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Drei Sünden: Tödliche Begegnungen im Gersprenztal
Drei Sünden: Tödliche Begegnungen im Gersprenztal
Drei Sünden: Tödliche Begegnungen im Gersprenztal
eBook388 Seiten4 Stunden

Drei Sünden: Tödliche Begegnungen im Gersprenztal

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Über dieses E-Book

Im beschaulichen Gersprenztal und im weitgehend ruhigen Otz-berger Land werden drei Frauen mit Angelschnüren erdrosselt. Auf ihren Oberkörpern ist jeweils ein Buchstabe eingeritzt.
Zwei weitere Morde geschehen. Dieses Mal sind Männer die Opfer. - Ist ein brutaler Serientäter am Werk?
Die Beamten der Mordkommission im Polizeipräsidium Südhessen in Darmstadt, Heiner Dröger und Benedikt Semmelweiß - diesmal unterstützt durch ihre neue Kollegin, die junge Kommissarin Sina Cohrs -, stehen vor extrem hohen Anforderungen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum31. Juli 2019
ISBN9783748143789
Drei Sünden: Tödliche Begegnungen im Gersprenztal
Autor

Liliane Spandl

Liliane Spandl, 1950 in Unterfranken geboren, aufgewachsen in der Pfalz, lebt seit 1977 in Südhessen. Veröffentlichte Artikel, Glossen und Kurzgeschichten in Zeitungen und Zeitschriften, eine Erzählung, einen Roman und einen Band mit Kurzprosa. Seit 2005 Inhaberin des Odenwald-Verlags, in dem sie Mundart- und Regionalliteratur südhessischer Autoren herausgibt.

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    Buchvorschau

    Drei Sünden - Liliane Spandl

    weiter.

    1

    Samstag, 23. Juli

    Helfried Stiglmeyr hatte beim Dieburger Schlossgartenfest eine hübsche Frau kennengelernt. Sie saßen zufällig nebeneinander an einer langen Tischreihe im vollbesetzten Festzelt. Es ergaben sich freundliche, erst noch etwas zurückhaltende Gespräche. Aber sie spürten instinktiv, dass sie auf der gleichen Wellenlänge lagen, rockten später zur tollen Musik von The Wild Seven, die bis in die sechziger Jahre zurückreichte. Zu vorgerückter Stunde bummelten sie ins neu gestaltete urige Weindorf, tranken Rotwein. Sie kamen sich näher, ihr Charisma bezauberte ihn. Leise fragte er nach ihrem Namen. »Laura«, gab sie ebenso leise zurück.

    Er hob sein Glas: »Helfried.« Sie stießen an.

    Helfried fand die großgewachsene, kräftige Frau ausgesprochen nett. Er selbst war ja auch nicht gerade schlank. Sie verbrachten einen herrlichen Abend. Als er sie später nach Hause bringen wollte, lehnte sie höflich ab: »Nein, danke, vielleicht ein andermal. Heute nehme ich ein Taxi.«

    »Aber warum?«, fragte er enttäuscht. »Ich kann dich doch bringen.«

    Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange: »Ein andermal gern.« Per Handy bestellte sie ein Taxi. Er fragte hoffnungsvoll: »Darf ich dich anrufen?«

    »Gib mir deine Hand«, lächelte sie ihn an. Er hielt ihr die Hand hin. Sie nahm einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche, kritzelte eine Telefonnummer auf seinen Handrücken. Mittlerweile war das Taxi da, sie stieg ein. Unterwegs grübelte sie, an wen sie der Mann erinnerte, den sie gerade kennen gelernt hatte. Es fiel ihr momentan nicht ein, sie kannte viele Männer. Zudem war es ihr nicht so wichtig.

    Helfried eilte zu seinem Wagen, den er auf dem nahe gelegenen Parkplatz abgestellt hatte und fuhr los, wollte dem Taxi hinterher. Das Taxi war weg. »So ein Pech«, schimpfte er. Jetzt wusste er noch nicht einmal wo sie wohnte. Er wusste ja noch nicht einmal ihren Nachnamen. Aber er hatte ihre Telefonnummer.

