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Wunder dauern etwas länger: Roman
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eBook385 Seiten5 Stunden

Wunder dauern etwas länger: Roman

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Über dieses E-Book

Herbst 1961: Das Mädchen Telse beginnt ihr Romanistik-Studium an der Leipziger Universität, doch die Schließung der innerdeutschen Grenzen kurz zuvor überschattet die Ereignisse. Ein Wiedersehen mit ihrem Verlobten, einem französischen Filmregisseur, rückt so zunächst in weite Gerne. Ein Jahr später beschließen die beiden – allen Umständen zum Trotz – zu heiraten. Telse stellt bei den DDR-Behörden einen entsprechenden Antrag und nun beginnt eine bange Zeit des Wartens, voller Schikanen und Demütigungen. Da hat Telse eine verrückte Idee, die sie schließlich nach drei Jahren ans Ziel ihrer Wünsche bringt …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum24. Sept. 2013
ISBN9783837251340
Wunder dauern etwas länger: Roman
Autor

Claire Vernay

Claire Vernay (Pseudonym), geb. in Mülheim a.d. Ruhr, wuchs in Sachsen-Anhalt auf. Nach dem Abitur an der Martin-Luther-Oberschule in Eisleben, folgt ein Studium der Romanistik in Leipzig, das sie 1964 abbricht, um einen französischen Filmregisseur zu heiraten und nach Paris zu gehen. Dort langjährige Tätigkeit bei Film und Fernsehen, daneben Jurastudium. Promotion zum Dr. iur. Nach dem Tod ihres Mannes, Niederlassung als Rechtsanwältin am Cour d’Appel Paris. Heute lebt Claire Vernay als freie Autorin in Baden-Württemberg.

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    Buchvorschau

    Wunder dauern etwas länger - Claire Vernay

    Claire Vernay

    Wunder dauern etwas länger

    Roman

    Weimarer Schiller-Presse

    FRANKFURT A.M. WEIMAR LONDON NEW YORK

    Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit.

    Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

    ©2013 FRANKFURTER LITERATURVERLAG FRANKFURT AM MAIN

    Ein Unternehmen der Holding

    FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE

    AKTIENGESELLSCHAFT

    In der Straße des Goethehauses/Großer Hirschgraben 15

    D-60311 Frankfurt a/M

    Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

    E-Mail lektorat@frankfurter-literaturverlag.de

    Medien- und Buchverlage

    DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

    seit 1987

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

    Websites der Verlagshäuser der

    Frankfurter Verlagsgruppe:

    www.frankfurter-verlagsgruppe.de

    www.frankfurter-literaturverlag.de

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    www.haensel-hohenhausen.de

    www.prinz-von-hohenzollern-emden.de

    Dieses Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

    Nachdruck, Speicherung, Sendung und Vervielfältigung in jeder Form, insbesondere Kopieren, Digitalisieren, Smoothing, Komprimierung, Konvertierung in andere Formate, Farbverfremdung sowie Bearbeitung und Übertragung des Werkes oder von Teilen desselben in andere Medien und Speicher sind ohne vorgehende schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und werden auch strafrechtlich verfolgt.

    Titelbild: Robert Vernay

    ISBN 978-3-8372-5134-0

    Die Autoren des Verlags unterstützen den Bund Deutscher Schriftsteller e.V., der gemeinnützig neue Autoren bei der Verlagssuche berät. Wenn Sie sich als Leser an dieser Förderung beteiligen möchten, überweisen Sie bitte einen – auch gern geringen – Beitrag an die Volksbank Dreieich, Kto. 7305192, BLZ 505 922 00, mit dem Stichwort „Literatur fördern". Die Autoren und der Verlag danken Ihnen dafür!

