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Die Akte Scientology: Die geheimen Dokumente der Bundesregierung
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eBook688 Seiten4 Stunden

Die Akte Scientology: Die geheimen Dokumente der Bundesregierung

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Über dieses E-Book

Scientology: In Deutschland seit vielen Jahren ein kontroverses Thema.
Wie kommt es, dass Scientology in vielen Ländern als Religion anerkannt ist, in Deutschland aber seit den 70er Jahren für harte Diskussionen sorgt?
Was steckt dahinter?
Ein ungeschminkter Bericht über die Geschichte der Scientology im deutschsprachigen Raum. Exklusiv konnte Einsicht genommen werden in bisher vertrauliche Unterlagen der Bundesregierung, die erst nach jahrelangen Gerichtsverfahren zugänglich wurden und hier zum ersten Mal öffentlich gemacht werden.
Fakten statt Meinungen machen dieses Buch zu einem "Muss" für jeden, der sich mit diesem Thema befasst.
SpracheDeutsch
HerausgeberPI-Verlag
Erscheinungsdatum16. März 2018
ISBN9783963617485
Die Akte Scientology: Die geheimen Dokumente der Bundesregierung

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    Buchvorschau

    Die Akte Scientology - Peter Schulte

    Anmerkungen

    Einleitung

    Frühjahr 2017: „Sektenalarm im Münchner Haus der Kunst, der bayerische Verfassungsschutz ermittelt, ob Scientology das Museum unterwandert hat. Konkret geht es um die Arbeit eines langjährigen Mitarbeiters, der seit 1995 u.a. für die Personalverwaltung zuständig ist. Angeblich sei dieser beim Museum noch nicht einmal fest angestellt gewesen. Sein konkretes Vergehen: Er ist bekennendes Mitglied bei Scientology. Und obwohl er bisher nur seinen Job machte, wird ihm seine religiöse Orientierung plötzlich zum Verhängnis. Der bayrische Kunstminister Ludwig Spaenle (CSU), gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender des Kunsthauses, sei seit 2015 darüber informiert gewesen und spricht von „groben „Missständen.¹ Mittlerweile wurden im großen Stil Erklärungen der Mitarbeiter eingefordert, „nichts mit Scientology zu tun zu haben. Doch diese ignorierten zum größten Teil diese Aufforderung. Stattdessen zeigten sie sich solidarisch mit dem betroffenen Kollegen und sammelten Unterschriften gegen diese Vorgehensweise. Mittlerweile wurde der Verfassungsschutz eingeschaltet und eine externe Personalberatung beauftragt, die Verwaltung des Museums zu untersuchen und „Empfehlungen für eine Neuorganisation zu geben. Der Direktor des Hauses, Okwui Enwezor, hält die Aufregung in München für übertrieben und spricht gar von einer „Hetzkampagne" gegen das Haus der Kunst.² Scientology hingegen bewertet die Ereignisse als staatlich initiierte Gesinnungsschnüffelei und grobe Menschenrechtsverletzung.³ Der betroffene Mitarbeiter wurde mittlerweile gekündigt, inzwischen hat er eine Klage gegen die Trägergesellschaft des Hauses beim Arbeitsgericht München eingereicht.

