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Kuchentage: Kommissar Kattenstrohts dritter Fall
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Kuchentage: Kommissar Kattenstrohts dritter Fall
eBook238 Seiten3 Stunden

Kuchentage: Kommissar Kattenstrohts dritter Fall

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Über dieses E-Book

Nach einer Weihnachtsjagd wird die Leiche eines Mannes gefunden. Das Tatwerkzeug ist mehr als ungewöhnlich, die Umstände sind rätselhaft. Kommissar Klaus Kattenstroht aus Münster und seine junge Assistentin Kathrin Eilers erforschen die dunklen Hintergründe und begegnen dabei Charakteren, die ebenso düster sind wie die Jahrezeit, in der die Polizisten ermitteln: Wenn das Leben auf den Bauernhöfen einen ruhigen Gang geht und die Familien auf dem Lande sich zu "Kuchentagen" gegenseitig besuchen und am Herdfeuer zusammenfinden.
SpracheDeutsch
HerausgeberLV Buch
Erscheinungsdatum1. Sept. 2013
ISBN9783784390567
Kuchentage: Kommissar Kattenstrohts dritter Fall

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    Buchvorschau

    Kuchentage - Hans-Peter Boer

    Impressum

    Bereits in der Luft war Stellmacher klar, dass das danebengehen musste. Unter sich sah er im Sekundenbruchteil das dunkel blinkende Wasser des Grabens, als er schon auf dem anderen Steil-ufer landete, seine Stiefelspitzen sich in die braunen Grassoden bohrten und diese augenblicklich nachgaben. Die Knie tauchten ins Feuchte, das sofort durch den Hosenstoff drang. Mit ruckartigen Bewegungen seiner Füße versuchte Stellmacher, Halt zu finden, wo es kein Halten mehr gab: Mit verzweifelt anmutenden Bewegungen grabschte der Leitende Oberstaatsanwalt aus Münster nach einem verloren dastehenden Ginsterstrauch und erwischte tatsächlich noch einen der harten, dünnen grünen Zweige. Aber der gab nach, wenn auch erst, nachdem er eine kleine Schrunde in seine Hand gerissen hatte. Der Uferrand indes war unter Stellmachers Gewicht längst weggedrückt worden, so dass der sich mit seinen Füßen teilweise bereits im Wasser, teilweise am verschlammten Ufer wiederfand. Mit den Knien steckte er im feuchten Wintergras, und ans Aufstehen war kaum zu denken, denn der Modder des Grabenrandes hatte fast magisch die Stiefel eingezogen. Gequält schaute sich Stellmacher um und meinte schon zu spüren, wie das kalte Wasser in seine Stiefel schwappte.

    Über dem Rand des tief eingeschnittenen Vorfluters kam einer seiner Treibergenossen in Sicht, ein älterer, aber drahtiger Bauer, der sich das Grinsen nicht verkneifen konnte, als er die Situation des Stadtfracks erfasste. Er schüttelte nachsichtig den Kopf und stieg dann, die Füße vorsichtig seitlich aufsetzend, den Grabenrand so weit herunter, dass er Stellmacher seine kräftige Hand reichen konnte: „Nun man to, Herr Doktor! Packen Se feste zu, dat wir Sie aus der Driete rauskriegen!" Zweifellos schwang da ein wenig Schadenfreude mit.

    Dankbar packte der Münsteraner zu und sah sich schon bald wieder am oberen Grabenrand auf festem Boden. Reichlich selbstmitleidig schaute er an sich herunter: die Stiefel total verdreckt, die Hose an beiden Knien feucht, eine Hand aufgerissen und die andere mit Schlamm verschmiert. Schlagartig wurde Stellmacher klar, dass Abenteuer wie

    diese Treibjagd in seinem Leben eine Ausnahme bleiben würden. Seine ausgeprägte Affinität zu einem sauberen Schreibtisch, seine Freude an einer gepflegten Umgebung und sein – zugegebenermaßen etwas eitler – Hang zu einer gekonnten Selbstdarstellung waren zweifelsfrei stärker als der urtümliche Trieb, sich in freier Natur als ganzer Mann zu erweisen und dem Wilde nachzustellen.

