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Fundbüro der Finsternis: Kann Spuren von Grauen enthalten
Fundbüro der Finsternis: Kann Spuren von Grauen enthalten
Fundbüro der Finsternis: Kann Spuren von Grauen enthalten
eBook343 Seiten4 Stunden

Fundbüro der Finsternis: Kann Spuren von Grauen enthalten

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Über dieses E-Book

Wem ist nicht schon einmal ein Gegenstand in die Hände gefallen, der faszinierte? Aufgrund seines Alters, seiner Form, seines Werts oder seines mysteriösen Hintergrundes. Aber nicht jeder Fund bringt seinem Finder Glück. Ist es Aberglaube oder nur ein schlechtes Omen? Sind es spirituelle Überreste des Vorbesitzers? Oder ist es gar ein Fluch?
In den Geschichten dieser Anthologie müssen die Protagonisten lernen, mit einem magischen Kompass umzugehen, werden mit tödlichen Pflanzen konfrontiert, tragen mystische Masken und lernen die wahren Tücken der Zeit kennen.
Diese und viele weitere grauenhafte Begegnungen mit dem Unbekannten sind an einem Ort versammelt, der nun von Ihnen entdeckt werden kann: dem Fundbüro der Finsternis.

Das Titelbild stammt von Andreas Schwietzke.

Ein Geschichtenweberprojekt …
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum10. Feb. 2016
ISBN9783957659903
Fundbüro der Finsternis: Kann Spuren von Grauen enthalten

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    Buchvorschau

    Fundbüro der Finsternis - Andreas Schwietzke

    enthalten

    Bettina Ferbus: Das Geheimnis der Frisierkommode

    »Ist sie nicht schön?«

    Anna strich mit den Fingern über das cremeweiß lackierte Holz und folgte dem perfekten Oval des Spiegels. Michael nickte, obwohl er die Frisierkommode schrecklich altmodisch fand. Aus welchem Jahrhundert stammte sie? Der Antiquitätenhändler hatte es ihm gesagt, aber Michael hatte die Jahreszahl wenige Minuten später bereits wieder vergessen.

    »Ich bin so froh, dass wir auch den Schemel gekauft haben. So etwas bekommt man heutzutage gar nicht mehr. Ich werde ihn neu polstern und beziehen lassen. Was hältst du von burgunderrotem Samt?«

    Michael nickte und tat so, als würde ihn die Farbe des Bezugs tatsächlich interessieren. Dabei gefiel ihm der Schemel genauso wenig wie die Frisierkommode. Aber er konnte seiner Frau nichts mehr abschlagen. Nicht seit dieser Sache mit Thomas. Wenigstens bestand Anna nicht darauf, auch noch das dazu gehörende Bett zu kaufen.

    Kaum hatte die Frisierkommode im Schlafzimmer Einzug gehalten, nahm Anna immer öfter davor Platz. Zuerst dachte sich Michael nichts dabei. Es war eben ein neues Spielzeug. Im Gegenteil – er hoffte, wenn sie sich öfter im Spiegel sah, würde sie mehr auf ihr Äußeres achten und wieder zu der gepflegten, attraktiven Frau werden, die ihn durch acht Jahre seines Lebens begleitet hatte.

    Anfangs schien es auch so. Anna ging zum Friseur. Sie kaufte sich ein neues Kleid und schminkte sich wieder. Auch der Frisierkommode wollte sie neuen Glanz verleihen. Sie holte sich bei einem Restaurator Tipps, wie sie die kleinen Schäden, die der Zahn der Zeit auf dem Möbelstück hinterlassen hatte, am besten beheben konnte.

    Eines Tages sah Michael sie jedoch, wie sie mit verzücktem Lächeln in den Spiegel starrte. Die Farbe auf dem Pinsel in ihrer Hand trocknete. Der Riss im Lack, den sie hatte ausbessern wollen, war vergessen.

    »Tommy«, sagte sie leise. Die linke Hand war nach dem Spiegel ausgestreckt und berührte sanft das glatte Glas.