    November 2015. Eine Kleinstadt im deutschen Raum. Hier, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, findet am Abend eine Veranstaltung der besonderen Art statt: Im Gemeindehaus geht es im Rahmen einer Podiumsdiskussion um die Frage, wie gefährlich Scientology ist. Ein für diese mittelgroße Kommune ungewöhnlicher Auflauf an Lokalprominenz und Sprechern von außerhalb hat sich angekündigt. Erwartet werden neben einem Landtagsabgeordneten „namhafte Sektenexperten und ein Filmemacher, der sich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Sektenkritiker einen Namen gemacht hat. Auch ein „ranghoher Scientology-Aussteiger, wie es in der Einladung heißt, soll auf dem Podium sitzen. Zu Beginn wird der Filmemacher seinen aktuellen Film vorstellen, und später werden die Podiumsteilnehmer Scientology analysieren und bewerten. Ein Vertreter der „Sekte wurde nicht eingeladen. Man bleibt unter sich und bestätigt sich lieber gegenseitig in dem, was man sowieso schon weiß und immer gesagt hat. Doch was war geschehen? Hintergrund dieser Veranstaltung ist folgender: Der Sohn (43) eines regionalen Unternehmers ist seit ca. zwei Jahren bekennender Scientologe. In letzter Zeit gab es zwischen ihm und seinem Vater immer wieder Streit, weil er sich Scientology angeschlossen hatte und deren Kurse und Seminare besuchte. Das Verhältnis zwischen dem Sohn und dem als dominant bekannten Vater ist jedoch schon seit vielen Jahren äußerst angespannt. Der Sohn, selbst Vater von vier schulpflichtigen Kindern, nimmt für sich in Anspruch, mit Hilfe seines bei Scientology erlernten Wissens zwischenzeitlich die Beziehung zu seinen Eltern wieder so weit gekittet zu haben, dass man sogar einen gemeinsamen Urlaub verbracht hatte. Wenig später sei es erneut zum Bruch gekommen, weil der Vater zufällig von seiner Mitgliedschaft erfahren hatte und darauf beharrte, dass der Sohn der „Sekte abschwöre. Gespräche zur Lösung der Situation führten zu nichts. Seither herrscht Funkstille.

    Aus Sicht der Eltern ist Scientology schuld an der ganzen Misere. Seit geraumer Zeit sei ihr geliebter Sohn „der Sekte verfallen, so ist in einem Brief an die Schwiegereltern ihres Sohns zu lesen. Scientology habe ihr Kind „gefügig gemacht, sodass er sich nicht mehr unter Kontrolle habe. Dies habe man ihnen auch von Seiten des Verfassungsschutzes bestätigt. Außerdem sei Selbstmord bei Scientology an der Tagesordnung, die Ehen zerbrechen und man verliere alles. Mittlerweile sei er in einem Stadium, „aus welchem er nicht mehr alleine herauskommt. Man mache sich auch Sorgen um die Enkelkinder, die ebenfalls mit „hineingezogen würden. Nur Druck führe zum Erfolg. Und den üben die Eltern reichlich aus. Sie drohen, die Firmenbeteiligung des Sohnes aufzulösen, um ihn „finanziell auszutrocknen. Das Erbe werde so organisiert, dass kein Zugriff mehr auf einen Pflichtteil bestehe. Aber damit nicht genug: Man werde den Arbeitgeber der Ehefrau ihres Sohnes informieren, dass sie eine Sympathisantin und Mitläuferin der Sekte sei; ebenso werde die Schule der gemeinsamen Kinder über den Einfluss der Sekte auf sie informiert. Kurzum: wirtschaftliche und soziale Isolation, um die Aufgabe einer religiösen Überzeugung durchzusetzen; öffentliche und private Stellen werden zusätzlich über die vermeintlichen „Machenschaften der Sekte informiert. Dass ihr Sohn sich davon wenig beeindrucken lässt, gibt dem Ganzen eine besondere Brisanz. Ein Dialog ist nicht mehr möglich. Dass er Scientology abschwören soll, ist offen- sichtlich, wenn seine Eltern ihm schreiben: „Ein kleiner Schritt und Dein ganzes Leben würde sorgenlos".

    Eine einmalige Geschichte – oder das oft zu beobachtende Resultat komplexer Wechselwirkungen in Zusammenhang mit Scientology, so wie es sich überall in Deutschland ereignen könnte?

