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Kleines Kino
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eBook158 Seiten2 Stunden

Kleines Kino

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Über dieses E-Book

Bali heißt das Kino. Wer dabei an Palmenstrände denkt und an biegsame Mädchen, die beim Tanzen mit den Augen rollen, irrt. Bali ist nichts weiter als die Abkürzung für Bahnhofslichtspiele, auch wenn es hier schon lange keinen Bahnhof mehr gibt.
Die Frau, die die Karten verkauft, wohl die Betreiberin, ist im fortgeschrittenen Alter. Die orangebraune Tönung über den grauen Haarwurzeln ist wie zu einer Haube zusammengeschmolzen, Lippenstift verzeichnet ihren Mund etwas spitz nach oben.
Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich spielen werde, sagt sie und es hört sich an, als ob an dieser Ankündigung nichts Ungewöhnliches sei.

Ein Häuflein Besucher sitzt im Kinosaal und wartet auf den Beginn der Vorstellung. Vergebens. Zwei machen sich auf den Weg und suchen die Filmvorführerin, jene Dame an der Kasse. Dabei geraten sie in einen nicht vorhersehbaren Strudel von Ereignissen.
Peter Kiefer schildert in einer atemlosen Geschichte eine Odyssee, die durch Wohnungen, schräge Etablissements, über Dächer und sogar ins Dunkel einer Mülltonne führt.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum4. Juni 2019
ISBN9783957659125
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    Buchvorschau

    Kleines Kino - Peter Kiefer

    Peter Kiefer

    KLEINES KINO

    Action, Thriller, Mystery 4

    Peter Kiefer

    KLEINES KINO

    Action, Thriller, Mystery 4

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © dieser Ausgabe: Juni 2019

    p.machinery Michael Haitel

    Titelabbildung: Hochzeitsfotograf Florian Braatz, mit Christina & Simon Hafemann

    Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

    Lektorat: Michael Haitel

    Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

    Verlag: p.machinery Michael Haitel

    Norderweg 31, 25887 Winnert

    www.pmachinery.de

    ISBN Paperback: 978 3 95765 029 0

    ISBN E-Book: 978 3 95765 912 5

    *

    Bali heißt das Kino. Wer dabei an Palmenstrände denkt und an biegsame Mädchen, die beim Tanzen mit den Augen rollen, irrt. Bali ist nichts weiter als die Abkürzung für Bahnhofslichtspiele, auch wenn es hier schon lange keinen Bahnhof mehr gibt.

    Die Frau, die die Karten verkauft, wohl die Betreiberin, ist im fortgeschrittenen Alter. Die orangebraune Tönung über den grauen Haarwurzeln ist wie zu einer Haube zusammengeschmolzen, Lippenstift verzeichnet ihren Mund etwas spitz nach oben.

    Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich spielen werde, sagt sie und es hört sich an, als ob an dieser Ankündigung nichts Ungewöhnliches sei.

    Das Plakat im Schaukasten zeigt als heutige Vorstellung Der Zementgarten an, einen kurios anrührenden Film aus den 90ern mit Charlotte Gainsbourg, in dem vier Teenager den Tod ihrer Eltern vor der Öffentlichkeit verbergen und von dieser abgeschirmt ihr Leben selbst organisieren.

    Was wäre die andere Möglichkeit?, frage ich.

    Harry meint es gut mit dir.

    Harry – was ist das für einer?

    Mord und so was. Eine Komödie.

    Sie gibt mir das Wechselgeld heraus.

    Über einer Doppeltür, deren einer Flügel offen steht, leuchtet das Wort Eingang. Drinnen im Kinosaal hat sich jetzt kurz vor Beginn der Vorstellung nicht mehr als ein knappes Dutzend Leute eingefunden. Ich gehe ganz nach vorn, weil ich da immer am liebsten sitze, irgendwo am Rand.

    Der Bühnenvorhang steht offen, vermutlich ist der elektrische Mechanismus defekt. Die Wände sind mit roten Velourstapeten beklebt, die noch aus Vorkriegszeiten stammen könnten, im unteren Teil glänzen sie speckig und haben kein erkennbares Muster mehr. Zusammen mit den schmetterlingsförmigen, grasgrün getupften rosa Wandlampen stellt sich die Frage, ob hier überhaupt anständige Filme gezeigt werden.

    Und was heißt noch nicht entschieden? Vielleicht gibt es einen technischen Grund, vielleicht auch einen, der nicht genau zu benennen ist und den außer dieser Frau niemand wirklich verstünde. Ich stelle zumindest einen gedanklichen Versuch an: Der Mann, der oben in der vorletzten Reihe sitzt, dürfte etwas älter sein als ich, Anfang vierzig oder so, die anderen sind um einiges jünger, vielleicht sind es Studenten von der nahe gelegenen Uni. Mord ist eher etwas für ältere Damen, und wenn die Betreiberin ihre Auswahl aufs Publikum ausrichten sollte, spräche alles für den angekündigten Zementgarten.

