Berliner Tagung 2011, die deshalb in der Bundeshauptstadt durchgeführt wurde, weil Friedrich Ludwig Jahn in der seinerzeit vor den Toren der Stadt gelegenen Hasenheide vor 200 Jahren das Turnen erfunden hatte. Mit der Inbetriebnahme des ersten öffentlichen Turnplatzes legte er den Grundstein für den freien, sich selbst organisierenden Turn- und Sportbetrieb in Deutschland und den weltweiten Siegeszug der olympischen Disziplin Turnen. Als Ideengeber des Sports ist Jahn deshalb auch im Frühjahr 2013 in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen worden.
Die Jahn-Gesellschaft begrüßt die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge in diesem Band, der den neuesten Stand der Forschung repräsentiert. Nachdrücklich untermauern die Autoren, dass die Sportgeschichte einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur im Sport leistet. Diesem Ansatz fühlt sich auch die Jahn-Gesellschaft verpflichtet. Das Buch richtet sich keineswegs nur an den Spezialisten, sondern an alle, die sich für die Geschichte von Turnen und Sport interessieren. Prof. Dr. Michael Krüger (Universität Münster) und Gerd Steins (Forum für Sportgeschichte, Berlin) danke ich für die Herausgabe des Bandes, dessen Erscheinen im arete-verlag von Christian Becker (Hildesheim) die Jahn-Gesellschaft gern unterstützt hat.
Ich hoffe und wünsche, dass dieses anregende Buch zur Sportgeschichte eine weite Aufnahme findet und zu neuen sporthistorischen Projekten anregt.
Hansgeorg Kling
Präsident der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft
Festabzeichen 1. Deutsches Turnfest Coburg 1860.
Jahn-Museum Freyburg.
JÜRGEN DIECKERT
Nach-Denken über Friedrich Ludwig Jahn mit und ohne Bart
Grußwort zur Tagung Vom Turnen auf der Hasenheide zum Sport als Kulturgut
Keine Tagung, kein Kongreß ohne Grußwort!?- Aber anlässlich von 200 Jahre Turnbewegung ist es sicherlich richtig, wenn ein Vertreter des Deutschen Turner-Bundes an dieser Tagung teilnimmt und öffentlich Dankeschön sagt. Denn das gewählte Thema Vom Turnen auf der Hasenheide zum Sport als Kulturgut trifft genau den historischen Rahmen der deutschen Turnbewegung. Also Dankeschön, auch von dem Ehrenpräsidenten des DTB. Historische Aufarbeitung der Turnbewegung ist wichtig, sehr und so wichtig!
Michael Krüger meinte, ich sollte nicht nur diese Grußworte übernehmen, sondern auch ein Referat halten. So entstand dann nach längerem Zögern von mir das reichlich komische Thema mit und ohne Bart. Obwohl wir ja alle wissen, dass Jahn bereits zur Zeit der Hasenheide einen schmalen Backenbart trug und erst später den langen Kaiser Wilhelm-Bart. Für mich hatte jedoch Jahns Bart - biographisch gesehen – eine besondere Bedeutung. Und darüber möchte ich jetzt nicht ein Referat halten, sondern einiges erzählen.
Als ich 13jährig nach der
100-Jahrfeier
in die Vereinigte Turnerschaft zu Rinteln eintrat, wusste ich noch nichts von Jahn (wohl gab es in den Wallanlagen Rintelns einen Jahn-Gedenkstein mit einer Bronzeplatte: den entdeckte ich sehr viel später).
Als ich 14jährig vom Verein zur Vorturnerschule an einigen Wochenenden nach Bückeburg geschickt wurde, da begegnete ich erstmals bewusst Jahn, vermittelt in Bild und Wort durch den ehrenwerten Leiter der Vorturnerschule: Ernst Stahlhut.
Und ich lernte: Jahn ist der Turnvater! Mich beschlich allerdings das Gefühl, dass dieser kahlköpfige und langbärtige Turnvater eher ein Turnopa sei!
Als Sportstudent, als Wettkämpfer im turnerischen Bereich, ja auch als Verantwortlicher im Jugendbereich des DTB blieb Jahn für mich der bärtige Opa.