    Wer sich als Sozialwissenschaftler mit Neuen Religiösen Bewegungen (wozu Scientology definitiv gehört), umgangssprachlich auch „Sekten" genannt, beschäftigt, der stößt immer wieder an Mauern. Sie türmen sich vor einem auf wie eine Mahnung, hier nicht weiterzugehen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es nicht erwünscht ist, in den Kern der Sache, ins Zentrum vorzudringen, was aber gerade erforderlich ist, um möglichst objektiv alle Faktoren zu analysieren, die in diesem Kontext als signifikant gelten könnten. Und das ist eine ganze Menge. Schon in einer kleineren Gruppe den Namen Scientology auszusprechen führt meist zu lebhaften Diskussionen, die schnell laut und intensiv werden. Beim Thema Scientology scheint jeder ein Experte oder eine Expertin zu sein, selbst wenn er oder sie noch nie Kontakt zu dieser Gemeinschaft hatte.

    Wer jedoch Kontakt zu Scientology hat oder gar Mitglied ist, hat es in Deutschland schwer, sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Sobald sich jemand als Scientologe zu erkennen gibt, wird er plötzlich mit anderen Augen betrachtet: Alles Tun wird plötzlich anders wahrgenommen und interpretiert, denn „bekanntlich will Scientology die ganze Welt erobern, beherrschen und verändern. Mit welchen Mitteln, soll uns an dieser Stelle nicht so sehr interessieren, denn das erklären uns die selbsternannten „Experten im Fernsehen immer wieder auf eindrucksvolle Weise. Was der Deutsche braucht, ist ein konkretes, mit einfachen Worten beschreibbares Feindbild, etwas, was ihm die Sicherheit gibt, selbst auf der „richtigen Seite zu stehen und „normal zu sein – nicht einer der verrückten Spinner dieser „Psychosekte, die es wagen, öffentlich zu erklären, dass ihnen Unrecht geschieht, und die sich rechtlich gegen die unverschämten „Sektenbekämpfer zur Wehr setzen. Der Deutsche verträgt es nicht, wenn man sein Weltbild erschüttert und eine eigene, alternative Interpretation der Geschehnisse vor- legt. Ist das möglicherweise die Ursache für den Beißreflex einiger Sektenexperten, den man auslöst, wenn man sie darauf aufmerksam macht, dass sie nicht Gott sind?

    Vielleicht ist die Wahrheit doch nicht so einfach zu erklären, und vielleicht gibt es mehrere Erklärungen für ein und denselben Tatbestand, je nachdem, auf welcher Seite man steht.

    Schauen wir uns die Diskussionen der letzten vierzig Jahre über Scientology an, dann – so zumindest mein Eindruck – wurde hier ein Urteil über eine aus Amerika stammende Religionsgemeinschaft in Stein gemeißelt. Dieses Urteil lautet: böse! Scientology sei keine echte Religion, sondern täte nur so; ihr wahres Ziel sei die Abzocke von Menschen. Deshalb sei es wichtig, vor Scientology zu warnen und Maßnahmen gegen ihre weitere Verbreitung zu ergreifen.

    Und das wurde auch getan, im großen Stil und mit einer Härte, die an Zeiten des Mittel- alters erinnert, wo Menschen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion entrechtet, verfolgt und umgebracht wurden. Staat und Kirche bildeten eine Allianz gegen unliebsame Abweichler oder religiöse Sonderlinge. Gemeinsam verspritzten sie das Gift der Inquisition, ließen die Abweichler unter Anwendung der Folter ihren Göttern / ihrer Religion abschwören oder verbrannten die Standhaftesten unter ihnen auf dem Scheiterhaufen.

    Heute ist die Inquisition Vergangenheit, sind die Folterkammern geschlossen und die Scheiterhaufen erloschen. Die Aufklärung hat, allen staatskirchlichen Widerständen zum Trotz, vieles im Denken der Menschen verändert. Dennoch lebt der Geist der Inquisition weiter: in den anonymen Foren des Internets, in den Massenmedien, auf Vortragsabenden über Scientology, in den Fernsehtalkshows und natürlich in den Büros der sogenannten Sektenaufklärer, die es im deutschsprachigen Sprachraum reichlich gibt. Diese Meinungsmacher – und nicht nur sie – haben das Bild über Scientology geprägt und gefestigt, und nichts läge ihnen ferner, als dieses Bild – ihr Bild, ihr Wirken und ihr Vorgehen – zu hinterfragen und die wirklichen Motive ihrer Arbeit konkret zu benennen: einfach einmal zu sagen, wie viele ausstiegswillige Scientologen und wie viele angebliche Opfer von Scientology sie wirklich betreuen.

