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Unwege zum Ruhm: Roman
Unwege zum Ruhm: Roman
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eBook309 Seiten4 Stunden

Unwege zum Ruhm: Roman

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Über dieses E-Book

Die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Gordian von Irenaus, dem Sprössling einer Familie mit besten Beziehungen. Bei einer Zeitung als Online-Journalist angestellt, daneben einen erfolgreichen Blog betreuend, geniesst er das Leben auf die leichtere Art.

Nicht uneitel und herkunftsmässig zu Höherem berufen, nutzt er auf Anregung von Bloggerfreunden raffiniert das Komkurrenzverhältnis seines Chefredakteurs mit dem Leiter des Fernsehsenders, um selbst seinen Marktwert zu steigern. Durch geschicktes Agieren und perfiden Streichen nicht abgeneigt, schafft er es bis in die Teppichetage des Medienunternehmens.

Aufgrund seines nun deutlich verbesserten Status muss auch seine langjährige Freundin einer neuen Beziehung mit höherem Glamourfaktor geopfert werden. Als er schliesslich die Geliebte mit einflussreichem Vater heiratet und mithilfe seines neuen familiären Umfeldes auch in die Politik einsteigt, wähnt er den ersehnten Höhepunkt seiner Karriere in greifbarer Nähe...
SpracheDeutsch
HerausgeberMünster Verlag
Erscheinungsdatum3. Nov. 2018
ISBN9783907146118
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    Buchvorschau

    Unwege zum Ruhm - Christoph Gass

    Mireille)

    Teil eins:

    Marktbummel

    Ich versuche, ohne zu stolpern nach Hause zu kommen. Sammy wird nämlich schon mit der Frage auf mich warten, ob ich sie heiraten will. Eine Frage, die mir schwer auf dem Magen liegt, und das geht mit der Zeit auch in die Beine. Ich gehe vom Gehsteig runter und laufe auf der Straße weiter, ohne meinen Gang zu verlangsamen, es überkommt mich gar eine Lust, über das Pflaster zu hüpfen. Sammy Schönherr ist eine der hübschen Frauen der Stadt und besitzt eine stolze Perserkatze, mit der zusammen sie zum schönsten Doppelpack avanciert, das für mich die Welt bedeutet. Manchmal, wenn mir ein wichtiger Gedanke kommt, verlangsame ich mein Tempo und scheine auf der Straße einzuschlafen. Aber zurzeit brauche ich nicht zu befürchten, dass mir ein großer Gedanke einfallen könnte. Ich renne weiter, halte Autos auf, grüße die Insassen, die meines fahrlässigen Manövers wegen vor Wut schäumen, und mache vor Glück einen Sprung, wenn ich heil über die Straße gekommen bin und den gegenüberliegenden Gehsteig erreiche. Ich bin ein wenig eigen, zugegeben, habe eine starke Neigung dazu, lustig und fröhlich zu sein und andere Menschen zum Lachen zu bringen. Leider habe ich aber auch einen kleinen Fehler: Ich liebe ebenso die Tragödie, die vorprogrammierte Katastrophe, das indische Glücksrad, das Orakel, die plötzlich auftretende Faust des Unglücks – den Funken Schicksal, der das Leben anfeuert. Und das hat seinen Grund:

