Soziale Marktwirtschaft: All inclusive? Band 2: Chancen
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Über dieses E-Book
Dieser Band geht der Frage nach, wo und wie wir gesellschaftlich investieren müssen, um eine inklusive Soziale Marktwirtschaft als Chancenordnung zu stärken. Dabei wird der traditionelle Investitionsbegriff aufgebrochen und um die Frage erweitert, in welchem Maße gesellschaftliche Investitionen dem Anspruch einer Bereitstellung individueller Chancen entsprechen.
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Buchvorschau
Soziale Marktwirtschaft - Verlag Bertelsmann Stiftung
Abstract
DIE SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT ALS AUFSTIEGS- UND CHANCENORDNUNG
Henrik Brinkmann, Manuel Gath
Zur Buchreihe
Die Bundesrepublik Deutschland steht gut da. Wirtschaftliche Kennziffern wie das Bruttoinlandsprodukt, die Exportquote oder auch die Beschäftigungsentwicklung und das Steueraufkommen zeichnen das Bild einer rundum gesunden und vor ökonomischer Stärke strotzenden Volkswirtschaft. Ein ähnlich einheitliches Bild von unserer Gesellschaft zu zeichnen, will hingegen nicht gelingen: In der öffentlichen, politischen und akademischen Debatte geht es immer häufiger um soziale und wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Menschen, Regionen, ja selbst Branchen wie der exportorientierten Industrie auf der einen und dem lokalen Dienstleistungsgewerbe auf der anderen Seite. Dabei ist nicht allein entscheidend, ob der Befund einer ungerechter gewordenen Gesellschaft empirisch in all seinen Facetten Bestand hat. Schon die Debatte beweist, dass das Thema gesellschaftlich relevant ist.
Die große Zahl ökonomischer und ökologischer Krisen der vergangenen Jahre hat vielen die Grenzen des bisherigen Wachstumsmodells deutlich gemacht. Die westlichen Industriegesellschaften, auch Deutschland, müssen sich kritisch hinterfragen lassen.
Zeitgleich lässt sich hierzulande ein Verlust von Vertrauen in die gesellschaftliche Leistung unserer Wirtschaftsordnung beobachten. Spätestens seit der weltweiten Finanzkrise hat sich nicht nur global, sondern auch in Deutschland die Einkommens- und Vermögensungleichheit in vielen Bereichen erhöht – die Chancen hingegen sind geringer geworden. Unser gesellschaftliches Selbstverständnis beinhaltet das Versprechen von Bildungs- und Entwicklungschancen für das Individuum und die Ermöglichung von sozialem Aufstieg. Wenn diese Perspektive für immer größere Teile der Gesellschaft nicht realisierbar ist, gefährdet das die Akzeptanz für unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.
Eine der Grundideen der Sozialen Marktwirtschaft ist die einer Markt- und Wettbewerbsordnung, in der wirtschaftliches Wachstum und sozialer Ausgleich Hand in Hand gehen. Vor diesem Hintergrund stellen sich zentrale Fragen, auf die Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Antworten finden müssen. Werden die Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft noch eingelöst? Wie krisenfest bzw. -anfällig ist unser Wirtschaftssystem? Welche Anforderungen stellen die Bürgerinnen und Bürger an unsere Wirtschafts- und Sozialordnung? Vor welchen Herausforderungen stehen wir in Zukunft wirtschaftlich und gesellschaftlich? Kurzum: Was muss getan werden, um weiterhin für alle Menschen in Deutschland ein gutes Leben zu ermöglichen?
Im Rahmen mehrerer Diskussionsrunden mit Vordenkern¹ der in Deutschland etablierten Parteien, Wissenschaftlerinnen und Unternehmern haben die Bertelsmann Stiftung und Das Progressive Zentrum gemeinsam mit den Teilnehmenden Thesen, Positionen und Konzepte erörtert. Daraus ist ein vielfältiges Leitbild für eine zukunftsfähige und gesellschaftsorientierte Soziale Marktwirtschaft entstanden, die ein inklusives Wachstum möglich machen soll. Der vorliegende Band soll Diskussionen anregen und Denkanstöße geben, mit welchen Maßnahmen unser Wirtschaftsmodell zukunftsfest gemacht werden kann. Unser Ziel ist es, heute einen Beitrag zu leisten, damit die Weichen für morgen richtig gestellt werden.
