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Kind und Kreuz: Europas Lernbild in 14 Stationen von Nazaret bis Gaza
Kind und Kreuz: Europas Lernbild in 14 Stationen von Nazaret bis Gaza
Kind und Kreuz: Europas Lernbild in 14 Stationen von Nazaret bis Gaza
eBook771 Seiten9 Stunden

Kind und Kreuz: Europas Lernbild in 14 Stationen von Nazaret bis Gaza

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Über dieses E-Book

Das Buch stellt Kinder von Beginn an in die Mitte, lässt sie erklären, wie sie den Mann am Kreuz wahrnehmen. Die nächsten drei Kapitel zeichnen das Leben dieses Jesus bar Abbas anhand höchst anerkannter Quellen in erdnah humaner Weise nach, von Mutterleib bis Rebellenkreuz. Wie das Bild seiner qualvollen Hinrichtung zur obsessiven Ikone des Abendlands und in "automatisch vorbewusster Weise" (Melvin Lerner) das Lerngerät zum Judenhass wurde, wird mit der Sensibilität von Psychologen wie Søren Kierkegaard, Jean Piaget, Helena Antipoff erörtert, visualisiert in 74 Bildern. Passionsdetails im christlichen Judenbild, ihre Reinszenierung in tausend Jahren "gerechter Strafung", Rassismus als Inquisitionsprodukt, das Kreuz als Nerv der deutschen Leitkultur, der Komplex Kreuz und Zionismus sowie das kafkaeske Urteil von Straßburg sind weitere Stationen, bevor der Opferwahn selbst zur Analyse kommt in diesem "Kreuzeslamm", dessen fixierter Körper das christliche Verhältnis zu Tieren stärker prägte als jener Nazarener, der in seiner letzten Aktion just Tieropfer im Tempel attackierte. Das Schlussexamen "Warum Johanna Jesus Kuchen gab und andere kinderleichte Fragen" sensibilisiert noch einmal für die Dissonanz von Kind und Kreuz, und ganz d'accord mit dem, von wem es heißt: "Und er stellte ein Kind in ihre Mitte ..."

"Kind und Kreuz" ist somit vor allem:
a) eine aufschlussreiche Studie zur Macht der Bilder und für den nötigen Respekt vor sensibler kindlicher Weltsicht;
b) eine konsistente, therapeutische Erklärung des 2000jährigen antijüdischen Ressentiments durch Ernstnehmen derjenigen Menschen, die akademischer Antisemitismusforschung schlicht zu klein und kindlich sind, um sich mit ihnen zu befassen;
c) ein Beitrag zum christlich-muslimisch-jüdischen Dialog durch Darlegung einerseits der Rolle des christlichen Symbols im europäischen Antisemitismus, der zum Zionismus und zum Staat Israel führte, und andrerseits des verbindenden Potentials jenes historischen Menschen, den Matthäus (27:16 f., im griechischen Originaltext) "Jesus bar Abbas" nennt;
d) eine humane Rehabilitation der nächsten Verwandten dieses Bar Abbas ("Sohn des Vaters"), besonders seines Bruders Judas.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum15. Nov. 2018
ISBN9783752826708
Kind und Kreuz: Europas Lernbild in 14 Stationen von Nazaret bis Gaza
Autor

Konrad Yona Riggenmann

Konrad Yona Riggenmann chegou em 1952 neste planeta, começou plantando árvores já em 1960 e aprendendo o português em 1968. Com pesquisa sobre Bertolt Brecht tornou-se professor em 1978, publicou uma dúzia das suas peças para teatro escolar, foi premiado no ano 1994 por seu drama New Heimat sobre emigrantes suábios e judeus aos EUA, pós-graduado em 2001 com Escola Nova, Escola Ativa sobre o sistema escolar brasileiro, honrado em 2002 com o prêmio Ossip-Kurt-Flechtheim da União Humanista para sua coragem civil a respeito da cruz obrigatória (e anti-constitucional) nas salas de aula bávaras, assunto que o freiou por muito tempo no outro tema da vida dele, a écologia. Desde 2011 ele vive veg-orgânico no país que seus ancestrais marranos portuguêses, na era quente das fogueiras, chamavam a Terra Prometida ...

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    Buchvorschau

    Kind und Kreuz - Konrad Yona Riggenmann

    In memoriam

    Elisabeth Riggenmann, geb. Ritter (1922-2015), die als katholische Religionslehrerin a.D. meinen Einsatz gegen staatsbefohlene Schulkreuze unterstützte.

    Johann Riggenmann (1920-2004),

    der anno 1937 Jesus und Maria statt nordisch-blond mit den pechschwarzen Locken von Jakob Koschland malte, dem jüdischen Freund meines Großvaters.

    Jakob Koschland (*1896) und Emma Koschland, geb. Maier (*1901),

    Peppi Lore (*1931) und Justin Koschland (*1934),

    deportiert nach Polen am 1.4.1942 (Mittwoch vor Karfreitag).

    Nach Ankunft in Auschwitz, im Mai 1944: Die 22-jährige Nichtjüdin Edith, Haushaltshelferin von Jolan Wollstein, geht zusammen mit Jolan, deren vier Kindern Dori (11), Judith (5 oder 6) und Erwin (8 Jahre alt) in Richtung „Duschräume", die zweijährige Naomi auf ihren Armen tragend.

    Inhalt

    Vorwort: Vom Schlüsselsuchen

    Mama der Mann hat Aua

    Geboren aus Maria

    Matthäus: Jesu große Mütter

    Lukas: Aus der Niedrigkeit

    Markus: Jesus ben Miriam

    Johannes: Aber du schon!

    Toldoth Yeshu: Der Bastard, auch noch frech

    Alter Joseph, junge Frau

    Worte eines geborenen Opfers

    Gelitten unter Pontius

    Der Durchbrecher

    Der Abschaffer

    „Dies bewusste Hinarbeiten auf den Tod"

    Auf dem Ölberg: Mit zwei Schwertern gegen Legionen

    Opferung des Opfergegners?

    Eingefangen, aufgespalten: Jesus Bar Abbas

    Sankt Pilatus

    Gekreuzigt, begraben, überstanden

    Revidiert von Paulus

    Saul, warum verfolgst du mich?

    Staatsmacht ist göttlich

    Familienideen

    Was reingeht ist rein

    Und wieder aufgehängt im Kindergarten

    Kinderaugen, Kinderfragen

    Progress in Kunst und Hass

    Frühes Lernen

    Vaterliebe

    Ein Vatergott des Völkermords?

    Sühnende Söhne

    Dein Drecksack von Kind

    „Alle Schaffenden sind hart"

    Vaterterror

    Der Dritte Mann

    Charakterrollen

    Verräter

    Geldmänner

    Drahtzieher

    Vergifter

    Quälmeister

    Scharfdenker

    Lustverderber

    Auserwählt

    Nachgespielt

    Heilen durch Wiederholen?

    Wir spielen Passion

    Nageln neu: Von Norwich 1144 ... bis Pfaffenhofen 1948

    Zwischen zwei Räubern

    Nur kein Blut: Autos da fé

    So nackt

    Das Kreuz ist der Nerv

    Der Doktor als Selektor

    Die Lehrerin als Selektorin

    Die Redakteurin als Desinfektorin

    Kruzion

    Golgota – Europa und zurück

    Das Kind als Schlüssel

    Muslimischer und christlicher Judenhass

    Landlösung der Judenfrage

    Kreuzeslamm

    Die jüdische Eselei von Tierrechten

    Pardon durch Opfer

    Der Unmensch von Schächter

    Du sollst dein Mitleid abspalten

    Schrecklich die Verführung zur Güte

    Die Straßburger Passion

    Der mannhafte Römer

    Der Vertreter Jesu

    Der gute Jude

    Die kreuzliebe Menge

    Die ehrbaren Richter

    EXAMEN: Warum Johanna Jesus Kuchen gab und andre kinderleichte Fragen

    Danksagung

    Bibliographie

    Bildquellen

    Vorwort: Vom Schlüsselsuchen

    Schönen Abend, Herr Nachbar. Suchen Sie was Bestimmtes? "

    „Meinen Hausschlüssel. "

    Und Sie sind sicher Sie haben ihn hier verloren, unter der

    Laterne? "

    „Nein, im Garten, aber hier ist das Licht besser. "

    Das harmlose Kruzifix? Welchem Sensibelchen macht das was aus?

    Einfach übersehen, vergessen, alles paletti!"

