Produktion und Logistik: Die wichtigsten Methoden
Von Christian Mieke und Michael Nagel
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Über dieses E-Book
Das kompakte Buch richtet sich an Entscheidungsträger in den Bereichen Produktions- und Logistikmanagement sowie an künftige Führungskräfte.
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Buchvorschau
Produktion und Logistik - Christian Mieke
Stichwortverzeichnis
1 Beschaffung und Logistik
Beschaffung und Logistik sind betriebliche Funktionen, die anders als die Produktion nicht als originär wertschöpfend gelten. Sie ermöglichen jedoch durch ihr Wirken erst effektive und effiziente Wertschöpfungsprozesse. Die alte Kaufmannsweisheit „im Einkauf liegt der Gewinn" erhält angesichts sinkender Wertschöpfungstiefen in zahlreichen Branchen zunehmende Bedeutung.¹ Metatrends wie Individualisierung, Globalisierung und Innovationswettbewerb haben zu verstärkter Professionalisierung der Einkaufsaktivitäten und zur Perspektivenerweiterung geführt. Die Unternehmensfunktionen Beschaffung oder Einkauf organisieren die Versorgung des Unternehmens mit Objekten, die das Unternehmen nicht selbst erzeugt.² Im weitesten Sinne kann auch die Beschaffung von Mitarbeitern und Kapital dazu gerechnet werden, wenngleich üblicherweise die Versorgung mit Produktionsmaterial – also mit Rohstoffen, Hilfsstoffen und Vorprodukten – als Kernaufgabe der betrieblichen Beschaffung gesehen wird. Ergänzend fallen sowohl Investitionsgüter wie Maschinen und Anlagen als auch Betriebsstoffe und produktionsnahe Dienstleistungen sowie Rechte in den Aufgabenbereich.
Die Unternehmensfunktion Logistik befasst sich mit der Planung, Steuerung und Überwachung der Material-, Personen-, Energie- und Informationsflüsse in Systemen.³ Als Systeme werden Werkhallen und Unternehmen, aber auch ganze Lieferketten verstanden. Das Hauptaugenmerk dürfte bei produzierenden Unternehmen auch im Bereich der Materialflüsse liegen. Unternehmensintern betrachtet man beispielsweise, auf welche Art Materialien von einer Bearbeitungsstation zur nächsten gelangen und an welchen Orten Lagerplätze vorgehalten werden. Hierfür muss man zum Beispiel geeignete Transport- und Transporthilfsmittel bereitstellen. Unternehmensübergreifend wird der Austausch von Waren organisiert – Beschaffungsobjekte müssen von den Lieferanten zum weiterverarbeitenden Unternehmen gelangen, Fertigwaren sollen zu Händlern oder Kunden gebracht werden. Dafür plant die Logistikabteilung geeignete Verkehrsmittel und Routen. Wegen der Unterschiedlichkeit der Anforderungen der Logistikobjekte und daraus resultierender spezifischer Konzepte wird die Logistik für gewöhnlich in Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Entsorgungslogistik gegliedert,⁴ wenngleich das Grundverständnis und die jeweiligen Zielgrößen nahezu identisch sind.