    »Thomas ist tot, Anna.«

    Sie drehte sich nicht zu Michael um, wandte die Augen nicht von der reflektierenden Fläche.

    »Kannst du ihn denn nicht sehen?«

    Doch Michael sah nur Annas Gesicht, sah die Sehnsucht in ihren Zügen. Er trat zu ihr, legte ihr sanft die Hand auf die Schulter.

    »Du siehst, was du sehen möchtest. Anna, Liebling, komm zu mir in die Küche. Ich habe Kaffee gemacht. Dann können wir uns gemeinsam die Urlaubsprospekte ansehen, die ich mitgebracht habe.«

    »Ich möchte nicht auf Urlaub fahren.«

    Annas Stimme klang tonlos.

    »Dadurch wird Tommy auch nicht wieder lebendig.«

    »Aber so nah wie hier kann ich ihm nirgends sein.«

    »Anna, ich bitte dich! Du hast ein Leben. Wirf es nicht weg!«

    Da drehte sich Anna doch zu ihm um. Tränen schwammen in ihren Augen.

    »Welches Leben? Mein Leben ist mit Tommy in den Teich gefallen.«

    »Jetzt fang doch nicht wieder damit an!«

    Michaels Unterlippe zitterte, als er seinen Zorn mühsam zurückhielt. Er hasste diese Diskussion, die sich stets wieder im Kreis drehte. Wie oft hatte er versucht, Anna davon zu überzeugen, dass das Leben weiterging, auch wenn Eltern ihr Kind verloren. Aber sie warf ihm nur Kaltherzigkeit vor.

    »Du hast kein Gefühl! Du hast ihn nicht wirklich geliebt.«

    »Das ist nicht wahr, Anna. Das weißt du.«

    »Manchmal glaube ich, du hast das Tor absichtlich offen gelassen.«

    Dieser Vorwurf war wie ein Messer in Michaels Eingeweiden. Sein Bauch krampfte sich schmerzhaft zusammen. Ganz wie an diesem fatalen Tag vor kaum sechs Monaten, als er das Tor offen vorgefunden hatte. Das Tor, durch das man jenen Bereich des Gartens betreten konnte, in dem sich der kleine Teich befand. Er war nicht tief. Wenn Michael hineinwatete, ging ihm das Wasser gerade mal bis zu den Oberschenkeln. Doch war es mehr als tief genug, dass ein Dreijähriger darin ertrinken konnte.

    »Der Gutachter hat gesagt, der Mechanismus war beschädigt. Ein Materialfehler. Das Schloss ist nicht eingeschnappt. Niemand kann etwas dafür.«

    »Wir hätten ein Vorhängeschloss nehmen sollen.«

    »Du hast recht, Schatz.« Michael senkte den Kopf. Sie sollte seinen Zorn nicht sehen. Aber er hasste, dass sie immer wieder damit anfing. Sie hatten diese Unterhaltung schon zu oft geführt. Er fasste nach ihrer Hand. »Komm, du musst etwas essen.«

    »Ich habe keinen Hunger.«

    »Anna, ich bitte dich. Wie viel hast du bis jetzt schon abgenommen? Keines deiner Kleider passt dir mehr.«

    Anna hob nur die Schultern und wandte sich wieder dem Spiegel zu. Michael ging in die Küche. Er machte Kaffee, legte Kekse auf einen Teller und ging wieder ins Schlafzimmer zu Anna, in der Hoffnung, dass der Duft ihren Appetit wecken würde. Doch sie hatte nur Augen für den Spiegel.

