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Sprachen und Identitäten
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eBook386 Seiten4 Stunden

Sprachen und Identitäten

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Über dieses E-Book

Eine Vielzahl an subjektiven Ausprägungsformen sprachlicher, sozialer, ökonomischer und biografischer Erlebnisse und Erfahrungen beeinflusst den Einzelnen und dessen Identität. Was bedeutet aber eine solche Erkenntnis für den Deutschunterricht, der sich lange Zeit als hegemonialer Muttersprachenunterricht verstanden hat und dem in der heutigen bildungspolitischen Debatte erneut eine exponierte Position in Bezug auf das zielsprachliche Lernen zugewiesen wird? Um diese Frage zu beantworten, werden in diesem Buch bewusst unterschiedliche Herangehensweisen und Perspektiven gewählt, um die Bedeutung und Funktion von Sprachen für die Identitätsbildung darzustellen. Auch der Blick über den eigenen Tellerrand darf folglich nicht ausbleiben, weshalb neben deutschdidaktischen Fragestellungen Überlegungen zu Deutsch als Zweit- und Fremdsprache sowie Ansätze aus der anglistischen Fremdsprachendidaktik vorgestellt werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberStudienVerlag
Erscheinungsdatum23. Apr. 2019
ISBN9783706559966
Sprachen und Identitäten

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    Buchvorschau

    Sprachen und Identitäten - StudienVerlag

    19–32.

    I.

    Einsprachige Schule – mehrsprachige Schule

    Heidi Rösch

    Mehrsprachigkeit und Deutschdidaktik – eine kritisch-historische Auseinandersetzung

    1. Einleitung

    Der Beitrag bezieht sich auf die Situation in Deutschland und konzentriert sich auf die Veränderungen, die sich durch die Zuwanderung seit Mitte des letzten Jahrhunderts bezogen auf die Deutschdidaktik ergeben haben. Ausgangspunkt bilden grundsätzliche Überlegungen zu Mehrsprachigkeit und mehrsprachigen Bildungsangeboten in der Einwanderungsgesellschaft. Anschließend wird der Beitrag der Deutschdidaktik auf diese Situation diskutiert. Deutschdidaktik als eine auf die deutsche Sprache, Literatur und/bzw. inklusive Medien1 bezogene Wissenschaft des sprachlichen, literarischen und/bzw. inklusiven medialen Lehrens und Lernens, zu der auch die Bereiche Erstlesen und Erstschreiben gehören, bezieht sich auf den Unterricht im deutschen Sprachraum, der längst kein «Erstsprachenunterricht» mehr ist, weil daran auch Kinder und Jugendliche teilnehmen, die mehrsprachig aufwachsen bzw. Deutsch als Zweitsprache (DaZ) erwerben. Damit muss der Deutschunterricht, wie jeder andere Fachunterricht auch, angemessen auf die heterogene Spracherwerbssituation in seinen Lerngruppen reagieren und Modelle entwickeln, die auf der Sach-, didaktischen sowie methodischen Ebene dieser Heterogenität gerecht werden. Auch wenn die Deutschdidaktik eng mit der DaZ-Didaktik verbunden ist, ist zwischen der Entwicklung des Deutschen als Zweitsprache, die über den Deutschunterricht hinausweist, und einer interkulturellen Deutschdidaktik unter besonderer Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit, die in den Deutschunterricht hineinweist, zu unterscheiden.

    2. Mehrsprachigkeit in der Einwanderungsgesellschaft

    Mehrsprachigkeit bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, mehr als eine Sprache zu gebrauchen (individuelle Mehrsprachigkeit). Uriel Weinreich unterschied 1953 zwischen koordinierter, kombinierter und subordinativer Zweisprachigkeit. Bei koordinierter Zweisprachigkeit existieren beide Sprachen parallel und damit unabhängig voneinander. Darauf gründet das Prinzip der personellen oder situativen Sprachtrennung, die vor allem im familiären und Elementarbereich angewendet wird. Bei kombinierter Zweisprachigkeit bilden beide Sprachen dagegen ein zusammengesetztes System. Kombinierte zweisprachige Förderung stellt dagegen eine Verbindung zwischen beiden Sprachen her und wird in der Regel erst im Schulalter praktiziert, z.B. durch das Bewusstmachen von Sprachunterschieden (zur Vermeidung von Interferenzen). Beide Formen arbeiten einer subordinativen Zweisprachigkeit entgegen, nach der die Zweitsprache der Erstsprache untergeordnet wird, wie beim Vokalbellernen im traditionellen Fremdsprachenunterricht.