Und dann wurde das Deutsche Turnfest 1968 nach Berlin vergeben, und man bat mich, die Jahnrede in der Hasenheide zu halten. Als damals 33jähriger entdeckte ich, dass Jahn 33 Jahre alt war, als er 1811 in der Hasenheide das Turnen entwickelte. Also: ein junger Mann war Jahn! Und dazu ein Revolutionär - ein Revoluzzer - wie es 1968 zur Zeit Dutschkes in Berlin hieß.
Und dieser Jahn schuf das Turnen als das Recht des Menschen auf Spiel und Bewegung. Und er setzte sich für die Menschenrechte der französischen Revolution auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ein und verwirklichte diese in seiner Idee und Praxis des Turnens in der Hasenheide!
Ein anderer Jahn entstand bei mir: ein neuer, ein junger. Ein bewundernswerter. Den Turnopa mit dem langen Bart gab es nicht mehr. Und so konnte ich 1968 ein Jahn-Bild entwerfen, das wohl auch den Dutschke-Anhängern gefallen hat, denn die erwartete und vorausgesagte Straßenschlacht zwischen Dutschkes Leuten und den Turnern fand nicht statt.
Ich halte Jahn seitdem für eine bedeutende Persönlichkeit in unserer Kultur- und Sozialgeschichte. Ich bedauere, dass die vielen Jahnbüsten, Jahn-Bilder und Jahn-Denkmäler mit dem bärtigen Turnvater allen Unwissenden und auch der Jugend ein ungutes Bild vermitteln. (Man denke auch an all die abfälligen Redewendungen zum Bart: … das hat soo einen Bart etc.).
Daher habe ich auch in meiner Jahnrede 1968 (siehe Seite 10) versucht, Jahn symbolisch den Bart abzuschneiden. Dies gefiel den meisten, weniger jedoch einer Reihe von traditionalistischen Turnbrüdern (daraus ist dann auch diese ganze Akte Schriftverkehr etc. entstanden!). Ich hoffe, dass auch Ihre Beiträge zum Turnen dazu beitragen, das bestehende bärtige Bild von Jahn und damit auch vom Turnen und seiner Geschichte zu verändern.
Der Text meiner Jahnrede von 1968 ist zu finden in: Dieckert, Jürgen: Turnen ist mehr: 40 Jahre lautes Nachdenken. Frankfurt 1995 (ISBN 3 - 929461-27 - 7) S. 42 - 45. [Das Urmanuskript stiftete J. Dieckert nach dieser Rede dem Sportmuseum Berlin, das erste Blatt ist auf der gegenüberliegenden Seite abgebildet.]
Das Jahn-Museum Freyburg von Süden. Oberhalb des Jahnhauses liegt der wieder berebte Haldeckenberg, der von der Familie Lückel bewirtschaftet wird. Fotografiert vom Nordhang an der Bundesstraße 176, vergleiche hierzu die Ansicht auf S. 30 in diesem Band.
Foto: Gerd Steins, 16. August 2013.
JOSEF ULFKOTTE
Die Erfindung des Turnens:
Der Beginn der modernen Turn- und Sportbewegung in Deutschland
Die Gesamtheit der Leibesübungen, die Jahn im Sommer 1811 mit seinen Schülern in der Hasenheide trieb, bezeichnete er als Turnen. Bis 1828 der Reiseschriftsteller Pückler-Muskau den aus dem Englischen stammenden Begriff Sport ins Deutsche übersetzte, hatte das von Jahn erfundene Kunstwort Turnen längst Eingang in die Alltagssprache gefunden. Als Sammelbegriff für die Gesamtheit aller Leibesübungen hat sich in der Folgzeit weltweit die Bezeichnung Sport durchgesetzt, während mit Turnen heute häufig die verschiedenen Disziplinen des Gerätturnens oder gymnastisch-spielerische Formen der im ständigen Wandel begriffenen modernen Bewegungskultur für Menschen jeden Alters und natürlich beiderlei Geschlechts gemeint sind, wie sie etwa der Deutsche Turner-Bund und die ihm angeschlossenen Vereine anbieten. Im Sportwissenschaftlichen Lexikon (7., völlig neu bearb. Aufl., 2003, S. 623) ist nachzulesen, dass das Turnen (German gymnastics) als Ergebnis und System der Deutschen Turnbewegung zusammen mit dem Englischen Sport und der Schwedischen Gymnastik die historische Basis der europäischen Leibesübungen bildet. Diese Charakterisierung betont die Trennung der Systeme, die in der zweiten Hälfte des langen 19. Jahrhunderts bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts miteinander konkurrierten. Als Interessenvertreter einer nationaldeutschen Form der Leibesübungen beschloss die Deutsche Turnerschaft (DT) im Krisenjahr 1923 die reinliche Scheidung des Turnens vom Sport. Diese Entscheidung konnte allerdings den Siegeszug des Sports nicht stoppen, der auch von den Turnern nicht länger aufzuhalten war.