    Warum sie das bis heute nicht tun, sagt viel über ihre wahren Motive aus; sie selbst hängen ja auch am Tropf von Scientology. Ohne sie wäre ihre Existenzgrundlage verschwunden und sie müssten sich neue Feindbilder schaffen. Heutzutage gibt es für sie nicht mehr viele Neue Religionen, die es zu bekämpfen gilt: Die „Moonies (ehemals Vereinigungskirche) und die Hare-Krishna-Bewegung, Bhagwan (Osho) und auch die Zeugen Jehovas gehören nicht mehr zu ihrem Kerngeschäft; mit ihnen kann man keine Aufmerksamkeit mehr erzeugen. Doch mit einer lebendigen und vitalen „Sekte wie Scientology, die auch heute noch und mehr denn je mit Aktionen auf sich aufmerksam macht, kann man die Öffentlichkeit noch unterhalten – eine in der Tat sehr gewagte und provokative These.

    Dieses Buch ist ein Buch über Scientology, genauer gesagt, über die Geschichte und Entwicklung einer in Deutschland umstrittenen Religionsgemeinschaft und die Schwierigkeiten ihrer gesellschaftlichen Institutionalisierung. Meine Ausführungen beruhen ausschließlich auf eigenen Recherchen, persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen. Von 1998 bis 2010 war ich Beauftragter für Religions- und Weltanschauungsfragen des Landes Tirol. Zwölf Jahre lang leitete ich eine Informations- und Beratungsstelle zu religiösen und weltanschaulichen Fragen, hatte fast täglich telefonischen oder persönlichen Kontakt mit Klienten – mal mehr, mal weniger und oft auch nur für kurze Zeit. Ich weiß, welche „Kunden" sich mit welchen Anliegen an einen Sektenbeauftragten wenden.

    Dieses Buch möchte Fakten vorstellen – erarbeitete, keine wiedergekäuten Fakten. Es möchte die Leserschaft einladen, am Prozess der Entwicklung von Scientology in Deutschland teilzunehmen und die Einflussfaktoren kennenzulernen, die das Bild von Scientology in Deutschland bis heute geprägt haben. Es wendet sich an interessierte Leserinnen und Leser aller Berufsgruppen, die sich nicht mit zwei, drei Sätzen über das Wesen und Wirken von Scientology abspeisen lassen, sondern die sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen möchten. Aber auch an geschichtlich Interessierte wendet sich dieses Buch, weil es sich mit den Anfängen von Scientology beschäftigt: Wer ging zu Scientology und warum? Was war und ist an dieser Gemeinschaft so spannend, was ist ihr Selbstverständnis und was hat sie den Menschen persönlich gegeben?

    Zugleich werden Fakten aufgeführt, die eindrucksvoll belegen, dass Staat und Kirche Hand in Hand gemeinsam gegen Scientology vorgingen und es bis heute noch tun. Seit 1997 wird Scientology vom Verfassungsschutz beobachtet – nichts, aber auch gar nichts weist bis heute auf eine irgendwie geartete Staatsgefährdung hin. Warum wird Scientology dennoch weiterhin als angebliche Bedrohung des Staates angesehen?

    Alles, was in diesem Buch recherchiert wurde, versuche ich so umfänglich wie möglich zu belegen: mit Dokumenten, Gutachten, Beschlüssen, Prozessakten, Datenmaterial und natürlich meinen eigenen Beobachtungen. So ist jede Leserin und jeder Leser eingeladen, sich selbst ein Bild von Scientology zu machen.