    Ernst Apeltauer (vgl. 1977, S. 18) unterscheidet im Blick auf Eingewanderte zwischen balanciert (oder parallel) Zweisprachigen, Bilingualen mit einer dominanten Sprache und Monolingualen am Anfang des Zweitspracherwerbs. Damit erweitert er das Feld der Mehrsprachigkeit auf all diejenigen, die erst beginnen eine weitere Sprache zu erwerben. Bezogen auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund hat das vor allem bildungspolitische Gründe und will der Reduktion dieser Gruppe auf ihre (ihnen unterstellten oder auch empirisch nachgewiesenen geringen) Deutschkenntnisse durch den Hinweis auf das Vorhandensein einer weiteren Sprache entgegenwirken. Dieser sehr weite Begriff von Mehrsprachigkeit wird im pädagogisch-didaktischen Diskurs reduziert auf diese Gruppe verwendet und nicht etwa auf Kinder, die im schulischen Kontext eine Fremdsprache zu erwerben beginnen.

    In diesem Zusammenhang unterscheidet Frank G. Königs (vgl. 2005) folgende Typen von Mehrsprachigkeit: Retrospektive Mehrsprachigkeit wird lebensweltlich erworben und in die Schule mitgebracht, prospektive Mehrsprachigkeit entsteht durch das institutionelle Erlernen von Sprachen und retrospektiv-prospektive Mehrsprachigkeit ist das Ergebnis schulischen Fremdsprachenunterrichts mit retrospektiv mehrsprachigen Schüler. Aufgrund dieser besonderen Situation legt Adelheid Hu (vgl. 2003) ein Konzept vor, das auch und gerade im schulischen Fremdsprachenunterricht die migrationsbedingte Mehrsprachigkeit berücksichtigt und Bezüge nicht nur zur deutschen, sondern auch zu anderen Muttersprachen der Lernenden herstellt. Solche Konzepte wurden schon früher für den Deutschunterricht entwickelt (vgl. z.B. Oomen-Welke 1997) und sind auch für nicht-sprachliche Fächer denkbar.

    Rosemarie Tracy (2007) entkräftet sieben Mythen über Mehrsprachigkeit: Auf individueller Ebene zeigt sie, dass Mehrsprachigkeit weder ein kognitiver Ausnahmezustand ist, noch Kinder im Vorschulalter überfordert, dass das Mischen von Sprachen nicht auf Inkompetenz verweist, sondern ein angemessenes Verhalten zwischen Bilingualen darstellt. Außerdem betont sie, dass eine Sprache nicht beherrscht sein muss, bevor Menschen eine weitere erwerben können, und dass jede Sprache in Abhängigkeit vom Thema, von Gesprächssituationen etc. erworben wird. Damit verweist sie auf eine funktionale Mehrsprachigkeit, die von Gundula und Günther List (vgl. 2001) zu einem Verständnis von «Quersprachigkeit» weiterentwickelt wird, nach dem lebensweltliche Sprachpraxen von Individuen und Gruppen quer durch die gesellschaftlichen Sprachsysteme erworben und gepflegt werden und sich kommunikative Möglichkeiten dem pluralistischen Umgang mit situations- und adressatengerechten sprachlichen Registern verdanken. Dieses Verständnis von integrativer statt additiver Mehrsprachigkeit ist zentral für die aktuelle Mehrsprachigkeitsforschung (vgl. Oksaar 2003, Müller et al. 2007).