    Anna verbrachte mit jedem verstreichenden Tag mehr Stunden vor der Frisierkommode. Sie vernachlässigte den Haushalt und sie vernachlässigte sich selbst. Es wurde noch schlimmer als in der Zeit nach Tommys Tod. Gelegentlich konnte Michael sie zwar dazu überreden, eine Kleinigkeit zu essen, aber bald war ihr die Zeit zu schade, um sich unter die Dusche zu stellen oder frische Kleider anzuziehen. Ihr Haar wurde fettig und strähnig, ihre Haut bleich und teigig. Die dunklen Ringe unter ihren Augen wurden von Tag zu Tag tiefer, denn sie wollte auch nicht mehr schlafen. War ihr der kleine Thomas früher auch in ihren Träumen begegnet, so sah sie ihn nun nur noch im Spiegel.

    Michael wagte kaum, zur Arbeit zu gehen. Sobald er im Büro war, konnte er nur noch an seine Frau denken. Jede Stunde rief er zu Hause an, und wenn Anna nicht abhob, verstärkten sich seine Sorgen noch. Dann waren seine Gedanken nur noch bei Anna und ihrem Spiegel. Im Geist sah er sie vor der Frisierkommode sitzen. Die Ellbogen auf dem weiß lackierten Holz abgestützt, das Kinn in die Hände gelegt.

    Wenn er nach Hause kam, saß sie meist tatsächlich vor dem Spiegel. Dann starrte sie mit einem verträumten Ausdruck im Gesicht auf das silberbeschichtete Glas. Sie lächelte, merkte nicht, wie spitz ihre Nase geworden war. Sie sah die Furchen um ihre Mundwinkel nicht, sah nur Thomas.

    Dann kam der Tag, an dem Michael selbst glaubte, ihn zu sehen. Es war, als würde er durch die Züge seiner Frau hindurch das Gesicht seines Jungen wahrnehmen.

    »Papa!«

    Michael schauderte und wendete sich ab. Doch die Stimme des Jungen verstummte nicht. Im Gegenteil. Nun hörte Thomas auch noch sein glockenhelles Lachen. Wie sehr er diesen Ton vermisst hatte. Seine Brust zog sich zusammen, er konnte kaum noch atmen, so sehr quälte ihn das Wissen, dass er sein Kind nie wieder in den Armen halten würde. Er biss sich auf die bebende Unterlippe und hoffte, dass der Schmerz die Tränen vertreiben würde, mit denen er kämpfte. Der Impuls, sich umzudrehen, um wenigstens einen kurzen Blick auf das Gesicht seines Jungen werfen zu können, wurde mit jeder verstreichenden Sekunde stärker.

    Michael riss sich los und taumelte ins Wohnzimmer. Er warf sich auf die Couch, barg sein Gesicht in den Kissen. Dieser verdammte Spiegel musste weg. Er saugte Anna das Leben aus und nun hatte er es auch noch auf Michael abgesehen.

    Die Frisierkommode mochte aus Holz, Lack und Leim bestehen, aber sie erschien Michael in diesem Moment wie eine gierige Kreatur. Das Oval des Spiegels wandelte sich zu einem hungrigen Maul, das alle Hoffnung, alle Freude restlos verschlang.

    Anna verließ das Schlafzimmer nur noch selten, aber Michael war geduldig. Er wartete.

    »Papa«, flüsterte es aus dem Spiegel, wenn er an der Schlafzimmertür vorbei ging. Michaels Finger zuckten. Es verlangte ihn danach, die einen Spalt offen stehende Tür ganz aufzustoßen und hineinzugehen. Das sich bewegende, sprechende Abbild seines Kindes war besser als gar kein Kind. Mit Gewalt musste Michael sich dazu zwingen, auf dem Gang zu bleiben. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er presste die Fingerknöchel gegen die Augäpfel, bis grellbunte Muster Tommys Bild vertrieben und Tränen des Schmerzes unter den geschlossenen Augenlidern hervorquollen.

    Michael stand im Wohnzimmer vor dem offenen Kamin, als er hörte, wie Anna zur Toilette ging. Hastig schnappte er sich den Schürhaken und rannte ins Schlafzimmer. Er schlug die Tür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloss um.