    Anliegen des Buches

    In kaum einem anderen Land der Welt ist gegen Scientology mit so harten Bandagen vorgegangen worden und wurde sie so verfolgt wie in Deutschland. Die seit Jahrzehnten betriebene Kampagne gerät jedoch durch die Freigabe regierungsinterner Akten in ein schiefes Licht. Diesen Schriftstücken zufolge gibt es keine belastbaren Befunde, die das über Scientology verbreitete Schreckensszenario begründen können. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Die mit dem Verschweigen der Faktenlage einhergehende Täuschung der Öffentlichkeit war relevanten politischen Stellen offenbar durchaus bewusst. Auch innerhalb der zuständigen Behörden ist dies anscheinend seit Langem ein offenes Geheimnis.

    Angetrieben von dem ursprünglich vor allem durch die Amtskirchen befeuerten Kampf gegen Sekten, beteiligen sich seit Beginn der 1990er Jahre zahlreiche Regierungsstellen an einer massiven Kampagne zur gesellschaftlichen Ausgrenzung von Scientology, unter anderem in Form einer geheimdienstlichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Gerechtfertigt wurden die verfassungsrechtlich fragwürdigen Eingriffe in die Religions- und Glaubensfreiheit mit der angeblichen Gefahr einer Unterwanderung von Politik und Wirtschaft sowie der Gesellschaft insgesamt.

    Jedoch halten diese Vorwürfe einer Überprüfung nicht einmal ansatzweise stand, wie sogar der Präsident des Hamburger Verfassungsschutzes im Februar 2013 gegenüber der Presse offen eingestand (siehe Kapitel 4 Abschnitt „Historische Entwicklung"). Nachzulesen ist dies nun auch in einschlägigen Regierungsakten, die vor kurzem zur Einsicht freigegeben wurden. Die Herausgabe dieser Dokumente wurde nach langjährigen Rechtsverfahren erstritten. Sie zeigen, dass maßgebliche Stellen bei Polizei und Strafverfolgungsbehörden von Anfang an Entwarnung gaben. Ihren Erkenntnissen nach lag nicht einmal ein Anfangsverdacht für strafrechtliche Ermittlungen vor und verfassungswidrige Aktivitäten hat man auch seit 1997 nicht feststellen können, als die Überwachung begann. Dennoch wurden sie auf Weisung der Politik jahrelang zum Weitermachen angehalten – mit dem offenbar beabsichtigten Effekt, dass der Generalverdacht gegen Scientologen wegen ihrer angeblichen Gefährlichkeit öffentlichkeitswirksam lebendig gehalten wurde.

    Doch warum ist das so? Wie kam es zu dieser ungeheuerlichen Legendenbildung gegen Scientology?

    Um die Hintergründe dieser Entwicklung zu verstehen, ist ein Rückblick in die Anfangszeiten von Scientology hilfreich. Wer Ursachenforschung betreibt, taucht ein in eine Welt voller Widersprüche und Ungereimtheiten, in ein System militanter Sektenbekämpfer und deren Helfershelfer, in eine Welt von Halbwahrheiten und Intrigen. Zu- erst waren es einzelne Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche und die von ihnen ins Leben gerufenen oder mit ihnen zusammenhängenden Elterninitiativen, die gegen Scientology agierte; später übernahmen Vertreter der katholischen Kirche und einzelne Politiker diese Aufgabe. Für die Medien stand fest: Scientology ist immer eine Schlagzeile wert.

    Mittlerweile hat sich das Thema Scientology verselbständigt, sodass es kaum noch möglich ist, Ursache und Wirkung zu analysieren. Für die Bekämpfer von Scientology zählt nur eines: Die Lichter der Scientology-Kirchen müssen ausgehen. Denn Scientology stellt eine „Bedrohung dar, ihre Anhänger „streben die Weltherrschaft an, „unterwandern Wirtschaft und Politik und binden ihre Mitglieder durch eine „perfide Form der Psychomanipulation an die Gemeinschaft. Als „Beweis führen sie u. a. ehemalige Scientologen bzw. „Aussteiger an, die zwar wenig an der Zahl, jedoch stark in der Signalwirkung sind.