Der alte Jahnsche Turnplatz in der Hasenheide, um 1817. Unten links bezeichnet mit „H Hintze 1819 – 18[38] copirt". Diese Hasenheideansicht wurde 1897 in der Deutschen Turnzeitung (Heft 9, Seite 163) ohne weitere Angaben publiziert, da sie nach Redaktionsschluß eingeliefert wurde. Vermutlich von Johann Heinrich Wilhelm Hintze (geb. 16. 4. 1800 in Berlin, gest. 16. 8. 1861 in Berlin).
Forum für Sportgeschichte, Berlin.
Während der frühere Deutsche Sportbund als Dachorganisation des deutschen Sports noch an die gemeinsame Tradition von Turnen und Sport in Deutschland erinnerte, zeigt der heutige Deutsche Olympische Sportbund daran kein sonderliches Interesse. Diese Haltung suggeriert vordergründig, dass die Turnplatzgründung im Jahre 1811 nichts mit der Herausbildung der modernen Sportbewegung in Deutschland zu tun hat. Tatsächlich hatte aber die Erziehung zur Leistung, die den modernen Sport konstituiert, bereits in der pädagogischen Praxis am Schnepfenthaler Philanthropin einen hohen Stellenwert. Um nur keine Erinnerung an das höfisch-adelige Verhalten um die Gunst bei Hofe aufkommen zu lassen, das zu ständig neuen Bewegungs-Moden und Gebärden geführt hatte, maß GutsMuths die Leistungen seiner Schüler bis auf den Zoll und das Quintlein. Er folgte nicht dem bei Hofe favorisierten Dreiklang hübscher, zierlicher, gefälliger, sondern der aus der Antike entlehnten, auf das bürgerliche Zeitalter und die moderne Turn- und Sportbewegung ausgerichteten Devise citius, altius, fortius. Um den Leistungsfortschritt seiner Schüler objektiv festzustellen, entwickelte er mehrere Messinstrumente, z. B. einen Armkraft-, einen Schubkraft- und einen Stoßkraftmesser. Bei der Zeitmessung, die GutsMuths beim Laufen, Gehen, Hüpfen, Heben und Armhängen anzuwenden versuchte, ergaben sich deshalb Probleme, weil die damals üblichen Taschenuhren die kleinen Zeiteinheiten gar nicht oder nur ungenau angaben. Dennoch gelang es GutsMuths, die Durchschnittsgeschwindigkeit von Dauerläufern in Fuß pro Sekunde bis auf zwei Stellen hinter dem Komma zu berechnen. Die Leistungen der Schüler protokollierte er mit akribischer Genauigkeit. GutsMuths registrierte auch Rekorde. Allerdings interessierten ihn als Pädagogen Spitzenleistungen weniger; viel wichtiger erschien ihm der individuelle Leistungsfortschritt in Relation zur Körpergröße, Konstitution und Veranlagung. Nicht über eine einmalige Leistung sollten sich seine Schüler freuen, sondern über ihre fortschreitende Leistungsentwicklung in einem längeren Zeitraum. Dem Modell der Leistungskonkurrenz, das dem englischen Sport zugrunde lag, erteilte Guts-Muths eine klare Absage. Schulinterne Wettkämpfe, die er in Schnepfenthal anfänglich noch durchführte, wurden mit der Zeit immer seltener. Die Motivation zur Steigerung ihrer körperlichen Leistung sollten seine Schüler nicht aus ihrer Konkurrenz untereinander beziehen, sondern aus ihrer eigenen Leistung, die im Protokollbuch vermerkt war. Dieses Protokollbuch, das als Mittel der philanthropischen Leistungserziehung gewissermaßen ein ununterbrochenes Examen darstellte, sollte die Schüler auf ihr zukünftiges Berufsleben vorbereiten, das sie – ausgehend von einer hohen individuellen Leistungsbereitschaft – erfolgreich gestalten sollten. Um den Leistungswillen der Schüler zu stärken, entwickelte GutsMuths ein differenziertes Prämiensystem.