    »Papa! Nein!«

    Michael hörte nicht auf das Flehen des Kindes im Spiegel. Welcher böse Geist auch immer in diesem schrecklichen Möbelstück hausen mochte, es war nicht Thomas. Er holte aus. Eisen traf auf Glas. Sprünge zogen sich wie ein Spinnennetz über den Spiegel.

    »Michael! Tu das nicht!«

    Von draußen warf sich Anna gegen die Tür. Michael ließ den Schürhaken ein weiteres Mal niedersausen. Splitter fielen zu Boden. Doch der Großteil des Spiegels blieb an seinem Platz. Er war an der hölzernen Rückwand angeklebt.

    Michael schlug erneut zu. Holz gab knirschend nach. Sprünge zeigten sich im Lack. Wieder und wieder drosch er auf die Frisierkommode ein. Stück für Stück sprengte er den Spiegel aus seinem Rahmen.

    Plötzlich war da Anna. Er hatte nicht gehört, wie sie die Tür aufgebrochen hatte und er sah sie erst, als sie zwischen ihm und dem Spiegel stand. Seine Hände hielten den Schürhaken fest umklammert. Er musste die Bewegung stoppen! Den Schlag zur Seite ablenken! Aber es war, als würde ihn der Schürhaken führen und nicht umgekehrt.

    Annas Hände fassten nach dem kalten Eisen, versuchten, es aufzuhalten. Michael konnte sehen, wie ihre Handgelenke unter der Wucht des Schlages erbebten, wie die Ellbogen nachgaben und sich das spitze Ende des Schürhakens in ihren Kopf bohrte. Mit einem widerwärtigen Knacken gab der Knochen nach. Der Schädel verformte sich. Blut, Knochensplitter und Gehirnmasse spritzen. Die Frisierkommode und die Wand dahinter wurden rot und grau gesprenkelt.

    Annas Gesicht wurde schlaff, ihre Augen starr. Die Beine gaben unter ihr nach. Wie eine Marionette, deren Fäden durchschnitten worden waren, fiel sie zu Boden. Mit einem Aufschrei warf Michael den Schürhaken fort und ging neben seiner Frau in die Knie.

    »Das wollte ich nicht!«, schrie er. Tränen liefen über sein Gesicht, sammelten sich am Kinn und tropften in die sich ausbreitende Blutlache unter Annas Kopf.

    Mit bebenden Fingern strich Michael über die Wangen seiner Frau. Ihr deformierter Schädel verschwamm vor seinen Augen, verzerrte sich in seinem tränengetrübten Blick zu einer grinsenden Totenfratze, die von Spiegelscherben wie von einem Strahlenkranz umgeben wurde.

    Mit einem unartikulierten Aufschrei krümmte sich Michael zusammen und umklammerte seinen Bauch. Er hatte mit der Leere gekämpft, die Tommys Tod hinterlassen hatte. Nun wurden weitere Stücke aus seinem Inneren gerissen. Er krallte die Finger in sein Fleisch, um nicht auseinander zu brechen. Der Schmerz höhlte ihn aus, fraß ihn von innen auf. Der Boden unter seinen Füßen verschwand, als wäre er nicht mehr als ein Trugbild gewesen. Michael glaubte zu fallen. Endlos. Ihn umgab ein Vakuum, das alle Liebe, alle Wärme aus ihm heraussaugte. Es gab nichts mehr, das ihn in dieser Welt hielt.

    Halb blind tastete er nach einer Spiegelscherbe. Sie schmiegte wie von selbst in seine Hand. Der erste Schnitt war noch zaghaft. Er ritzte kaum die Haut seines Halses. Der zweite ging schon etwas tiefer. Warm und feucht lief roter Lebenssaft über die bleiche Kehle. Michael hielt inne, keuchte, weil ihm der Schmerz den Atem raubte. Er begrüßte ihn. Die Pein seines Körpers lenkte ihn von der Qual in seinem Inneren ab.

    Beim dritten Mal drang die Scherbe tief genug ein, um die Halsschlagader zu durchtrennen. Im Rhythmus des Herzschlags ergoss sich das Blut auf den Boden, tränkte den Teppich und vermischte sich mit der bereits stockenden Lache um Annas Kopf.