    So ein Unfug aber auch, zwei Tage nach Weihnachten bei nasskaltem Wetter an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen. Stellmachers Jagdeifer hatte sich bisher auf Übeltäter im Landgerichtsbezirk Münster beschränkt, aber dessen Präsident, der sich jeden Tag über sein schönes Amt in der früheren Provinzialhauptstadt zu freuen schien, hatte über Monate gedrängt und getrieben, Stellmacher möge doch wenigstens einmal als Gast an einer der großen Veranstaltungen der Wodansjäger teilnehmen. Immerhin sei das eine der ältesten, ehrwürdigsten und angesehensten Jagdgesellschaften in ganz Norddeutschland, schon eine Einladung sei eine Ehre, von dauernder Mitgliedschaft ganz zu schweigen; aber in etwa sieben, acht Jahren würde ein Platz für einen aktiven Jäger frei werden, und als jüngerer Jurist in Münster müsse sich der Leitende Oberstaatsanwalt doch rechtzeitig bei dieser noblen Gesellschaft in Erinnerung bringen und auf die Liste setzen lassen. Den Jagdschein könne er bis dahin ganz nebenbei auch noch machen.

    Zugegeben, schlecht war der Tag bisher nicht verlaufen. Bereits am frühen Morgen waren die Jäger in Münster aufgebrochen und hatten sich am Kirchplatz in Rechterfeld getroffen. In der kleinen Dorfkirche wurde dann ein Gottesdienst gefeiert, in dem man der Verstorbenen der fast 125 Jahre alten Jagdgesellschaft gedachte. An der Messe nahmen die etwa 25 Jäger, aber auch die Treiber und viele Neugierige aus dem Dorf teil, denn die Weihnachtsjagd der Wodansjäger war für Rechterfeld immer ein großes Ereignis. Autark und stolz, wie diese Gesellschaft nun einmal war, brachte sie auch einen eigenen Priester mit: Hochwürden Prälat Lieftüchter, im Zivilberuf ein gelehrter Domherr, stammte selbst von einem münsterländischen Bauernhof, sprach neben Latein und Italienisch auch die Sprache des Landes; der hochwürdige Herr konnte und wollte seinen Jagdtrieb nie verleugnen.

    Nach dem Gottesdienst versammelten sich alle in einem kleinen Gasthaus nahe der Kirche, wo ein deftiges Frühstück mit Schinken und Rühreiern vorbereitet war, das Jäger und Treiber gemeinsam einnahmen. Die meisten Teilnehmer der Weihnachtsjagd kannten sich schon über viele Jahre, die Teilnahme an diesem Ereignis war für viele Familien in Rechterfeld ein fester Termin im Jahreslauf.

    Nachdem sich alle gestärkt und im Gespräch auf den Tag eingestimmt hatten, stellte sich die Gesellschaft malerisch auf dem Kirchplatz auf, auf der einen Seite die Jäger, auf der anderen die Treiber, und die Jagd wurde festlich angeblasen. Hell klangen die Jagdhörner durch das Dorf, und die Hunde, die man aus den Anhängern dazugeholt hatte, vervollständigten mit frohem und erwartungsvollem Gebell und Gejaule die malerische Szenerie. Der Jagdherr, im Zivilberuf eben wohlbestallter Präsident des Landgerichtes, begrüßte die Teilnehmer nun auch offiziell und erläuterte noch einmal kurz den Plan des Tages, der mit dem Berufsjäger, den die Gesellschaft in Rechterfeld angestellt hatte, vorbereitet war. Vom Landgasthof „Im halben Mond, wo die Gesellschaft seit Jahrzehnten ihre feste Station hatte, würde man der Reihe nach die Reviere rund um Rechterfeld durchstreifen und nach Plan das Wild auftreiben. Mit Ermahnungen zur Sicherheit auf der Jagd und mit einem kräftigen „Waidmanns Heil schloss der Präsident. Die Hörner bliesen zur Jagd, und Jäger wie Treiber und Hunde eilten ungeduldig zu ihren Wagen.