    Ich begann meine Ausbildung mit dem Studium von Büchern. So, wie viele andere auch. Meine Eltern hatten Unmengen davon, ich bin regelrecht darüber gestolpert. Ich dachte früher, dass Bücher allein schon zu Höherem befähigen. Aber so einfach war das nicht! Mama Aurore war Bibliotheksleiterin, was sie anscheinend dazu berechtigte, über alles Gedruckte ein Urteil zu fällen. Bildung wurde bei uns groß geschrieben, bei meinem Vater Johann erst recht; er beherrschte die Familie mit seinem schwarzweiß vollgültigen Wort, während ich mit meinen vagen Ausdrucksmöglichkeiten meine Ohnmacht auslebte. Mein Vater ist Mitglied der Geschäftsleitung einer Verpackungsfirma, daneben Vorstandsmitglied einer großen Versicherungsgesellschaft, aber auch Vereinsmitglied im Schützenverein und Aktivfasnächtler aus Leidenschaft. Die größte Hoffnung meines Vaters: Ich sollte auch endlich Ehrgeiz zeigen und der Familie nicht länger auf den Geist gehen. Ich passte also nicht so zu ihrem erfolgsverwöhnten 80er-Jahre-Lifestyle, tat aber, was ich konnte: Ich arbeitete neben meiner Tätigkeit als Blogger auch noch als Platzanweiser im hiesigen Stadttheater. Ich habe gelernt, meinen Weg zu gehen, frei aus der Hüfte, etwas ungelenk, aber zuversichtlich, sozusagen Ruhm und Ehre auf Umwegen. Mein Blog über Vintagemode und Lifestyle, dazu zähle ich auch das Verfassen von historischen Romanen, wurde zusehends erfolgreicher, bald hatte ich Werbeeinnahmen und wurde mit Likes belohnt.

    Ich gebe zu, das machte mich hungrig.

    Meine Eltern unterstützten mich, wo sie konnten, also aus sicherer Reichweite, doch dieses Blog-Zeugs, wie sie es nannten, war ihnen unheimlich und viel zu unsicher. Ich hätte eigentlich studieren sollen, doch dazu blieb mir neben Blog, Twitter und all den anderen Social-Media-Kontakten keine Zeit. Also heftete ich mich nach dem ersten und letzten Semester an die Fersen meiner Eltern, weil ich immer noch an ihre Liebe glauben wollte und Anerkennung suchte wie das Schwemmholz seine Heimat. Den Online-Journalisten-Job habe ich nur durch Zufall bekommen, da David Bull sich für das Grundstück interessierte, das neben dem meiner Eltern lag. Meine Mutter hatte eine Schwäche für Journalisten, für die großen Neuigkeiten und den brandheißen Insiderklatsch; daher machte sie Bull den Vorschlag, für ihn ein gutes Wort einzulegen, wenn er sich dafür bei Leo Justin, dem Verlagsleiter, für ihren verlorenen Sohn einsetzt.

    Also trat ich mit einem für mich beachtlichen Tempo auf die Bühne des Berufslebens.

    An meinem ersten Arbeitstag öffnete ich aufgebretzelt wie ein teures Club-Sandwich die Tür zum Oberhörner-Grossraumbüro und begrüßte mit stolzer Miene meine neuen Arbeitskollegen. Ich trug damals alte, auf dem Trödelmarkt gekaufte Kleider, die mir originell erschienen. Heruntergetretene Markenturnschuhe und einen roten Schal, der mich wie ein Spritzer Ketchup schmückte. Ich verschaffte mir einen Überblick und zweifelte nicht im Geringsten daran, dass für mich dieser Tag der Anfang einer wunderbaren Laufbahn sein könnte. Ich war aufgeregt und ganz gespannt darauf, wie ich bei den Kollegen ankommen würde.

    «Herr Von Irenaus, ich glaube nicht, dass Ihre Position in unserer Firma es rechtfertigt, dass Sie hier unangemeldet in die Sitzung platzen. Ich muss Sie leider bitten, wieder zu gehen», sagte Bull bei unserer ersten Begegnung in seiner lustigen Art, die mir aber eher boshaft vorkam, als ich fälschlicherweise die Tür des Sitzungszimmers mit der des Klos verwechselt hatte. Die anderen Anwesenden – samt und sonders aus der Geschäftsleitung – lachten herzhaft.

    «Entschuldigen Sie mich! Wollte Sie nicht stören. Habe meinen ersten Arbeitstag und musste aufs …», dabei brachte ich meine Frisur durcheinander, die ich am Morgen doch so lange in Form zu bringen versucht hatte.

    «Ist ja gut. Melden Sie sich beim Empfang, da gibt man Ihnen was zu tun.»

    «Vielen Dank. Das ist sehr nett. Ich werde mir Mühe geben!»

    «Oh, es reicht, wenn Sie die Tür von außen wieder zumachen. Guten Tag.»

    Den Rest des Tages tippte ich Todesanzeigen ab.