    Kaum zuhause wählte er etliche Male die Nummer, die auf seinem Handrücken stand. Ständig kam das Besetztzeichen aus dem Hörer. Er war sich fast sicher, dass sie ihm die falsche Nummer gegeben hatte. Resigniert legte er das Telefon auf die Station. »Schade«, sagte er zu sich selbst. Aber er gab nicht auf, er wollte sie wiedersehen. Er hatte immer wieder versucht, sie telefonisch zu erreichen … wochenlang. Ohne Erfolg.

    2

    Sonntag, 21. August

    Der sechsunddreißigjährige Alfred Bremer fuhr mit seinem alten Moped zu seinem Stammlokal Hundertmorgen-Stübchen in Ueberau zum Frühschoppen auf ein Pils. Nun, es wurden, wie meistens, fünf Pils daraus. Aber das lag natürlich nie an ihm, sondern an den anderen Männern, die sich ebenfalls um diese Zeit im Hundertmorgen-Stübchen trafen. Zumindest redete er sich das ein.

    Vier Männer saßen am Stammtisch, der in einer Ecke des Lokals stand, und unterhielten sich über die Ereignisse der vergangenen Woche. Bremer saß etwas abseits an einem kleinen Tisch, der von so manchem anzüglich Katzentisch genannt wurde.

    Der schmale, meist ungepflegte Mann war nicht auf dem Niveau der anderen Herren. Alle anderen Tische im vorderen Gastraum waren nicht besetzt, einige Gäste saßen im gemütlichen Biergarten.

    Die Tische im hinteren Gastraum waren weiß gedeckt, weinrote Servietten und silbern blinkende Bestecke waren aufgelegt. Eine Geburtstagsfeier war angesagt, bei der ungefähr dreißig Gäste erwartet wurden.

    Ludger Jacobus, Geschäftsführer der Spedition Kamp GmbH in Reinheim, lobte wieder einmal in den höchsten Tönen seine Frau Lisa, die an der Dr.-Kurt-Schumacher-Schule in Reinheim Geschichte und Biologie unterrichtete: »Ihr glaubt gar nicht, wie diese Frau das bewältigt, wie sie Familie und Beruf in Einklang bringt. Schließlich haben wir zwei Kinder. Aber für sie ist das alles kein Problem. Sie ist auch in der Schule sehr aktiv. Vorgestern ist sie mit ihrer Klasse im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt gewesen.« Er hob hervor: »Aber nicht zum Vergnügen! Das war ernsthafter Unterricht!« Jacobus faltete die Hände vor sich auf dem Tisch, nickte überheblich mit hochgezogenen Augenbrauen.

    »Na und? Was ist daran so Besonderes?«, war die Reaktion seines Tischnachbarn. »Viele Frauen führen ihren Haushalt und gehen arbeiten. Und viele Frauen müssen körperlich schwer arbeiten oder stehen bei irgendeiner Produktionsfirma am Band.«

    »Lehn dich mal nicht so weit aus dem Fenster, Ludger. Andere arbeiten auch, nicht nur deine Lisa.« Helfried Stiglmeyr schüttelte den Kopf. So ein Angeber! Er nahm einen kräftigen Schluck seines frischgezapften Pils, wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund.

    »Der erste Schluck ist immer der beste, gell Helfried?«, lispelte der kleine, schmallippige Pensionär Philipp Jassen, der von allen nur Fips genannt wurde, mit hohem Stimmchen. Helfried nickte lächelnd.

    »Do hoste Rescht, Fips«, meinte der Wirt. »Isch wollt, es wär jedesmol de erste Schluck. Was kännt isch Bier verkaafe.« Er lachte rau, stellte ein Pils vor Fips.

    »Hauptsache, du machst dein Geschäft, oder?«, fiel nun Wolfram Berktolt ein. Ein missgünstiges Grinsen überzog das fleischige Gesicht des Maurerpoliers.

    »So isses! Isch will jo aach lewe«, erwiderte der Wirt, der das Grinsen wohl gesehen, es aber ignoriert hatte. Er schaute Stiglmeyr an: »Wo is eischentlich doin Bruder, Helfried? Der wor schon einische Sunndaache net do.«

    »Ach weißt du, der vertritt zurzeit den Klinger Pfarrer. Er hat ja noch einen weiten Weg vor sich, bis er wirklich Pfarrer ist«, gab Stiglmeyr zur Antwort. »Außerdem besucht er die Kranken in der Umgebung und, nicht zu vergessen, im Pflegeheim AmBerg in Reinheim ist er auch mindestens einmal in der Woche.«

    »Er is jo aach werklisch en freundlischer Mensch, der Meinrad. Alles was Rescht is, gell. Obwohl … mansches Mol is er aach e bissje iwwerzwersch. Awwer des is net schlimm, mir hawwe all unser Macke.« Der Wirt zapfte ein weiteres Pils.