    Der deutsche Verfassungsschutz beobachtet Scientology seit 1997, ohne bis heute irgendeinen Hinweis für eine vermeintliche Bedrohungslage vorlegen zu können. Sektenberatungsstellen und Elterninitiativen verweisen auf einen steigenden Bedarf an Beratung und Betreuung, der angeblich durch Scientology hervorgerufen wird. Angaben zu Quantität und Qualität der Anfragen werden jedoch nicht gemacht; diesbezügliche Nachfragen werden nicht beantwortet. So stellt sich die Frage, welches Problem diese Einrichtungen mit ihrer Transparenz haben oder die Frage, warum diese Einrichtungen ihre Beratungstätigkeit nicht transparenter machen können (siehe dazu Kapitel 5, Aktuelle Befragung 2015).

    Sektenbeauftragte der Amtskirchen, einzelne oft amtskirchlich eingebundene Politiker und bestimmte Medien bestimmen somit darüber, wie wir über Scientology zu denken haben. Die Folgen sind bekannt: Scientology wurde zum Feindbild der Deutschen er- klärt, ihre Religion als „Deckmantel für wirtschaftliche Aktivitäten deklariert und ihr gesamtes Gebaren als „bewusstes Täuschungsmanöver aufgedeckt. Die Amtskirchen und der Staat schufen somit die Grundlagen für die Verfolgung und Ächtung von Scientology in Deutschland. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz und die öffentlichen Warnungen vor Scientology hatten nur ein Ziel: Scientology zu „ächten, wie es eine Stuttgarter Politikerin auf einer Veranstaltung laut einem Bericht des Magazins „Evangelische Verantwortung bereits im Juni 1992 als Zielvorgabe formuliert hatte.

    Ein kurzer Blick in die Geschichte der Amtskirchen zeigt jedoch, dass sie das, was sie Scientology respektive anderen neuen religiösen Bewegungen vorwerfen, selbst aufweisen: Weltherrschaftsfantasien, psychische Manipulation ihrer Mitglieder, wirtschaftliche Ausbeutung, Gewaltanwendung, sexueller Missbrauch, Unterwanderung von Wirtschaft und Gesellschaft, die Art des Umgangs mit Kritikern aus den eigenen Reihen, etc. Es scheint, als wenn hier ein psychologischer Übertragungsmechanismus in Gang gesetzt wurde, die eigenen strukturellen Defizite anderen Religionsgemeinschaften anzulasten.

    Der eigentliche Skandal ist aber, dass sie Scientology dazu benutzen, um sich selbst als bedeutsam und förderungswürdig zu definieren.

    Das vorliegende Buch möchte aktuelle und unbeantwortete Fragen im Zusammenhang mit Scientology beantworten – Fragen, die auf keiner Podiumsdiskussion oder in der „Sektenliteratur" gestellt werden wie zum Beispiel: Wie und warum wurde das Thema Scientology eigentlich politisch kommuniziert? Wie gingen die deutsche Bundesregierung, die Innenminister der Länder, das Bundeskriminalamt, der Verfassungsschutz und Strafverfolgungsbehörden mit diesem Thema um? Was veranlasste einige von ihnen, Scientology zu einem Feindbild zu erklären? Welche politischen Interessen steckten dahinter? Und welche Interessensgruppen haben Politiker dazu bewogen, gegen Scientology vorzugehen?

    Außerdem geht es um Fragen nach dem Warum: Warum wird Scientology in Deutschland seit fast zwanzig Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet, während sie in ihrem Ursprungsland den USA und vielen anderen Ländern der westlichen Welt u.a. auch in Europa staatlich anerkannt ist? Wie und auf welcher Grundlage kam es dazu? Und warum wird die Beobachtung nicht beendet, wenn bis heute kein einziger Nachweis für verfassungsfeindliche Aktivitäten von Scientology existiert? Was sind die Ursachen für die Aufrechterhaltung dieses Feindbildes?