Zu diesem Band
Eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wie die Soziale Marktwirtschaft wird nur dann langfristig Akzeptanz erfahren, wenn sie den Menschen individuelle Chancen bietet und sie in die Lage versetzt, ihre persönlichen Lebensziele zu verwirklichen. Praktisch gesprochen lassen sich drei zentrale Ansätze für diese Teilhabechancen identifizieren.
Zum Ersten ist das die Chance auf Teilhabe am Arbeitsmarkt – über Aus- und Weiterbildung, Qualifizierung und individualisierte Kompetenzvermittlung. Das Ziel kann die Aufnahme einer auskömmlichen Erwerbstätigkeit sein oder auch eigenes unternehmerisches Handeln. Zum Zweiten ist es die Chance auf Teilhabe in der unmittelbaren Lebensumgebung. Dafür braucht es Orte der Begegnung und des Austauschs, die Menschen als Teil einer aktiven und inklusiven Nachbarschaft im besten Fall selbst mitgestalten möchten. Zum Dritten sind gesellschaftliche Teilhabechancen durch ein Einkommensversprechen zu gewährleisten. Dies erfolgt gegenwärtig durch das Steuer- und Transfersystem und könnte bis hin zu einer grundlegenden, bedingungslosen Anerkennung im Rahmen eines Grundeinkommens gehen, wie es zurzeit diskutiert wird. All diese Ansätze schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern müssen in einem gesellschaftlichen Kompromiss immer wieder neu gewichtet und austariert werden.
Um die Entwürfe für die Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen, bedarf es erheblicher Mittel. Eine zentrale Frage ist, wo und wie wir investieren müssen, um einen Beitrag zu einer inklusiven Sozialen Marktwirtschaft zu leisten. Bei der Diskussion darüber brechen unsere Autorinnen und Autoren den traditionellen Investitionsbegriff auf und erweitern ihn um die Fragen, wie gesellschaftliche Investitionen wirken und in welchem Grad sie dem Anspruch an eine Bereitstellung von Chancen entsprechen. Dabei geht es auch um klassische Investitionen in Schulgebäude, neue Straßen und Brücken, aber mit gleicher Berechtigung um monetäre, soziale, ideelle und politische Maßnahmen.
Teilhabechancen sind eine notwendige Bedingung, doch nicht hinreichend für das Ziel der Teilhabegerechtigkeit – ein Anspruch an eine inklusive Gesellschaft, der eng mit der Idee sozialer Mobilität verbunden ist. Sozialer Aufstieg sollte möglich sein und nicht nur von singulären Weichenstellungen im Leben abhängen. Hilfreich wäre dafür eine Kultur des Scheiterns, die Chancen aufrechterhält und den Aufstieg auch nach einem ersten, erfolglosen Anlauf weiterhin ermöglicht. Zunächst würde dies bedeuten, jedem Menschen überhaupt erst einmal Aufstiegschancen zu gewähren. Dann hieße es möglicherweise, einen zweiten Anlauf ebenfalls gesellschaftlich zu unterstützen – und sei es mit einer erneuten Investition in Bildung. Das könnte ein Schlüssel für eine inklusive, weil für alle durchlässige Gesellschaft sein.
Dies lenkt den Blick darauf, dass die gesellschaftliche Organisation von Bildung immer einen zentralen Stellenwert für das Ziel der Chancengerechtigkeit haben wird. Bildungseinrichtungen sind und bleiben der zentrale Ort gesellschaftlicher Teilhabe. Inga Fuchs-Goldschmidt und Nils Goldschmidt thematisieren in ihrem Beitrag, dass sich die Moderne vor allem in Form einer Marktgesellschaft ausdrückt. Aufgabe der Sozialen Marktwirtschaft sei es nun, eine breite Teilhabe an dieser Marktgesellschaft zu gewährleisten. Dreh- und Angelpunkt der Argumentation ist die Stärkung von Bildung als umfassende Kompetenzvermittlung, gerade auch mit Blick auf Selbstreflexion und die Selbstverortung des Individuums in der