    Neben der individuellen existiert Mehrsprachigkeit auch auf gesellschaftlicher Ebene, wenn in einer Gesellschaft, einer Region oder einer Nation mehrere Sprachen verbreitet sind oder Geltung haben wie in Südtirol das Deutsche und das Italienische. Haben die verschiedenen Sprachen keine offizielle Geltung, ist diese Mehrsprachigkeit von Diglossie geprägt, denn die Sprachen werden in unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionsbereichen verwendet. In der Bundesrepublik Deutschland herrscht noch immer eine «einseitige Diglossie mit unzureichendem Bilingualismus» (Stölting 1984, S. 356), denn nur die Minderheitenangehörigen brauchen für ihren beruflichen Erfolg und die Möglichkeit gesellschaftlicher Partizipation zusätzlich zur Erstsprache auch Kompetenzen im Deutschen. Rosemarie Tracy (vgl. 2007) entkräftet deshalb neben den oben genannten auch die Mythen, Mehrsprachigkeit sei nur positiv, wenn prestigeträchtige Sprachen betroffen seien, und nicht-deutschsprachige Eltern müssten Deutsch zur Familiensprache machen, damit ihre Kinder Deutsch erwerben. Indirekt weist sie damit die Vorstellung zurück, Deutsch sei eine Bringschuld der Minderheitenangehörigen, und übergibt die Aufgabe des Deutschlernens an Bildungseinrichtungen, die sich, so ihr siebter Mythos, davon verabschieden sollten, Sprachförderung müsse «ganzheitlich» erfolgen. Sie plädiert dafür, durch Input und spezifische Maßnahmen auf die Sprachstrukturen des Deutschen aufmerksam zu machen, damit diese auch erworben werden können.

    Tove Skuttnabb-Kangas (1992, S. 41) stellt dieses Phänomen in den Kontext von Linguizismus als Ideologie, die benutzt wird, «um eine ungleiche Verteilung von Macht und Ressourcen (materiellen und ideellen) zwischen Gruppen, die auf der Basis ihrer Sprache (ihrer Muttersprachen) definiert sind, zu legitimieren, zu effektivieren und zu reproduzieren». Sie verweist damit darauf, dass vor allem Minderheitenmehrsprachigkeit in einer sich als einsprachig verstehenden Gesellschaft zu einer Konfliktmehrsprachigkeit führen kann, die vor allem in Bildungsprozessen bezogen auf Kinder und Jugendliche aus Einwanderungsfamilien nicht als Chance, sondern als Problem betrachtet wird. Hieraus entstehen Forderungen nach einer Erhaltungszweisprachigkeit (vgl. Luchtenberg 2002), das heißt, dass Bildungsprozesse bi- oder multilingual aufwachsenden Kindern und Jugendlichen die Ausbildung einer parallelen, mindestens aber einer funktionalen Minderheitenmehrsprachigkeit ermöglichen und Quersprachigkeit als eine Form dieser besonderen Sprachsozialisation anerkannt wird.

    Ein dritter Aspekt, neben der individuellen und gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit, ist die Mehrsprachigkeit auf europäischer oder globaler Ebene, wenn politische Institutionen wie die Europäische Union an der Mehrsprachigkeit ihrer Mitglieder festhalten und statt der Verwendung einer lingua franca eine Kommunikationsform wählen, bei der Informationen für möglichst viele unterschiedliche Sprachgruppen bereitgestellt werden. Denkbar ist die Beibehaltung von Mehrsprachigkeit statt der Durchsetzung einer gemeinsamen Sprache auch in international agierenden Unternehmen, internationalen Forschungsprojekten oder anderen Kooperationen. Für Bildungsprozesse bedeutet dies, dass in allen Ländern nicht nur die Amtssprache/n und mindestens eine Fremdsprache zum Bildungskanon gehören, sondern dass auch Minderheiten- und Regionalsprachen anerkannt werden, ohne dass allerdings eine Verpflichtung besteht, diese in den Bildungskanon aufzunehmen.

    3. Mehrsprachige Bildung

    Folgende tabellarische Übersicht zu Formen von Mehrsprachigkeit bezieht sich auf Schule als Bildungseinrichtung, wobei sich die genannten Formen durchaus auch im vor- und außerschulischen Bereich finden lassen. Grob wird zwischen ein- und mehrsprachiger Bildung unterschieden. Dazwischen ist die translinguale Erziehung angesiedelt. Gemeint ist damit, dass die Erstsprache so lange Unterrichtssprache ist, bis die Lernenden in der Lage sind, den gesamten Unterricht in ihrer Zweitsprache zu erhalten. Solche Angebote finden sich an Auslands- oder fremdsprachigen Schulen, sie werden aber für Sprachminderheiten in Deutschland nicht diskutiert. Letztendlich bewirken sie bezogen auf die Bildungssprache einen Sprachwechsel, weil der Unterricht nach einer Übergangszeit einsprachig wird und die Erstsprache der Lernenden keine bildungssprachliche Förderung mehr erhält.