Den Aktivitäten der Beschaffungslogistik gehen die Einkaufstätigkeiten voraus. Die Einkaufsabteilung beobachtet Beschaffungsmärkte, die alle Anbieter eines zu beschaffenden Gutes und Anbieter für Substitutionsprodukte des zu beschaffenden Gutes umfassen.⁵ Aufkommende Trends wie Verknappungstendenzen, Preisveränderungen, Anbieterkonzentrationen oder das Entstehen von Substituten müssen analysiert und hinsichtlich der Bedeutung für das eigene Unternehmen bewertet werden. Ebenso muss der Einkauf unternehmensintern Beschaffungsbedarfe ermitteln. In Abstimmung mit den Forschungs- und Entwicklungs-, Produktions-, Logistik-, Qualitätssicherungs- und Controlling-Abteilungen werden Beschaffungsanforderungen wie Art und Qualität des Materials, Lieferfähigkeit des Lieferanten, Beschaffungs-volumina und weitere Größen definiert. Schließlich erarbeitet die Beschaffungsabteilung ein Bündel von Beschaffungsoptionen, das bestehende Quellen absichert, neue einbezieht und dem Unternehmen adäquate Marktmacht im Beschaffungskontext verschafft.⁶ Eine wichtige Aufgabe besteht in der Definition von Beschaffungsstrategien, die als Handlungskorridore auf dem Weg zur Zielerreichung dienen. Abbildung 1 macht deutlich, dass sich Beschaffungsstrategien im Allgemeinen auf mehrere Dimensionen beziehen.⁷
Abbildung 1: Beschaffungsstrategien
Die Strategie zur Definition des Trägers der Wertschöpfung umfasst Entscheidungen, für welche Bauteile und Baugruppen man Eigenerstellung und für welche Fremdbezug anstrebt. Diese Entscheidung trifft die Beschaffungsabteilung nicht isoliert, sondern in enger Abstimmung mit der Unternehmensleitung und der Produktionsabteilung. Dabei wird man insbesondere strategische Aspekte sowie Kosten und Risiken berücksichtigen. Bei den Überlegungen zur Festlegung der Anzahl von Bezugsquellen für einzelne Beschaffungsobjekte müssen Bündelungseffekte und langfristiger Vertrauensaufbau einerseits und Risikostreuung und Erhalt der eigenen Marktmacht andererseits gegeneinander abgewogen werden. Hinsichtlich der Komplexität des Inputs prüft der Einkauf, ob es vorteilhafter ist, Einzelteile zu beschaffen oder vorgefertigte Module vom Lieferanten zu beziehen. Bei den Strategien zur Bereitstellungsart besteht die Wahl zwischen Beschaffung auf Lager oder Just-in-time-Beschaffung. Hinsichtlich der Größe des Marktraumes wählt der Einkauf zwischen lokaler, regionaler, nationaler oder globaler Beschaffung der Rohstoffe und Vorprodukte. Durch die Entscheidungen des Einkaufs und die strategischen Rahmenbedingungen werden wesentliche Restriktionen für die Beschaffungslogistik gesetzt.⁸ Beschafft ein deutsches Unternehmen im Rahmen einer global angelegten Beschaffungsstrategie Vorprodukte zum Beispiel in Asien, hat die Logistik die Überbrückung großer Distanzen unter Nutzung verschiedener Verkehrsmittel zu organisieren. Eine andere Situation würde sich ergeben, wenn der Lieferant im Nachbarort beheimatet wäre. Vorgefertigte Module erfordern andere Transporthilfsmittel als Einzelteile. Eine Beschaffung auf Lager bedingt die Verfügbarkeit von Lagerplatz und lagertechnischer Infrastruktur, während die Realisierung von Just-in-time-Beschaffung sichere Transportketten voraussetzt. Diese Beispiele zu möglichen Auswirkungen der Beschaffungsstrategien auf die Logistik verdeutlichen die Kernaufgaben und primären Zielgrößen der Logistik, die sich insbesondere mit dem Transport, dem Umschlag und der Lagerung von Objekten befasst.
Abbildung 2: Lieferkette
Das bedeutet, dass man neben den bereits angesprochenen Transportaktivitäten auch die Lagerplanung und Lagerbewirtschaftung und das Umschlagen und Kommissionieren von Waren berücksichtigen muss – häufig als TUL-Logistik abgekürzt.⁹ Wie in Abbildung 2 dargestellt, obliegt der Logistik wegen ihrer Kopplungsfunktion zwischen Systemen zunehmend auch die Koordination von Aktivitäten ganzer Lieferketten im Rahmen des so genannten Supply Chain Managements. Der Ansatz des Supply Chain Managements zielt auf die Verbesserung der Versorgung, auf die Erhöhung der Kundenorientierung, auf die Reduktion der Bestände und auf die Ausweitung des Flexibilitätsniveaus durch abgestimmte Planung und passfähiges Agieren der Mitglieder in einer Wertschöpfungskette.¹⁰ Dabei ist in der Regel nicht von einer Ketten-, sondern eher von einer Netzstruktur auszugehen. Daher wird gelegentlich – wie in Abbildung 3 illustriert – vom so genannten Demand Net Management gesprochen. Die Logistik beansprucht zunehmend – obwohl innerhalb der Unternehmensfunktionen eindeutig eine Sekundär- und Unterstützungsfunktion – eine Führungsrolle.¹¹
Abbildung 3: Demand Net Management¹²
Beschaffung und Logistik benötigen betriebswirtschaftliche Methoden, die es ihnen erlauben, Einkaufspreisreduktionen und Kostensenkungen zu initiieren, Versorgungssicherheit herzustellen, fähige Lieferanten zu finden und aufzubauen, Innovationsimpulse aus dem Beschaffungsmarkt zu organisieren und durch flexible Beschaffungsquellen die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens zu optimieren.