    Genau. So funktioniert das. Man will es vergessen, weil es die furchtbarste Art von Tötung darstellt, die Menschen je erfanden; und just weil die in ihm präsente Anklage unbewusst fortwirkt, fand ihr Eindruck Ausdruck in den „sechs Millionen Kreuzigungen", wie ein Papst und Retter Tausender das große Strafen treffend benannte.

    Wissenschaftliche Forschung sollte beobachtbare Fakten untersuchen und sie auf die einfachste Kausalkonstellation zurückführen. Im Garten der Kindheit zu suchen und das Kruzifix als Schlüssel und Lerngerät zum Judenhass zu sehen ist keineswegs ein neues Konzept. In „Einübung im Christentum" erklärte Søren Kierkegaard schon 1850, wie lernbar Judenhassen unter Kruzifixen ist. 1935 fasste Richard von Coudenhove-Kalergi dieselbe Einsicht kürzer, aber gleich vergebens. Die Kinder waren ja schon groß und stark, und sie begannen nur drei Jahre später das Gelernte umzusetzen in ein Morden, über welches man in allen Sprachen spricht und dessen Kindheitswurzeln man in allen verschweigt.

    Ausgehend von dem traumatisierten Kind in Nazaret untersucht dieses Buch das Bild seiner Totfolterung als bizarren, folgenschweren Eingriff in kindliche Weltdeutung, als Lehrbeispiel für die Macht des Visuellen und für subtile psychologische Mechanismen, die allzu viele Erzieher noch nach der Shoah allzu leicht übersehen, vergessen, verharmlosen. Immer auf die Kleinen hörend, die bekanntlich mit den Narren die Wahrheit sagen, verteidigen die vierzehn Kapitel folgende sieben Thesen:

    Kreuzigung ist die grausamste Hinrichtungsmethode aller Zeiten, und das Kruzifix die grausamste und seelisch verletzendste Symbolik, die Menschen je erfanden, denn es zeigt das Böseste, was Menschen tun können: einen andern zu Tode quälen.

    Kinder, als die verletzlichsten menschlichen Wesen, lernen im Blick auf, und im Nachdenken über das Mitleid fordernde Marterbild automatisch und vorbewusst „gerechten Strafzorn" auf Jesu jüdische Misshandler.

    Alle historisch wirksamen antijüdischen Stereotype wurzeln in den Passionstexten in Verbindung mit dem Bild der Kreuzigung Jesu.

    In der Verfolgung von Juden konnten erwachsene Christen die „gerechte Bestrafung" der Täter ausführen und das jüdische Verbrechen reinszenieren, im vergeblichen Bemühen, sich von der verletzenden Begegnung mit dem Kruzifix in ihrer Kindheit zu befreien.

    Muslimischer Anti-Zionismus, als Widerstand gegen ein fundamental europäisch-christliches Projekt, ist vielfach verbunden mit den christlich antijüdischen Bildern Europas, jedoch in Hoffnung gebender Weise verschieden vom kreuzfundierten westlichen „Antisemitismus".

    Während die Misshandlung des Kreuzeslammes auch dem Stereotyp jüdischer Grausamkeit gegen Tiere zugrunde liegt, basiert die rechtlose „Sachlichkeit" des Tieres im westlichen Kulturraum auch auf der Verdinglichung des Leidens im hölzernen Opfer, der Funktion des Kreuzeslammes als Entschuldung menschlicher Gewalt gegen Tiere sowie auf dem Fehlen tierfreundlicher Worte im Neuen Testament – in krassem Widerspruch zu dem Vegetarier Jesus, der sich in seiner letzten Aktion gegen das Tieropfer im Tempel einsetzte.

    Verzicht auf Kruzifixe wird die Welt humaner machen, ganz im Sinne des Rabbi und Rebellen Jesus bar Miriam bar Abbas, der Kinder in die Mitte stellte.

    Wer die These A bestreitet, möge mir aufzeigen, wo auf dieser Welt und wann in menschlicher Geschichte jemals ein grausameres, furchtbareres und unmenschlicheres Zeichen existierte.

    Die Thesen B bis G bilden das Hauptthema dieses Buches, das eng mit meiner Biographie verbunden ist. Ich schreibe es mit der Verve eines unangepassten bayerischen Pädagogen, der drei Jahrzehnte lang seine didaktischen Überlegungen mit der Frage begann: „Wie werden Kinder das aufnehmen? Just deshalb ist es nur natürlich, wenn dieses Buch im ersten Kapitel die Kinder ohne Schnörkel sagen lässt, wie sie das Kruzifix empfinden: „Mama, der Mann hat Aua.

    Das Leben eben dieses Aua-Mannes revue zu rollen (Kapitel 2-4) ist die Voraussetzung zur Dekonstruktion des Symbols, in das er eingebaut ist – eines menschgemachten Symbols, das durch seine psychische Ankerwirkung von Beginn an eine dominante Eigendynamik entfaltete, fast wie des Zauberlehrlings Besen, und ganz im Widerspruch zu allem, was der Rabbi Jesus – mit dem der Autor durchaus sympathisiert – zu Lebzeiten bewegen wollte.

    Kapitel 2, „Geboren aus Maria schließt aus höchst anerkannten Quellen, dass Jesus in seiner Mutter von Beginn an Opfer römischer Soldaten war, bevor Kapitel 3 unter dem Titel „Gelitten unter Pontius Pilatus beschreibt, wie er am Ende wieder deren Opfer wurde. In der Suche nach dem authentischen, irdisch-diesseitigen Jesus Menschensohn lässt das Buch alle seine Worte durch das engmaschige Sieb passieren, das der kritische Theologe Gerd Lüdemann in „Jesus nach 2000 Jahren" bietet. Was Lüdemann für authentisch hält, ist durch Fettdruck markiert. Zum Beispiel das bekannte „Der Sabbat ist für die Menschen da, und nicht die Menschen für den Sabbat (Markus 2:27), welches Lüdemann als charakteristisch für Jesu jüdisches und humanes Denken vorstellt.

    „Gekreuzigt, begraben, überstanden": Das grausame Kapitel 4 über Praxis und Technik der Kreuzigung ist nötig, damit die erwachsenen Leser wieder wahrnehmen, was den Kindern dieser Welt, mit ihren sensiblen Augen und ungehärteten Seelen, durch Bilder dessen geschieht, was dem Menschensohn real geschah.

    Kapitel 5, „Revidiert von Paulus" analysiert die visionsgeborene Umformung des realen Jesus durch den früh traumatisierten Römer Paulus und die soziale Langzeitwirkung des von ihm gemachten, machtfreundlichen Opfermythos.

    Kapitel 6, „Und wieder aufgehängt im Kindergarten", sondiert die Wirkungen des visuellen Kreuzmordrätsels auf die kindliche Psyche und bildet, zusammen mit ...

    Kapitel 7 – „Vaterliebe" – das psychologische Herzstück dieses Buches.

    Die Kapitel 8 („Charakterrollen) und 9 („Auserwählt) belegen, wie die bildliche und dramatische Darstellung der Zu-Tode-Folterung zum Ausgangspunkt aller etablierten antijüdischen Stereotypen wurde.

    Kapitel 10 heißt „Reinszeniert, weil es die blutigen Remakes durchleuchtet, mit welchen Europas große Kinder ihre eingeprägten Bilder vergeblich ausagieren wollten – von der gerechten Bestrafung der ersten jüdischen Kinderkreuziger in Norwich (1144) bis zur Reinszenierung der zehnten Kreuzwegstation „Jesus wird seiner Kleider beraubt mit jüdischen Männern, Frauen, Kindern so nackt wie der Rabbi am Kreuz.

    Kapitel 11 beschreibt mit der Spiegel-Schlagzeile „Das Kreuz ist der Nerv" wie gut der deutsche Antijudaismus über den Nachkriegswinter kam, dank einer derart gut gepflegten Blindheit gegenüber seinem religiösen Humus, dass zum Beispiel eine Münchner Zeitung lieber die Erinnerung einer Münchner Jüdin an Mobbing im Klassenzimmer fälschte als gegen political cross-correctness zu verstoßen.

    Kapitel 12 („Kruzion") geht von Deutschland nach Israel und beweist die folgenden vier Thesen:

    (a) Arabischer Judenhass ist generell ein europäischer Import in vier bewährten Produktlinien;

    (b) Europas interessierter Rückimport von Tatberichten aus dem Tatortland der rückgekehrten Täter entspricht den Schlüsselbildern des Kontinents;

    (c) Muslimischer Antizionismus zitiert christliche Bilder, ist aber in der emotiven Basis unvergleichbar – ein Hoffnung gebender Befund – mit christlichem Judenhass;

    (d) Zionismus ist – wie die Shoah – ein wesentlich europäisches Projekt und gefährdet das Judentum.