    Michael bettete sein Haupt in den Schoß seiner Frau. Er fühlte, wie die Kraft seinen Körper verließ, das Leben aus ihm herausströmte und Kälte sich ausbreitete. Schon kroch Dunkelheit heran und verengte sein Blickfeld, als er spürte, wie die Scherbe in seiner Hand bebte. Sie entwand sich seinen schlaffen Fingern.

    Einer nach dem anderen erhoben sich die Spiegelsplitter aus dem Blut. Von einem leisen Klirren begleitet fügten sie sich wieder zusammen.

    »Nein.«

    Es hätte ein entsetzter Schrei werden sollen, doch es kam nur mehr als kaum hörbares Flüstern über Michaels Lippen. Grauen war in seinen brechenden Augen zu lesen, als die Schäden an der Frisierkommode verschwanden und der Spiegel höhnisch und vollkommen unversehrt auf ihn herabgrinste.

    Ruth M. Fuchs: 11.12.13

    Eigentlich hatte der Regen Markus in das alte Antiquariat getrieben. Es schüttete wie aus Kübeln und er hatte seinen Schirm im Auto vergessen. Aber so ein Wolkenbruch dauert ja meistens nicht lange, sagte er sich und so begann er, sich in dem Geschäft ein wenig umzusehen, um sich die Zeit zu vertreiben, bis der Regen nachließ.

    Schließlich wühlte er lustlos in einer Schachtel, in der allerlei alte Postkarten lagen. Karten, die irgendwer mal irgendwem geschrieben hatte. Und dann hielt er plötzlich eine Karte in der Hand, die sein Interesse weckte. Auf der Karte war das Bild eines kleinen Mädchens mit einem Wust lockiger Haare und daneben der Spruch: »Dies selt’ne Datum muss mich reizen – zu diesem Kärtchen: 11, 12, 13.«

    Ja, das Datum war bemerkenswert, der 11.12.1913. Wenn man es umdrehte, wurde der 13.12.11 daraus, der Tag, an dem er Hilda heiraten würde.

    »Was soll die Karte kosten?«, wandte er sich an den alten Mann, der das Antiquariat offenbar betrieb.

    »Sie wollen sie kaufen?« Der alte Mann wirkte alles andere als begeistert.

    »Natürlich will ich sie kaufen, was denn sonst?«, antwortete Markus etwas gereizt. In was für einen Laden war er denn da geraten? Wollte der Kerl kein Geld verdienen? Oder gab er sich absichtlich, als könne er sich kaum von seinen Schätzen trennen, um den Preis hochzutreiben?

    »Schon gut.« Der Antiquar zuckte mit den Schultern. »Sie wissen sicher, was Sie tun. Dieses ungewöhnliche Datum und dann auch noch auf Postamt 14 abgestempelt. Und die Marke: Die Freimarken Germania auf nicht staffiertem Grund mit Wasserzeichen Rauten …«

    Markus hatte keinen Schimmer, wovon der Mann sprach. Aber der Preis war niedrig, also kaufte er die Karte und steckte sie ein. Er würde sie Hilda schenken, am Tag der Hochzeit oder vielleicht am Morgen danach, nahm er sich vor. Inzwischen hatte der Regen nachgelassen, also verabschiedete sich Markus und ging wieder hinaus.

    Wieder daheim legte er die Karte in die oberste Schublade seines Schreibtisches. Das Etui mit den Eheringen, die er gerade vom Juwelier geholt hatte, legte er darauf.