    Jacobus begann, von der Spedition zu erzählen. Als er ins Detail gehen und erklären wollte, wie hart er arbeiten müsse, unterbrach ihn Berktolt: »Komm, Ludger, hör auf! Das will keiner hören.«

    Jacobus senkte beleidigt den Kopf, sagte nichts mehr. Er stand auf, bezahlte und verabschiedete sich mit den Worten: »Ich habe Besseres zu tun, als hier herumzusitzen.«

    »Na dann, Ludger! Mach’s gut.« Jassen schaute ihm hämisch nach.

    Männerwitze machten nun die Runde. Die ersten Geburtstagsgäste trafen ein. Gegen dreizehn Uhr dreißig löste sich die Stammtischgesellschaft auf.

    Nur Fips Jassen hatte sein Bier noch nicht ausgetrunken. Er stellte sich mit seinem halbvollen Glas zum Wirt an die Theke, meinte: »Du, Konrad, ist dir auch schon aufgefallen, dass der Helfried seinem Bruder ähnlich sieht? Wenn er noch die gleiche Frisur hätte, könnte man sie nicht auseinander halten.«

    »Des habb isch aach schon gedenkt. Wie er roikumme is, habb isch gedenkt, es wär de Vikar. Weil, de Helfried is jo net so oft do wie de Meinrad, gell.«

    »Na ja, ist ja auch egal.« Jassen trank aus, bezahlte seine Zeche. »Tschüss, Konrad.«

    »Tschüss, scheene Sonntag noch.«

    »Danke, für dich auch. Hast ja heute wirklich genug zu tun.«

    »Des packe mer aach widder. Mach’s gut.«

    Ludger Jacobus war unterdessen, nachdem er mit dem Handy telefoniert hatte, mit seinem Mercedes 190 SL, einem knallroten Oldtimer, auf einen Waldparkplatz zwischen Hahn und Groß-Bieberau gefahren.

    Dort wartete eine gutaussehene, schlanke blonde Frau. Eigentlich wollte sie nichts mehr mit ihm zu tun haben. Es machte ihr keinen Spaß mehr. Heute nochmal, dann ist Schluss, nahm sie sich vor. Sie stieg aus ihrem Wagen, ging mit wiegenden Schritten langsam auf ihn zu. Ihr kurzer, heller Rock, der ihren Tanga durchblitzen ließ, die endlos langen Beine und das dünne Trägershirt ließen seine Augen glänzen. Er stieg ebenfalls aus, sie umarmten und küssten sich. Sie gingen den Weg hoch, wo sich eine Schutzhütte befand, die sie schon öfter aufgesucht hatten, zogen sich gegenseitig aus.

    Wenige Minuten später schaute die Blondine frustriert auf die Uhr: »Was war das denn? Was ist los mit dir?«

    Er zuckte die Schultern: »Warum?«

    »Warum, warum! Das fragst du noch? Nix gemerkt?«

    »Aber … so erklär mir doch …«

    »Überleg selber mal«, unterbrach sie ihn spöttisch, «du bist doch sonst so schlau!« Sie zog sich an: »Ich muss nach Hause. Wenn mein Mann nicht mit dem Hund unterwegs wäre, hätte ich erst gar nicht kommen können. Er wird bald zurück sein.«

    Verwirrt wollte Jacobus die Situation retten: »Ich … ich rufe dich nachher an.«

    »Lass es sein, es läuft nichts mehr.« Sie verzog verächtlich den Mund. Missmutig setzte sie hinzu: »Ich habe genug von dir. Außerdem wird Santino uns beide umbringen, wenn er davon erfährt.«

    Tief enttäuscht starrte Jacobus sie an: »Du willst dich nicht mehr mit mir treffen? Das ist doch absurd.« Er wollte sie umarmen, sie wies ihn rüde ab: »Lass das! Ich will das nicht mehr! Vergiss es!« Sie drehte sich um, ging zu ihrem Wagen und fuhr weg. Ludger Jacobus war wie vor den Kopf gestoßen.