    Treckerbespannte Anhänger, auf denen man grobe Bänke montiert hatte, fuhren die Jagdgesellschaft hinaus in die Reviere. Treiber und Jäger nahmen an den festgelegten Punkten Aufstellung, und bald begannen die Büchsen, rund um Rechterfeld zu knallen. War ein Jagdbereich durchkämmt, sammelte man sich bei den Wagen, hängte die Beute auf die Streckenständer und machte sich auf den Weg in das nächste Revier. Die Wodansjäger, so musste Stellmacher feststellen, schossen gut; einer Reihe von Rehen, Hasen und Fasanen war schon gegen Mittag das Lebenslicht ausgeblasen, und die Stimmung der Männer war trotz des Wetters mit seinen nasskalten Nebeln prächtig. Auch eine kleine Rotte von Wildschweinen hatte man aufgestöbert und ihr den Garaus gemacht.

    An einem Waldrand loderte ein großes Feuer; die Wirtin des „Halben Mondes" hatte eine kräftige Fleischsuppe gekocht und herausgefahren, allen mundete es gut, und auf den groben Bänken an der wärmenden Glut wurde eine erste Bilanz dieser Weihnachtsjagd gezogen.

    Oberstaatsanwalt Stellmacher war schon zu dieser Stunde absolut klar, dass das mit der Jägerei nichts für ihn sein würde. Er musste für sich feststellen, dass er einfach „schussbange war und bei jedem Knall erschrak. Zudem hatte er, der im Restaurant ein Wildragout oder einen Rehrücken durchaus zu schätzen wusste, erstmals an einer Treibjagd teilgenommen. Die Spannung und Freude der Jäger, die ersten Berichte über die Taten des Morgens blieben ihm etwas fremd. Er grübelte ein wenig herum, bis er das Urteil Otto von Bismarcks wieder komplett auf seinem Schirm hatte: „Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, im Kriege und nach der Jagd! Allerdings musste er zugeben, dass trotz seiner Erlebnisse im nassen Vorfluter die Bewegung an frischer Luft und die Arbeit mit den kernigen und humorvollen Treibern ihm irgendwie Spaß machten. Lange auch hatte er nicht so ein schönes Plattdeutsch gehört wie hier.

    Bis zum späten Nachmittag durchkämmten die Wodansjäger ihre Reviere. Gegen drei Uhr klarte es langsam auf, so dass das Büchsenlicht länger als erwartet anhielt. Am Waldrand nahe dem Gasthaus wurde bei schon einbrechender Dunkelheit die Strecke gelegt, und Stellmacher musterte neugierig die Reihe der erjagten und teilweise schon ausgenommenen Tiere, die im Lichte eines Feuers und mehrerer Fackeln auf Tannenzweigen angeordnet worden waren. Der Präsident der Wodansjäger ließ die für die einzelnen Tiere festgelegten Totsignale blasen, dankte in einer kurzen Ansprache allen Beteiligten für das waidgerechte Verhalten und erklärte die Weihnachtsjagd für geschlossen. Ein letztes Mal erklangen die Hörner, festlich wurde die Jagd abgeblasen, und die Männer richteten sich auf das Schüsseltreiben ein, das wie seit unvordenklichen Tagen im Kaminzimmer des „Halben Mondes" abgehalten werden sollte.