    Auch ist generell nach den Ursachen der Stigmatisierung und Ächtung von Scientology zu fragen: Auf welcher nachvollziehbaren Grundlage wurde Scientology zu einer gesellschaftlichen Bedrohung erklärt? Was waren die Ursachen dieser Handlungen? Welche Institutionen, Personen oder sonstigen Akteure waren maßgeblich daran beteiligt? Welche Mittel setzten sie ein, um Scientology als gefährlich erscheinen zu lassen?

    Um diese Fragen zu beantworten, werden in diesem Buch bislang unveröffentlichte Dokumente vorgestellt, die die deutsche Bundesregierung kürzlich herausgegeben hat und dem Autor dieses Buches zur Verfügung stehen. Die Herausgabe dieser Dokumente wurde in langjährigen Rechtsverfahren erstritten. Sie vermitteln ein erschütterndes Bild des politischen Umgangs in Deutschland mit einer aus meiner Sicht harmlosen Religionsgemeinschaft aus Amerika. Anhand dieser Dokumente lässt sich eindrucksvoll zeigen, wie sich der Staat für die Interessen der Amtskirchen und Apologeten und ihrer Anhänger hat instrumentalisieren lassen. Die Fakten, auf die er sich bezieht, sind vage und spekulativ, aber stark in ihrer Außenwirkung: Wer gegen eine „Sekte kämpft, die die „Weltherrschaft anstrebt und die „deutsche Wirtschaft und Gesellschaft unterwandern" will, dem ist Applaus gewiss – ganz gleich, ob es stimmt oder nicht.

    Dennoch ist an dieser Stelle die Frage erlaubt: Wenn Scientology wirklich die Weltherrschaft anstrebte – warum gibt es dafür nicht einmal Anhaltspunkte in den Ländern, wo sie anerkannt ist? Und wenn Scientology wirklich in der Lage wäre, Menschen psychisch zu indoktrinieren und für ihre Zwecke einzusetzen – warum konnten und können Mitglieder jederzeit austreten und taten bzw. tun dies auch, selbst zu Zeiten, wo die genannte soziale Ächtung nicht das heutige Ausmaß erreicht hatte? Immerhin sind es bald fünfzig Jahre, seitdem sich Scientology in Deutschland niedergelassen hat. Das von der Scientology Kirche vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen die Berliner VS-Behörde erstrittene Urteil vom 13. Dezember 2001 (Az. VG 27 A 260/98) räumte eigentlich bereits mit diesem Gerücht auf, indem es feststellte:

    „Im Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Scientology der Verfassungsschutz Behörden ... wird der Begriff des Clear Planet mit Weltherrschaft übersetzt, ohne dass dies in irgendeiner Weise näher erläutert wäre."

    In der Tat verbindet Scientology mit dem Begriff „Clear Planet" eine völlig unpolitische Vorstellung im Sinne einer erleuchteten Menschheit ohne Krieg, Kriminalität und andere Formen des Wahnsinns. Die Vorstellung richtet sich an die Vielzahl einzelner Menschen mit dem Ziel ihrer spirituellen Erleuchtung und ethischen Vervollkommnung. Auf das genannte Urteil wird an späterer Stelle nochmals genauer einzugehen sein.

    Um die beschriebenen Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen, gehen wir zurück zu den Anfängen von Scientology in Deutschland. Der Medienhype zu Beginn der 1970er Jahre hatte einen anderen Hintergrund als der heutige. Scientology war eine neue Religion unter vielen, die nach Deutschland kamen und sich etablieren wollten. Neuen Religiösen Bewegungen begegnete die Gesellschaft generell mit Misstrauen. Das hat viele Gründe und liegt nicht nur im Weltbild der jeweiligen Bewegung begründet, sondern zeigt sich auch darin, dass die Ablehnung des Fremden ein Merkmal der deutschen Gesellschaft ist und war. Und ohne den Sektenbeauftragten der Amtskirchen pauschal zu unterstellen, dass sie diese Gruppen bewusst aburteilten, sei doch darauf hingewiesen, dass sie bereits zu dieser Zeit beauftragt wurden,

    „Expertisen" über die sogenannten Sekten zu erstellen. So waren die Dienstreisen in die Ursprungsländer dieser Gruppen für sie eine willkommene Abwechslung und Bereicherung ihres Horizontes (auch wenn sie heute das Gegenteil behaupten).