Im Vorbericht zur Deutschen Turnkunst (1816) erinnerten Jahn/Eiselen dankbar an die Philanthropen GutsMuths und Vieth als ihre Vorarbeiter. Dabei überschätzten sie die Originalität ihrer Erfindung, denn bereits Karl Wassmannsdorff, der ungemein kenntnisreiche und produktive Turnhistoriker des 19. Jahrhunderts, dessen Werk die Sportgeschichte bis heute nicht angemessen gewürdigt hat, erbrachte den unzweifelhaften Nachweis, dass sich die Inhalte des Jahnschen Turnens nicht wesentlich von den Übungen unterschieden, die bereits GutsMuths empfohlen und mit seinen Schülern in Schnepfenthal betrieben hatte. Anknüpfend an die Untersuchung von Eichberg (1978) soll gezeigt werden, dass Jahn den von GutsMuths für den Gymnastikunterricht entwickelten Leistungsbegriff aufgenommen und in sein Turnkonzept integriert hat, sodass seine öffentlich betriebenen Leibesübungen Züge moderner Sportlichkeit annahmen.
Leistungsorientierung und Spezialisierung
Ausschnitt einer Lauf-Rekordliste aus dem Jahr 1794. GutsMuths, J.C.F.: Gymnastik für die Jugend. Schnepfenthal: 1804², S. 198.
Forum für Sportgeschichte, Berlin.
In seinem 1810 veröffentlichten Hauptwerk Deutsches Volksthum bezeichnete Jahn die Leibesübungen als ein Mittel zu einer vollkommenen Volksbildung, die allerdings seit Jahrhunderten vernachlässigt worden seien. Er attestierte dem deutschen Volk einen natürlichen Hang zu allerlei Wettübungen, den man sogar einzuschränken gesucht hat, besonders seit der Zeit, wo die Staatsweisen die Lotterien einführten. Die Vergangenheit idealisierend merkte er an, das wir Deutschen […] sonst die ersten Schützen waren und wir […] die ersten Schwimmer Europas hatten, die Halloren. Und weiter: „In Schlesien […] mußten die Fischer und Schiffer schwimmen lernen. Warum nicht überall? Die Fischer von Kröllwitz bei Giebichenstein hielten immer nach Verlauf von einigen Jahren ein Fischerstechen, eine Art Wasserturnier. […] Warum wird es nicht jeder Fischerzunft zur Pflicht gemacht, solche Wettübungen alljährlich zu halten? zumal wo sie so zahlreich sind, wie in Potsdam und Brandenburg und Damm bei Stettin?" (EJW, 1, S. 271 – 272)
Im Wettkampf sah Jahn ein Mittel zur Stärkung der Volkskraft. Ohne eine entsprechende Leistung und eine dazu erforderliche Leistungsbereitschaft war ein Wettkampf allerdings nicht zu gewinnen.
Schon im Herbst 1812 bildeten die Turnfertigsten und Allgemeingebildetsten eine Art Turnkünstler-Verein zum Zwecke der wissenschaftlichen Erforschung und kunstrechten Begründung des Turnwesens. Aus diesem Turnkünstler-Verein ging 1814 der Turnrat hervor, der Jahn in allen turnerischen Fragen beratend zur Seite stand. Seine besonderen Aufgaben bestanden darin, die turnerische Fachsprache weiterzuentwickeln, die Attraktivität des Turnens durch die Erfindung neuer Übungen zu erhalten und den Leistungsfortschritt der Aktiven zu beobachten. Es wurde entdeckt, erfunden, ersonnen, versucht und vorgemacht, schrieb Jahn 1816 im Vorbericht zur Deutschen Turnkunst. Die permanente Erfindung und Präsentation neuer Übungen im Sinne einer Vermehrung der Bewegungsvielfalt sowie erkennbare Leistungssteigerungen in einzelnen Bereichen haben sicherlich mitbewirkt, dass die Hasenheide auch für Zuschauer in den nächsten Jahren attraktiv blieb.