    Er zog sich an, lief zu seinem Sportwagen, setzte sich hinters Steuer und gab zornig Gas. »Was für eine blöde Zicke!«, sagte er verärgert. Aber er beruhigte sich schnell wieder. »Was soll’s! Sie ist nicht die einzige Frau auf der Welt.« Trotzdem wurmte ihn ganz gewaltig, dass diese Blondine ihn plötzlich so erniedrigt hatte.

    3

    Der Anruf des Ersten Vorsitzenden der Anglerfreunde in Nieder-Klingen, Volker Schöller, erreichte die Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Südhessen in Darmstadt um neun Uhr fünfunddreißig, er meldete aufgeregt den grauenhaften Fund. Kommissaranwärterin Lore Michelmann informierte sofort den Rettungsdienst, die Schutzpolizei in Dieburg und den diensthabenden Ersten Kriminalhauptkommissar Heiner Dröger vom K10, dem Kommissariat für Gewaltverbrechen, der mit Hauptkommissar Benedikt Semmelweiß in seinem Büro zusammensaß und sich mit ihm über verschiedene Mordfälle der Vergangenheit unterhielt, sowie das ZK41, den Erkennungsdienst.

    Die neue Mitarbeiterin des K10, Sina Cohrs, eine junge, gesetzte Kommissarin mit kurzen schwarzen Haaren, hatte zwar ihren Dienst noch nicht angetreten, war aber trotzdem im Büro, um ihren Schreibtisch einzurichten. Da die Türen offen standen, bekam sie mit, dass irgendwas passiert war. Sie lief schnell ins Büro ihres Vorgesetzten. Es war niemand mehr da.

    Die Hauptkommissare hatten alles stehen und liegen gelassen, sich eilig in Drögers Dienstwagen gesetzt und waren mit Blaulicht und eingeschaltetem Martinshorn losgerast. Auch die Kollegen vom Erkennungsdienst waren bereits unterwegs.

    Sina rannte zur Einsatzzentrale, wo Lore Michelmann ihr in knappen Worten erklärte, wo was passiert war. Sie eilte zu ihrem Spind, zog Lederkleidung und Stiefel an, setzte den Helm auf. Minuten später saß sie auf ihrer Kawasaki Z 1000, startete die 140 PS starke Maschine und brauste los. Das Motorrad hatte sie unlängst bei Kawasaki Südhessen an der Riedbahn in Weiterstadt günstig gebraucht gekauft.

    Der Rettungswagen und eine Polizeistreife der Dienststelle Dieburg waren bereits auf dem Weg. Eine weitere Funkstreife, die mit Motorrädern in Groß-Umstadt unterwegs war, wurde zum Tatort beordert. Auch unterrichtete Michelmann Kriminaldirektorin Ilse Ehresmann in Nieder-Klingen, die dort in der Lindenstraße wohnte, und Staatsanwältin Dr. Ramona Augustin, die es sich mit ihrer argentinischen Lebensgefährtin Estella Rodriguez am Kaffeetisch gemütlich gemacht hatte.

    »Da muss ich nicht unbedingt hin«, war die erste Reaktion der Staatsanwältin.

    Estella zog sich bis auf den Slip aus, stöhnte: »Diese Hitze!« Sie blinzelte ihre Geliebte verführerisch an, legte die schlanken Beine auf deren Schoß, schob sachte eine Hand unter Ramonas dünne Bluse. Inzwischen war es mit bereits achtundzwanzig Grad im Schatten ungewöhnlich heiß.

    »Der Dröger soll das machen«, fügte Ramona Augustin heiser hinzu und legte auf. Zärtlich streichelte sie die braungebrannten Beine ihrer Freundin, küsste sie erregt auf den Mund. Sie hatte etwas Besseres vor, als am Klinger Angelteich herumzustolpern.

    Nach ungefähr fünfunddreißig Minuten erreichten die Kommissare das kleine beschauliche Dorf Nieder-Klingen am Fuße der Veste Otzberg. Der Rettungswagen und die Funkstreifen waren bereits vor Ort, die Kriminaldirektorin war ebenfalls anwesend. Handys klingelten, Funkgeräte rauschten und krächzten.