    In Memoriam Robert Vernay

    Kapitel 1

    Trübsinnig starrte Telse aus dem offenen Fenster in den monoton herabrauschenden Regen. Heute war Samstag, und sie wollte eigentlich ins Hallenbad fahren, aber plötzlich hatte sie zu nichts mehr Lust. Dabei hatte sie eher Anlaß zur Freude. Nach neun Monaten, die sie in wechselnden Behelfsunterkünften verbringen mußte, hatte sie endlich ein Zimmer gefunden. Und was für ein Zimmer! Kein Vergleich mit den Studentenbuden, in denen die meisten ihrer Kommilitonen hausten. Früher hatte der einzige Sohn der Besitzer dieses komfortablen Einfamilienhauses hier gewohnt. Man spürte es noch, obwohl der junge Mann bereits vor zwanzig Jahren im Krieg gefallen war und seine Eltern seither ausschließlich an weibliche Studenten vermietet hatten.

    Die Möbel waren in ausgezeichnetem Zustand und seinerzeit gewiß nicht billig gewesen. Ein bequemes Bett mit fester Matratze, eine Kommode mit Spiegel, am Fenster ein wuchtiger Schreibtisch mit goldverzierter, dunkelgrüner Lederplatte. An der Wand gegenüber, neben einem sandfarben und braun gemusterten Kachelofen, standen eine Couch, ebenfalls dunkelgrün, der Stoff nur leicht abgewetzt, davor ein ovaler Tisch und zwei Stühle. Ein riesiger Kleiderschrank, wie die Kommode, das Nachtschränkchen und der Schreibtisch aus dunklem Nußbaumholz, vervollständigte die Einrichtung. Trotz der massigen Möbel wirkte der Raum nicht überladen, denn er war außergewöhnlich groß. Ihr Zimmer zu Hause, das allerdings ziemlich klein war, hätte bestimmt mehr als zweimal hineingepaßt. Die dunkelgrünen Übergardinen gaben dem Ganzen zwar eine etwas düstere Note, insbesondere zu dem Holz der Möbel, aber Telse gefiel es. Das Arbeits- und Schlafzimmer einer angehenden Akademikerin war ja schließlich kein verspieltes Boudoir. Hier sah es wenigstens nach ernsthafter Arbeit aus, und Telse war fest entschlossen, sich dieses Rahmens würdig zu erweisen. Am besten gefiel ihr allerdings der monumentale Kachelofen, obwohl jetzt im Mai natürlich kein Feuer darin brannte und sie auch noch gar keine Kohlen für dieses Jahr bezogen hatte.

    Von wegen Wonnemonat Mai! Seit Telse vor einer Woche eingezogen war, regnete es in Strömen, und die Luft war empfindlich naßkalt. Diese Luft sog Telse tief ein, während sie die Regentropfen beobachtete, die von den traubenförmigen Blattranken der Birke rollten, deren Zweige fast an das Fenster stießen und damit noch den düsteren Eindruck des Zimmers verstärkten. Dennoch hatte Telse sich sofort in diesen Baum verliebt, wie auch in den Garten, der das Haus auf allen Seiten umgab.

    Eigentlich war sie doch zu beneiden. Auf dem Rasen konnte sie bei schönem Wetter ihre Gymnastik treiben, Bad und Küche durfte sie auch benutzen, und im Keller war eine Ecke für ihr Brennmaterial und ihre Vorräte reserviert. Für die Heizung mußte sie schon selbst sorgen, denn Holz und Kohlen (die staubigen, zerbrechlichen Braunkohlebriketts) waren rationiert. Und für das Ganze zahlte sie nur 25 Mark im Monat, da die Mieten behördlich festgelegt waren. Daran konnten die Vermieter nichts ändern, versuchten aber, durch Nebenleistungen den kärglichen Betrag aufzubessern. Durchaus legitim, wie Telse fand, die auch gleich mit ihrer Vermieterin vereinbart hatte, daß diese ihr für zusätzliche 10 Mark monatlich ihr Zimmer in Ordnung hielt. Glücklicherweise brauchte sie nicht zu knausern. Auf ihrem Postsparkonto hatte sie über 2000 Mark und bekam 190 Mark Stipendium im Monat.

