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Japan: Inselreich in Bewegung
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eBook293 Seiten8 Stunden

Japan: Inselreich in Bewegung

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Über dieses E-Book

Von Zen-Gärten, Kirschblüten und Atomkraftwerken.

Ein Inselreich ohne Kontakt zur Außenwelt – das war Japan beinahe 270 Jahre lang. So konnte sich eine ganz eigenständige Kultur und Gesellschaft entwickeln, auf die Japan bis heute stolz ist. Obwohl Japan für viele im Westen immer noch exotisch und fremd scheinen mag, hat es auch viele Facetten eines westlichen Industrielandes. Wie sehen die japanische Gesellschaft, die Wirtschaft und Politik im 21. Jahrhundert aus? Hat sich die Einstellung zur atomaren Energiegewinnung nach Fukushima verändert? Warum wollen viele junge Japaner*innen keine Familien gründen? Die Japan-Spezialistin Judith Brandner spannt den Bogen vom historischen Japan zur heutigen Gesellschaft. Eine spannende Reise in ein dem Westen oft noch unbekanntes Land.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum15. Okt. 2019
ISBN9783701746149
Japan: Inselreich in Bewegung

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    Buchvorschau

    Japan - Judith Brandner

    Öffnung und Aufbruch in die Moderne

    Die »Schwarzen Schiffe« – Japans erzwungene Öffnung

    Es ist Mitte Juli und es hat 37 Grad. Hohe Luftfeuchtigkeit. Mushimushi oder mushiatsui, stöhnt man in Japan, und fächelt und tupft. Und dann bricht ein donnerndes Unwetter los: Kurofune ga kuru – die »Schwarzen Schiffe« kommen. Kommen in den Hafen von Yokohama, in die ehemaligen Dockanlagen, wo ein trendiges neues Stadtviertel entstanden ist. Die »Schwarzen Schiffe« werden in die Veranstaltungshalle »Lagerhaus aus roten Ziegeln Nr. 1«, Akarenga Ichigo-kan Sōko, gezogen, musikalisch angetrieben von Klavier und Stimme und Klarinette, umwogen von einer Tänzerin. Es ist eine künstlerische Performance zu einem einschneidenden und folgenreichen Ereignis in der Geschichte Japans. Kurofune, die fremden Schiffe mit den schwarzen Segeln, unter dem Kommando des amerikanischen Marineoffiziers Commodore Matthew C. Perry, gehörten zur Ostindien-Flotte der USA. Sie erzwangen Mitte des 19. Jahrhunderts die Öffnung Japans, nach seiner fast 250-jährigen Abschottung vom Rest der Welt.

    2009, zum 150-Jahr-Jubiläum seiner Öffnung im Jahr 1859, hat die Stadt Yokohama die beiden japanischen Exil-Künstlerinnen Tawada Yōko und Takase Aki mit einer Darbietung beauftragt. Die Lyrikerin, Schriftstellerin und Sprachkünstlerin Tawada Yōko hat das Gedicht über die »Schwarzen Schiffe«, kurofune ga kuru, geschrieben, die Jazzpianistin Takase Aki hat es vertont. Begleitet werden sie vom französischen Klarinettisten Louis Sclavis und der japanischen Tänzerin Kawaguchi Yui. Die Performance »Spiegelbild – aus Yokohama« passt perfekt an diesen Ort. Yokohama war die erste Stadt in Japan, in der Jazz gespielt worden ist. Von hier aus hat der Jazz seinen Siegeszug über Japan angetreten.

    Zwei erfolglose Versuche, mit den Japanern in Kontakt zu kommen, hatten die amerikanischen Schiffe in den 1850er-Jahren unternommen. Dann wurde Commodore Matthew C. Perry von seiner Regierung beauftragt, eine Expedition nach Japan zu unternehmen, um für die Amerikaner ein Handels- und Niederlassungsrecht in Japan zu erwirken. Mit vier Kriegsschiffen ging er am 8. Juli 1853 in der Bucht von Uraga vor Anker, nahe der damaligen Hauptstadt Edo, dem heutigen Tōkyō. Perry ließ den Japanern ein Jahr Zeit, zu entscheiden. Mit der Ankunft der »Schwarzen Schiffe« 1853 war die Endphase des Tokugawa-Shogunats (bakufu), bakumatsu, angebrochen und das Ende der Edo-Zeit (1600–1867) eingeläutet. Diese Periode dauerte bis zur Übergabe der Herrschaft vom Shogun an den Tenno, 1867.