    Hier hatte es jahrzehntelang noch nicht einmal einen kleinen Einbruch oder sonst irgendwelche kriminelle Taten gegeben, bevor seit dem Mord an einer Schauspielerin vor einiger Zeit erstaunliche Dinge passiert waren. So auch jetzt … die Tote am Angelteich. Und das bei einem schönen und immer friedlichen Dorffest. Das konnte niemand der braven Klinger Bürger verstehen. Wer brachte die Welt hier durcheinander?

    Als Kommissarin Sina Cohrs nach der Kreuzung zwischen Habitzheim und Nieder-Klingen am Storchennest vorbeischoss, sah sie die rotierenden Blaulichter des Rettungswagens und der Einsatzfahrzeuge der Polizei. Kurz darauf war sie vor Ort, stellte die Maschine am Anglerheim ab, hängte den Helm an den Spiegel. Da ihr offizieller Dienst erst am nächsten Tag begann, erkannte sie keiner der Beamten an der Absperrung. Sie musste ihren Dienstausweis vorzeigen, damit sie zum Teich gelangen konnte. Hauptkommissar Semmelweiß sah sie kommen, ging auf sie zu. »Was machen Sie denn hier? Sie fangen doch erst morgen bei uns an.« Er musterte sie erstaunt von oben bis unten. Ihre Lederkleidung überraschte ihn.

    »Ja, schon klar, Herr Semmelweiß. Aber ich habe mitgekriegt, dass irgendwas los ist, da habe ich halt …«

    »Stopp, Mädchen, machen Sie mal langsam. Sie sind doch eigentlich noch gar nicht da. Richten Sie sich erst mal im Präsidium ein, morgen reden wir weiter, okay?« Er reichte ihr die Dose mit Pfefferminzbonbons, die er aus der Hosentasche nahm: »Sie auch?«

    Sie lehnte ab: »Nein, danke.«

    »Biste jetzt sauer?« Er schob ein Bonbon in den Mund:

    »Ich bin übrigens Benedikt.«

    »Sina.« Sie reichte ihm die Hand, verzog sogleich das Gesicht. Benedikts Händedruck war ungewöhnlich kräftig. Sein breiter Mund grinste: »Wirst dich an noch härtere Dinge gewöhnen müssen, Sina.« Er erkundigte sich: »Du fährst Motorrad?«

    »Ja, warum?« Sie moserte: »Ist das strafbar?«

    »Quatsch! Ich dachte nur. Wegen deiner Kleidung.« Er setzte hinzu: »Dann warst du es, die vorhin die Straße entlanggebraust ist?«

    »Ja, genau! Ist das strafbar?«, meinte sie schnippisch.

    »Naja, du warst ganz schön schnell.«

    »Okay, Benedikt. Genug davon. Jetzt mal was anderes.« Sie schaute ihn von der Seite an: »Wenn ich schon mal da bin, kann ich doch …«

    »Gut, du kannst dir alles anschauen. Aber überlass die Aktivitäten uns, einverstanden?«

    Sina gab keine Antwort. Sie war nicht einverstanden, sondern wollte gleich mit einsteigen. Entschlossen ging sie zur Direktorin und zu ihrem direkten Vorgesetzten, Hauptkommissar Heiner Dröger, die nebeneinander standen, und begrüßte sie.

    Direktorin Ilse Ehresmann schaute die junge Kommissarin fragend an: »Sie sind doch erst ab morgen bei uns, oder täusche ich mich?«

    Bevor Sina antworten konnte, klärte Dröger die Direktorin auf: »Es ist richtig. Frau Cohrs ist erst ab morgen früh im Dienst.« An Sina gewandt meinte er: »Und was tun Sie jetzt hier?«

    Sina erklärte, dass sie mitbekommen habe, dass etwas passiert sei. »Ich habe mich dann schlau gemacht und bin losgefahren.«

    Sie wartete keine Antwort ab, ging sogleich in Richtung Leiche, nahm das Handy aus ihrer Lederjacke, sprach einige Sätze drauf. Dröger folgte ihr verärgert und hielt sie zurück. «Wollen Sie Ihre eigenen Spuren einbringen?«, wetterte er.

    Sie schaute ihn entschuldigend an: »Natürlich nicht, Herr Dröger.«

    »Dann bleiben Sie weg!«, wies er sie zurecht.