    Die Eingangstür wird geschlossen, dann dauert es noch eine Weile, bis der Saal sich verdunkelt. Ein Werbespot läuft, dann noch einer und noch ein dritter. Dann erst mal nichts mehr, auch keine Filmvorschau. Das Licht geht wieder an, wenn auch nicht in voller Stärke, deshalb wartet man jetzt darauf, dass gleich ein Gong ertönt, dass es ein zweites Mal dunkel wird und der Hauptfilm beginnt. Aber nichts geschieht.

    Es dauert noch eine Weile, bis jeder begriffen hat, dass es tatsächlich nicht mehr weitergeht.

    Eine Frau, die am nächsten zum Ausgang sitzt, erhebt sich und geht hinaus ins Foyer. Schulterzuckend kehrt sie schon kurz darauf wieder zurück. Da ist niemand, sagt sie.

    Ganz hinten wird ein Mann aktiv. Er steigt über seinen Sessel von der vorletzten in die letzte Sitzreihe hinauf und geht zu dem schmalen Fenster, durch das man in die Vorführkabine blicken kann. Mit der Handfläche schirmt er seine Augen ab.

    Da hinten brennt zwar irgendwo Licht, verkündet er, aber sehen kann ich niemanden.

    Zur Sicherheit klopft er zweimal gegen die Scheibe und wartet kurz auf Antwort. Nichts, sagt er schließlich, sie ist offenbar nicht da drin. Er kneift die Lippen zusammen, reißt die Augen auf – eine Geste heiterer Ratlosigkeit.

    Ein anderer sagt: Könnte ja sein, dass sie Dünnpfiff hat. Jemand lacht darüber. Dann schweigen wieder alle.

    Vielleicht ist ihr etwas zugestoßen, meint eine Frau, aber diese Befürchtung scheint niemand zu teilen. Mit flapsigen Bemerkungen und nervösem Gelächter vergehen weitere Minuten. Bis die besagte Frau sich schließlich aus ihrer Sitzreihe hangelt und allen verkündet, dass sie draußen noch einmal nachsehen wird.

    Also wenn jemand mitkommen möchte …, sagt sie und passiert dabei zufällig die Stelle, wo ich sitze. Da sich offenbar niemand entschließen will, ihr zu folgen, fühle ich mich auf irgendeine Weise in die Pflicht genommen und erhebe mich ebenfalls.

    Sie ist etwas größer als ich. Wer ihr Äußeres beschreiben müsste, würde vermutlich ihre Nase hervorheben, eine Nase von klassischer Prägung, wie man sie von Marmorstatuen kennt. Eingerahmt wird ihr Gesicht von einer akkurat geschnittenen Bubifrisur. Zählt man den schwarzen Pullover und die hellen Jeans, die sie trägt, hinzu, ist diese Frau kaum der Typ für Harry meint es gut mit dir. Wie eine besorgte Krankenschwester wirkt sie freilich auch nicht.

    Wir werfen einen Blick ins Foyer, in der lediglich eine verwaiste Theke steht und davor zwei leere Tische. In der entgegengesetzten Richtung, wo sich die Toiletten befinden, könnte man eher fündig werden.

    Sehen wir nach, sagt die Frau und geht bereits mit großen Schritten voraus. Gleich hinter den Toiletten führt tatsächlich eine schmale Treppe nach oben. Statt einer Tür ist lediglich eine Kette davor gespannt, an der ein Schild mit der Aufschrift Privat – kein Zutritt! baumelt.

    Das war’s dann wohl, sage ich und wir sehen uns beide an, denken aber vermutlich nicht das Gleiche, denn die Frau beugt sich ein Stück weit über die Kette und ruft: Ist jemand da oben?

    Eine Antwort erhält sie nicht.

    Zugestoßen ist ihr bestimmt nichts, meine ich, um den Eifer der Frau ein wenig zu bremsen.

    Der Film ist aber auch noch nicht angelaufen, sagt sie. Sie hat recht. Wir haben die Eingangstür zum Kinosaal nur halb geschlossen und hören von dort die Stimmen der Besucher, die sicher noch ein paar Witze reißen, vielleicht warten sie auch darauf, dass wir ihnen etwas mitteilen werden.

    Wieder sehen wir uns an. Die fürsorgliche Entschlossenheit der Frau lässt sich leicht aus ihrem Blick herauslesen. Ohne mich weiter zu fragen, löst sie die Kette vom Haken und drückt mir das Ende in die Hand.

    Wir sollten es wenigstens auf einen Versuch ankommen lassen, sagt sie. Wenn sich da oben niemand meldet, kehren wir natürlich gleich wieder um.

    Etwas überrumpelt nehme ich das Ende dieser leicht angerosteten Kette in Empfang und hänge sie hinter mir wieder an den Haken zurück, als ob ich damit unsere Spur verwischen könnte. Dann gehe ich, wenn auch voller Skrupel, mit der Frau die Treppe hinauf. Ich muss zugeben, dass es mir schwerfällt, ihrer klassischen Nase etwas abzuschlagen.