    Man wechselte an den Autos Mäntel, Jacken und Schuhe, verstaute die Waffen und versorgte die Hunde. Ein Teil der Treiber rückte zwischendurch ab, da man auf den Höfen rund um Rechterfeld auch Vieh zu versorgen hatte, die anderen fanden sich mit den Jägern am flackernden Herdfeuer zusammen und warteten auf das gemeinsame Essen. Ein erster Umtrunk lockerte Stimmung und Zungen, und auch die Mittel und Wege wurden diskutiert, wie man denn am Abend nach Hause kommen wollte. Praktischerweise hatten sich die Damen der Wodansjäger dahin verabredet, mit mehreren Wagen von Münster aus nach Rechterfeld zu kommen, um am späten Abend dort ihre Nimrode wieder einzusammeln. Stellmacher hatte derartige Vorsichtsmaßnahmen nicht geregelt gekriegt, guckte ziemlich leidend in sein Glas alkoholfreien Biers und war sich sicher, baldmöglichst aufbrechen zu wollen, obwohl die Unterhaltung nicht schlecht war. Der Leitende Oberstaatsanwalt saß nämlich zwischen einem Kieferorthopäden und einem bekannten Rechtsanwalt, die ihn in die Regeln des Abends einweihten.

    Besonders wichtig sei das Jagdgericht, das kleinere Verstöße gegen das Brauchtum und die Sicherheit auf der Jagd zu ahnden habe. Vorsitzender Richter sei natürlich der Präsident selbst, der noch zwei Beisitzer habe. Es gebe den Ankläger wie auch einen Büttel, der den Täter vor das Gericht zu zerren habe. Übrigens könnten auch Gäste vergattert werden, wenn sie sich besonders tölpelhaft angestellt hätten, zum Beispiel ihre rote Warnweste abgelegt hätten oder die Jagdsprache besonders offenkundig ignorierten.

    Ob es denn auch einen Verteidiger gebe, wollte Stellmacher wissen, der sich finster erinnerte, am Mittag eine erlegte Bache als erschossene Wildsau bezeichnet zu haben. Da wurde der Oberstaatsanwalt getröstet: Er könne sich ja mit einem guten Witz, ordentlichem Jägerlatein oder einer Runde für die ganze Corona aus der Affäre ziehen. Früher allerdings, das bemerkte ein älterer Jäger schwermütig, habe er noch erlebt, wie er als Sünder im Jagdgericht richtig mit der breiten Schneide eines Waidmessers auf den nackten Allerwertesten verkloppt worden sei. Da sei die heutige Jugend doch sehr verweichlicht. „Da geht es nur darum, dass einer mal wieder vergessen hat, sein Handy abzustellen, oder bei einer Rede des Präsidenten nicht richtig zuhört. Früher, … Leute, …!" Der Mann seufzte und guckte trübsinnig in sein Bierglas.

    Später rief man die Wodansjäger an die festlich gedeckte Tafel, und das Essen wurde aufgetragen: Westfälischer Pfefferpotthast mit Kartoffeln, Gemüsen und diversen Salaten. Es dampfte bei Tisch, und Stille kehrte ein. Eilfertig trug die Bedienung weitere Getränke auf, reichte bei Bedarf auch Schüsseln nach.

    Plötzlich entstand eine gewisse Unruhe: Stellmacher hatte aus den Augenwinkeln bemerkt, dass die Wirtin sich an den quer gestellten Präsidententisch begeben und dem Jagdherrn etwas mitgeteilt hatte; der war daraufhin auffallend zügig aufgestanden, hatte sich die Nachricht wiederholen lassen und dann mit der Wirtin des „Halben Mondes" den Raum verlassen. Offensichtlich hatte man den Präsidenten ans Telefon gerufen.

    Als der Mann einige Minuten später wieder an seinen Tisch zurückkehrte, war er sichtlich betroffen und um Fassung bemüht. Er bat zwei seiner älteren Jagdgenossen, die offenkundig schon als Beisitzer des geplanten Jagdgerichtes vorn Platz genommen hatten, zu sich und diskutierte mit ihnen.

    Stellmacher dachte gerade bei sich, dass irgendetwas den Herren schwer die Stimmung verhagelt haben müsse, als der Präsident der Wodansjäger schon zum Messer griff, mehrfach entschieden an sein Bierglas klopfte und um Ruhe bat.

