Wunsch, Indianer zu werden: Versuche über einen Satz von Franz Kafka
Von Christoph König
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Über dieses E-Book
Franz Kafkas kurzer Text »Wunsch, Indianer zu werden« erschien 1912 in seiner ersten Prosasammlung »Betrachtung«. Christoph König und Glenn W. Most haben Dichter, Literaturwissenschaftler und Philologen eingeladen, ihre ganz individuellen Lektüren dieses rätselhaften Satzes vorzustellen: Peter-André Alt, Christian Benne, Heinrich Detering, Daniel Kehlmann, Dagmar Leupold, Heinz Schlaffer und die Herausgeber selbst widmen sich Kafkas Prosatext und versuchen, ihn zu deuten.
Die Lektüren suchen, jede auf ihre Weise, den Text als ein Rätsel zu verstehen, indem sie auf verschiedene Fragen antworten: Ist der Satz grammatisch richtig oder fehlerhaft? Wie ist der Satz überhaupt zu konstruieren? Geht es um die Realisierung eines Wunsches? Schafft der Text, was nur im Stil des Texts selbst möglich ist? Oder wird skeptisch analysiert, was es bedeutet, einen Wunsch zu hegen?
Über Kafkas Schreib- und Denkweise verhandeln die Autoren ebenso wie über die Priorität von Methoden. Das Bild Kafkas als ein Dichter des Scheiterns wird infrage gestellt, seine Kreativität rückt in den Mittelpunkt. Methodisch stehen nebeneinander die syntaktische Analyse, die Erläuterung des kulturhistorischen Kontexts und die Form der poetischen Imagination.
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Buchvorschau
Wunsch, Indianer zu werden - Christoph König
Anmerkungen
Vorbemerkung der Herausgeber
Franz Kafka schrieb seinen Satz ›Wunsch, Indianer zu werden‹ um 1911 und veröffentlichte ihn, als einen von neunzehn kurzen Prosatexten, Ende 1912 in seinem ersten Buch ›Betrachtung‹. Wir legen mit diesem Bändchen ein ernstes Spiel verschiedener und verschiedenartiger Lektüren vor, an dem sich Dichter, Literaturwissenschaftler und Philologen beteiligt haben.
Die Lektüren versuchen, jede auf ihre Weise, den Text als ein Rätsel zu verstehen und das Rätsel des Texts zu lösen, indem sie auf verschiedene Fragen antworten, die sie jeweils für die entscheidende halten: Ist der Satz grammatisch richtig oder fehlerhaft, und welche Rolle spielen Konjunktion, Tempus und Modus? Wie ist die Satzkonstruktion überhaupt zu lesen? Steht für Kafka die Wahrnehmung einer fliehenden Bewegung im Vordergrund, wie er sie in seiner Zeit auf der Rennbahn, im Kino oder in der Malerei sah? Ist eine zeitgenössische philosophische Analyse der Wahrnehmung der Probierstein? Geht es allgemeiner um die Realisierung eines Wunsches? Und wenn dem so ist, führt der Wunsch ins Leere, wird der Wunsch zurückgenommen (und wenn dann, auf eine Weise, dass die Spuren davon noch erkenntlich sind), oder geht es um den Übergang zu einer unbedingten und ballastfreien Bewegung des Daseins? Oder spricht der Text auf radikal dichterische Weise und schafft, was nur in Text und Stil kraft der Eigenlogik der Imagination möglich ist, sei es das Rasende selbst oder – konkreter – einen Kentauren? Wird überhaupt skeptisch analysiert, was es bedeutet, einen Wunsch zu hegen, und wie der Wunsch tatsächlich aussieht, durchläuft der Wunsch diesen Gang der Erkenntnis?
Der Ernst des Spiels liegt auf verschiedenen Feldern: Über Kafkas Schreib- und Denkweise wird ebenso verhandelt wie über die Priorität von Methoden. Soll Kafka weiterhin als ein Dichter des Scheiterns gelten oder gibt es hier eine genuin poetische Produktivität? Und welchen Zugang soll man im Verständnis wählen? Die folgenden Lektüren entscheiden sich unterschiedlich: So stehen die syntaktische Analyse neben der Darlegung des kulturhistorischen Kontexts, und neben der Form der poetischen Imagination die Wirkung auf den Leser.
Gern erinnern sich die beiden Herausgeber, wie sie den Gedanken für dieses Buch fassten: anlässlich einer Tagung an der University of Chicago über Eli Friedlanders philosophische Biographie Walter Benjamins (2012). Benjamins Lektüre von Kafkas Prosatext findet sich in seinem Kafkaessay aus dem Jahr 1934 – er wird nun selbst kommentiert, als Position in der Geschichte der Interpretationskonflikte, die wir hier enggeführt haben. Unser Dank gilt allen Beitragenden, die sich auf dieses Spiel gern einließen und dabei die von uns vorgeschlagenen Regeln bereitwillig akzeptierten, und dem Verlag, der uns mit Energie und Witz unterstützte.
Christoph König • Glenn W. Most
Osnabrück • Florenz
September 2018
FRANZ KAFKA
Wunsch, Indianer zu werden
Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.[1]
CHRISTOPH KÖNIG
Erkenntniskritik des Wünschens
Kafkas Prosastück lautet:
Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.
Zwei Sätze treten syntaktisch auf, als verhielten sie sich zueinander komplementär. Der Punkt am Ende des Satzgefüges zwingt sie als einen Satz zusammen. Der erste Satzteil