Metamorphose Mensch und Tier: Gestalt und Evolution des Menschen und der Tiere in Goetheanismus und Anthroposophie
Von Christoph Hueck
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Über dieses E-Book
"... dass es ein Unterschied sei zwischen Sehen und Sehen, dass die Geistes-Augen mit den Augen des Leibes in stetem, lebendigen Bunde zu wirken haben, weil man sonst in Gefahr gerät, zu sehen und doch vorbeizusehen." (Goethe)
Christoph Hueck
Christoph J. Hueck, Dr. rer. nat., Jahrgang 1961, Studium der Biologie und Chemie, Promotion in Genetik, Forschung im Bereich Impfstoffentwicklung in Deutschland und USA. Langjährige Beschäftigung mit der Anthroposo-phie. Waldorflehrer, Dozent für Waldorfpädagogik und anthroposophische Meditation. Redakteur der Zeitschrift Die Drei sowie Mitbegründer der AKANTHOS-Akademie für anthroposophische Forschung und Entwicklung. Veröffentlichungen zu Biologie und Anthroposophie, Grundlagen der Anthroposophie und zur Waldorfpädagogik. Forschungen u.a. zur lebenslangen gesundheitlichen Wirkung der Waldorfpädagogik sowie zu Rudolf Steiners Darstellungen der Entwicklungsanthropologie.
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Buchvorschau
Metamorphose Mensch und Tier - Christoph Hueck
INHALT
Einführung und Hintergrund
Methodische Grundlagen: Lesen im Buch der Natur
Metamorphose - die Formkraft des Lebendigen
Die Dreigliederung der menschlichen Gestalt
Der aufrechte Gang und der Unterschied von Mensch und Tier
Der Mensch als Urform der Tiere
Vier Betrachtungsweisen des Verhältnisses von Mensch und Tier
Entwicklung und Evolution des Menschen
Der Mensch als Ursprung, Mitte und Ziel - Rudolf Steiners Auffassung der Evolution
Ähnliche Ansichten bei anderen Denkern
Nachwort
Katalog der Ausstellung Metamorphose Mensch & Tier
Anmerkungen und Literatur
»Feierlich sollte es stimmen, ein Geistiges
mit physischen Sinnen in der physischen Welt
als Menschengestalt wahrzunehmen.«
Rudolf Steiner
»Betrachten wir aber alle Gestalten, besonders die organischen, so finden wir, dass nirgend ein Bestehendes, nirgend ein Ruhendes, ein Abgeschlossenes vorkommt, sondern dass vielmehr alles in einer steten Bewegung schwanke. Das Gebildete wird sogleich wieder umgebildet, und wir haben uns, wenn wir einigermaßen zum lebendigen Anschaun der Natur gelangen wollen, selbst so beweglich und bildsam zu erhalten, nach dem Beispiele mit dem sie uns vorgeht.«
»Alle Glieder bilden sich aus nach ew´gen Gesetzen, und die seltenste Form bewahrt im Geheimen das Urbild.«
Johann Wolfgang von Goethe
»So geht aus dem Kampfe der Natur, aus Hunger und Tod unmittelbar die Lösung des höchsten Problems hervor, das wir zu fassen vermögen, die Erzeugung immer höherer und vollkommenerer Tiere. Es ist wahrlich eine großartige Ansicht, dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat, und dass, während unser Planet den strengsten Gesetzen der Schwerkraft folgend sich im Kreise schwingt, aus so einfachem Anfange sich eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen entwickelt hat und noch immer entwickelt.«
Charles Darwin
»In demjenigen, was die darwinistische Kultur gegeben hat, liegt die Gesamttat des Menschengeistes. Darinnen hat er gewaltet, wie unser Ich in dem kindlichen Organismus waltet. Studiert hat der Darwinismus in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und bis in unsere Tage herein, ohne dass er es wusste, die Gottestaten des Menschengeistes. So ist durch den Darwinismus ein Großes, ein Gewaltiges vorbereitet, das nur missverstanden wird, das so genommen wird, als wenn es aus sich selber wirksam ist, während es der Plan ist, den der schaffende göttliche Geist auf seinem Wege zur Menschheit hin befolgt hat.«
Rudolf Steiner
EINFÜHRUNG UND HINTERGRUND
Viele Menschen suchen heute ein ganzheitliches und spirituelles Verständnis der Natur. Dazu gehört auch ein tieferes Verständnis der Evolution. Wie und warum sind der Mensch und die Tiere entstanden und so geworden, wie sie sind? Für darwinistisch denkende Naturwissenschaftler sind sie überlebenstaugliche Zufallserscheinungen, die ebenso gut auch nicht hätten entstehen können. Warum die Evolution nicht auf einer früheren Stufe stehengeblieben ist, muss für diese Auffassung ein Rätsel bleiben.