    „Liebe Wodansjäger, liebe Jagdgenossen, uns ereilt nach dieser wunderbaren Weihnachtsjagd eine schlimme Botschaft. Ich erfahre eben, dass unser Freund Theo Lütke Dreischkamp, der uns heute den ganzen Tag begleitet hat, nicht mehr unter den Lebenden weilt! Der Redner rang offensichtlich um Worte, im Kaminzimmer herrschte betroffenes Schweigen. „Ich muss euch mitteilen, dass unser Freund anscheinend einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist. Er wollte ja nur eben zum Füttern auf den Hof. Und dort muss etwas passiert sein. Zweifelsfrei ist er tot. Die Nachricht wurde mir soeben bestätigt.

    Im Raum regte sich dumpfes Gemurmel. „Ich weiß nun nicht, wie wir den heutigen Abend über die Runden bringen, fuhr der Präsident fort. „Ich bitte euch zunächst, euch zu Ehren des Verstorbenen von den Plätzen zu erheben.

    Servietten flogen zur Seite, Stühle wurden gerückt. Irgendwo fiel ein Bier um. Dicht gedrängt standen die Männer längs der beiden Tischreihen wie Mauern. Der Präsident, er hatte sich ein wenig gefasst, sprach einige ehrende Worte: „Theo Lütke Dreischkamp ist nach meiner Erinnerung unser ältester Treiber gewesen, so lange, wie ich als Wodansjäger denken kann, war er immer bei den Jagden dabei. Er hat für uns Jagdaufsichten gemacht und im Revier immer wieder ausgeholfen. Er war ein Jagdgenosse von altem Schrot und Korn." Nach diesen Worten schwieg der Präsident.

    Dann räusperte er sich und schlug vor, das Schüsseltreiben in Ruhe zu beenden. Auf das Jagdgericht wolle man verzichten und den Abend zügig und in Würde ausklingen lassen. „Das sind wir Theo Lütke Dreischkamp schuldig." Die Männer setzten sich wieder und widmeten sich noch stiller ihrer Mahlzeit.

    „Übrigens hat der Theo noch heute an Ihnen ein gutes Werk verrichtet, meinte der Kieferorthopäde zu Stellmacher und zerschnitt dabei mit gewissem Genuss ein größeres Fleischstück in der Sauce. „Das war nämlich er, der Sie heute Morgen aus dem Graben gezogen hat.

    Stellmacher, schon leicht abwesend, nickte. Er aß schnell zu Ende und verabschiedete sich von den Wodansjägern. Im Thekenraum der Gaststätte griff er zum Handy und führte einige Telefonate, um erste Informationen über den Fall zu bekommen. Aus der Leitstelle der Kripo Münster erfuhr er, dass mehrere Fachteams unterwegs oder schon in der Rechterfelder Bauerschaft Uppenbiärg vor Ort seien. Sie hätten die Untersuchung des Falles, der gegen 18.45 Uhr gemeldet worden sei, zügig aufgenommen. „Die Leitung hat übrigens Hauptkommissar Kattenstroht! Und Frau Eilers ist mit draußen!"

    Jochen Stellmacher war’s zufrieden: „Das gönne ich den beiden, nach den Weihnachtstagen mal wieder auf Trab zu kommen. Ich bin ja schließlich auch hier draußen." Die Leitstelle rätselte ein wenig über die Verortung des Leitenden Oberstaatsanwaltes, natürlich hatte sie keine Ahnung von der Einladung zur Jagd, rückte dann aber die genaue Adresse des Tatortes ein, die Stellmacher in sein Navi einspeisen wollte.

    Nachdem er sich von der Wirtin vor der Tür noch einmal die Generalrichtung zur Bauerschaft Uppenbiärg hatte zeigen lassen, fuhr Jochen Stellmacher vorsichtig los und erreichte nach 20 Minuten und mehrmaligem falschen Abbiegen den Hof Lütke Dreischkamp, der inzwischen von einer ganzen Reihe von Polizeiautos wie belagert schien. Auch ein Parkplatz war schwer zu bekommen, die Bankette der kleinen Straße waren unbefestigt, und fast hätte der Staatsanwalt sein Graben-erlebnis vom Morgen wiederholt.