    Als Markus am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich wie gerädert. Eigentlich schlief er sonst immer wie ein Bär, doch diesmal hatte er das Gefühl, alle fünf Minuten aufgeschreckt zu sein. Er erinnerte sich dunkel an wirre Träume, konnte sich aber nicht mehr entsinnen, was genau er geträumt hatte. Lediglich eine Szene fiel ihm wieder ein. Da hatte eine Frau vor ihm gestanden. Eine schöne Frau. Eigenartigerweise trug sie einen Brustharnisch über einem langen, weißen Gewand. Sie hatte blondes Haar, das ihr in Locken auf die Schultern fiel. Auf diesen Locken saß so etwas, das Markus an die Stephanskrone erinnerte, die er vor ein paar Jahren mit Hilda bewundert hatte, als sie im Urlaub in Ungarn gewesen waren. Oder war es vielleicht doch ein Helm gewesen? Markus war selbst über sich erstaunt, dass er sich an so viele Einzelheiten erinnerte. Aber er sah diese Frau regelrecht vor sich. Mit der rechten Hand hatte sie sich auf ein Schwert gestützt und links hatte ein Schild an ihrem Bein gelehnt. Sie hatte stolz aufgerichtet vor ihm gestanden, ihn angelächelt und gesagt: »Markus, der Name eines Kriegers.«

    Über sich selbst lächelnd schüttelte Markus den Kopf. Manchmal träumte man schon komische Sachen. Achselzuckend machte er sich einen Kaffee und Toast und begab sich dann zur Arbeit.

    Der Satz »Markus, der Name eines Kriegers« spukte aber immer noch durch seinen Kopf. Wie war er nur darauf gekommen? Was bedeutete ›Markus‹ eigentlich? Es wollte ihm nicht mehr einfallen. Kurz entschlossen schaute er im Internet nach. Und da stand als Bedeutung: »dem römischen Kriegsgott Mars geweiht«. Na, das erklärte alles! Markus lachte erleichtert auf. Warum ihm beklommen zumute gewesen war, konnte er sich gar nicht mehr erklären. Aber nun war das Rätsel gelöst: Er hatte diese Erklärung irgendwo aufgeschnappt und dann war sie in abgedrehter Form in seinem Traum wieder aufgetaucht. Ganz einfach.

    »Das ist Sabine, eine Freundin, die du noch nicht kennst«, stellte Hilda Markus beim Polterabend eine mollige, kleine Person vor.

    »Hallo!« Er lachte sie an und ergriff herzlich die angebotene Hand. »Ich bin Markus.«

    »Der Name eines Kriegers …«

    »Wer hat das gesagt?« Ein wenig ärgerlich sah Markus sich um. »Will da einer Spielchen mit mir treiben?«

    »Aber, Liebling, was hast du denn?« Beunruhigt legte Hilda ihm die Hand auf den Arm.

    »Na, du hast es doch auch gehört!«

    »Was denn? Ich habe nichts gehört.«

    Ruckartig hörte Markus auf, sich umzusehen. Er blickte Hilda forschend ins Gesicht. Da war nur echte Besorgnis in ihren Augen. Offenbar hatte sie wirklich nichts gehört.

    »Ach nichts«, log er und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich höre anscheinend Stimmen. Das muss die Nervosität sein.« Liebevoll hauchte er ihr einen Kuss auf die Wange. Hilda sah noch immer bestürzt aus, ließ sich aber besänftigen.

    »Komm, Sabine, ich zeige dir das Haus«, schlug sie vor und ging dann mit ihrer Freundin davon.

    Markus holte sich ein Bier und nahm einen tiefen Schluck. Bald war er wieder ganz der Alte und schaute sich zufrieden um. Anscheinend amüsierten sich die Gäste bestens. Doch was war das? Dort stand eine Frau mit blondem, lockigem Haar, die einen silbernen Brustharnisch über einem weißen, fließenden Kleid trug. Markus starrte sie mit offenem Mund an. Da bewegte sie sich und aus dem Brustharnisch wurde eine filigrane Silberstickerei, die das Oberteil ihres weißen Abendkleides zierte.

    Verwirrt blinzelte Markus mehrmals mit den Augen. Ich habe zu viel getrunken, schalt er sich selbst. Aber das konnte doch gar nicht sein, es war doch erst sein zweites Bier.