    Es mag verwundern, dass unter der Themenstellung Mehrsprachigkeit auch auf einsprachige Konzepte verwiesen wird. Der Grund ist, dass der «monolinguale Habitus» (Gogolin 2008), der im Zuge der Nationalstaatengründung in den westeuropäischen Staaten die weitgehende Durchsetzung einer einzigen Landessprache erwirkt hat, nach wie vor dominiert, es aber dennoch Konzepte wie Deutsch als Zweitsprache, Minderheitensprachangebote sowie den etablierten Fremdsprachenunterricht gibt, die das Prinzip der Einsprachigkeit zwar nicht aufheben, aber doch mittlerweile auch im Blick auf Sprachminderheiten aufzubrechen versuchen. Bezogen auf die Zielgruppe wird zwischen der Sprachminderheit und der Regellerngruppe unterschieden, die in Einwanderungsgesellschaften längst bezogen auf die mitgebrachten Sprachen eine multilinguale ist, auch wenn Bildungspläne und lehrerbildende Studiengänge darauf noch immer nicht angemessen zu reagieren bereit sind.

    Mit anderen Worten: Der Regelunterricht an deutschen Schulen ist nach wie vor einsprachig Deutsch, was bedeutet, dass Kinder und Jugendliche mit Deutsch als Erstsprache diesen landessprachlichen Unterricht als Muttersprachenunterricht erleben, während er sich für ihre Mitschüler mit Migrationshintergrund, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, als Unterricht in einer Zweitsprache darstellt. Diese Schülergruppe erlebt den landessprachlichen Unterricht – wenn er gelingt – als sprachliche Assimilation bzw. – wenn er nicht gelingt – als Hindernis, an schulischen Lernangeboten angemessen partizipieren zu können.

    Alle Schüler erhalten bereits in der Primarstufe Fremdsprachenunterricht, wobei die Dominanz zwischen der Verwendung der Fremd- bzw. Landessprache als Unterrichtssprache variabel ist. Es ist davon auszugehen, dass DaZ-Schüler von einem einsprachig fremdsprachlichen Unterricht weit mehr profitieren als von einem Fremdsprachenunterricht, der die Landessprache als Vermittlungssprache einsetzt und damit Lernende, die diese Sprache als Erstsprache erwerben, auch im Fremdsprachenunterricht begünstigt. Einsprachig-zielsprachliche oder Immersionskonzepte orientieren sich dagegen an einer koordinierten Mehrsprachigkeit und konfrontieren die Lernenden ohne direkten Bezug zu ihrer Erstsprache mit der Zielsprache, was Lernenden nicht-deutscher Erstsprachen eine Chance auf gleichberechtigte Partizipation ermöglicht.

    Tab. 1: Schulische Formen von Mehrsprachigkeit (Legende: L1 Erstsprache, L2 Zweitsprache, LS Landessprache, FS Fremdsprache, MS Minderheitensprache, FU Fachunterricht)

    Spätestens seit dem PISA-Schock, der die Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern, die Deutsch nicht auf bildungssprachlichem Niveau beherrschen, empirisch nachgewiesen hat, sind vielfältige Anstrengungen zur Förderung des Deutschen als Zweitsprache unternommen worden. Neben Angeboten, die sich nur an DaZ-Lernende richten und deren Zweitsprachkompetenz zum Ziel haben, entstehen in jüngster Zeit Konzepte für einen sprachsensiblen Fachunterricht, der in der Regelgruppe stattfindet und (Fach-)Sprache als Teil des Fachlernens etabliert oder DaZ-didaktische Schleifen anbietet.

    Neben der externen oder internen Förderung der Zweitsprache gibt es auch Konzepte zur internen und externen Einbeziehung der Minderheitensprachen. So wird dafür plädiert, im landessprachlichen Unterricht Minderheitensprachen als Kommunikationsmittel etwa in Arbeitsgruppenphasen zuzulassen oder durch mehrsprachige oder minderheitensprachliche Materialien die Minderheitensprachen der Schüler heranzuholen. Minderheitensprachlicher Unterricht, in dem die Minderheitensprache auch Lerngegenstand (und nicht nur Kommunikationsmittel) ist, wird oft bereits als Beitrag zur zweisprachigen Erziehung gesehen, da er dem Spracherhalt dient und als Alternative zur assimilatorischen Deutschförderung betrachtet wird. Da solche Angebote aber meist nicht unter deutscher Schulaufsicht stehen und oftmals eine Ergänzung zum deutschsprachigen Bildungsangebot darstellen, habe ich sie unter einsprachige Bildung eingeordnet. Doch diese Angebote markieren den Übergang zur mehrsprachigen

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