    Telse seufzte. Wie sehr hatte sie sich auf ihr Studium in Leipzig gefreut und wie wunderbar sah ihre Zukunft noch vor einem knappen Jahr aus. Sie hatte die Aufnahmeprüfung für das Studienfach Romanistik bestanden, ihr Abitur in der Tasche, und ihr Vater im Westen bezahlte ihr eine Reise nach Paris. Dort hatte sie Robert Valmy kennengelernt, einen französischen Filmregisseur, der ihr nach nur vierzehn Tagen einen Heiratsantrag gemacht hatte. Telse hatte um ein Jahr Bedenkzeit gebeten. Keinesfalls, weil ihr Robert gleichgültig war. Im Gegenteil. Sie hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt, aber schließlich war sie erst achtzehn. Und, offen gestanden, sie war sich damals nicht völlig darüber im klaren, ob sie nun diesen Mann liebte, oder ob sie sich von dem legendären Zauber der Stadt hatte einfangen lassen. Ihr Aufenthalt war direkt märchenhaft verlaufen, nicht zu vergleichen mit dem, was normale Touristen so zu sehen bekamen. Und was sie alles erlebt hatte! Allerdings nicht nur angenehme Dinge, aber auch die bestandenen Gefahren hatten einen gewissen Reiz. Besonders im Nachhinein. Da sie jedoch für ihr Alter sehr vernünftig war, wollte sie erst einmal Abstand gewinnen und war wieder nach Hause gefahren, obwohl Robert und auch ihr Vater sie angefleht hatten, nicht in die DDR zurückzukehren. Aber sie hatte nur gelacht und gesagt, sie könne ihr Studium abbrechen und in den Westen abhauen, wenn es ihr nicht mehr gefiel.

    Ein folgenschwerer Irrtum! Der Bau der Berliner Mauer, nur wenige Tage nach ihrer Rückkehr, und die Verminung der „grünen Grenze" hatten ihr einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Robert konnte sie nicht einmal, wie verabredet, zur Frühjahrsmesse besuchen, weil sie selbst damals noch kein richtiges Zimmer hatte. Telses einziger Trost waren seine Briefe. Er schrieb mindestens zweimal pro Woche und hatte sich, da er wegen Dreharbeiten oft auf Reisen war, etwas sehr Nettes ausgedacht. Er beschrieb in winziger Schrift die Rückseiten von Ansichtskarten und steckte davon immer mehrere in einen Umschlag. So konnte sich Telse ganz genau vorstellen, wo er war und was er tat…

    Ein kräftiges Klopfen an der Tür ließ Telse zusammenzucken.

    „Post für Sie", tönte die etwas schrille Stimme ihrer Vermieterin, noch bevor Telse zum Eintreten auffordern konnte. Post? Von Robert konnte noch nichts da sein. Sie hatte ihm erst vorgestern ihre neue Adresse mitgeteilt. Schnell öffnete Telse die Tür.

    „Guten Morgen, Frau Petzold, und vielen Dank. Sie brauchten doch nicht extra heraufzukommen", stieß sie in einem Atemzug hervor und griff nach dem Umschlag, den die ältere Frau ihr hinhielt. Natürlich war der Brief nicht von Robert. Überhaupt fehlte die Angabe des Absenders. Außerdem war er in Leipzig abgestempelt.

    Während Telse den Brief noch hin und her drehte und dabei vergaß, die Tür wieder zu schließen, musterten die kleinen, etwas eng stehenden Augen der Vermieterin zuerst mißbilligend die noch in einen Bademantel gehüllte Telse (schließlich war es bereits neun Uhr!) bevor ihr Blick das offenstehende Fenster erspähte.

    „Fräulein Beck, betonte sie, „wenn Sie das Zimmer verlassen, schließen Sie bitte das Fenster!

    „Selbstverständlich", erwiderte Telse und schloß erst einmal die Tür, bevor der Drillbohrerblick noch andere Gesprächsthemen entdeckte. Die Frau meinte es gar nicht böse, aber Telse ging sie schon nach einer Woche auf die Nerven.

    „Fräulein Beck, ich wünsche, Fräulein Beck, ich möchte nicht… so ging es den ganzen Tag, bis Telse herausfand, daß sie sich nur hinter ihrer Arbeit zu verschanzen brauchte, um die zwar immer höfliche, aber ziemlich lästige Dame loszuwerden. Ihre Arbeit wurde respektiert. Außerdem war Telse eine ideale Mieterin. Sie rauchte nicht, hatte kein Radio und empfing auch keine Besucher. Zumindest noch nicht. („Eines muß von vornherein klar sein, Fräulein Beck: keine Herrenbesuche. Außer Verwandten, und auch weiblichen Besuch nur bis 20 Uhr! Und bitte sorgen Sie dafür, daß nicht geraucht wird.)