    ***

    Die anwesenden Besucher, unter ihnen ein junger Vikar mit getönter Brille, der den Gottesdienst halten sollte, waren heftig erschrocken, als mit lautem Sirenengeheule und zuckendem Blaulicht zuerst der Rettungswagen, dann die Polizei plötzlich eintrafen und am Angelgelände vorbei zum Teich rasten. Volker Schöller und Klaus Kindinger hatten die Kripobeamten dort erwartet. Aufgeregt berichteten sie ihnen, wo sie die Tote gefunden hatten, und führten sie sogleich an Ort und Stelle.

    Viele eilten hinunter zum Teich, wo die beiden Anglerfreunde bei zwei Polizisten standen und wild mit den Armen gestikulierten. Das Gelände rund um den Teich war weiträumig mit einem rot-weißen Flatterband abgesperrt worden.

    Zwei über Funk gerufene Streifenpolizisten kamen zusätzlich. Zusammen mit ihren Kollegen schickten sie als erstes die Kinder weg, dann versuchten sie, die Leute zu beruhigen. Die neugierigen Menschen durften auf gar keinen Fall zum Teich vordringen, alle Spuren wären vernichtet worden. Der Vikar hatte inzwischen mitbekommen, dass hier möglicherweise ein Mord geschehen war, er eilte sogleich in Richtung der Toten. Auch er durfte das Gelände am Teich nicht betreten.

    Die Hauptkommissare Dröger und Semmelweiß sowie Kommissarin Cohrs und Notarzt Dr. Brenner streiften Einmalhandschuhe über und zogen die Leiche vom Teich weg. Cohrs rümpfte die Nase: »Mann, stinkt die nach Schnaps!«

    Der Erste Kriminalhauptkommissar Hennes Lehmann vom ZK41 und seine beiden Kollegen begannen sofort mit der Arbeit.

    Dröger schaute die künftige neue Kollegin ernst an: »Das war’s aber jetzt auch schon, junge Frau. Sie können allenfalls zugucken, okay?«

    Benedikt schmunzelte. Dieses mollige Energiebündel gefiel ihm. Er schätzte sie auf höchstens einssechzig und etwas über dreißig Jahre.

    »Ich will doch nur helfen, Herr Dröger.« Sie zog erneut das Handy aus der Tasche.

    »Ab morgen! Und stecken Sie das Ding weg.«

    Sina drehte ihm den Rücken zu, streckte die Zunge raus. Semmelweiß hatte es gesehen. Er schmunzelte erneut.

    Die Kommissare und der Arzt schauten sich die tote Frau näher an. Sina konnte nicht an sich halten und reckte ihren Kopf ebenfalls vor, was erneut Unmut bei ihrem Vorgesetzten hervorrief, er warf ihr einen vernichtenden Blick zu.

    Das schöne Gesicht der Toten war eingefallen, Einkerbungen rund um den Hals waren bräunlich verfärbt. Blaufärbungen im aufgedunsenen Gesicht waren erkennbar. Auch wurden Kratzverletzungen am Hals festgestellt. An den Fingern beider Hände waren deutlich tiefe Striemen zu sehen. »Die Frau hat sich heftig gewehrt. So wie es aussieht, hat sie versucht, die Schnur wegzuziehen«, meinte Lehmann mit gerunzelter Stirn. Die neue Kommissarin pflichtete ihm eifrig nickend bei.

    »Der Buchstabe T wurde wahrscheinlich mit einem Messer eingeritzt«, stellte Semmelweiß schnaubend fest, schob ein Pfefferminzbonbon in den Mund. Seine wulstigen Lippen bebten.

    »Ja«, gab Dröger kurz zur Antwort, »womit sonst!«

    »Ei ja, es hätte auch ein …«

    »Schon gut, Benedikt.« Dröger winkte ab. »Es wird sich herausstellen.«

    »Ich tippe auch auf ein scharfes Mess …« Sina brach ab. Drögers Blick hatte ihr signalisiert, jetzt besser still zu sein. Sie biss sich auf die Lippen.

    »Sauberer Schnitt«, stellte Dr. Brenner fest. Er murmelte in sein Diktiergerät, nach eindringlicher Leichenschau stellte er den Totenschein aus.