    Kapitel 13 über das „Kreuzeslamm" geht aus vom Platz des Tieres in der jüdischen Tradition, die bis heute als grausam auch zu Tieren gilt; und es endet mit ihrem Platz als nutzbare Objekte in einer westlichen Kultur, die knochentief geprägt ist durch die heilsnotwendige Tötung eines als Jungtier metaphorisierten Sohnes und seine Objektivierung als hölzern fühlloses Opferding zum Wohl des Menschen.

    Kapitel 14 präsentiert ein sehr modernes Passionspiel, inszeniert von einem korrupten römischen Mediencaesar: die Straßburger Passion, eine kafkaeske Gerichtsfarce, die staatlich verordnete Kruzifixe in allen Klassenzimmern Europas legalisierte.

    Zuletzt, das Examen: „Warum Johanna Jesus Kuchen gab und andre kinderleichte Fragen" resümiert das Buch in durchaus lösbaren Testfragen für an ihm scheiternde Theologen und kehrt zurück zu seinen Hauptpersonen: Kindern.

    Vor der versuchten Endlösung klassifizierte der deutsche Historiker Theodor Mommsen den Antisemitismus als „furchtbare Epidemie, wie Cholera – man kann sie weder erklären noch heilen. Nach der Shaoh meinte die Überlebende Esther Jungreis: „Wir Sterblichen haben keine Möglichkeit, das Warum zu begreifen ...¹

    Ich bestreite diese Unerklär- und Unheilbarkeit mit demselben Argument, das Yehuda Bauer vorbringt: Wenn die Shoah von Menschen verübt wurde, können Menschen herausfinden, warum. Und wie John Weiss betone ich, wie fatal das Nichtverstehenkönnen wäre: Unverständlich heißt unvermeidbar.² Wie Menschen glauben konnten, dass ein extrem grausames Symbol nicht zu extremer Grausamkeit führen würde, ist schwer zu verstehen; dass es dazu führte, ist kinderleicht zu begreifen. „Gewalt sei ferne den Dingen forderte der große tschechische Erzieher Amos Comenius schon vor dreihundert Jahren und meinte: Ferne sei sie von Erziehung! Heute wissen wir, wie entscheidend die Erfahrungen, Lernprozesse und Bilder unserer frühen Kindheit sind. Man muss kein Mediendesigner sein, um zu wissen, wie mächtig Bilder psychologisch wirken. Was ich in diesem Buch tue, ist vor allem, visuelle Macht synoptisch mit kindlicher Verletzbarkeit und tausendjährigen Testresultaten zu einem Panorama zu verbinden, welches Einsichten eröffnet, die zu Nutz und Segen menschlichen Zusammenlebens nicht ignoriert werden sollten. „Die entscheidende Aufgabe in historischer und psychologischer Forschung ist immer, die Wurzeln freizulegen, sagt Yerushalmi und fügt hinzu: „Die Wahrheit ist oft sehr unwahrscheinlich.³ Das Kruzifix als Ursache von sechs Millionen Morden oder „sei miglione crocifissione in den bildhaften Worten von Papst Roncalli ist unwahrscheinlich nur für den, der Kinder nicht genügend ernst nimmt.

    Wer Bücher zur Shoah vermeidet, um verletzenden Bildern und Texten zu entgehen, ist absolut gesund in dieser Absicht und seinen Gefühlen – aber das Kreuz verletzt tagtäglich. Wer fragt, ob man denn immer noch an dieses Auschwitz erinnern müsse und diese längst vergangenen Sachen, der sollte sich fragen, ob Kruzifixe allerorten noch immer an eine barbarische Untat vor 2000 Jahren erinnern müssen, die aufgrund zeittypisch gezielt gefälschter Berichte eine Geschichte rächender Massenmorde nach sich zog. Wer von Holocaust-Industrie spricht, sollte zuerst eine Kruzifix-Industrie in Frage stellen, zu deren besten Kunden Europas Schulen und Kindergärten zählen.

    Nirgends bitte ich den Leser, mir zu glauben, und auch hier nicht, aber: Dieses Buch ist ein sehr religiöses. Denn religio hat nichts mit „Rückbindung" zu tun – das wäre religatio. Mein altes lateinisches Wörterbuch beschreibt die religio vielmehr mit „Bedenken, Zweifel, Besorgnis" und illustriert ihre

    Bedeutung mit der Redensart „religioni mihi est, ich mache mir ein Gewissen daraus". Vor Gefahren im öffentlichen Raum – etwa einem Loch im

    Gehsteig – zu warnen ist simple Bürger- und Gewissenspflicht, für Gläubige und Gottlose. Wie könnte ich als Pädagoge nach zwanzig Jahren penibler Erforschung der Effekte dieses Bildes es verantworten, nicht zu warnen vor dem klitzekleinen Kreuz, das Kindern, sagt man, gar nichts ausmacht?

    „Sie haben gesagt, Sie leiden darunter, dass Sie Jesus nicht vom Kreuz herunter helfen können, trumpfte mein bayerischer Schulrektor vor 40 Kollegen. „Wer leiht mir eine Leiter ...? sangen Generationen von Marranos, wohl wissend, dass mit Jesu Kreuzabnahme auch der Judenhass ganz wundersam abnehmen würde. Nach Auschwitz versprach der Überlebende Frank Andermann seinem Jesus vergeblich: „Ich hole dich eines Tages herunter. Ich helfe dir von dem Schandkreuz herab".

    Andermanns wie Riggenmanns starke Sympathien für den Rebellen sind allemal zu schwach für die Millionen Nägel, an denen man ihn weltweit hängen sehen will. Aber die Leserin wird bemerken, dass auch gute Christen schon nach Leiter und Zange schauen, ganz d'accord mit Irving Greenbergs Einsicht, „dass die Religion mit der größten Fähigkeit zur Selbstkorrektur auch die wahrste ist".

    Die größte freilich ist die Religion der Kreuze; groß und kreuzförmig waren um 1600 die mächtigen Flügel der Windmühlen im Land des Krypto-Juden Cervantes, und umso mehr Verständnis wird der Leser haben, wo immer mir in 14 Stationen dieses quijotischen Buches ein jüdischer Witz zwischen die Zeilen gerät. Man denke etwa an den jüdischen Schneidermeister, der seinen gut betuchten, weltanschaulich progressiven Kunden leicht verstimmt antrifft, als er die maßgeschneiderte Hose statt wie versprochen nach einer Woche erst nach zehn Tagen abliefert. „Na, hat euer Gott nicht eine ganze Welt geschaffen in einer Woche? – „Nu, schauen Sie sich an die Welt, und schauen Sie sich an diese Hose.


    1 Mommsen: Pulzer, Peter G.: The Rise of Political Anti-Semitism in Germany and Austria. New York 1969, p.299 (nach Perry/Schweitzer, p.107); Jungreis: 2006, p. 243.

    2 Weiss 1997, Preface, p.ix.

    3 Yerushalmi, p. 17.

    4 Andermann, p.43.

    5 Greenberg 2004, p. 145.

    I Mama der Mann hat Aua

    An einem deutschen Sandkasten, um 1930.

    Fritzchen: „Ich darf nicht mehr mit dir spielen, Sarah. "

    Sarah: „ Und warum nicht? "

    Fritzchen: „Mama hat gesagt, ihr Juden habt Jesus gekreuzigt. "

    Sarah lässt ihre Kuchenform liegen, läuft wütend heim. Nach

    zehn Minuten ist sie wieder da.

    Sarah: „Also hör mal zu, Fritzi. Ich war 's nicht, Mama war 's

    nicht, Papa war 's nicht, und Tante Betty auch nicht. Das müssen

    die Cohns vom dritten Stock gewesen sein. "

    Die Verrücktheit der Erwachsenen und der großen Männer der Geschichte nimmt in diesem Buch viel Platz ein, aber Kinder sind durchweg seine Hauptpersonen, von Sarah mit der Kuchenform bis zu Johanna mit Vanillekuchen; sein Focus ist die Frage, wie sie den holzgeschnitzten, metallgegossenen Gekreuzigten erleben, was sie an ihm lernen und wie dies ihre Seelen prägt. Genau dies war es, was ich mich fragte, als ich im Spätsommer 1993 mein neues Klassenzimmer für meine zukünftigen Drittklässler vorbereitete: Leseecke mit Sofa, selbstgezimmerte Bücherregale, Bilder für junge Betrachter. Vorne an der Wand, über der Türe, hing ein Kruzifix mit dunklen Balken, hellem Jesus, dunkelrotem Blut. Ich nahm mir einen Schülerstuhl, setzte mich vor das Symbol und fragte mich: „Was vermittelt dieses Bild meinen Schülern? – „Sicher nichts Positives" war meine Antwort nach langer Überlegung. Ich nahm den toten Mann herunter, ging nach Hause, zog ein schönes Poster der katholischen Dritte-Welt-Aktion Misereor auf Tischlerplatte: zwei Hände, schwarz und weiß, Brot teilend vor dem Hintergrund des blauen Planeten. Dies, so meinte ich, würde meinen Kindern christlich humane Ethik viel greifbarer vermitteln als das Hinrichtungsbild.