    1854 gewährte Japan den Amerikanern schließlich das Handels- und Niederlassungsrecht. Am 31. März 1854 unterzeichneten beide Seiten den Vertrag von Kanagawa. Die Häfen Hakodate und Shimoda wurden für die Amerikaner geöffnet. In Shimoda auf der gebirgigen Izu-Halbinsel durfte sich ein amerikanischer Konsul niederlassen – weit abgelegen und entfernt vom übrigen Japan. Hakodate, im Süden der Insel Hokkaido, an der Meeresstraße von Tsuruga, lag ideal für einen Zwischenstopp für die Dampferverbindung zwischen Kalifornien und China und als Zwischenstopp für die amerikanischen Walfangschiffe.⁴ Obwohl der Vertrag von Kanagawa kein Handelsvertrag war, wurde die Meistbegünstigungsklausel (Handelsvorteile, die einem Vertragspartner gewährt worden sind, müssen allen Vertragspartnern gewährleistet werden) mit niedrigen Zöllen darin aufgenommen. Nun gab es kein Zurück in die Isolation. England, Frankreich, Russland und die Niederlande erhielten bald ähnliche Privilegien.⁵

    Die Herrschaft der Tokugawa war ein Feudalsystem mit strengen Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen, mit Zensur und Bespitzelung. Die Überwachung betraf vor allem die oberen Schichten der Krieger und Verwaltungsbeamten in den Städten. In den Dörfern sorgte die Dorfgemeinschaft für Kontrolle. Das Land war in Fürstentümer aufgeteilt, innerhalb derer die Fürsten große Autonomie hatten. Gleichzeitig war die Ära auch eine der längsten Friedensphasen im Land. Die lange Abschottung Japans von der Außenwelt führte zum Entstehen einer einzigartigen, autochthonen Kultur mit regional sehr unterschiedlichen Ausprägungen und formte den Charakter des Landes. Ohne das Wissen um die lange, selbstgewählte Isolation und die erzwungene Öffnung durch die »Schwarzen Schiffe« ist das moderne Japan nicht zu verstehen. Auch wenn heute niemand mehr in Japan beim Anblick von blonden Ausländer*innen erschrocken davonläuft oder mit offenem Mund stehen bleibt, wie es in ländlichen Regionen noch vor dreißig Jahren durchaus der Fall sein konnte, auch wenn Globalisierung und Internet Japan längst durchdrungen haben und Japan längst ein »ganz normaler westlicher Industriestaat« geworden ist, so bleibt das Inselreich in Ostasien doch in vielerlei Hinsicht bis heute yūniku, einzigartig. Und so manchem in Japan gefällt die Betonung der nationalen Einzigartigkeit durchaus.

    Der Druck auf das Tokugawa-Regime war von außen und von innen gekommen. Ereignisse wie die Opiumkriege zwischen China und England im 19. Jahrhundert sorgten für Nervosität in der Region. Im Norden begannen die Russen den Fernen Osten immer mehr zu erforschen und drangen auf den – bis heute zwischen Japan und Russland umstrittenen – Kurilen-Inseln immer weiter nach Süden vor. Russische Schiffe kamen nach Japan und wollten Handelsbeziehungen aufnehmen. Amerikanische und englische Walfangschiffe wollten in Japan anlaufen, um Wasser an Bord zu nehmen oder Lebensmittel zu kaufen. Im Inneren des Landes sorgten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die wirtschaftliche Verarmung der Fürsten, die steigende Unzufriedenheit von Samurais und Kaufleuten mit der unzeitgemäßen, konfuzianisch geprägten Politik des Shogunats sowie Hungersnöte als Folge von Ernteausfällen, Erdbeben und Seuchen für Destabilisierung. Es bildete sich eine zunehmende intellektuelle Opposition gegen das bakufu-Regime. Diese Faktoren führten schließlich zum Verfall der staatlichen Autorität und zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen.