    Hinter den vornehmen und ziemlich verschlossen wirkenden Fassaden meiner Wohnstraße vermutet der Spaziergänger nicht zu Unrecht gehobene Lebensqualität und Leute, die verflucht ehrgeizig sind. Unsere hübsche Wohnstraße ist nämlich eine besondere Attraktion in der mit Attraktionen so reich gesegneten Stadt. Ein völlig intaktes Ensemble von Häusern aus dem 17. und 18. Jahrhundert, das Menschen wie mich romantisch berührt. Wer hier wohnt, gehört zu einer auserwählten Schar von Glücklichen, die die furchteinflössenden Grundstückpreise zahlen können. Aber zu denen gehöre ich definitiv nicht. Ich wohne im einzigen heruntergekommenen Haus der Straße mit halbwegs günstigen Wohnungen. Viel Liebhaberei muss man für diese erbärmliche kleine Mausefalle aufbringen, in der einem nichts geschenkt wird, wo die Verwaltung keine Renovation, aber auch keine Mietzinsreduktion vornimmt, sondern ihre Mieter schamlos dahindarben lässt. Die Wände beginnen mittlerweile zu bröckeln und unsere an Luxus gewöhnte Perserkatze verliert langsam allen Glauben an eine komfortable Welt. Nur gut, dass meine Freundin Sammy ein sicheres Gespür für geschmackvolles Einrichten hat und unsere Wohnung mit viel Charme und Patina in ein heimeliges Nest verwandelt.

    Vom langen Heimweg ausreichend zerstreut und beduselt, stecke ich den Hausschlüssel in das Schloss, nehme mit der Kraft und Elastizität eines sportlichen Turnschuhs die wackeligen Treppenstufen unseres Wohnhauses in Angriff und sehe dabei auf die Uhr. «Was, schon zwölf?» Im zweiten Stock angekommen, mache ich eine kurze Pause, um, wie immer, wenn jemand das Treppenhaus benutzt, zu hören, wie über mir eine Haustür aufgeht. Ich husche schnell am Ehepaar Matter, unseren Wohnungsnachbarn, die ihre neugierigen Nasen wieder mal ins Treppenhaus strecken müssen, vorbei und schlüpfe schnell in unsere Wohnung, verriegle die Tür von innen und checke die Tweets, Posts und PNs auf meinem Handy. Neugierige Nachbarn bekommen keine Freundschaftsanfrage.

    «Du bist spät!», dringt unerwartet ein magischer Klang zu mir herüber, wie aus einer anderen Welt, und anstelle des Social-Media-Kosmos tritt eine viel realere Erscheinung an mich heran.

    «Sammy! Du bist noch wach? Du glaubst nicht, wer mich alles aufgehalten hat!»

    «Ach ja? Höhere Naturgewalten?»

    «Und ob! So viele Leute waren unterwegs. Und alle wollten reden.»

    Sie lächelt und erhebt vorwurfsvoll den Zeigefinger. «Mein Gott, Gordian, die ganze Woche kommst du zu spät nach Hause, und du hast schon wieder getrunken.»

    Mein Blick folgt ihrem Finger in alle erdenkliche Richtungen. In meinem Innern herrscht verdoppelter Pulsschlag und es kribbelt in meiner Herzgegend.

    «Du weißt doch, dass ich aufgehalten wurde, sonst wäre ich längst zu Hause. Ich wurde auf dem Heimweg immer wieder von netten Bekannten zu einem Bierchen eingeladen. Ich bin willensschwach, also sieh mich nicht so an.»

    Sam lacht. Sie ist nicht nachtragend, sondern hilft mir, meine Jacke und Schuhe auszuziehen, und hört sich sogar mit unglaublicher Geduld meine Ausreden an. Wie viel ich heute gearbeitet und nebenbei zehn Kaffees serviert habe.

    Sammy zeigt ein liebes, fast kindliches Lächeln und fragt ganz geheimnisvoll:

    «Und, hast du darüber nachgedacht?»

    «Worüber?»