    Weit gefehlt. Im nächsten Frühjahr fragten meine Schüler, ob wir nicht auch ein Kreuz haben sollten. „Aber warum denn bitte, fragte ich perplex. „Weil der Jesus uns vielleicht bei Mathe-Proben hilft war ihre einzige halbwegs nichttheologische Antwort. Wir setzten uns im Kreis, ich hörte zu, und erkannte erst jetzt den Religionslehrer – Pfaffenhofens katholischen Pfarrer – als Inspirator des Schülerwunsches. Konsterniert durch ihre ernsten, sichtlich eingelernten Aussagen wollte ich weder meine Kenntnisse ausspielen noch meine Neutralitätspflicht verletzen. Sollen wir abstimmen? Eine klare Mehrheit, ein standhafter christlicher Dissident, ein kurdischer Alevit, der, zur Seite blickend, sein offensichtlich mit den Eltern abgesprochenes „Mir egal wiederholte, und eine kleine Französin, deren Eltern mir später erzählten, wie befremdet sie sich fühlten, als sie ihre Tochter vorsichtshalber mit der Mehrheit stimmen ließen. Ich nahm die Brot teilenden Hände ab, hing die angenagelten auf. Und da der Jesus in seinem Schrankabteil die rechte Hand verloren hatte, erzählte ich den Kindern von einem gekreuzigten Jesus, der bei einem Bombenangriff beide Hände verloren hatte, weshalb man nach dem Krieg zu seinen Füßen eine Tafel anbrachte, auf der geschrieben stand: „Ich habe keine Hände als die deinen.

    Zwei Fragen ließen mich nun nicht mehr los: Wie sehen die Kleinen das Kruzifix, und warum ist es so wichtig für manche Großen? Erst jetzt las ich nach, dass dieses Kreuz tatsächlich Vorschrift war für Bayerns Volksschulklassenzimmer. Für mich ein klarer Verstoß gegen das Grundgesetz, tolerierbar jedoch in Hinblick auf die Nazis, die, so sagte man, die Kreuze aus den Schulen entfernen wollten.

    Zwei Jahre später sah ich das Wort „Kruzifix im Schein der Sommersonne, in den Schlagzeilen eines halben Dutzends deutscher Zeitungen an einem Kiosk. Zufall oder was, der Kiosk stand genau im ehemaligen Judenghetto von Prag. Die Zeitungen berichteten vom Urteil des deutschen Verfassungsgerichts zugunsten der bayerischen Familie Seler: „Die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen staatlicher Pflichtschulen, die keine Konfessionsschulen sind, verletzt Artikel 4 des Grundgesetzes.

    Donnerwetter, dachte ich: Der Rechtsstaat funktioniert noch. Ich nahm den nächsten Zug nach Deutschland, um das Urteil zu verteidigen, das schon unter heftigem Beschuss stand. Der kürzeste meiner Leserbriefe hatte nur drei Sätze: „Als die Nazis versuchten, die Kreuze aus den Klassenzimmern zu entfernen, erhob sich ein Sturm der Empörung in der bayerischen Bevölkerung. Die Kreuze blieben. Entfernt wurden die jüdischen Schüler."

    Im Dezember 1995 verabschiedete die CSU-Mehrheit im Bayerischen Landtag, Grundgesetz hin oder her, ein neues Gesetz für Volksschulen, das schon im ersten Satz alles klar macht: „In jedem Klassenzimmer wird ein Kreuz angebracht. Ausnahmen sind zugelassen, im Fall von „ernsthaften Einsprüchen. Mein Einspruch hatte 22 Seiten ernsthafte Argumente. Das Kultusministerium reagierte mit einem Rundschreiben, das besagte, Lehrer hätten kein Einspruchsrecht. Beim Schlichtungsgespräch im Bezirksschulamt sagte man mir lächelnd: „Aber sie können ja klagen." Denn welcher bayerische Lehrer würde gegen das heilige Symbol zu klagen wagen?

    „Haben Sie nichts Besseres zu tun? Dies war die Schlussfrage des Vorsitzenden, nachdem die Augsburger Verwaltungsrichter im November 1997 meinen Antrag auf Kreuzabnahme abgelehnt hatten – obwohl ihr Urteil mir zugestand, ich hätte meinen Einspruch „glaubhaft und überzeugend begründet. 1998 führte ich meine Neuntklässler zum Abschlussexamen, nahm ein unbezahltes Urlaubsjahr, schrieb meine Magisterarbeit über Brasiliens Schulsystem. Weil das Gericht meine Berufung auf die lange Bank schob, nahm ich ein weiteres Jahr und schloss den Magister ab. Und weil der Gerichtshof noch immer keine Zeit für Kruzifixkläger hatte, machte ich noch meinen Doktor, magna cum laude, und fand eine Verlegerin für mein Buch „Kruzifix und Holocaust".

    Im Dezember 2001, nachdem die zwischen Gericht, Kultusministerin und Schulamt gedeichselten Versuche, mich durch Versetzung aus dem Verfahren zu werfen, am Veto des Hauptpersonalrats gescheitert waren, siegte ich an einem Münchner Gerichtshof. „Kirche tobt schrieb die Bildzeitung, und der CSU-Sprecher raunzte in die Fernsehmikrofone: „Der Mann muss raus, raus, raus aus dem Schuldienst. Fast täglich brachte der Postbote nun neue Morddrohungen zwecks Behebung des unerträglichen Urteils, welches mir, als einem „atypischen Einzelfall das ausnahmsweise Recht gestattet hatte, in einem Klassenzimmer ohne Kreuz zu unterrichten. Atypisch war ich, so die Begründung des Gerichts, durch meinen „intensiven christlichen Glauben. Ich protestierte schriftlich gegen diese kuschelige Zuordnung zu jenen anonymen Christen, die mir brieflich bestenfalls empfahlen, schleunigst meine Koffer zu packen. Für eine Änderung der Begründung sei „kein Raum, schrieb Richter Thomas und tröstete mich damit, dass auch dem Gericht „Schreiben mit ähnlich beschimpfendem Inhalt zugegangen seien. Neben den psychologisch interessanten Drohungen/Beleidigungen, die mir postalisch, telefonisch, durch Zuruf beim Spaziergang oder auf dem Fahrrad gewidmet wurden, bekam ich auch starken Zuspruch von Christen.

    Zum Beispiel von der evangelischen Münchner Großmutter Lisa Wanninger, die mir schrieb: „Sehr geehrter Herr Dr. Riggenmann, erst als mich vor ca. 15 Jahren mein damals dreijähriger Enkel beim Anblick eines Wegkreuzes mit dem ,Gekreuzigten' fragte: „Oma, tut das dem Mann denn nicht weh? wurde mir bewusst, was für ein barbarisches Symbol ich da oft in Gotik, Barock usw. bewundert habe. Und was dieses Symbol in zarten Kinderseelen anrichten kann. Ich danke Ihnen sehr für Ihr Engagement und Ihre Hartnäckigkeit gegen dieses unmenschliche Zeichen.

    Offensichtlich hatte ihr Enkel Oma Lisa gelehrt, wie Kinder dieses Zeichen zu begreifen suchen: Was ist das? – Ein Mann – nackig aber unten hat er schon was an – da oben seine Hände an dem Holzding – kann alle Finger sehen hoppla wie hält er sich dann fest – muss ich genauer anschauen ... Ups! Oma!