    Dröger fragte die beiden Angler: »Kennen Sie die Tote?«

    »Nein«, antwortete Schöller, der am Abend zuvor hinter dem großen gemauerten Grill seinen Dienst versehen hatte, »nie gesehen.«

    »Ich meine, ich hätte die Frau gestern Abend auf dem Fest gesehen.« Klaus Kindinger kratzte sich an der Nase. »Aber ich bin mir nicht sicher. Es waren ja viele Leute da.«

    Der Hauptkommissar fragte die Direktorin: »Waren Sie gestern Abend eigentlich auch auf dem Teichfest?«

    »Nein«, entgegnete sie kurz angebunden. Sie schaute Dröger missbilligend an.

    Inzwischen hatte Semmelweiß die Rechtsmedizin benachrichtigt. Der Forensiker vom Rechtsmedizinischen Institut in Frankfurt ließ auf sich warten.

    Drögers Handy vibrierte, er hatte den Ton ausgeschaltet. Er nahm es aus der Jackentasche, schaute auf dasDisplay: Die Einsatzzentrale! Er nahm das Gespräch an.

    »Herr Dröger, ich habe Staatsanwältin Dr. Augustin angerufen.« Lore Michelmann schluckte.

    »Und?«

    »Sie kommt nicht.«

    »Was? Wieso?«

    »Sie verlässt sich ganz auf Sie.« Nach kurzem Überlegen meinte die Kommissaranwärterin: »Ihre Stimme hat auch ganz seltsam geklungen. Belegt oder … nein, eher heiser.«

    »Heiser? Aha!« Dröger nahm sich zusammen. »Sie verlässt sich also ganz auf mich. Is ja doll!« Er steckte zerknirscht das Handy zurück.

    Wenig später teilte ihm Semmelweiß mit, dass der Rechtsmediziner, der Bereitschaftsdienst hatte, auch nicht käme. Er wohne ja in Wetzlar und es würde ihm jetzt überhaupt nicht in den Kram passen, bis in den Odenwald zu fahren. Und das Ganze auch noch bei dieser Hitze. Semmelweiß schob ein weiteres Pfefferminzbonbon in den Mund, nuschelte: »Er war der Meinung, der Notarzt und die SpuSi können das regeln.«

    Das war jetzt zu viel für den Ersten Kriminalhauptkommissar. »Die sind doch nicht ganz dicht!«, polterte er los. »Was geht denn hier ab? Sollen wir denn wieder alles alleine machen?« Er meckerte: »Wär’ ja nicht das erste Mal! Verdammt!«

    »Wo gibt’s denn sowas?« Sina konnte es sich nicht verkneifen.

    Dröger blickte sie böse an: »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie sich raushalten sollen. Nicht kapiert?«

    »Entschuldigung, aber …!« Sina hob die Schultern. Direktorin Ehresmann forderte den Hauptkommissar auf, sich um alles zu kümmern. Der Missstand sei auf die Schnelle sowieso nicht zu ändern. Dröger knurrte verbittert: »Hoffentlich ist der Helm zuhause oder wenigstens in der Nähe.« Voller Wut schnappte er sein Handy, drückte die Taste mit der gespeicherten Handynummer Professor Dr. Helms, der wie er in Groß-Umstadt wohnte. Durch die gemeinsame Arbeit zwischen Kripo und Rechtsmedizin kannten sie sich schon lange und waren Freunde geworden. Hin und wieder gingen sie zusammen zum Essen, wobei immer irgendwelche beruflichen Fälle diskutiert wurden.

    »Ich komme«, war die prompte Antwort des Rechtsmediziners.

    Eine halbe Stunde später traf Professor Dr. Hans Georg Helm ein. Er stellte den schwarzen Porsche auf dem Weg vor dem Teichgelände ab. Semmelweiß hatte unterdessen am Ufer des Teiches hochhackige weiße Schuhe sowie die Handtasche der Toten gefunden, die etwa zehn Meter von ihr entfernt im Gras lagen. Unter anderem fand er darin ihren Personalausweis. Elena Guttmann war vierundzwanzig Jahre alt und wohnte in Habitzheim im Klinger Weg.

    Natürlich hatten mittlerweile die Leute im Dorf mitbekommen, dass am Angelteich irgendetwas passiert sein musste. So hatte sich schnell eine beträchtliche Menschenmenge angesammelt, die bis zum Teich vordringen wollte, aber bereits vor der Absperrung von Polizisten zurückgewiesen wurde. Journalisten hatten Wind bekommen und sich auf den Weg gemacht. Auch sie kamen nur bis zur Absperrung.