    Nun haben die Kräfte des Alkohols scheinbar doch noch Einfluss auf mein Gedächtnis, ich spüre seine Macht von Minute zu Minute stärker werden und horche gespannt auf das unbekannte Beben, das beduselte Glücksgefühl, das dem nüchternen Zustand unbekannt ist.

    «Du hast es vergessen …», klagt sie, und ihr wehmütiger Blick fällt in den Flur, wo die Katze dabei ist, sich zu putzen.

    Ich verliere mich in ihrem Blick und der Musik ihrer Stimme, schwer atmend zergehe ich in ihrem Parfüm, das mich von überall umschmeichelt.

    «Willst du denn nicht?», fragt sie lächelnd, aber mit feuchten Augen, während es mir langsam dämmert.

    «Was denn schon wieder? Dich heiraten?»

    Jeden Morgen steht mir Sammys Bild als Erstes vor Augen … mit dem Gedanken an sie schlafe ich ein, wache ich auf, gehe ich zur Arbeit, sie ist immer da, hier und überall … natürlich will ich sie heiraten!

    «Ja, doch, eigentlich schon!» Wenn der Chef auf seinen Kaffee verzichtet und mich endlich in Ruhe meine Karriere in Angriff nehmen lässt.

    «Ich meine es im Ernst!»

    «Natürlich … irgendwann, wenn wir älter und reifer sind. In unserem Alter kann man noch nicht ans Heiraten denken …»

    «Was heißt hier älter und reifer?» Ihre dunklen Augen funkeln mich nun doch böse an. «Wir sind beide keine achtzehn mehr. Wie lange willst du denn noch warten? Wie kann ich dich glücklich machen, wenn du mich nicht liebst? Ich weiß ja auch nicht, ob wir ewig zusammenpassen und ob das mit uns gut laufen würde. Vielleicht bist du ja auch gar nicht mein Typ.»

    Ich muss leer schlucken. «Sammy?»

    «So verwöhnt und schlampig, wie du bist.»

    Ich lasse auf einem YouTube-Kanal Nirvana laufen. «Ich werde mich bessern.»

    «Aber ewig lange zu warten kann uns da auch keine Garantie geben. Warum wohnen wir denn zusammen in dieser Wohnung? Ich meine es ja nur gut mit uns.»

    «Sammy, ich weiß, dass du es gut mit uns meinst.»

    «Warum willst du denn nicht?»

    «Ich würde ja …»

    Ich spüre, wie die ganze Fülle des Glücks versiegt, die süßen Wellen und das fröhliche Geplätscher der Zukunft nicht mehr weiterfließen. Ich fühle mich plötzlich verstockt und elend.

    «Nein, nein, es geht nicht, noch nicht!», sage ich und versuche zu sein wie eine Katze: Katzen sind ja zärtlich und schnurren. Vielleicht hoffe ich, sie damit beruhigen zu können. Aber wie soll ich ihr auch erklären, was in mir vorgeht. Ich habe einfach das Gefühl, ich kann sie mich nicht heiraten lassen. Ich bin ein Nichts. Gut, ich liebe sie. Aber ich glaube, irgendwann wird ihr das alleine nicht mehr reichen. Ich kann ihr nichts bieten. Sie wird unzufrieden werden. «Nein, nein, ich will zuerst unsere Zukunft sichern und mir neue Turnschuhe kaufen. Ich kann mich noch nicht binden, ich … ich muss Karriere machen und meine Finanzen regeln … Mir fehlt die Größe, zu der du bewundernd aufblicken kannst und die dich auch beschützen wird.»

    «Hey, für mich brauchst du nicht so große Opfer bringen. Und neue Turnschuhe – die kann ich dir kaufen. Was bringt dich überhaupt dazu, Karriere machen zu wollen?», fragt sie. «Das ist doch ein kindischer Gedanke. Früher hattest du das auch nicht nötig.»

    «Kindisch? … Natürlich!», protestiere ich beleidigt. «Du willst mich kränken. Kindisch, sagst du? Aber Ehrgeiz ist ganz normal in der Gesellschaft, da ist unsere bisherige Rumgammelei schon eher kindisch, oder?»