    Oder von Ludwig Dallmeier aus Niederbayern – nicht dem einzigen bayerischen Pfarrer, der mit mir sympathisierte. Schon vor dem Skandal meines Gerichtsurteils hatte er das Kruzifix aus seinem katholischen Kindergarten entfernt, und nach dem Urteil bekannte er sich öffentlich. „Gekreuzigter für die Kinder unzumutbar" zitierte ihn die tz München in ihrer Schlagzeile.⁶ „Es ist die brutale Darstellung eines geschundenen Mannes erklärt er den Lesern und verweist auf sein „Schlüsselerlebnis vor vier Jahren, „als ihm eine der Erzieherinnen des Kindergartens erzählte, dass sich die Kleinen vor dem Gekreuzigten fürchteten". Er bat mich um Zusendung meiner Klagebegründung und schrieb zurück:

    „Beim Lesen fiel es mir wie Schuppen von den Augen ... Ja, ich habe als Kind (bin Jahrgang 1940) in den Juden die Mörder des Gottessohnes gesehen! ... Ich habe jahrzehntelang an diese Gefühle meiner Kindheit nicht mehr gedacht, kann mich auch jetzt nicht mehr an meinen Religionsunterricht erinnern, aber diese meine Abneigung gegen die Juden war mir jetzt plötzlich so präsent, als wäre alles erst gestern geschehen!"

    Beigelegt waren unterstützende Briefe, die Pfarrer Dallmeier auf einen Leserbrief mit dem Titel „Muss es unbedingt ein Kreuz sein? erhalten hatte. Da nennt ein Schulrat den Mut des Pfarrers „ein Hoffnungszeichen, ein Schulleiter versichert ihn der Unterstützung des Kollegiums, ein Religionslehrer ist ganz seiner Meinung: „Da muss mehr Leben rein! Und eine gläubige Katholikin berichtet: „Als betreuende Mutter war ich dabei, als ein griechisches Kindergartenkind beim Proben des Erntedankfestes einen Schock erlitten hat, als es zum ersten Mal den Gekreuzigten sah! Das Mädchen hat nur noch geschrien und war nicht zu beruhigen, sie war richtig in Panik! ... Warum wird in den Kirchen ein Toter angebetet? ... Ihre Worte aus dem Bericht ,Es ist die brutale Darstellung eines geschundenen Mannes' unterstreiche ich voll und ganz!!!

    Ein Fall für den Kinderpsychologen? „Kruzifix, Kind, Angst": Mit dieser Kombination von Schlüsselwörtern fand ich bei google, seitens ratloser Eltern, folgende Kinderfragen – von kleinen Menschen, die erst zwei, drei Jahre auf dieser Welt sind:

    „Hallo Mamis, meine Tochter (2,5 Jahre) geht seit Anfang September in den Kiga. Fremdbetreuung war sie vorher von der Tagesmutter her gewöhnt. Seitdem sie aber in den Kiga geht, äußert sie frühs vor dem Kiga immer, dass sie Angst hat vor dem großen Kreuz im Kiga. Der ,Mann mit den Nägeln' macht ihr Angst. Mittlerweile weiß ich schon gar nicht mehr, ob ich groß darauf reagieren soll und vor allem, was ich noch sagen soll. Die werden es jedenfalls bestimmt nicht wegen ihr von der Wand hängen. Alle Beschwichtigungen und Erklärungen machen es nur noch schlimmer. Ich muss dazu sagen, dass das Kreuz im Kiga echt ein monströses häßliches Teil in 2 Meter Größe ist, das dann auch noch in Augenhöhe der Kinder hängt (auch mit richtiger Christusfigur). Als Kleinkind hätte ich womöglich auch Angst vor so'nem Teil. Hat jemand Tipps wie ich mit meinem Kind umgehen soll? Wessen Kind hat auch Angst vor Kreuzen?" (huxe 91, auf netmoms.de).

    Anmerkung: Wenn ein Kind von zweieinhalb Jahren die Nägel in Jesu Händen als so bedrohlich wahrnimmt, dürfen wir vermuten, dass es schon einmal gesehen hat, wie man Nägel in Holz schlägt. Dieses Handwerk – eine der ersten „echt erwachsenen Tätigkeiten, die Kinder selbst ausprobieren – ist für die Kleinen der buchstäblich eindringliche Inbegriff von „machen durch physische Kraft: mit lautem Hauen, Hämmern, Klopfen treibt man scharfes Metall in fleischfarbenes Holz. Und wenn du den Daumen triffst, dann tut es ganz arg weh.

    „Hallo und einen schönen Samstag Nachmittag zusammen, irgendwie ist man es ja gewohnt bei einer 3,5-jährigen Tochter ständig Sinn gebende Antworten parat haben zu müssen. Aber gestern hat sie uns vor eine ernsthafte Herausforderung gestellt und zwar mit der Frage, warum Jesus am Kreuz hängt und warum er denn blute? Und das um 5 Minuten vor Schlafenszeit!" (Mac, auf chefkoch.de/forum).

    „Ich kann mich noch daran erinnern, dass mein Bruder als Kind Angst vorm Kruzifix im Schlafzimmer hatte, wenn wir bei unserer katholischen Verwandtschaft zu Besuch waren, antwortet jemand, der sich „Syldron nennt. „Zum Glück mussten wir da nicht so oft hin."

    „Meine Enkelin ist vier Jahre alt und hat Angst vor dem Kruzifix, schreibt eine Frau namens Christa, die 1939 zur Welt kam. „Bei uns neben der Kirche ist ein großes Kreuz. Sie mag da nicht mehr vorbei gehen weil sie Angst vor dem Kreuz hat. Sie weint weil der Mann Aua hat und blutet. Wie soll ich ihr das am besten kindgerecht erklären. Gruß Christa.

    Oma Christas Anfrage veranlasste eine Debatte zwischen einer weniger akademisch als herzensgebildeten Frau, die sich „SubsTanz nennt, und einem sehr eloquenten Mann, der unter dem Namen „Adept (laut Duden „in eine Geheimlehre Eingeweihter") firmiert.

    SubsTanz: „Das Problem hatte ich auch mal und konnte mein Kind gut verstehen. In wohl fast allen Kirchen hängt ein Kreuz an dem ein gefolterter Mann hängt. ... Es gibt ja in der Kirche keinen Jugendschutz gegen solche Bilder und Geschichten. Der Mann hängt da mit Nägeln in den Händen und Füßen,die ihm durchs Fleisch gerammt wurden. Würdest du deiner Enkelin regelmäßig ein Bild vorhalten, wo eine fast nackte Frau von anderen Menschen an einen Baum gehängt ist, wo man sie grausam dran genagelt hat? Stell es dir mal mit Kinderaugen vor! Warum zeigen wir das nicht unseren Kindern so mit 3-4 Jahren? Vielleicht weil es kein religiöses Bild ist, sondern nur ein sadistisches?"

    Adept: „Nach christlicher Überzeugung hat der, den man ans Kreuz nagelte, auch den Tod überwunden. Man muss keine Angst vor ihm haben."

    SubsTanz: „Aha ... und deswegen darf man Kindern dieses Bild zeigen und nicht das der gefolterten Frau."

    Adept: „Du wirst wissen, dass Kreuze künstlerische Werke sind, deren Wirkung man keineswegs mit der einer realen Szene vergleichen kann. In den Kreuzesdarstellungen ist der Gekreuzigte keineswegs ausschließlich der Leidensmann, sondern auch bereits schon Überwinder des Todes, was formal darin zum Ausdruck kommt, dass er am Kreuze aufrecht angebracht ist. Für Christen ist die Realität des Kreuzes durch die der Auferstehung zu ertragen. Wer den Glauben an die Auferstehung nicht teilt, dem würde ich auch nicht empfehlen, seine Kinder mit dem Kreuzestod zu konfrontieren.

    SubsTanz: „Oha ... also wenn die Eltern fromm sind, können Kinder es ertragen, wenn die Eltern nicht fromm sind, macht es den Kindern Angst und sie leiden zuviel mit?"

    Adept: „Wenn Eltern fromm sind, werden sie ihren Kindern schon etwas zum Kreuz und zur Auferstehung erzählen können. Man darf sogar annehmen, dass atheistisch oder nichtchristlich gesinnte Eltern in der Lage sind, ihren Kindern zum Symbol der Christen ihre Meinung nahe zu bringen. Wozu es gut sein soll, in dem Zusammenhang sich oder den eigenen Nachwuchs zum Opfer zu stilisieren, erschließt sich mir nicht. Oder hast du einen Opferkomplex?"