    Der Korridor, in den wir dort oben gelangen, ist weder lang noch breit, dafür springt er einen geradezu an. Kaum anders als der Kinosaal scheint auch er auf skurrile Weise aus der Zeit gerutscht. Grund sind die Tapeten, ganz im Stil der sechziger Jahre haben sie psychedelische Muster. Zwei Poster mit den Konterfeis von Jimi Hendrix und der Politikone Angela Davis runden dieses Bild ab, bräunliche Flecken inklusive.

    Ich nenne der Frau meinen Namen, für alle Fälle. Sie verrät mir ihren: Rho.

    Rho?

    Wie der griechische Buchstabe.

    Also mit einem H in der Mitte. Das hat sie da sicher hineingeschmuggelt. Ursprünglich heißt sie vielleicht Rosamunde oder Roswitha oder einfach Rosi. Aber ihre Nase lässt gar nichts anderes zu als dieses H.

    Ich klopfe mal, sagt sie und deutet auf die einzige Tür, die von dem Flur abgeht. Hallo!, ruft sie mit aufgeputzter Munterkeit, aber es erfolgt auch diesmal keine Antwort. Auch als sie die Tür ein klein wenig öffnet, hört man nichts, kein Schnaufen, kein Röcheln, dem man zu Hilfe eilen müsste.

    Rho zieht die Tür weiter auf und macht einen Schritt nach vorn. Komisch hier, sagt sie.

    Eigentlich ist das Zimmer weit weniger komisch als der Flur. Das Verblüffende daran ist jedoch der Kontrast. Die Wände sind weiß gestrichen, rechteckige helle Flecken verteilen sich über die Stellen, wo früher einmal Möbel standen, Bilder oder weitere Poster hingen. Ein Bett ist das Einzige, was noch vorhanden ist. Darauf liegt eine billige E-Gitarre. Sie bringt mich auf den etwas verwegenen Gedanken, dass dieses Zimmer einmal von einem Jugendlichen bewohnt wurde, der dem schwülstigen Farbenrausch seiner Eltern eine gehörige Portion Nüchternheit entgegensetzen wollte. Dass es also eine Art Protestzimmer sei.

    Plötzlich eine Stimme. Jemand ruft etwas von unten. Wir eilen wieder auf den Flur hinaus.

    Ist jemand da?, ruft Rho.

    Seid ihr das? Die Frage kommt von unterhalb der Treppe.

    Das ist einer von uns da unten, sagt Rho.

    Komm ruhig rauf, ruft sie. Is’ eh keiner da.

    Es dauert auch nicht lange, bis ein Kopf sichtbar wird und ich erkenne den Mann wieder, der in der oberen Sitzreihe versucht hat, einen Blick in den Vorführraum zu werfen.

    Keiner da?, fragt er und grinst geheimnisvoll.

    Rho schüttelt den Kopf.

    Die ist bestimmt mit unserem Geld abgehauen, sagt er und produziert dazu ein schnaubendes Lachen. Ambitionen, die Treppe noch weiter heraufzusteigen, hat er augenscheinlich nicht.

    Ich sag dann mal Bescheid, meint er noch, winkt verlegen und macht wieder kehrt.

    Wir kommen auch, rufe ich hinterher und fragend wandert mein Blick zu Rho.

    Bleibt uns wohl nichts anderes übrig, sagt sie müde.

    Nun aber bin ich es, der die Dinge – ohne besondere Absicht, vielleicht nur der Dynamik des Augenblicks folgend – weiter im Fluss hält. Mir ist nämlich etwas aufgefallen. Ich weise Rho darauf hin, indem ich auf einen Porzellanknopf zeige, der in einer muldenartigen Vertiefung der Wand steckt. Es könnte ein Drehschalter oder dergleichen sein, es ist aber etwas anderes, ein Knauf, und er gehört zu einer Tür, wie sie in viktorianischen Krimis gelegentlich eine Rolle spielt. Ihre Umrisse sind in dem Farbdelirium der Tapete bei näherem Hinsehen sogar unschwer zu erkennen. Und da wir bereits Übung darin besitzen anderer Leute Türen zu öffnen, versuchen wir es jetzt auch mit dieser selten gewordenen Spezies einer Tapetentür.

    Der Raum dahinter ist auf den ersten Blick ein Wohnzimmer, er ist ebenso spärlich erleuchtet wie unten der Kinosaal. Beiläufig wird mir dabei bewusst, dass draußen im Flur das Licht angeschaltet ist. Vielleicht wegen der Kinobesucher, denen man damit signalisieren will, dass sie hier oben nichts zu suchen haben. Eine Tür einzubauen, wäre bestimmt die einfachere Lösung.

    Ich habe gerade zwei Schritte vorwärts gemacht, als ich wie angewurzelt stehen bleibe und Rho neben mir kräftig am Handgelenk fasse.

    Was …?

    Etwas irritiert folgt sie meinem Blick,

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