    Ich kannte Sammy erst ganz kurz, als wir zusammen nach Madrid fuhren. Sammy hatte bei einem der Wettbewerbe, die in den zahlreichen Boulevardheftchen, die sie las, in mehr oder weniger billiger Ausführung ausgeschrieben wurden, eine Reise nach Spanien für zwei Personen gewonnen, und da sonst niemand so kurzfristig diese strapaziöse Busreise auf sich nehmen wollte, kam ich in den Genuss, sie begleiten zu dürfen.

    Im Retiro, dem schönsten Park Madrids, sah ich sie zum ersten Mal richtig an. Jedenfalls schien es mir, dass ich dort ihre Seele erkannte. Sie verwunderte mich tief mit ihrer lustigen Art, ihrem wilden Kurzhaarschnitt und ihren lachenden braunen Augen, die mir überall Gänsehaut verursachten und meinen Geist entzündeten, so dass die Uhr sofort aufhörte zu schlagen, alles stillstand und man recht wohl aufgerufen war, diesem Gefühlszustand einige Überlegungen mitzugeben. Es gab in diesem Augenblick nur Wissenschaft, chemische Stoffwechsel im Gehirn, die Schmetterlinge in den Magen pflanzten, und das, obwohl wir uns eben erst kennengelernt hatten. Wir spazierten durch den Park wie alte Freunde, genossen die Sonne auf einer der zahlreichen Parkbänke und sahen den Kindern beim Spielen zu; es war himmlisch, Wissenschaft mit ihr zu treiben. Wir plauderten über unser Leben, über unsere Schuhgrößen, so offen, wie sie ist, über unsere kleinen Geheimnisse, die wir nie jemand anderem erzählen würden. Kurz: Wir verstanden uns auf Anhieb. Wir spazierten kreuz und quer durch die Gassen, bewunderten die Schaufenster der kleinen Geschäfte, und als es langsam dunkel wurde und wir Hunger bekamen, gingen wir in ein kleines romantisches Lokal. Wir aßen lange und ausgiebig, tranken einen wunderbaren Rotwein nach dem anderen und hatten beide keine Lust mehr aufzustehen. Schließlich war es aber schon so spät, dass wir langsam aufbrechen mussten. Außerdem waren wir der Wissenschaft überdrüssig und beide schon ziemlich müde geworden, ein Umstand, der mich unweigerlich an ein unangenehmes Thema erinnerte, das wir beide den ganzen Tag vor uns hergeschoben hatten. Jetzt, auf dem Spaziergang zurück ins Hotel, mussten wir uns langsam damit befassen. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sprach sie darauf an:

    «Wie machen wir’s?»

    Obwohl ich nicht einmal erwähnt hatte, was ich genau meinte, wusste Sammy sofort, wovon ich sprach. Sie musste sich das Ganze auch seit geraumer Zeit im Stillen überlegt haben.

    «Ich weiß nicht. Was meinst du? Mich stört es eigentlich nicht.»

    Das ganze Problem bestand darin, dass ein Doppelzimmer für uns reserviert worden war. Ich hätte gern mit ihr in einem Bett geschlafen, wollte sie aber auch nicht zu etwas drängen, was sie vielleicht nicht wollte. Wir hätten auch im Hotel fragen können, ob wir statt des Doppelzimmers zwei Einzelzimmer haben könnten, aber am Morgen wäre ich mir spießig vorgekommen, damit anzufangen.

    «Keine Ahnung. Ich bin müde, vielleicht könnten wir fragen … aber es ist jetzt schon spät.» Eigentlich hatte ich ihr die Wahl lassen wollen. Aber sie sagte nichts Klares.

    «Ja, wir könnten fragen. Obwohl, ich habe schon so viel Wein getrunken. Außerdem bin ich jetzt nur noch müde. Und wir sind ja erwachsene Menschen.»

    Inzwischen waren wir beim Hotel angekommen und vor der Tür stehen geblieben.

    «Mir ist kalt», sagte sie leise. Ich nahm ihre Hände in meine Manteltaschen. «Sprichst du Spanisch?»