    SubsTanz: „Lachlach nein ... Komplexe habe ich nicht, aber ein Opfer der katholischen Kirche war ich als Kind schon. Einmal sollte ich als Strafe vor dem Altar niederknien und 10 mal das Vaterunser beten (mit dem gekreuzigten Jesus vor meinen Augen) der mir mehr als nur Angst einjagte, da ich ein Sensibelchen war, ich hatte so Mitleid mit dem armen Mann und auch Ekel, da noch eine Dornenkrone in seinem Kopf steckte und das Blut lief ihm über sein sterbendes Gesicht. Bei den Nägeln an Händen und Füßen versuchte ich immer wegzusehen. Ich weigerte mich, das zu tun, dann ging es los ... Du wirst sonst für deine Sünden in der Hölle hart bestraft usw ... usw... und als er drohte, dass, wenn meine Eltern nicht öfters in die Kirche kommen würden, auch sie bestraft werden würden, daraufhin habe ich nachgegeben und es getan. ... Und würdest du nun einem 4-jährigen Kind ein Bild von einer am Baum genagelten Frau zeigen und ihr dazu sagen: Sie leidet für dich und deine Sünden? Ich kann ja auch fragen, ob man ein Kind an einen Baum nagelt und ob man es einem anderen Kind zeigen soll. Ist hart, der Gedanke, nicht wahr? Sowas Grausames sollte man nicht mal denken? Ich geb nicht auf." (4.-8.Nov. 2011, spin.de/forum).

    Ich hoffe sehr, dass diese Mutter nie mehr so auf- und nachgibt, wie sie es als Kind aus Angst um ihre Eltern tat. Nie mehr, egal wie viele Robustis lächeln mögen über das seltsame Sensibelchen mit seiner Angst vor Kreuzen. Und sind die Sensiblen wirklich so seltsame, so seltene Exoten?

    Eine erste Annäherung an diese Frage gibt das Wilhelm-Griesinger-Institut in einem Internettext, bei dem ich die quantitative Dimension der Aussage durch Kursivdruck markiere: „Viele Erwachsene berichten, dass sie selbst sich im Alter von drei bis vier Jahren vor Kreuzen gefürchtet haben, die sie in einer Kirche gesehen haben oder die im Haus von Verwandten an der Wand hingen. Für die meisten Menschen ist das Kreuz ein christliches Symbol, das für die Auferstehung von Jesus Christus steht. Kleineren Kindern fehlt jedoch meist noch der religiöse Hintergrund, so dass es gar nicht so selten vorkommt, dass das Kreuz etwas Unheimliches und Bedrohliches für sie darstellt, insbesondere, wenn sich an dem Kreuz eine Jesus-Figur befindet, die das Leiden Christi bildlich darstellt. Für Erwachsene mag die kindliche Angst vor dem Kreuz unter Umständen nicht nachvollziehbar sein, weil es für sie ein alltägliches, religiöses Symbol ist. Es nützt in diesem Zusammenhang auch wenig, die Furcht des Kindes durch Sätze wie Jesus beschützt dich' zu bagatellisieren, denn für Kinder ist es in ihrer Welt unverständlich, dass jemand, von dem sie nichts Näheres wissen und der am Kreuz sichtbar leidet, sie beschützen soll. Die Furcht vor dem Kreuz verschwindet allerdings meist von selbst, wenn die Kinder etwas älter sind und den religiösen Hintergrund des Kreuzes beziehungsweise der Kreuzigung zumindest ansatzweise verstanden haben."

    Anmerkung: In der physischen Welt verschwindet nichts. Es wandelt sich nur um.

    Wie Kindheitskreuze bei sensiblen und intelligenten Erwachsenen noch spät nachwirken, bestätigt ein Pharmaziestudent, der auf der Psychologie-Seite „suite101.de zu Wort kommt. Seine Traumsequenz von Höhle bis Kruzifix mag Uterus und Phallus reflektieren; viel prägnanter jedoch erscheint sie als exakte Inszenierung der Abfolge im katholischen Credo, wo dem „geboren aus sofort das „gelitten unter folgt: „Ich habe so furchtbare Alpträume. Die habe ich schon seit meiner Kindheit: Ich lebe in einer großen Höhle. Alles um mich herum ist dunkel. In der Ferne sehe ich ein kleines Licht. Plötzlich fühle ich, daß ich an ein Kreuz festgebunden bin und sehe furchtbare Gestalten auf mich zukommen. Sie peitschen mich aus. Über mein Gesicht ist eine Kette gelegt. Ich fühle mich ohnmächtig und habe wahnsinnige Angst vor den Schlägen dieser gnadenlosen Gestalten ... Ich wache auf mit Herzklopfen und muß mich in der Dunkelheit erst einmal zurechtfinden, bis ich merke, dass ich in meinem Bett liege.

    „Bei sensiblen, intelligenten Erwachsenen habe ich aus guten Gründen geschrieben. Denn ich möchte die Leserin und den Leser zur Zivilcourage anregen, das heißt, auch keine Angst zu haben davor, als zu zart besaitet zu gelten. Was den Zusammenhang von Intelligenz und Sensibilität betrifft, hat Kierkegaard schon 1848 ganz schlicht festgestellt: „Je weniger Geist, desto weniger Angst.⁷ In „Jenseits der Norm – hochbegabt und hoch sensibel? betont Andrea Brackmann die „ausgeprägte Empfindsamkeit und das „starke Gerechtigkeitsgefühl" hochbegabter Kinder. Zwei Beispiele: „Wenn Ina miterlebt, wie jemand ungerecht behandelt wird, ist sie so bestürzt und betroffen, dass sie sich lange nicht davon erholt. Sie ist dann sehr aufgewühlt, verstört und entsetzt." – „Im Kindergarten wurde über Ostern und Karfreitag gesprochen. Über die Tatsache, dass Jesus gekreuzigt wurde, war Ben so erschüttert, dass er an den Feiertagen immer wieder weinte und fragte: ,Warum musste Jesus sterben?'"⁸

    Das heißt nicht, dass nur hochbegabte Kinder unter Kruzifixen leiden. Mein ehemaliger Schüler Stefan Gassner berichtete mir aus seiner Arbeit in einer Förderschule für geistig behinderte Kinder: „Die Karin, die hat mir erzählt: ,Den Jesus mag ich nicht.'" Das Kind meinte den Juden, der, wer weiß warum, stumm hängend auch geistig behinderten Kindern erklären soll, wie das Annageln eines Menschen der Welt das Heil gebracht hat. (Wer ist hier behindert?)

    1847: „Kinder, die kaum lallen können," klagt eine christliche Mutter, „lernen den Namen Juden verabscheuen wie einen Dämon und ganz früh sagt man ihnen, „die garstigen Juden hätten den lieben Herrn ans Kreuz geschlagen.

    1893: Dem kleinen Dov Berkowitz war wie allen jüdischen Kindern in Polen eingeschärft worden, sich bei jedem Wegkreuz abzuwenden, um die Augen nicht zu „besudeln mit dem Götzenbild. Doch eines Tages will er es wissen – und dreht sich um! „Was soll das bedeuten? Ist er das? ... Der Eindruck war ... unheimlich, erschreckend in seiner Fremdheit ... Aber da kam ein Bauer auf seinem Pferdekarren vorüber, hielt an und bekreuzigte sich. Als er mich dastehen sah, verfinsterte sich sein Antlitz, er stieß einen Fluch aus und schlug mit der Peitsche nach mir.¹⁰

    1925: Der kleine Michael, Sohn eines Literatur-Nobelpreisträgers, fürchtete sich vor dem am Kreuz hängenden kleinen Mann. Ob das damit zu tun hatte, dass seine Mutter Katia (und vielleicht auch Julia da Silva-Bruhns, die brasilianische Mutter des Vaters) jüdische Vorfahren hatte? Die deutsche „Muss-Kind-durch-Kur ging dann so: „Den gekreuzigten Nackten nagelte der Vater seinem sechsjährigen Michael ans Kopfende des Bettes. Das sei ,Teil von unserer westlichen Kultur, und der Junge muss sich an das gewöhnen', erinnert sich seine Schwester Elisabeth Mann.¹¹ Michael und sein Bruder Klaus starben durch Suizid. Zu weich für diese Kreuz-Welt oder diesen deutschen Vater?

