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Im Namen des Vaters
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eBook104 Seiten1 Stunde

Im Namen des Vaters

Von Balla

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Über dieses E-Book

Balla wird aufgrund seiner Vorliebe für groteske und absurde Alltagssituationen oft als der "slowakische Kafka" bezeichnet. "Im Namen des Vaters" ist der Rückblick eines namenlosen Erzählers auf sein Leben, seine gescheiterten Beziehungen zu seinen Eltern, den Söhnen, das notorische Fremdgehen, das Zerbrechen seiner Ehe und den Wahnsinn seiner Frau. Mit schwarzem Humor und Ironie versucht er, seiner tragikomischen Situation zu entkommen, doch vor dem Hintergrund des grauen, banalen Kleinstadtlebens schafft er es nicht, gegen "das Ding" anzukommen, das im Keller des von ihm und seinem Bruder erbauten Hauses wächst. Das Buch wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem 2012 mit dem renommiertesten slowakischen Buchpreis "Anasoft Litera".
SpracheDeutsch
HerausgeberWieser Verlag
Erscheinungsdatum31. Okt. 2019
ISBN9783990471050
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    Buchvorschau

    Im Namen des Vaters - Balla

    Einfamilienhauses.

    Ich ging zum Kinderarzt, obwohl ich bereits 20 Jahre alt und gerade bei der Armee war. Die Krankenschwester betonte, der Doktor dürfe mich keinesfalls in Uniform sehen, denn es würde ihn wütend machen: »Er hasst Soldaten, Polizisten, Eisenbahner und Krankenschwestern. Darum trage ich auch keine Schwesternuniform«, plapperte sie. Warum war ich überhaupt dahin gegangen? Ich schließe nicht aus, dass ich das nur geträumt habe, irgendwann 1963 oder noch ein Jahr früher. Kurz gesagt, es ging mir schlecht. Ich trat zum Arzt ins Sprechzimmer und mein Blick fiel auf seine Hände. An der rechten fehlten ihm Zeige- und Mittelfinger.

    »Also, was haben wir?«, fragte er.

    Dann entschied er sich, meine Hoden zu untersuchen, begann sie abzutasten und sagte etwas, was sich später als wesentlich herausstellen sollte: »Keine Kinder zeugen, Genosse! Keine Kinder, denn Sie zeugen ein Monster.«

    Ich wartete ab, was weiter passieren würde.

    Der Doktor fuhr fort: »Wenn Sie aber eine Frau heiraten, die weichlich, schwach und kränklich ist, ihr schon mit dreißig die Zähne ausfallen und die Haare dünn werden, was bei jungen Frauen eher selten vorkommt, dann wird sich das auf das von Ihnen gezeugte Monster sehr auswirken. Ein feiger Mensch wird geboren. So einer, der in seinem Inneren ein Monster ist, das aber nach außen hin verborgen hält. Tu das niemandem an, Junge!«

    Warnend hob er den Zeigefinger der rechten Hand.

    Also fehlte ihm der Zeigefinger gar nicht.

    Ich saß auf dem kalten Igelit, mit dem die weiße Liege im Sprechzimmer bezogen war, mein Schwanz hing herunter, meine Eier ruhten immer noch in der Hand des Arztes. Schätzend prüfte er ihr Gewicht.

    »Aber vielleicht«, murmelte er, »vielleicht haben wir Glück und du bist am Ende unfruchtbar. Denn eines der Eier scheint nicht richtig entwickelt zu sein … irgendwie zurückgeblieben … ein schüchternes, winziges, süßes kleines Ei.« Er zerrte an meinen Eiern und gab mir eine Ohrfeige: »Wehe du fickst, verstanden?!«

    In einem Reflex trat ich ihm ins Gesicht, es war eher ein Krampfen als eine aggressive Vergeltung. Hastig schlüpfte ich in meine Unterhose und flüchtete aus dem Sprechzimmer. Vom Linoleumfußboden aus, wo er nach dem Tritt liegen geblieben war, schrie er mir hinterher: »Ich weiß auch so, dass du Soldat bist! Als ob ich das nicht sowieso alles über dich in meinen Papieren habe?! Du hast einen Arzt angegriffen! Dafür sperren sie dich weg!«

    Ich rannte davon und mit einem Mal fiel mir ein, dass ich eine solche Frau kannte.

    Genau so eine, über die der Doktor gesprochen hatte.

    Der Sohn meldete sich bei mir, er wolle sein Elternhaus verkaufen. Die Hälfte des Hauses gehörte noch immer mir. Eigentlich nicht, es war anders: Eine junge Frau rief an, die das Haus von meinem Sohn kaufen wollte. Mein Sohn habe sich bestimmt nicht bei mir gemeldet. Der würde mich nicht einmal grüßen. Ich rede von meinem jüngeren Sohn. Der ältere ist anders, aber der ist weggezogen und nicht mal seine Adresse hat er dagelassen.