    «Nicht wirklich», antwortete sie. «But if it’s necessary, I can speak English, ou je parle français, pour moi, ce n’est pas un problème, tu comprends? Los geht’s.» Und wir griffen nach der Tür, die sich nicht öffnen ließ.

    «Sie ist geschlossen! Das darf doch nicht wahr sein, sie ist geschlossen!»

    «Ist sie wirklich zu?»

    «Der Henker soll mich holen, wenn wir auf der Straße schlafen müssen.»

    «Blöd! Was haben die denn schon geschlossen? Es ist doch noch nicht spät?»

    «Sie ist geschlossen! Überleg mal, wenn sie die Tür nicht mehr aufmachen und wir auf der Bank pennen müssen.»

    «Klopf lauter! Siehst du niemanden an der Reception? Klopf lauter!»

    Da erhoben sich zwei Köpfe hinter der Theke, und ein Mann mit breiten Schultern, dicker Nase und einem schielenden Auge latschte auf uns zu und öffnete die Tür einen Spalt breit. Immerhin.

    «Por favor?»

    «Guten Abend, entschuldigen Sie, lassen Sie uns rein?!»

    Aber der Kerl stemmte resolut sein Bein gegen die Tür und winkte ab.

    «Todas las habitaciones están ocupadas!»

    «Wie bitte? Lassen Sie uns rein! Wir sind, äh … cliente aquí!»

    «Sí, lo sabemos. Era sólo una broma! Entrad, amigos!»

    Er öffnete die Tür, ging zu seinem Kollegen zurück, der hinter der Theke Dominosteine mischte, und Sammy fragte hinter ihm hergehend, ob sie vielleicht ein anderes Zimmer haben könnte, aber der Receptionist hörte nicht mehr zu.

    «No soy tonto, Carlos!», sagte er und gab uns mechanisch den Zimmerschlüssel. «No te voy a traer una cerveza, para que me siguas haciendo trampas! Juega ya de una vez!»

    Und hinter der Reception entfachte sich eine Spielfreude, die von leidenschaftlichen Erzählungen begleitet wurde.

    «Und jetzt? Was sollen wir jetzt tun?»

    Sammy versuchte es auf Englisch. Ich hielt mich zurück. Die beiden bemerkten uns nicht und plauderten weiter. Ich flüsterte Sammy zu, dass wir nun denn das Doppelzimmer nehmen und alles auf sich beruhen lassen sollten. Aber Sammy winkte ab, weil sie doch zumindest den Versuch unternehmen wollte, nach zwei Einzelzimmern zu fragen. Jetzt ging es ihr nicht mehr um die Zimmer, sondern ums Prinzip.

    Sammy baute sich noch mal vor der Reception auf und räusperte sich vernehmlich. Gott sei Dank legten die beiden endlich die Dominosteine beiseite, lehnten sich in die bequemen Sessel zurück und begannen Zigarren zu rauchen – und endlich die Anwesenheit ihrer Gäste wahrzunehmen.

    «Queréis algo?» Der Receptionist schien nicht gerade glücklich, dass wir immer noch hier herumstanden.

    «Wir hätten da noch eine Frage.»

    «No, no, no hay problema!» Er zeigte auf seinen Kumpel.

    «Carlos, os enseña la habitación! Go your room!»

    Sammy und ich, die wir ohnehin von angeborener Schüchternheit tief durchdrungen waren, gerieten etwas aus dem Konzept. So gut sie konnte und soweit ihr ihre Zunge gehorchte, fragte sie in einem selbsterfundenen Spanisch, ob wir nicht zwei Einzelzimmer haben könnten.

    «Nos alegra, que vais a recomendar nuestro hotel. Estamos contentos, ai los clientes están satisfechos. Deseáis algo, os mandaré a Carlos en seguida! Queréis cenar?»

    «Was sagt er?»

    «Warte. Ja, ich meine, nein, können wir das Doppelzimmer in dos habitaciones single?»

    «Pero qué pregunta! Porqué quereís dos habitaciónes individuales? Por una disputa? Pero no, aquí no queremos separaciones! Pero de verdad, con la pareja guapa que sois!»

    Er gestikulierte wie wild zu seiner feurigen Rede.