    Kurofune gakuru, kurofune ga kurukuru, kurofune ga kuru … das rollt und rollt und rollt und kommt bedrohlich näher, immer schneller, immer schneller, unaufhaltsam. »Perry hatte keine Erlaubnis von seinem Land, Japan militärisch anzugreifen. Die schwarzen Schiffe mit Kanonen wurden als Installation eingesetzt, die militärische Überlegenheit demonstrieren, aber nicht ausüben sollte. Es hat funktioniert. Heute noch klingen im Wort kurofune die Gefühle mit, die die schwarzen Schiffe bei den Japanern erregt haben könnten: Angst, Unruhe, Neugierde, Wissensdrang und der Ehrgeiz, selber ein größeres Schiff zu bauen«, schreibt Tawada Yōko in ihrem Text »Fremde Wasser«.

    Text und Musik haken sich ineinander wie ein Reißverschluss – so hat ein Kritiker einmal das Zusammenspiel der Jazzpianistin Takase Aki und der Schriftstellerin Tawada Yōko beschrieben. Die rhythmische Sprache Tawada Yōkos und Takase Akis charakteristischer Stil, mit dem sie das Klavier bearbeitet, treten in einen perfekten Dialog und wachsen zu einer symbiotischen Performance zusammen. Die weltberühmte Jazzpianistin und die preisgekrönte Lyrikerin haben einiges gemeinsam, trotz des Altersunterschieds von zwölf Jahren: Beide sind in Japan geboren, Tawada 1960, Takase 1948 in Ōsaka. Beide leben in Deutschland; Takase seit 1988; Tawada kam erstmals 1979 mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Europa und zog dann 1982 zunächst nach Hamburg, später nach Berlin. Beide sind in Deutschland zu einer künstlerischen Freiheit und Ausdrucksintensität gelangt, zu der sie wohl nicht gefunden hätten, wären sie in Japan geblieben, wie sie selbst sagen. Ende der 1990er-Jahre haben sie zueinandergefunden und treten seither immer wieder gemeinsam auf. In Tōkyō könne man viele Kulturen konsumieren, aber es gebe keine wirkliche Begegnung, meint Tawada Yōko, in Europa hingegen habe man viele Sprachen und Kulturen auf kleinem Raum. Tawadas Literatur ist einzigartig, weil sie in zwei Sprachen arbeitet – Deutsch und Japanisch, oft gemischt in einem Werk. Das Fremdsein in Kultur und Sprache ist zentraler Inhalt ihrer Texte. Sie sei die Dichterin der Befremdung, wie ein Kritiker einmal schrieb. Umso passender ist für sie das Thema der Öffnung Japans: »Dass ein Land zum ersten Mal mit einer Fremdkultur in Kontakt kommt, das ist mein Thema.« Auch die Pianistin und Komponistin Takase Aki bewegt sich in zwei Kulturen. Ihre musikalischen Wurzeln liegen in der europäischen Klassik, doch sie hat sich dem Free Jazz verschrieben und mit allen internationalen Jazz-Größen zusammengespielt: Alexander von Schlippenbach, Lester Bowie, David Murray, Rashied Ali oder Evan Parker, um nur einige zu nennen. 1981 wurde sie vom Jazz Festival Berlin eingeladen – und war begeistert von Europa. Europa biete ihr mehr Möglichkeiten und Freiheiten als das in mancher Hinsicht immer noch recht geschlossene Inselland Japan, sagt sie.