    Nach Vorzeigen seines Dienstausweises konnte Stellmacher dann den Hofplatz betreten, wo er auf seinen Freund Kattenstroht traf, der, lässig an seinen Dienstwagen gelehnt, untätig herumstand und reichlich missgestimmt wirkte.

    Was machst du denn hier?, entfuhr es dem erstaunten Kattenstroht, der den Freund offenbar erst auf den letzten Schritten erkannt hatte und nun den Leitenden Oberstaatsanwalt geradezu indigniert von Kopf bis zu den Füßen musterte: „Und dann diese Verkleidung! Gehe ich recht in der Annahme, dass der wichtigste Vertreter der Staatsanwaltschaft Münster vor mir steht?

    „Lass gut sein, Klaus! Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung. Ich war heute mit den Wodansjägern in den Rechterfelder Revieren unterwegs. Das ist alles. Und dein Opfer hier hat mich angeblich noch heute Morgen aus einem Wassergraben gezogen."

    Kattenstroht erwiderte etwas bissig: „Sieh ja zu, dass du bei dem Umgang mit den hohen Herren Behördenspitzen und dem Präsidenten-Stammtisch keinen Schaden nimmst. Das ist doch die reinste Diplomatenjagd wie mit Vater Heinrich Lübke im Geister Holz, oder? Am Ende verwechseln die dich mit einem Keiler."

    Stellmacher beschloss, sich nicht ärgern zu lassen, und meinte nur, nach seiner Kenntnis sei alles waidgerecht abgegangen. Ob Kattenstroht ihn denn nun in den Tatort einweisen könne?

    Der Hauptkommissar war bereit, wies aber gleich auf seine Grenzen hin: „Hast du den Auftrieb hier gesehen? Guck dich doch erst mal um. Mit großer Geste wies er über den Hofraum zu den zahlreichen geparkten Wagen: „Alles Spurensicherung, von wegen strategische oder gar taktische Aufklärungsarbeit. Wir sind nicht mehr gefragt am Tatort, jedenfalls nicht mehr sofort! Das ist der Geist der neuen Zeit!

    Stellmacher schaute sich um. Der recht große Hof wurde von zwei Scheinwerfern erleuchtet, die an der Giebelwand des alten Haupthauses angebracht waren. Zusätzliche Lichtmasten waren offensichtlich von den Beamten aufgestellt worden. Die einzelnen Dienstwagen hatten tatsächlich schon die Hofzufahrt geradezu belagert. Auf dem Hof standen unter einer Remise hintereinander drei große Bullis, die mit Technik vollgestopft zu sein schienen, denn durch die matten Scheiben konnte man mehrere Bildschirme leuchten sehen. Hin und wieder kam einer der Mitarbeiter von der Spurensicherung in weißem Overall und brachte oder holte etwas aus dem Bestand. Dabei wurden unentwegt Einmalhandschuhe gewechselt und umsichtig in eine Deckeltonne geworfen.

    „Das ist es, mein lieber Jochen. Kein Tatort-Tourismus bitte. Bevor ich mein Opfer und den Tatort sehe, hat erst Beucking das Wort, der neue Chef der Spurensicherung. Und unsere reizvollen Besuche in der Gerichtsmedizin können wir uns ersparen, denn in ein paar Tagen geht der alte Rollmann endgültig in Pension. Damit sind die schönen alten Zeiten wie im Fernsehen-Tatort völlig vorbei." Kattenstroht verzog sich ein wenig in seine warme grüne Winterjacke, aus der ein rotgemusterter Kaschmirschal leuchtete.

    Der Oberstaatsanwalt kannte das Spiel, den knurrigen Kommissar zu beruhigen: „Mal nicht so plein carrier, mein Lieber. Ich muss dir doch keinen Vortrag über die Verdienste und Erfolge der neuen Rechtsmedizin halten. Aber klar, das verändert unseren Job, auch wenn wir als Ermittler die Leiche quasi fast als Drittletzte vorm Professor und vorm Bestatter sehen." Stellmacher sah sich noch

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