    Nach ersten Begutachtungen des Notarztes und des Rechtsmediziners war das Opfer mit der Angelschnur stranguliert worden und wahrscheinlich dadurch zu Tode gekommen. »Aber«, Helm schaute Dröger an, »was soll dieses T bedeuten?«

    »Gute Frage, Herr Professor. Ich kann mir keinen Reim darauf machen«, gab der Hauptkommissar kopfschüttelnd zur Antwort.

    Semmelweiß zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.« Bonbonkauend schmatzte er selbstsicher: »Wir finden es schnell heraus.«

    Heiner Dröger schaute ihn skeptisch an: »Schnell, Benedikt?« Er wiegte den Kopf. »Na ja!«

    Semmelweiß bleckte die Zähne, lutschte weiter auf seinem Bonbon herum. Dröger wollte vom Professor wissen, wann ungefähr der Tod Elena Guttmanns eingetreten sei.

    »Sie wissen, dass ich Ihnen das noch nicht sagen kann. Es nützt doch nichts, wenn ich irgendetwas einschätze. Warten Sie einfach den Bericht ab. Dann haben Sie definitive Daten.« Helm schaute ihn vorwurfsvoll, fast beleidigt an. Er hatte dienstfrei und seinem Freund Dröger lediglich einen Gefallen getan.

    »Okay.« Der Hauptkommissar wusste, dass er nicht weiter zu fragen brauchte. Helm würde keine Auskunft mehr geben.

    Sina stellte sich vor den Professor, stemmte die Arme in die Hüften, schaute zu ihm auf: »Aber Sie müssen das doch ungefähr sagen können. Sie haben doch Temperaturmessungen vorgenommen.«

    Helm blickte Dröger fragend an: »Wer ist denn das?«

    »Darf ich vorstellen? Das ist unsere neue Mitarbeiterin Sina Cohrs. Frau Cohrs, das ist Professor Dr. Helm, leitender Rechtsmediziner bei der Goethe-Universität in Frankfurt.«

    »Leidender Rechtsmediziner. Ich betone: Leidender!« Helm grinste.

    Hauptkommissar Dröger nahm Sina am Arm: «Kommen Sie mal mit.« Er erklärte ihr, dass sie sich ab sofort aus allem raushalten solle. »Zuschauen ist erlaubt, mitreden nicht. Noch nicht! Klar?«

    Sie sah ihn betrübt an: »Klar, Herr Dröger.«

    Auf Anweisung des Professors wurde die Leiche vom bestellten Bestattungsinstitut in die Rechtsmedizinische Abteilung der Goethe-Universität in die Kennedyallee nach Frankfurt gebracht. »Jetzt sollen sich die Kollegen drum kümmern. Ich habe sie informiert.« Er brummelte ärgerlich: »Hoffentlich zerfließt denen die Leiche nicht.« Ironisch setzte er hinzu: »Bei der Hitze! Mann, Mann!«

    Die Kommissare und die Streifenpolizisten befragten die Leute, die noch anwesend waren. Viele waren schon gegangen, darunter die Musiker von der Jazzband, auch der Vikar war nicht mehr da. Die meisten waren am Samstagsabend nicht auf dem Fest gewesen.

    Vier junge Männer sagten aus, dass eine blonde Frau sich zu ihnen an den Tisch gesetzt und heftig mit ihnen geflirtete habe. Dabei habe sie reichlich Bier und Schnaps getrunken, was auch die Kellnerinnen bestätigten. Charly Kluge sagte: »Sie ist irgendwann später verschwunden und nicht mehr aufgetaucht. Wir dachten, sie sei nach Hause gegangen. Voll genug war sie ja. Wir hatten ja alle genug.« Entsetzt fasste er sich mit beiden Händen an den Kopf: »Und die ist ermordet worden?«

    »Vermutlich, ja«, gab der Polizist zur Antwort.

    Alle anderen, die dort waren kannten die Blondine nicht, sie konnten auch keine Aussagen machen, weil sie nichts bemerkt hatten, was auf den Mord hätte hinweisen können.

    Mit großem Aufwand wurden die Personalien der Befragten festgestellt.

    Über ein Megaphon teilte danach die Polizei den Anwesenden

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