    Und tatsächlich bekommt man manchmal den Eindruck, als müsse sich Japan erst der Welt öffnen. Wenn es etwa um die Aufnahme von Flüchtlingen geht (2019 bekamen 42 Menschen in Japan Flüchtlingsstatus zuerkannt, doppelt so viele wie im Jahr zuvor) oder um die Einwanderungspolitik (weniger als zwei Prozent der Bevölkerung sind Ausländer*innen, darunter ein nicht unbeträchtlicher Teil Koreaner*innen, die bereits in Japan geboren wurden). Allerdings dürfte unter dem Druck der demografischen Entwicklung und des Arbeitskräftemangels bei der Immigration einiges in Bewegung kommen. Bis 2025 will die Regierung eine halbe Million Facharbeiter*innen aufnehmen, vor allem in Pflegeberufen.

    Weshalb sich Japan 250 Jahre lang von der übrigen Welt abgeschottet hat, ist bis heute nicht völlig klar. Zum einen setzte der Tokugawa-Clan alles daran, seine Machtposition im Inneren zu sichern. Ganz Japan sei ein Polizeistaat gewesen, in dem sich die Leute gegenseitig überwachten und zusätzlich von oben überwacht wurden, schreibt der Japanologe Sepp Linhart. Da sei es nur logisch, dass sich das Regime des Tokugawa-bakufu bald dazu entschloss, auch den Verkehr mit dem Ausland einzustellen oder auf ein Mindestmaß zu beschränken, um nicht von dort Unruhe in die von ihm geschaffene Ordnungsstruktur eindringen zu lassen.⁷ Gleichzeitig zu den Wirren im Inneren, wie der Japanologe Josef Kreiner formuliert⁸, sei Japan auch vor entscheidenden außenpolitischen Entwicklungen gestanden, wo es darum gegangen sei, sich entweder in die von China als Hegemonialmacht dominierte zwischenstaatliche Ordnung Ostasiens, das sogenannte Tributsystem, einzufügen, oder zu versuchen, China militärisch auszuschalten. Als beides nicht gelang, habe Japan den dritten Weg, den der Landesabschließung, gewählt, so Kreiner. Auch die Angst vor Kolonialisierung und christlicher Missionierung dürfte wesentlich zur Abschließung des Landes beigetragen haben, obwohl es nie einen echten Kolonialisierungsversuch Japans gegeben hat. (Heute ist nur rund ein Prozent der Bevölkerung christlich.)

    1494 steckten Spanien und Portugal im Vertrag von Tordesillas ihre Interessensphären in Übersee ab. Rund ein halbes Jahrhundert später trafen die ersten portugiesischen Missionare in Japan ein. Sie folgten den portugiesischen Händlern, die von Macao aus nach Japan kamen. Bald nach den Portugiesen kamen spanische Missionare nach Japan. Zu diesen nanban, den Barbaren aus dem Süden, gesellten sich bald die kōmō, die Rothaarigen – Holländer und Engländer. Das Christentum wurde in Japan zunächst als eine Art neue Sekte betrachtet – nichts Ungewöhnliches in einem Land, in dem mit Shintōismus und Buddhismus zwei Religionen friedlich nebeneinander existieren und sich ergänzen. Manche daimyō, Fürsten, traten sogar zum Christentum über, weil sie sich lukrative Handelsbeziehungen erwarteten.

    Der Jesuit Francisco de Xavier war der erste ausländische Missionar, der Mitte des 16. Jahrhunderts nach Japan kam, und er war sehr angetan: »Dieses Volk ist weitaus das höchststehende von allen neu entdeckten Ländern der Welt; und ich wüsste nicht, welches andere heidnische Volk sich mit den Japanern messen könnte. Sie sind, im Allgemeinen, durchaus gut veranlagt, frei von Bosheit und sehr freundlich im Umgang.« In Xaviers Charakterisierung der Japaner spiegelt sich seine eigene Herkunft wider, wenn er lobt: »Sie sind mäßig im Essen. Sie spielen nie. Ein großer Teil des Volkes kann lesen und schreiben. Sie haben nicht mehr als ein Weib. Es ist ein Land, in dem es wenige Diebe gibt.«