    1938: Der kleine Victor, ein Sprößling der vielen Pereiras, die der portugiesischen Inquisition durch Flucht entkamen, wuchs in Guatemala auf, stets gut betreut vom siebzehnjährigen Kindermädchen: „Chata, eine katholische Maya aus einem Bergdorf, war entschlossen, meine jüdische Seele zu retten; sie schlich sich oft mit mir in die Kathedrale, wo sie mich vor dem Gekreuzigten knien und das Ave Maria beten ließ. Mein Geruchssinn war betört von der Mischung aus Weihrauch und Chatas Bluse, wenn sie ihre festen Brüste gegen meinen Rücken presste; dies war ihre Art, meine Angst zu lindern vor der schrecklichen nackten Figur am Kreuz."¹²

    1967 war sie ein fünfjähriges Mädchen, die Kunst- und Englischlehrerin, die mir viel später, nun selbst Mutter zweier Töchter, schrieb:

    „Als Vorschulkind hatte ich eine Zeit lang fürchterliche Angst vor dem Kruzifix. [...] Eine Darstellung – eine sehr naturalistische Holzskulptur des Gekreuzigten – hat sich mir tief eingeprägt: die Einstiche der Dornenkrone, die durchbohrten Hände, deren Finger sich schmerzverzerrt krümmen, das leidende blutüberströmte Gesicht. Ich konnte dann nicht einschlafen. Meine Mutter hat das für Theater gehalten, mich aber die Andachtsbilder dann nicht mehr betrachten lassen. Tatsächlich war es so, daß ich ganz großes Mitleid mit Jesus Christus empfand und gleichzeitig große Schuld, weil er ja ,für uns' gestorben war.

    Als ich nun vor kurzem meine Mutter zu diesem Kindheitserlebnis befragte, meinte sie, daß sie das Kruzifix im Schlafzimmer damals abgenommen hat, damit ich einschlafen kann. Trotz Abhängens hat es mich ,verfolgt'. Es führte so weit, daß ich die Falten im Federbett wegdrückte, weil sie in ihrer rundbogenartigen Form an Maria, die Mutter des Gekreuzigten, erinnerten – wie ich sie als 4-5-Jährige eben zeichnete: So hat mich als Kind nicht mal das mütterlich-versöhnliche Bild Mariens trösten können, denn das birgt ja schon gleich das Schicksal ... ihres Sohnes in sich."

    1970: „An die Erfahrung eines Kirchenraums kann ich mich schon in sehr früher Kindheit erinnern – ich muss da etwa fünf gewesen sein – und wenn ich zum Kreuz aufschaute, war mir sehr klar, dass etwas in mir sich wehrte gegen die Annahme Jesu als Gott. Ich hatte Angst, weil er sehr detailliert gemacht war, aber diese Angst war mein Geheimnis, das ich für mich behielt." Das kleine Mädchen nannte sich als Erwachsene Shlomit, weil sie zum Judentum übertrat.¹³

    1985: Die Amerikanerin Terry Kallet war mehr als erstaunt, als ihr dreijähriger Sohn Nathan eines Tages aus der Vorschule nach Hause kam und sie bat: „Beschütz mich vor Papi! – „Was, warum, was ist passiert? fragte seine Mutter zurück und erfuhr, was Nathan heute gelernt hatte: Die Vorschullehrerin hatte erzählt, dass die Juden Jesus getötet haben und dass Jesus der Sohn eines Juden sei. „Also ging mein eigener Sohn nach Hause im Gedanken, dass, weil sein Vater Jude ist und er der Sohn eines Juden, sein Daddy ihn folglich killen würde. Und während mir mein Sohn dies sagte, war ich dabei, das Sedermahl vorzubereiten!"¹⁴

    1993: „Denn solange ein Mensch etwas nicht sehen darf, wird er es übersehen, missverstehen, auf irgendeine Weise abwehren müssen",¹⁵ sagt die polnisch-jüdisch geborene Schweizer Pschotherapeutin Alice Miller. Denselben Familiennamen trug der gut katholische Sägewerksbesitzer A. Miller in meinem Heimatdorf, bei dem ich nur ein paar Dachlatten für Theaterkulissen kaufen wollte und der mir dann unvermittelt eine Geschichte erzählte, die ihm sichtlich auf dem Herzen lag: „Tun sie das Kruzifix aus dem Zimmer, hat die junge Frau g'sagt, wie sie zur Entbindung ins Krankenhaus 'kommen ist. Ich will net, dass mein Kind des sehen muss, wenn's auf d’ Welt kommt, hat sie g'sagt. Und wie dann das Kind auf der Welt war, da war es – blind!" Darf ich das Empfinden des redlichen Vaters und Großvaters (geboren etwa 1935) so deuten: Das Kreuz ist furchtbar. Aber Gott will es. Und wehe dem, der wegschaut!?

    2001: Im Vorfeld der Verhandlung in München warf mir die Landesanwaltschaft vor, ich würde gegen das Kruzifix in meinem Klassenzimmer ja „nur pädagogisch" argumentieren. Das sei aber nicht meine Aufgabe. Pädagogische Argumente könnten meinen Rechtsanspruch als Lehrer nicht stützen. Das heißt: es ist zwar meine Pflicht, pädagogisch verantwortlich zu handeln, aber nicht mein Recht.

    2010: Als in der Grundschule von Röfingen im schwäbischen Landkreis Günzburg die durchaus nicht revolutionär gesinnte Lehrerschaft beschloss, ein großes, real grausames Kruzifix aus der Eingangshalle zu entfernen, weil sein Anblick „für die Erst- und Zweitklässler nicht auszuhalten" sei, entfachte dies einen Skandal. In einem Internetforum kommentierte eine 40-jährige Mutter, die sich selbst unter dem Pseudonym „Dembara als „römisch-katholisch, konservativ definierte, die Problematik so:

    „Mein Sohn (3 Jahre) braucht ein Kruzifix um die Person Jesus zu erkennen. Wenn Jesus anders dargestellt ist, kennt er sich nicht aus, weil er ja die Bibel noch nicht kennt. Dass er besonders geschockt gewesen wäre, weil Jesus blutet, ist mir noch nicht aufgefallen. Es stimmt schon. Ich kenne Kirchen, die aufgrund zahlreicher Märtyrerdarstellungen wirklich eher einer Folterkammer gleichen, als einem heiligen Raum. Ich finde aber auch, dass die Wahrheit zumutbar ist. Ich glaube, dass 99,9% aller Kruzifixe eine mehr als beschönigte Darstellung dieser Foltermethode sind, die auch für Kinder zumutbar ist. Grotesk ist ein Kruzifix nur dann, wenn man nicht weiß, was es bedeutet. Dann sieht das Christentum plötzlich aus wie eine Sadomaso-Kammer. Da aber ,früher' das gemeine Volk gewusst hat, warum Jesus so dargestellt wird, hatte es auch keine Probleme damit. Heute gibt es viele, die nicht mehr wissen, warum Jesus gestorben ist. Sehr viele Menschen wissen heutzutage nicht einmal, dass Jesus eine historische Person ist. Dann wird ein Kruzifix zwangsläufig zu einem bösen Foltermärchen, à la Hänsel und Gretel. Es ist also nicht so wichtig, die Kruzifixe auf harmlos zu designen, bzw. auszublenden, sondern die Menschen auf die Hintergründe dieser Darstellungen hinzuweisen. Denn hinter dem Kreuz, so schließt Dembara, „steht unsere Erlösung – was auch immer dieses Endwort, und dieses Endbild, für einen Dreijährigen bedeuten mag.

    Auch wenn alle hier zitierten Kinder überdurchschnittlich sensibel sind – wer wäre so naiv, zu sagen, dass die robusteren den „Mann mit Aua einfach übersehen werden, ohne in ihrem Inneren eine Spur seiner Verletzungen eben als Verletzung zu speichern? Und wenn alle diese Kinder – die mit den feinen Antennen ebenso wie die Überseher – sich an das Bild gewöhnt haben: ist dann alles okay? Oder wird das „Nagelmann-Emoticon in der Amygdala gespeichert bleiben, jede Nagel- und Dornenspitze eine Synapse, bereit zum Schalten eines Impulses, wann immer das Kind, der Erwachsene den Namen dieser Juden hört, die diesen Mann doch quälten bis aufs Blut? In der Betrachtung dieses Mannes und der Fakten und Fälschungen rund um sein global exhibiertes Totquälen sollten wir der bodennahen, ehrlichen Methode folgen, die Hyam Maccoby vorschlägt, um den historischen Jesus (und seinen Bruder Judas) zu rekonstruieren: „Wir müssen zwischen den Zeilen lesen, in den Dokumenten, die uns zur Verfügung stehen, um Hinweise aufzuschnappen, die aus älteren Berichten überlebten. Diese Methodik ist nicht nur akademisch und theoretisch. Sie hilft uns zu verstehen, wie Mythen entstehen, und sie hilft uns mit Vorurteilen aufzuräumen, die noch immer aus mythengeleiteter Indoktrination fortwirken. Auch wenn uns zuletzt ein Fragezeichen bleibt und eine Theorie, die nur zum Wahrscheinlichen ausgreift, stärken wir dadurch nichtsdestotrotz den rationalen Ansatz, der primär auf das Wahrscheinliche zielt und die bigotte Sicherheit derjenigen vermeidet, die sich mit Mythen und Phantasien betrinken."¹⁶

    Paixão de Cristo, reinszeniert auf den Straßen einer brasilianischen Kleinstadt: Ein unverständiges Kind versucht spontan, dem Mann zu helfen, und stört das Leidensspiel der Großen durch sein echtes kindliches Mitleid (compaixão).