1.1 Make-or-Buy-Entscheidung
Problemstellung: Entscheidung über Eigenfertigung oder Fremdbezug von Bauteilen im Rahmen von Überlegungen zur Konzentration auf Kernkompetenzen und Kostensenkungen
Zielgruppe: Geschäftsführer, Produktionsleiter, Beschaffungsleiter, Logistiker
Voraussetzungen: Kenntnis der Unternehmensstrategie, Informationen über Kosten der Eigenerstellung und des Fremdbezugs und Übersicht über verfügbare Ressourcen
Zielsetzung der Make-or-Buy-Entscheidung
In Make-or-Buy-Entscheidungsprozessen soll analysiert werden, welche Variante der Verfügbarmachung bestimmter Artefakte vor dem Hintergrund der Unternehmensziele und der konkreten Umfeldbedingungen die betriebswirtschaftlich sinnvolle Alternative darstellt. Diese Entscheidungen werden üblicherweise nach Neuproduktentwicklungen, aber auch vor dem Hintergrund der Produktionsoptimierung und der damit verbundenen Festlegung der Wertschöpfungstiefe, wie auch im Beschaffungswesen im Kontext von Kostenreduktionsbemühungen und der Schaffung einer sicheren Versorgungssituation getroffen. Die Grundfrage lautet: Sollen bestimmte Komponenten, Module oder Systeme, die in ein Produkt des Unternehmens eingehen, selbst produziert oder bei Zulieferunternehmen gekauft werden?¹³ Prinzipiell muss man diese Frage für jedes Bauteil und jede Baugruppe wie auch für die Montage des Gesamtproduktes beantworten. Im einen Extremfall können Make-or-Buy-Entscheidungen dazu führen, dass Unternehmen nicht mehr selbst produzieren, da der Zukauf der Gesamtprodukte die günstigste Lösung darstellt. In der Praxis findet man immer wieder Unternehmen, die ihre Kernkompetenzen im Bereich der Produktentwicklung und Produktvermarktung haben und demnach die Produktion zur Gänze einstellen. Im anderen Extremfall – wenn alle Fragen mit „Make" beantwortet werden – entstehen Unternehmen mit ausgeprägter Fertigungstiefe, die alle Produktionsschritte selbst ausführen und möglicherweise lediglich Rohstoffe von Gewinnungsunternehmen beziehen. Die meisten Unternehmen weisen eine mittlere Fertigungstiefe mit gewissen Tendenzen zur Verringerung auf. Sie kaufen Vorprodukte und verarbeiten diese zu Endprodukten weiter. Insgesamt zielen gewinnorientierte Unternehmen darauf ab, die für sie optimale Balance aus Zukauf und Eigenerstellung zu ermitteln.
Beschreibung der Make-or-Buy-Entscheidung
Häufig ist zu hören, dass bei der Ermittlung von Eigenerstellung oder Fremdbezug die kostengünstigste Variante gesucht wird. Diese Sichtweise beleuchtet einen wichtigen Aspekt, greift aber insgesamt zu kurz. Die Entscheidung sollte man von einer Vielzahl von Kriterien abhängig machen, die häufig nicht vollständig monetarisierbar, dennoch aber von hoher Relevanz sind. So sollte man neben der Kostenhöhe¹⁴ beispielsweise auch folgende Kriterien berücksichtigen:¹⁵
Art der Kernkompetenzen,
Höhe der Produktionskapazität,
Höhe des Kapitalbedarfs,
Regelmäßigkeit des Bedarfs der Objekte,
Verfügbarkeit potenzieller Lieferanten,
Verhandlungsposition am Markt,
Abhängigkeit von etwaigen Lieferanten.
Diese Kriterienliste verdeutlicht die dem Entscheidungsproblem innewohnende strategische Dimension. So wird man Unternehmen nicht empfehlen, trotz geringerer Kosten, die Zukaufvariante zu wählen, wenn sie sich dadurch in eine einseitige Abhängigkeit von einem Lieferanten begeben, wenn keine Alternativlieferanten existieren und wenn das zu beschaffende Bauteil eine Kernkomponente des zu erstellenden Produktes darstellt. In dieser Situation wird der Lieferant seine starke Stellung ausnutzen und – vielleicht mit etwas Zeitverzögerung – Preise und Konditionen diktieren. Das beschriebene Szenario