    Ein bisschen frische Luft würde ihm jetzt bestimmt gut tun, entschied er und ging durchs Zimmer, um durch die Glastür in den Garten zu kommen.

    »Markus, der Name eines Kriegers«, hauchte ihm eine Frauenstimme ins Ohr, als er gerade nach draußen treten wollte.

    Hektisch fuhr er herum. Doch da war kein weibliches Wesen in der Nähe, lediglich sein Kumpel Helmut mit seiner Frau Silvia. Und Silvia war zwar nett, hatte aber eine Stimme, die vermutlich zu einem Flüstern gar nicht fähig war. Trotzdem trat Markus neben sie: »Was hast du gerade gesagt?«

    »Ich hab nichts gesagt.« Ehrlich erstaunt sah sie ihn an.

    »Na, macht nichts.« Brüsk wandte sich Markus um und ging hinaus in den Garten. Das ihm Helmut und Silvia verdutzt nachsahen, bekam er nicht mit.

    Draußen war der erste Schnee gefallen und der ganze Garten glitzerte im Mondlicht wie mit Zuckerkristallen bestreut. Ohne lange zu überlegen, schlug Markus den Weg ums Haus herum ein. Als er um die erste Ecke bog, verebbten die Geräusche der Gäste von drinnen. Es war still. Markus atmete auf.

    Die Hände in den Hosentaschen vergraben bog er um die zweite Ecke. Da stand sie vor ihm. Sie war eine hochgewachsene, schlanke Frau, mit blonden Locken, die ihr unter einer Art Krone hervor auf die Schultern rieselten. Sie trug einen silbernen Brustharnisch über einem weißen, fließenden Kleid, das bis auf ihre Füße wallte. In der rechten Hand hielt sie ein Schwert.

    »Heil dir, Markus«, begrüßte sie Markus lächelnd. »Tapferer Krieger, der mich gefreit.«

    »Markus, Liebster!«

    Seine Lider waren schwer wie Blei. Nur mühsam und mit großer Willensanstrengung bekam Markus die Augen auf. Über sich sah er das besorgte Gesicht Hildas.

    »Dem Himmel sei Dank, du bist wach«, rief sie und lächelte. Doch in ihren Augen standen Tränen.

    Sie umklammerte seine Hand und er wünschte sich, dass sie weniger fest zudrücken würde.

    »Was ist passiert?«, fragte Markus und versuchte, sich aufzurichten. Er fühlte sich ein wenig schwindelig und ihm war schrecklich heiß. Offenbar waren sie im Schlafzimmer und er lag auf dem Bett.

    »Wir haben dich ohnmächtig im Garten gefunden«, erläuterte ihm Hilda. »Du hast Fieber. Hast dir wahrscheinlich irgend so einen Virus eingefangen.« Sie versuchte ein Lachen, doch es klang nicht echt. »Wir werden die Hochzeit absagen müssen.«

    »Kommt gar nicht infrage!« Markus riss sich zusammen und setzte sich endgültig auf. »Ich hol mir ein Mittel gegen Grippe aus der Apotheke und dann geht das schon.«

    »Wenn überhaupt, dann hole ich das«, bestimmte Hilda und lachte nun wirklich. »Du bist so tapfer, mein Liebling«, erklärte sie noch. »Aber jetzt leg dich wieder hin, du müder Krieger!«

    Dann eilte sie davon, die nächste Apotheke zu suchen, die nachts geöffnet hatte.

    Markus ließ sich wieder zurücksinken. Die Gäste waren offenbar schon alle fort. Den Polterabend hatte er wohl gründlich verdorben. Aber bei der Hochzeit würde ihm das nicht passieren. Einmal gründlich ausschlafen und so ein Grippehammer, der angeblich über Nacht wirkte, sagte er sich, dann würde er das schon hinkriegen. Erschöpft drehte er sich zur Seite und blickte in das Gesicht der blonden Frau mit dem Brustharnisch. Sie lag so nahe neben ihm, dass er ihren süßen Atem riechen konnte und die Wärme ihres Körpers spürte. Ihre roten Lippen waren zu einem Lächeln verzogen und ihre Augen blickten liebevoll.