Wie sehr Jahn an einer Leistungssteigerung gelegen war, belegt auch die Tatsache, dass man bereits 1812 zu zählen begann. „August Thaer, der jüngste Bruder von einem Turnerdrei, brachte damals am Reck bereits 60 Aufschwünge einerlei Art zustande, die in der Folge noch auf hundertzweiunddreißig gestiegen sind". (EJW, 2.1, S. 4) Die hier angedeutete Entwicklung zur Spezialisierung bzw. zum sportlichen Rekord scheint sich auch in anderen Disziplinen durchgesetzt zu haben. Die Turner Pischon und Zenker, die am 13. September 1813 als Mitglieder des Lützowschen Freikorps in der Schlacht an der Göhrde ihr Leben ließen, galten als ausgezeichnete Schwinger. Seinem nach Düsseldorf zur Gründung eines Turnplatzes entsandten Vorturner Zernial schrieb Jahn im Juni 1816: „In Halle wollen sie auch Versuche mit dem Turnen wagen. Von unseren Turnern sind dort: Lister (Gerwerfer), Hofbauer (Stabspringer) und Bergling" (Meyer, 1913, S. 67). Zuvor hatte Jahn seinem Vorturner in Düsseldorf bereits den Namen des fertigen Kletterers Engelhard übermittelt, „ein kleiner Junge aus Plamanns Schule". (Meyer, 1913, S. 65) Spezialisten wollte Jahn 1816 zur Einführung des Turnens nach Neu-Strelitz entsenden, die die Turner vor Ort in kurzer Zeit mit bestimmten Übungen vertraut machen sollten, weil er keinen Vorturner für längere Zeit zur Verfügung stellen konnte. In den Hundstagen wollte er vier Turner schicken, „3 auf 3 Wochen und einen auf 7. Dann soll es wohl flecken: einer am Reck, einer am Barren, einer beim Stabspringen, Gerwerfen und Klettern, der größte beim Schwingen" (Meyer, 1913, S. 84). Einzelne Turner, die durch ihr Können herausragten, waren zugleich Vorbild und Ansporn für die übrigen Turner. Die kontinuierliche Leistungssteigerung war nicht zuletzt eine Folge der Unterteilung der Turnnachmittage in Turnschule und Turnkür. Während die Turnschule darauf abzielte, das allgemeine Fertigkeitsniveau der Turner nach dem Grundsatz vom Leichten zum Schweren allmählich zu steigern, hatten die Turner während der Turnkür die Möglichkeit, an den einzelnen Geräten ständig neue Übungen zu erfinden, neue Übungsverbindungen zusammenzustellen und bis zur Perfektion einzuüben, dem späteren Kunstturnen bzw. dem heutigen Leistungsturnen nicht unähnlich. Heute ist das Pferd-, Reck- und Barrenturnen ein fester Bestandteil internationaler Turnwettkämpfe. Aus dem Blickwinkel eines Hasenheideturners reichte der Könnensstand der Gymnastik-Schüler in Schnepfenthal nicht annähernd an die Leistungen der Berliner Turner heran. Neue Übungen, die auf der Hasenheide bis dahin noch nicht bekannt waren, konnte Jahns Schüler Dürre bei seinem Besuch in Schnepfenthal 1816 jedenfalls nicht ausmachen. (vgl. Neuendorff, o. J., Bd. 2, S. 455) Als Muster oder gar als wirklich ernst zu nehmende Konkurrenz zur Hasenheide wurde das Schnepfenthaler Modell von Jahn und seinen engsten Beratern also spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) angesehen.
Im jugendlichen Wettstreben, das sich seiner Ansicht nach aus dem natürlichen Drang eines jeden Jungen ergab, sah Jahn ein wichtiges Mittel zur Verbesserung