    Aber es gab Schlimmeres, als eine schrullige Vermieterin, die um ihre Möbel und Telses Tugend (in dieser Reihenfolge) besorgt war. Die Frau langweilte sich einfach, weil sie nicht berufstätig war. Eigentlich eine Seltenheit in der DDR bei einer kinderlosen Frau. Telse schätzte sie auf Mitte fünfzig bis Anfang sechzig, aber Rentnerin war sie auch nicht. Ihren Mann hatte Telse nur zweimal kurz gesehen. Ein netter, gemütlicher Dicker, sicher nicht viel älter als seine Frau, der die Pfunde, die sie zuwenig auf die Waage brachte, zusätzlich zu seinen eigenen spazieren trug.

    Erstaunt überflog Telse den kurzen Text des Briefes.

    „Muß Dich unbedingt sehen. Es geht um Leben und Tod! Komm bitte am Sonnabend um 11 Uhr zum Hauptbahnhof. Osthalle.

    Gruß, Linda

    P. S.: Es ist wirklich dringend!!! Bitte sage niemanden, daß Du mich triffst."

    Telse schüttelte den Kopf. An Linda hatte sie schon seit Monaten keinen einzigen Gedanken mehr verschwendet, obwohl sie einmal angenommen hatte, sie wären echte Freundinnen geworden. Sie hatten sich im Oktober letzten Jahres, gleich nach dem Arbeitseinsatz, zu dem alle Studenten am Beginn des Studienjahres abkommandiert wurden, kennengelernt. Beide standen nebeneinander in einer Schlange, die sich auf dem Korridor des Prorektorats für Studienangelegenheiten vor der Tür des Zimmers 309, neben der ein Schild mit der Aufschrift: „Wohnraumlenkung" prangte, gebildet hatte. Obwohl Telse eine Stunde zu früh erschienen war, standen bei ihrer Ankunft mindestens 20 Kommilitonen in einer Zweierreihe dort. Ihre Hoffnung, daß sie vielleicht zu anderen Dienststellen wollten, erfüllte sich nicht. Aber, Schlange stehen war man ja von klein an gewohnt.

    Neugierig musterte Telse ihre Leidensgefährten. Vor ihr stand eine stämmige junge Frau, etwas größer als sie selbst, die plötzlich völlig hektisch in den Taschen ihres schäbigen Regenmantels zu wühlen begann. Als sie den kurzgeschorenen, kastanienbraunen Kopf etwas drehte, erriet Telse den Grund. Der Ärmsten kullerten dicke Tränen über die sommersprossigen Wangen, und sie schnüffelte verzweifelt. Schnell zog Telse eine Packung Tempo-Taschentücher hervor und hielt sie der jetzt in ihrer Aktentasche kramenden Kommilitonin unter die Nase.

    „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, daß die Dinger vom Klassenfeind kommen…" Hinter Telse zog jemand hörbar die Luft ein, dann sah sie es selbst: unter dem geöffneten Regenmantel blitzte ein ovales Abzeichen mit zwei verschlungenen Händen am Jackenaufschlag.

    „Oh, verdammt, dachte Telse „ausgerechnet eine Genossin!

    Die ‚Genossin‘ grinste und bediente sich.

    „Wenn Sie nichts besseres haben. Vielen Dank!" Erleichtert atmete Telse auf. Das Mädchen hatte, Gott sei Dank, Sinn für Humor. Aber es hätte ins Auge gehen können. Telse steckte das Taschentuchpäckchen wieder ein und schielte über ihre linke Schulter, neugierig, wen das Parteiabzeichen so erschreckt hatte. Sie mußte den Kopf leicht in den Nacken legen, denn die ‚Hinterfrau‘ war eine sehr große, überschlanke Blondine mit Pagenschnitt und ausdrucksvollen grauen Augen, die Telse verschmitzt zuzwinkerten.