    Auch ich hatte einmal einen Vater. Ich glaube, er war Förster. Ihm waren vom Staat ein Karren und ein Pferd zugeteilt worden. Einmal hat er mich mitgenommen, bis heute höre ich das Zischen der Peitsche, ein kurzes, scharfes Geräusch. Der Uferdamm war holprig, wir wurden durchgeschüttelt, Vater machte schmatzende Laute, ab und zu spuckte er aus, dann zeigte er plötzlich auf den Wald beim Fluss und sagte: »Das habe ich alles allein gepflanzt.«

    Der Karren bog vom Uferdamm ab und rumpelte zum Waldrand hinunter. Ich sprang ins Gras und blickte meinen Vater von unten an. Er war nicht alt. Ich habe mich immer sehr vor dem Altern gefürchtet. Und dabei konnte ich mir damals noch gar nicht vorstellen, wie es ihm im Alter ergehen würde: Nach und nach wurden ihm die Beine abgenommen, Zuckerkrankheit, Hinfälligkeit. Meine Mutter hatte ihn dann völlig in der Hand. Zwischen den Bäumen wuchsen Büsche, einige waren krank, mit verfaulten Ästen. Darunter schimmerten die Rücken von Amphibien. Glänzende Feuchtigkeit. Der Vater stieg langsam herunter und tätschelte dem Pferd das Hinterteil. Er mochte es mehr als mich, aber ich beschwere mich nicht, ich möchte diese Geschichte nicht allzu ernst nehmen.

    »Idefigyelj«, hör zu, sagte meine Mutter zehn Jahre später auf Ungarisch zu meinem Vater, »beweg dich, du musst schon mitmachen«, wiederholte sie, als sie ihn auf seinem hohen Krankenbett auf die andere Seite drehte.

    Wasser bis zu den Knien, Überschwemmungsgebiet. Riesige Mücken schlüpften dort und flogen in Schwärmen Richtung Stadt. Der Vater beruhigte das wiehernde Pferd. Wir gingen tiefer in den Wald.

    »Adok én neked«, dir werde ich es zeigen, schnaufte die Mutter, wenn sie den Vater umdrehte.

    »József«, sagte sie in vorwurfsvollem Ton.

    »Idefigyelj, Ilonka«, begann sie später die Gespräche mit meiner Frau, meine Mutter bemühte sich um ihre Aufmerksamkeit, obwohl sie Frauen nicht mochte. Männer hatte sie lieber, da die ihr zuhörten, wenn sie redete, wenigstens sahen sie so aus, Frauen aber nicht, die sagten das nur so, während sie mit ihnen redete, dass sie zuhörten. »Ich höre, Marika«, sagten sie, aber dabei rupften sie weiter eine abgebrühte Gans oder erzogen ein Kind, »Idefigyelj«, sagte meine Mutter und zupfte ihre Schwiegertochter am Ärmel, die war keine aufmerksame Zuhörerin, »ich höre dir zu, Marika.«

    Mutter drehte Vater wieder um.

    Auch Menschen, die einander lieben, treiben sich nicht selten gegenseitig in den Wahnsinn.

    Vater hatte hohe Gummistiefel, aber mir zog er ein Stück vom Karren entfernt die Schuhe aus, damit ich sie nicht ruinierte, barfuß ging ich durch Schlamm und Wasser. Meine Hose war durchnässt, aber das störte den Vater nicht. Auch als mir irgendetwas Spitzes in die Ferse schnitt, sagte ich keinen Mucks, hielt nur kurz an. »Komm schon, komm schon«, maulte er, doch seine Stiefel sanken immer tiefer ein. Der Junge muss härter werden, sagte er immer zu meiner Mutter, seiner Frau. Er wartete auf eine Überschwemmung, aber dazu kam es in Mitteleuropa erst um einiges später und unsere Gegend ließen die Überschwemmungen ganz aus. Als ich seine Stiefel bemerkte, die bis zum obersten Rand im Schlamm steckten, schien es mir plötzlich, als ob wir gar nicht in einem überfluteten Wald wären, sondern in dem Becken voller Fäkalien, das neben der neuen Kläranlage gebaut worden war, genau dort, wo der Wald auf die Randgebiete der Stadt traf. Ich stellte mir vor, wie mein Vater in der Scheiße unser aller Nachbarn versank. In der Scheiße der gesamten Straße und aller benachbarten Straßen. Ich wünschte mir, er würde in der stinkenden Jauche ertrinken. War das hart genug? Ich denke, er hätte es zu schätzen gewusst.

    Jahre später ist mir bewusst geworden, dass diese Erinnerung nicht echt ist: Die Kläranlage am Ende der Lovecká ulica wurde erst gebaut, als mein Vater sich schon nicht mehr bewegen konnte.

    Wir wateten zu einer Anhöhe tief im Wald, einer Insel im Reich

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