    «Was sagt er?»

    «Es ist nur so, dass wir … eigentlich … sozusagen … no pareja.»

    Nun meldete sich Carlos aus dem Hintergrund: «Oye, Javier, que pareja pesada, mándalos a la cama de una vez, para que tengamos nuestra paz!»

    Ich hoffte, dass er wenigstens verstanden hatte, was wir wollten, und lächelte ihn an, so gut ich konnte.

    «Es que no los entiendo! Ya es tarde, no hagáis tantos problemas e id a dormir!», sagte Javier zuckersüss.

    «Was sagt er?»

    «Es ist scheinbar kein Problem, zwei Einzelzimmer zu erhalten.»

    Ich dachte für mich nur: schade.

    «Pero hijitos no os comportéis como perro y gato. Tomaros un ejemplo con nosotros dos. Carlos y yo somos amigos, buenos amigos, compartimos todo como hermanos!»

    Javier und Carlos lachten, dann setzte eine peinliche Stille ein.

    «Er tut nichts», sagte ich nach einer Weile zu Sammy, die beiden musterten uns gelassen und schwiegen.

    «Ich glaube, er hat dich nicht verstanden.»

    «Ich weiß … Could we …?»

    «Qué? Deseas algo?»

    «No, no!»

    «Hm?»

    «It’s okay. Good night, Sir. Hm?»

    Natürlich haben wir das Bett geteilt. Eine glückliche Fügung richtete es auch noch ein, dass wir in dieser Nacht miteinander geschlafen haben, und in den folgenden ebenfalls, und dies pflegen wir sogar heute noch zu tun.

    Here we are now, entertain us!

    «Madrid war schön! Und romantisch, auch ohne Luxus und Berufsplanung», sage ich.

    «Wer hat dir das nur eingeredet», sagt sie und wirft mir einen schier andächtigen Blick zu. «Glück hängt doch noch von anderem ab als nur von der Karriere.»

    «Ja schon, aber ein jeder Mensch macht doch Karriere. Um seine Zukunft zu sichern.»

    «So, du willst also Geld und Sicherheiten wie jedermann? Ich dachte immer, unsere Zukunft ist die Liebe, die Familie! Unser Ziel ist es doch, zu leben.»

    «Natürlich, wenn wir Geld haben.»

    Come as you are, as you were …

    «Wozu Geld? Reichen dir meine Augen nicht?» Über die schmale Linie ihrer Lippen kriecht wie eine Schlange ein Lächeln, halb Weisheit und halb Ironie.

    «Jetzt wird mir alles klar!» Ich versuche, spöttisch zu wirken. «Du meinst wohl, ich kann dich auch ohne Geld und Karriere heiraten?», sage ich vorsichtig. Weshalb in Gottes Namen habe ich Trottel wieder mit dem Thema angefangen.

    «Natürlich», antwortet Sam mit einem listigen Glitzern in den Augen. «Und ich könnte dir tausend Gründe dafür nennen.»

    «Ja? Welche?»

    «Die musst du schon selber herausfinden.»

    «Welche könnten das sein?»

    «Such!» Sie wirft einen heimlichen Blick auf ihre nackte Schulter, dann zu mir und lenkt meinen Blick auf ihr Décolleté.

    «Aufwachen, Gordian!», poltert es am nächsten Morgen durch die Oberhörner-Redaktionsräume. «Wach auf!», und das mindestens mit der Lärmeigenschaft einer Bohrinsel. «Kommt endlich der Kaffee?»

    Mein Chef gähnt nicht zu knapp, was bei ihm, seit ich hier arbeite, eine feste Angewohnheit ist. Und ich, ich unterbreche meinerseits eine fiese Gähnattacke, springe auf und antworte im Schnellfeuer: «Wie, Chef? Was? Ach, der Kaffee! Sie haben Kaffee bestellt und was noch alles. Zu Diensten, Chef! Sofort!»

    So brüllt die Arbeit aus dem Blätterwald, und ich beeile mich, ein guter Mitarbeiter zu sein. Also traktiere ich schnell die Kaffeemaschine. Ich

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