    In Japan war diese erste Phase der Kontakte mit Europa im 16. Jahrhundert eine kriegerische Zeit. Es gab keine Zentralregierung, das Land war in einzelne kleine Reiche von Regionalfürsten aufgeteilt, die sich gegenseitig bekämpften. Eine neue Gesellschaft der Krieger war entstanden, die Samurais waren an der Macht. Es wurde gekämpft und gemordet. Diese allgemeine Unsicherheit konnten die Missionare für ihren Zweck ausnützen. Aus dem Stützpunkt Goa in Indien kamen weitere Jesuiten nach Japan. Doch zunehmend zeigte sich die Intoleranz der neuen Lehre. Alte und neue Christen feierten den Sieg über die Götter Japans, indem sie die heiligen Schriften, Bilder und Figuren des »Buddhistengottes« verbrannten, die eifrige Patres und neu getaufte Christen in Strohsäcken aus den Tempeln an den Strand geschleppt und angezündet hatten.¹⁰

    Allmählich stieg das Misstrauen der japanischen Machthaber gegenüber den Christen, für die nicht der Shogun, sondern Papst und Gott oberste Autoritäten waren. Man befürchtete, dass die Missionare Waffen ins Land schmuggeln würden. Im späteren 16. Jahrhundert beendeten die drei Reichseiniger, die Krieger Oda Nobunaga, Toyotomi Hideyoshi und Tokugawa Ieyasu, den seit rund einhundert Jahren andauernden Bürgerkrieg im Land. Aus der entscheidenden Schlacht bei Sekigahara 1600 ging Tokugawa Ieyasu erfolgreich hervor. Der dritte Reichseiniger wurde zum neuen Shogun. Der Tokugawa-Clan beherrschte das Land die gesamte Edo-Zeit lang. Die Tokugawa ließen schließlich alle Missionare des Landes verweisen und das Christentum verbieten. Christen wurden verfolgt und hingerichtet. Japanische Historiker schätzen, dass zwischen 1614 und 1635 mehr als 280 000 Christen infolge der Anti-Christen-Gesetze getötet wurden. Hand in Hand mit dem Ende der Mission ging das Ende des portugiesisch-japanischen Handels. Nach einer Rebellion von Landarbeitern und Bauern wurden die Portugiesen als Drahtzieher verdächtigt und des Landes verwiesen. Eine günstige Entwicklung für die Niederländer. Sie durften als einzige ausländische Nation bleiben, da sie keine Missionare geschickt hatten. Rund 250 Jahre lang waren sie die einzigen Vermittler zwischen Europa und Japan. In Form eines entfalteten Fächers errichteten die Japaner vor Nagasaki die künstliche Insel Dejima als Enklave für die Ausländer, die dort unter strenger Überwachung standen.

    Die Abschottung war nicht ganz lückenlos. Der Handel mit China blieb weiterhin aufrecht. Auf Dejima durften auch europäische Wissenschaftler leben und arbeiten, die den Westen (im Tempo der damaligen Zeit) mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über Japan versorgten. Umgekehrt brachten sie über ihre japanischen Dolmetscher und andere Kontaktpersonen europäisches Wissen nach Japan: westliche Medizin, Naturgeschichte oder die niederländische Sprache, Arzneikunde, Astronomie oder Mathematik.

    Die Werke von Engelbert Kaempfer, Carl Peter Thunberg oder Philip Franz von Siebold sind als frühe Quellen bis heute für die Japanforschung von großer Bedeutung. Engelbert Kaempfer, Arzt und Naturforscher im Dienste der Niederländisch-Ostindischen Kompanie, kam in den 1690er-Jahren nach Japan. Er war als Arzt für die Gesundheit der Niederländer in Dejima zuständig. Die europäischen Ärzte waren angesehen und hatten Kontakt zu japanischen Patienten und Kollegen. Dadurch waren ihnen kleine Einblicke in die Gesellschaft möglich, die den Händlern durch das rigide Überwachungssystem verwehrt blieben. Auch Kaempfer war zwar der Kontrolle unterworfen und wurde ständig begleitet und überwacht. Sein Glück war es jedoch, dass er einen Assistenten zugeteilt bekam, der ihm bei seinen Forschungen behilflich war. Der versorgte ihn heimlich mit diversen Materialien und Büchern, auf deren Basis er seine Berichte über Japan zusammenstellen konnte. Kaempfer sammelte Pflanzen und Heilmittel, beschrieb mehr als 420 Pflanzen, forschte über Akupunktur und Moxibustion, fertigte kartografische Skizzen an, ließ Bücher übersetzen, beschrieb Delikatessen der japanischen Küche und notierte die japanischen Bezeichnungen zahlreicher Pflanzen. Daraus entstanden zwei Bände der »Geschichte und Beschreibung von Japan«, die jedoch erst 1777 und 1779 erscheinen konnten, lange nach Kaempfers Tod. Seine Schriften prägen das europäische Japanbild des 18. Jahrhunderts und dienten bis ins frühe 19. Jahrhundert vielen Forschungsreisenden als Referenzwerke, vor allem über Natur- und Landeskunde.

