Spielmannslegende: Eine mittelalterliche Novelle
Von Paul Heyse
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Über dieses E-Book
Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830–02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die "Breite seiner Produktion". Der einflussreiche Münchner "Dichterfürst" unterhielt zahlreiche – nicht nur literarische – Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt.
1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen "geben würde und ein Heysesches Zeitalter" dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur.
Null Papier Verlag
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Spielmannslegende - Paul Heyse
Paul Heyse
Spielmannslegende
Eine mittelalterliche Novelle
Paul Heyse
Spielmannslegende
Eine mittelalterliche Novelle
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-91-4
null-papier.de/523
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Spielmannslegende
Zuerst 1883 unter dem Titel Siechentrost erschienen
An einem hellen Frühlingstage des Jahres 1375 ritt ein junger Mensch, dessen Aufzug und Gebärde schon von weitem verriet, dass er guter Leute Kind war, das Lahntal entlang, immer dem Fluss entgegen, der seine olivengrünen Wellen vom schmelzenden Schnee geschwellt, hastig, aber lautlos dem Rhein zuwälzte. Die Wälder, die hier im Hochsommer als eine dunkle Wildnis die Straße am Ufer einsäumten, trugen noch das erste junge Grün und waren von überlautem Gesang nistender Vögel erfüllt, den dann und wann das Schellengeklirr und Peitschenknallen vorbeiziehender Kärrner übertönten. Denn Handel und Wandel, die über den Winter geruht, hatten sich dieses Pfades seit Wochen wieder bemächtigt und führten die Güter und Waren aus dem inneren Lande der großen Wasserstraße zu, die Ladungen der Rheinschiffe dagegen eintauschend.
So ging es in diesen schattigen Gründen und Waldschluchten vor einem halben Jahrtausend lustiger zu, als heutzutage, wo aller Menschen- und Warenverkehr sich in die stummen, dumpfen Eisenbahnzüge zusammendrängt. Auch auf dem Gesicht des einsamen Reiters, obwohl er der Umgebung wenig achtete und den Zuruf der Begegnenden nur mit einem stummen Kopfnicken erwiderte, lag während der langen Stunden immer der gleiche Ausdruck einer fröhlichen Hoffnung, den nur zuweilen ein Schatten von Ungeduld trübte, wenn sein starkes flandrisches Pferdchen in ein gar zu lässiges Schlendern verfiel, oder gar am Rande des Weges stehen blieb, um ein Maul voll frischer Maikräuter abzurupfen. Es war ihm aber nicht zu verargen, da sein Herr, seit sie die Brücke von Diez überschritten, ihm nicht die kleinste Rast erlaubt hatte. Als sie nun aber an die Stelle kamen, wo das hochumschlossene enge Tal sich plötzlich auftut und der Blick über das sanft gewellte, von Äckern und Wiesen durchgrünte Gebiet der schönen Stadt Limburg schweifen darf, hielt auch der Reiter unwillkürlich die Zügel an, stand wie eine Bildsäule kerzengerade in den Steigbügeln auf und staunte nach der fernen Wundererscheinung hinüber. Denn im glühendsten Abendlicht hob die herrliche Stiftskirche zum heiligen Georg ihre sieben Türme in die reinen Lüfte empor, und da es ein Samstag war, klang das abendliche Geläut so vollstimmig ihm entgegen, dass das Innerste seiner Brust davon erschüttert wurde.
Zwei Jahre lang hatte er diese Klänge nicht mehr vernommen, außer im Traum des Heimwehs, und in mancher kleinmütigen und einsamen Stunde daran verzweifelt, dass er sie jemals wieder hören würde. Nun überwältigte ihn die Erfüllung seiner sehnlichsten Wünsche, dass er der Tränen sich nicht erwehren konnte.
Wenn die Seinigen, zumal sein strenger Herr Vater, ihn so gesehen hätten, würden sie wohl den Kopf geschüttelt und gesagt haben, dass der junge Gänserich, der über den Rhein geflogen, als Gigak wieder heimgekehrt sei. Er war von Kind auf wegen seiner nachdenklichen und absonderlichen Gemütsart oft und hart gescholten worden, und der Vater, ein stattlicher und fester Mann, seines Gewerbes ein Tuchhändler und Wamsschneider, hatte sich so manches Mal bitter darüber beklagt, dass man seinen Buben in der Wiege vertauscht und einen mondsüchtigen Prinzen statt des derben Kaufmannssohnes untergeschoben haben müsse. Statt sich mit den anderen Knaben in Feld und Wald und auf den Wällen der alten Feste zu tummeln, liebte er es schon als kleines Kind, sich in einen verborgenen Winkel zu verkriechen, dort seinen Träumen nachzuhängen, oder, als er eben einige Schulweisheit eingezogen, sich in irgendein altes Sagen- oder Liederbuch zu vertiefen, das ihm ein freundlicher Pfaffe aus der Stiftsbücherei geliehen hatte. Da er nun eines Tages das Geschäft des Vaters erben und mit seinem einzigen Bruder, der etliche Jahre jünger war, den Kredit des Hauses Eschenauer erhalten und mehren sollte, bekümmerte sein weltabgewandtes Wesen, die geringe Freude an Geld und Gut und der Hang zu ganz unfruchtbarem Sinnen und Brüten den wackeren Kaufherrn je länger je mehr, zumal er sich sonst über seinen Gerhard nicht zu beklagen hatte. Denn dieser versah in dem väterlichen Geschäft jeden Dienst, der ihm aufgetragen ward, auf das Pünktlichste, freilich ohne eigenen Trieb und Ehrgeiz, und war auch in allem übrigen ein musterhafter Jüngling und liebevoller Sohn, der mit seinen sanften Sitten und dem ernsten Blick seiner braunen Augen bei allen Freunden und Nachbarn des Hauses wohlgelitten war.
Auch unter seinen Altersgenossen hatte er keinen Feind, und viele, die ihm herzlich zugetan waren. Denn er war kein Spielverderber oder Moralist, drängte seine Weisheit oder die heimliche Geringschätzung so mancher Jugendlustbarkeit niemand auf und hielt sich, wo es darauf ankam, in Schimpf und Ernst seinen Mann zu stehen, so tapfer und unerschrocken, dass man seine beschaulichen Neigungen nicht aus einem Mangel an Mut oder Männlichkeit erklären konnte; sondern, nachdem man sich müde gespottet und gemerkt hatte, wie wenig Eindruck das Höhnen wegen seiner Möncherei und Büchernarrheit auf ihn machte, ließ man ihm diese seine Schwäche hingehen und betrachtete ihn sogar mit heimlichem Respekt ihretwegen. Es kam damals in der Stadt, die von trefflichen Grafen aus dem Isenburg-Limburgischen Hause bevogtet wurde und die ritterlichen Herren aus den benachbarten Burgen und Schlössern oft zu Gast hatte, auch unter der jungen Bürgerschaft ein streitbarer und hochstrebender Sinn in Schwang, alsodass die jungen Kaufleute nicht nur ihre Pferde mit silberbeschlagenem Zeug versehen ließen, sondern in zierlicher ritterlicher Kleidung und schönen Waffen viel Aufwand machten, dies alles nicht bloß zum Schein, sondern um in eigenen Turnieren, Ringstechen und Lanzenrennen ihre Kraft und Gewandtheit zu zeigen. Auch hierin stand der junge Gerhard Eschenauer hinter niemand zurück, immerhin mit einer nachlässigen und zerstreuten Manier, sodass ihn keiner der Preise, die er gewonnen,