    »Sie haben mir zwei Mittel empfohlen, da habe ich beide genommen. Such dir eines aus!«

    Markus schrak hoch. Vor ihm stand Hilda, eine Tüte mit dem Aufdruck einer Apotheke in der Hand. Das Bett neben ihm war leer. Er hatte geträumt.

    Markus erwachte ausgeruht und in blendender Laune. Das Grippemittel hatte hervorragend gewirkt. Keine Spur mehr von Fieber.

    Hilda verabschiedete sich mit einem Kuss von ihm, bevor sie lachend davon tänzelte, um sich bei einer Freundin umzuziehen. »Es bringt Unglück, die Braut vor der Hochzeit in ihrem Brautkleid zu sehen«, hatte sie ihm gesagt und er hatte sich gefügt. Er würde sie also erst vor dem Standesamt wiedersehen.

    Vor sich hinsummend kleidete er sich an und ging dann zum Schreibtisch, um die Ringe zu holen. Sie waren aus Gelb- und Weißgold gefertigt, Hildas zusätzlich noch mit einem Brillianten. Der Ring für Hilda lag neben dem Etui, auf der Karte, die Markus in dem Antiquariat gekauft hatte. Wahrscheinlich hatte Hilda der Versuchung nicht widerstehen können, den Ring zu betrachten. Ach ja, seine süße, neugierige Hilda. Lächelnd steckte Markus den Ring wieder an seinen Platz. Da fiel sein Blick auf die Karte. Zum ersten Mal fiel ihm dabei auch die Marke auf. Sie zeigte eine blonde Frau mit einer Krone oder vielleicht einem Helm auf dem Kopf, gekleidet in einen Brustharnisch. Man konnte auch Blätter erkennen, wahrscheinlich Lorbeer, und den Knauf eines Schwertes, den sie in der rechten Hand hielt. Sie sollte wohl Bavaria darstellen oder Athene oder Minerva oder irgend so was. Es war die Frau, die er mehrfach vor sich gesehen hatte. Markus schüttelte schmunzelnd den Kopf. Das Unterbewusstsein spielte einem manchmal schon üble Streiche. Jetzt war also klar, woher diese Figur stammte. Dazu noch die Aufregung um die Hochzeit, die Hektik mit den Vorbereitungen und eine Grippe. Kein Wunder, dass er ein wenig durchgedreht war.

    Da klingelte es an der Tür. Bestimmt sein Trauzeuge. Markus warf noch einen letzten Blick auf die Briefmarke, dann schob er die Lade wieder zu, ohne die Karte herausgenommen zu haben. Er würde sie Hilda später geben, vielleicht nach der Hochzeitsnacht.

    Vor dem Standesamt wartete schon ein Grüppchen von Freunden. Mittendrin in einem fließenden Etwas von einem langen Kleid mit silbernen Pailletten auf dem gerafften Oberteil – Hilda, seine Braut. Und wie schön sie war mit ihrem blonden Haar, das in Kringellocken auf ihre Schultern fiel, gekrönt mit einem Kranz aus silbernen Blumen. Markus war hingerissen. Von der Trauung selbst bekam er kaum etwas mit. Lediglich, als er Hilda den Ring ansteckte, fiel ihm auf, dass der viel zu groß für den Finger war. Dabei war er doch extra angepasst worden.

    »Ich hab wohl zu viel abgenommen, um in das Kleid zu passen«, flüsterte Hilda mit einem schelmischen Lachen. »Da wachse ich, fürchte ich, schnell wieder rein.«

    »Das will ich aber auch hoffen«, murmelte Markus. Er hatte nie verstanden, dass Hilda extra hatte abnehmen wollen, um ihr Kleid eine Nummer kleiner kaufen zu können. Ihre Figur war doch schon

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