Das Christentum sieht im Menschen ein Abbild Gottes und gibt der menschlichen Gestalt damit eine hohe Würde, doch kann es ihre Entwicklung nicht genauer erklären. Warum hat der Schöpfer allmähliche Übergänge, z.B. zwischen Fischen und Landtieren, Reptilien und Säugern, Dinosauriern und Vögeln geschaffen? Warum sind die meisten jemals existierenden Arten wieder ausgestorben? Warum lief der Mensch schon auf zwei Beinen, lange bevor er ein menschliches Antlitz und Gehirn hatte? Die christliche Antwort kann immer nur heißen: Weil es dem Herrn so gefiel. Das hat aber ungefähr denselben Erklärungswert wie der darwinistische Zufall.
Der Gläubige hat einen Grund für sein Dasein, aber er weiß nicht wie er entstanden ist; der Darwinist weiß wie, aber er weiß nicht warum er existiert. Der Darwinismus ist wissenschaftlicher, der Glaube gesünder, aber letztlich kann weder die eine noch die andere Ansicht vollständig befriedigen.
Fragen nach der konkreten Gestaltung der Lebewesen können weder vom Darwinismus noch vom christlichen Glauben beantwortet werden. Warum hat der Mensch fünf Finger und nicht vier oder sechs? Warum nicht hinten am Kopf noch ein drittes Auge? Warum haben wir keinen Schwanz wie die meisten Affen und anderen Wirbeltiere? Ist das alles bloß zufällig so und hätte auch ganz anders werden können?
Ist denn nicht der Mensch die herrlichste Form, die die Natur hervorgebracht hat, der höchste Tempel, in dem der selbstbewusste Geist wohnen kann? Wäre es daher nicht wert, tiefer nachzuforschen, um zu verstehen, warum wir so sind, wie wir sind?
Kann man aber heute überhaupt noch von einer besonderen Würde des Menschen sprechen, die ihn gegenüber den Tieren auszeichnet? Verhält er sich nicht wie der große Ausbeuter und Zerstörer der Natur, eine katastrophale Fehlkonstruktion der Evolution? Müssen wir nicht vor allem unsere Selbstverherrlichung als ›Krone der Schöpfung‹ überwinden und ein demütiges Mitgefühl für die Fähigkeiten und das Leiden der Tiere entwickeln? Viele Menschen finden heute im Buddhismus eine entsprechende spirituelle und zugleich ökologisch orientierte Weltanschauung. Doch auch für den Buddhismus spielt die Frage nach der Gestalt und Evolution des Menschen und der Tiere keine wesentliche Rolle.
Schon vor Darwin entstand eine Auffassung, die die naturwissenschaftlichen Fakten ernst nimmt und dennoch zu einem tieferen Verständnis der Evolution vorzudringen vermag. Es ist die von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) entwickelte Metamorphosenlehre und die von Goethes Freund Johann Gottfried Herder (1744-1803) vertretene Auffassung über den Menschen als eines Mittelgeschöpfes oder Urbildes der Tiere, die später von Rudolf Steiner (1861-1925) erläutert und maßgeblich erweitert wurden. Diese Anschauungen führen zu einem alternativen Verständnis der Evolution, das auch bei anderen Forschern zu finden ist. In ihrer Perspektive erweist sich der Mensch als das Ur-Wesen, das von Anfang an geistig vorhanden gewesen und nach der langen Evolution der Tiere schließlich in physischer Gestalt erschienen ist. Die Tiere erscheinen für diese Auffassung einerseits als spezialisierte Absonderungen aus dem universell veranlagten Menschenwesen, andererseits aber auch als seine biologischen Vorfahren. Gerade weil der Mensch einfacher und urbildlicher als die Tiere gestaltet ist, weil er weniger spezialisiert ist, ist er weniger eng mit der Natur verwoben, und diese Trennung gibt ihm die Möglichkeit, sehr viel bewusster als die Tiere zu werden. Im Verlauf seiner Evolution hat er