    1775 kam der schwedische Arzt und Naturforscher Carl Peter Thunberg nach Japan, auch er im Dienste der Niederländisch-Ostindischen Kompanie. Auch Thunberg musste sich strikt an die Regeln des bakufu halten und konnte nur unter Schwierigkeiten forschen. Trotzdem konnte auch er als Ergebnis seines zweijährigen Aufenthaltes ausführliche Berichte über Flora und Fauna Japans vorlegen. 1784 erschien in Leipzig seine »Flora Japonica«, sein wichtigstes Werk, in dem mehr als 750 Pflanzen beschrieben sind. Dem folgte die »Fauna Japonica« mit der Beschreibung von 330 Tieren.

    1823 reiste mit dem Würzburger Arzt Philip Franz von Siebold ein weiterer junger Wissenschaftler nach Japan, dessen Forschungen berühmt wurden. Siebold kam im Auftrag des niederländischen Kolonialministeriums und sollte den darniederliegenden Handel mit Japan wieder in Gang bringen. Er war der Leibarzt des Direktors des niederländischen Residenten in Japan und hatte vom Generalgouverneur von Niederländisch-Indien in Batavia den Geheimauftrag, Japan zu erforschen. Siebold erwirkte sich bald den Ruf eines Wunderdoktors, hielt Vorträge und Vorlesungen, richtete in Nagasaki eine medizinische Fakultät ein und gab Demonstrationen seiner ärztlichen Kunst. Studenten und Patienten versorgten ihn mit Pflanzen, Tieren, Aufsätzen, Büchern, Karten, Waffen, Wetterbeobachtungen oder geografischen Beschreibungen. Das geheime Kartenmaterial über Japan, das ihm zugetragen wurde, wurde ihm und seinen Verbindungsleuten schließlich zum Verhängnis. Rund fünfzig Japaner wurden seinetwegen inhaftiert, einige starben. Siebold wurde auf Lebzeiten verbannt. Aus Batavia schrieb er in einem Brief an seine Mutter, er sei glücklich aus Japan entkommen, und fügte hinzu: »Nichts ist für die Wissenschaft verloren gegangen.« 1830 war Siebold wieder in Europa. Da er für sein großes Werk »Nippon. Archiv zur Beschreibung Japans« keinen Verleger fand, ließ er es auf eigene Kosten drucken.

    1868 begann mit der Meiji-Restauration eine neue Epoche in Japan. Die Macht des Tenno wurde gestärkt, das Shogunat, das Feudalsystem und damit die feudalen Stände, wurde abgeschafft. Paradoxerweise habe das, was heute als modernes Jahrhundert Japans bezeichnet werde, mit einer Rebellion von Führern begonnen, die die gute alte Zeit wiederherstellen wollten, indem sie dem Tenno wieder jene Position zu geben trachteten, wie er sie höchstens in der Nara-Zeit (7., 8. Jahrhundert) innegehabt hatte, analysiert der Japanologe Sepp Linhart¹¹. Der Tenno mit seiner absolutistischen Macht thronte an der Spitze der neuen Hierarchie. Die Gruppe kaisertreuer Samurais, die den Kaiser zurück an die Macht brachten, wollte Japan weiterhin abgeschottet halten. Ihr Slogan »Vertreibt die Barbaren!« war aber nicht lange aufrechtzuerhalten. Im Gegenteil: Die »Barbaren« wurden bald als Lehrmeister ins Land geholt, um Japan zu modernisieren. Japan erfand sich neu.