    Doch an dieser Stelle geht es um die Motive und Intentionen von Scientologen, ihre Religion in Deutschland zu etablieren, und deshalb sollen zu Beginn dieses Buches Fragen nach der Situation gestellt werden, die sie Anfang der 1970er Jahre in Deutschland vorfanden. Es geht an dieser Stelle darum, zu klären wie und unter welchen Umständen Scientology nach Deutschland kam. Welche Motive hatten ihre Anhänger, Scientology zu etablieren und auszubauen? Wie war Scientology organisiert? Welche gesellschafts- politische Situation fanden sie vor? Gegen welche Widerstände hatten sie zu kämpfen? Wie bewerten Scientologen ihre jetzige Situation hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Diskriminierung und wie gehen sie damit um?

    Um die ganze Komplexität des Phänomens der gesellschaftlichen Diskriminierung von Scientology in Deutschland zu verstehen, werden soziologische, psychologische und sozialpsychologische Einflussfaktoren vorgestellt, von denen ich annehme, dass sie das „Feindbild Scientology" begründen und erhalten. Und es gilt zu klären, wer die Urheber und Helfershelfer dieses Feindbildes sind und was ihre Motive sind. Zu welchem Ergebnis kommen wissenschaftliche Untersuchungen? Welche Antworten geben Forscher auf die Frage nach der Gefährlichkeit von Scientology und der generellen Generierung von Feindbildern? Ist das ein deutsches Phänomen?

    Kapitel 1: Scientology im Jahr 2017

    Scientology – eine Annäherung

    Als ich das erste Mal einen Scientologen traf – ich glaube, es war im Jahr 2001 –, hatte ich furchtbare Angst. Von Scientology wusste ich nur aus Büchern oder Erzählungen von Sektenbeauftragten, was die alles mit unschuldigen Menschen angestellt und wie sie diese schlagartig verändert hätten. „Experten" bezeichneten Scientology als Virus, vor dem sich die Menschen schützen sollten; andernfalls würden sie zu willenlosen Zombies. In der Sektenberaterszene wurde diskutiert, ob man sich überhaupt mit einem Scientologen unterhalten solle oder ihm zuhören dürfe. Denn die würden doch sowieso alle das Gleiche erzählen. Auch lernte ich Menschen kennen, die Angst davor hatte, einem Scientologen die Hand zu reichen, weil sie befürchteten, dass sich dann schlagartig ihre Persönlichkeit verändern würde.

    All diese Berichte prägen einen, und wenn man mit negativen Statements über Scientology überhäuft wird, beginnt man sie zu verinnerlichen, und es wird schwer, seine Meinung zu überdenken. Das ist eigentlich die wirkliche Indoktrinierung, von der alle sprechen, wenn es um das Thema „Sekten geht. Man könnte es auch als „Gehirnwäsche durch Desinformation bezeichnen.

    Erst als ich anfing, über meine Gedanken und mein Handeln nachzudenken, erkannte ich das Ausmaß der Beeinflussung, die schon stattgefunden hatte. Unter Zuhilfenahme von Supervision versuchte ich, Beratungsfälle aus meiner täglichen Berufspraxis zu analysieren und die tiefere Dimension der Anfragen zu erfassen. Ich versuchte die tiefere Bedeutung der Anfragen, die an mich gestellt wurden, zu ergründen und herauszufinden, welche Antworten ich darauf gab.

    Im Laufe der Zeit stellte ich fest, dass ich immer mehr zum Werkzeug verschiedener Interessensgruppen wurde und dass Fragen nach

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