    6 Tz München, 19./20.Januar 2002, p.1.

    7 Kierkegaard: „Der Begriff Angst"; in: Kierkegaard 1982, p.377.

    8 Brackmann, p.22, 48 und 59.

    9 Erika Weinzierl: Stereotype christlicher Judenfeindschaft. In: Jüdisches Museum der Stadt Wien (Hg): Die Macht der Bilder, p.131.

    10 Lapide 1985, p.17.

    11 Roggenkamp, p. 125 ; Viola Roggenkamp vermutet, dieser männliche Körper mit seinem „lockeren Tuch um die Lenden könnte für den bisexuellen Thomas Mann „auch Homosexuelles bedeuten.

    12 Perera, p.231.

    13 Myrowitz, p.193.

    14 Myrowitz, p.72; ins Sedermahl am Abend vor Pessach sind Kinder aktiv eingebunden.

    15 Miller 1983, p.24.

    16 Maccoby 1992, p. 128.

    II Geboren aus Maria

    Zittert, Juden! " rief der Mönch,

    „ Vor dem Gott, den ihr mit Hieben

    und mit Dornen habt gemartert,

    Den ihr in den Tod getrieben.

    Seine Mörder, Volk der Rachsucht,

    Juden, das seid ihr gewesen –

    Immer meuchelt ihr den Heiland,

    Welcher kommt, euch zu erlösen ... " Heinrich Heine, Disputation

    Heines Mönch kennzeichnet den, vor dem die Juden zittern sollen, auf dreifache Art: als Gott, als erlösenden Heiland – und als Opfer der Juden.

    Nur eine dieser drei Rollen nahm Jesus bei den Ebioniten ein, bei jener urchristlichen Gemeinde, die von Leuten geleitet wurde, die es wissen mussten: Jesu leiblichen Verwandten. Ihnen galt ihr gekreuzigter Bruder, Onkel, Uronkel als „der Gerechte (zadik), der einzige, der das Gesetz komplett erfüllt hatte und deshalb zum Christus ernannt worden war. Hätte ein anderer das Gesetz in ähnlicher Weise erfüllt, wäre auch er Christus geworden." So beschreibt Kirchenlehrer Hippolytus (ca.170-235) die Ansicht der Ebioniten. „Außerdem erfüllte Jesus das Gesetz als Mensch, nicht als Sohn Gottes (hyós theóu) sondern als Menschensohn (hyos anthrópou) ... nicht durch Präexistenz, sondern durch den Akt der Adoption, der im Psalm 2:7 angekündigt wurde."¹⁷

    In diesem Psalmvers sagt Gott Jahwe persönlich: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt, zu demselben König David, dem er andernorts verspricht: „Ich will ihm ein Vater und er mir ein Sohn sein und der ihm in einem anderen Psalm antwortet „Mein Vater bist du, mein Gott" (Ps 2:7; 2 Sm 7:14; Ps 89:27).

    Aber dieser David, König des Volkes, welches in Exodus 4:22 von Jahwe selbst als „mein erstgeborener Sohn und in Deuteronomium 14:1 als „Kinder von Jahwe Elohim bezeichnet wird, dieser königliche Ahnvater Jesu gilt niemandem, keinem Christen, keinem Juden, als „richtiger Sohn Gottes. Auf die Frage, wann und wo der Sohn Gottes aus Maria der Jungfrau gezeugt wurde, wäre die treffendste Antwort: Um 50 nach Christus, kurz vor Damaskus, im Kopf des Saulus. Der eifrige Aufspürer der Christensekte im Auftrag der Sadduzäer hatte als Untersuchungskommissar sicher alle Informationen (wo geboren, Vater, Mutter, Brüder ...?) bezüglich Jesus gesammelt und gespeichert. All dies waberte in Sauls Gehirn, zusammen mit den Mythen gottgezeugter Söhne aus seiner griechischen Erziehung, ob sie nun Adonis oder Attis, Osiris, Herakles oder Dionysos hießen. Diese Opfersöhne der Mysterienreligionen waren „alle menschlich-göttliche Figuren. Häufig wurde die notwendige human-divine Mixtur dadurch erzielt, dass ein Elternteil des Opfers menschlich und einer göttlich war¹⁸ Die bunten Teile waren da; es musste sie nur jemand zusammennähen und das Patchwork auf den nackten Gekreuzigten legen, der doch immer vom Vater im Himmel gesprochen hatte. Die letzte Nähnadel war, ein paar Meilen vor Damaskus, „ein Licht vom Himmel das ihn umstrahlte, während Saulus eine Stimme hörte und er erblindet zu Boden fiel (Apg 9:3); mit der Folge, dass es ihm drei Tage später „wie Schuppen von den Augen fiel (9:18) und Saulus, nun romanisiert zu Paulus, in den Synagogen verkündete, dass Jesus „der Sohn Gottes sei" (9:20).

    Warum gerade er? Vor Paulus war niemand auf die Idee gekommen, Jahwe Elohim, dem unsichtbaren, ungreifbaren „Ich werde sein, der ich sein werde (Ex 3:14) so Pikantes zuzuschreiben wie die göttlichen Attitüden, welche die Griechen so gerne von ihrem Zeus erzählten. Dieser virile Herrscher, selber gezeugt von Chronos, war als Vater vieler Nachkommen bekannt, sämtlich halbgöttliche Souvenirs seiner diversen Affären mit sterblichen Schönen. Ähnliches von Jahwe anzunehmen, fiel dem Juden Paulus offenbar selber schwer. Den Römern schrieb er schon im ersten Satz, der Christus Jesus sei „dem Fleische nach aus dem Geschlecht Davids hervorgegangen, aber den Galatern (4:4) präzisierte er mit neuer Formel, dass „in der Fülle der Zeit ... entsandte Gott seinen Sohn, geboren aus einer Frau. 15 Jahre später (um 70 n.C.) weiß das erste Evangelium des Markus nichts über eine Jungfrau Maria, sondern beschreibt die Adoption Jesu als Gottessohn à la David ganz ebionitisch, „und eine Stimme erscholl von den Himmeln: ,Du bist mein geliebter Sohn ... (1:11). Aber weitere 15 Jahre später beschrieben Matthäus und Lukas den jungfräulichen Ursprung des Erlösers in zwei sehr verschiedenen Empfängnisgeschichten, die in kaum mehr übereinstimmen als dass, in Matthäus' Worten, „was in ihr gezeugt ist ... vom Heiligen Geist" sei (1:20). Aus diesen beiden gleichzeitig entstandenen und voneinander doch so unabhängigen Erzählungen schließt Reza Aslan, dass „die Tradition der Jungfraugeburt eine frühe war, womöglich früher als das erste Evangelium des Markus".¹⁹

    Es war die eine frühe Vision des Paulus, die sich nach drei Jahrzehnten Tradition hier durchsetzte.

    Es gibt doch keine Zufälle? Gab es im Lebenslauf des Nazareners, den Kommissar Saulus so gut kannte, irgendwelche Indizien, die zu Pauli Patchwork eines mysteriös Gezeugten prägnant passten? Gab es da einen Faden in seiner Biographie, der passend und robust genug wäre, um die seltsame griechisch-hebräische couture zu vernähen?

    Es gab. Im sechsten Kapitel des frühesten Evangeliums, geschrieben wahrscheinlich in Rom durch einen nichtjüdischen Römer namens Markus, hört man Jesu frühere Nachbarn in Nazaret sich fragen: „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und ein Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simon? Und wohnen nicht seine Schwestern hier bei uns?

    Sohn der Maria? Und der Vater? Vier Brüder hat er, seine Schwestern wohnen hier, nur ihn nennen sie nach der Mutter ...? Jedem Juden damals war da klar: Hoppla, bei dem war was.

    Zeitsprung: „Wenn mein guter Freund Dr. Gasparri ein schlechtes Wort über meine Mutter sagt, hat er einen Faustschlag von mir zu erwarten. Das ist normal. Ganz normal. Du darfst nicht provozieren."²⁰

    Der Mann, der die Ehre seiner Mutter so mannhaft verteidigen würde, ist Jorge Mario Bergoglio, Papst Franziskus aus Argentinien. Sein schlagfertiger Kommentar bezog sich auf die zwölf Journalisten des Pariser Satiremagazins Charlie

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