    Das einstige Fischerdorf Yokohama, wo vor 160 Jahren die »Schwarzen Schiffe« einliefen, ist heute die zweitgrößte Stadt Japans, ein zentraler Umschlagplatz für den internationalen Handel und eine der wichtigsten Industriestädte.

    Aufbruch Japans in die Moderne mit großer Besetzung. Der Besuch der Iwakura-Gesandtschaft im Westen

    Am 23. Dezember 1871 bricht eine hochrangige japanische Delegation von Yokohama in den Westen auf. Nach der Öffnung aus der langen Isolation will Japan nun endlich »die westliche Zivilisation« kennenlernen, sich Know-how für die Modernisierung des Landes sichern und vor allem auch eine Revision der ungleichen Handelsverträge erreichen, in die es gezwungen worden ist.

    Angeführt vom außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter, Vizeministerpräsident Iwakura Tomomi, nach dem die Mission benannt ist, reist die Hälfte der Regierung zu zwölf westlichen Vertragsstaaten. Dass fast die gesamte Führungsspitze der Meiji-Regierung mitreist, um sich ein Bild davon zu machen, wie Modernisierung wirkt, zeige die große Bedeutung, die Japan dem Aufholprozess gegenüber dem Westen beigemessen habe, analysiert der Japanologe und Historiker Peter Pantzer.

    Die Delegation besteht aus mehr als vierzig Personen – dem Staatsrat für Justiz, dem Finanzminister, dem Bauten- und dem Vizeaußenminister, hochrangigen Regierungsbeamten, Gelehrten und Student*innen. Mit dabei auch der Chronist Kume Kunitake (1839–1932), dessen Logbuch wir das Wissen über die Erkundungsreise verdanken. Bildungswesen, Rechtswissenschaften, Medizin, Heereswesen, Industrie und Technik – auf vielen Gebieten erhofft sich die japanische Delegation neue Erkenntnisse, die die Modernisierung und Entwicklung ihres Landes voranbringen sollen. Als die Delegation ihre Reise antritt, gab es in Japan noch keine allgemein zugänglichen Universitäten oder standardisierte Ausbildungsstätten. Doch das Bildungsniveau war relativ hoch, weshalb die Modernisierung später dann auch so rasch greifen konnte: Es gab Tempelschulen auf dem Land; die Kinder der daimyō, der Fürsten, erhielten Privatunterricht; die Kinder der Samurais wurden in Gruppen der feudalen Clans unterrichtet. Schwerpunkt des Unterrichts lag auf dem Lesen der chinesischen Klassiker und konfuzianischer Schriften, auf Kalligrafie und Waffenunterricht. In den Städten existierten eigene Leihbibliotheken für Dienstboten, was Rückschlüsse auf den Alphabetisierungsgrad zulässt. Die allgemeine Schulpflicht für alle Schichten wurde dann nach 1868 eingeführt.

    Vor der großen Erkundungsreise nach Europa und in die USA gab es noch keine Eisenbahn in Japan. Umso begeisterter ist die Iwakura-Gesandtschaft von der Bahnverbindung zwischen San Francisco und New York, aber auch von der Bergbahn über den Semmering in Österreich. Die Reiseroute führt über die USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Russland, Deutschland, Dänemark, Schweden, Bayern, Italien und die Schweiz. Im Mai 1873 trifft die Gesandtschaft in Österreich-Ungarn ein.

    Gemeinsam mit einem Team von Übersetzer*innen hat Peter Pantzer die Passagen von Kume Kunitakes Reisebericht über Deutschland, Österreich und die Schweiz ins Deutsche übersetzt und sich damit einen langjährigen Traum erfüllt: 1968 entdeckte er als junger Student den fünfbändigen Reisebericht in einem Antiquariat in Tōkyō und war davon fasziniert. Doch erst 25 Jahre später erschien seine Übersetzung ins Deutsche, Die Iwakura-Mission,

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