    „Noch mal Glück gehabt", flüsterte sie. Da die Genossin jetzt das Zimmer 309 betrat, antwortete Telse in normalem Konversationston:

    „Ich habe glatt vergessen, daß ich nicht mehr auf meiner Schule bin. Da nahm man so etwas nicht übel. Manche Mitschüler erschienen sogar Montags beim Fahnenappell in Jeans und FDJ-Hemd. Niemand fand etwas dabei."

    „Lenin würde das ‚friedliche Koexistenz‘ nennen."

    Telse grinste. Die Bohnenstange war ihr schlagartig sympathisch, obwohl sie es sonst nicht mochte, wenn man ihr gleichsam auf den Kopf spucken konnte.

    Jetzt war die Reihe an ihr. Höflich grüßend trat sie ein und blieb vor einem fast leeren, kleinen Schreibtisch stehen. Die gepflegte ältere Dame, die dahinter saß und sie anlächelte, kam ihr bekannt vor.

    „Wir haben uns doch schon vor einem Monat gesehen. Ich dachte, Sie hätten längst etwas gefunden."

    Bedauernd schüttelte Telse den Kopf.

    „Der Arbeitseinsatz war außerhalb von Leipzig und wir haben an Ort und Stelle in Baracken geschlafen."

    „Viel Besseres habe ich Ihnen leider auch nicht anzubieten. Im Messehof stehen Behelfsquartiere bereit. Sie melden sich dann beim Pförtner. Hier haben Sie alle nötigen Angaben und einen Passierschein."

    Telse griff nach den dargebotenen Unterlagen.

    „Sprechen Sie hier von Zeit zu Zeit vor und versuchen Sie es auch über Bekannte. Bitte benachrichtigen Sie uns aber sofort, wenn Sie etwas gefunden haben. Viele tun das nicht, und das ist dann sehr ärgerlich, denn wir haben dadurch zusätzliche Arbeit."

    Telse hob die Schultern.

    „Ich kenne ja in Leipzig niemanden und bin ganz auf Ihre Hilfe angewiesen."

    „Das wird sich ändern, wenn Sie jetzt ständig hier sind. Die Dame wechselte das Thema. „Haben sie die Titow-Geschichte schon zum Besten gegeben? Telse lachte.

    „Selbstverständlich. Es war auch zu komisch. Da komme ich wegen einer Wohnung hierher und werde praktisch gekidnappt, um German Titows Ehrenbürgerurkunde als Vertreterin der Studenten zu unterschreiben. Dabei ist morgen erst die feierliche Immatrikulation und einen Wohnsitz habe ich in Leipzig auch noch nicht." Schmunzelnd erwiderte die freundliche Dame:

    „Ihr männlicher Kommilitone, der mit unterschrieben hat, war übrigens in einer ähnlichen Situation. Er war eigentlich schon kein Student mehr. Die ‚richtigen‘ Studenten sind ja im September noch gar nicht hier. Aber beruhigen Sie sich, immatrikuliert sind Sie bereits seit August, die feierliche Immatrikulation ist nur ein Festakt, bei dem erbauliche Reden gehalten werden, von seiner Magnifizenz, den Spektabilitäten und Absolventen des vergangenen Studienjahres."

    „Magnifizenz? Spektabilitäten? Nennt man den Rektor und die Dekane heute noch so?" verwunderte sich Telse.

    „Ja, und sie kommen in vollem Ornat. Es wird Ihnen schon gefallen. Aber nun muß ich weitermachen. Wie viele stehen noch draußen?"

    „Ungefähr noch einmal so viele."

    „Da werde ich sie gruppenweise hereinrufen. Zimmer gibt es sowieso keine mehr."

    „Hatten Sie heute überhaupt welche?"

    „Ungefähr ein Dutzend." Telse ärgerte sich, daß sie keinen früheren Zug genommen hatte. Anscheinend sah man es ihr an, denn die Dame fügte beschwichtigend hinzu, während sie Telse zur Tür begleitete:

    „Fast alle Adressen waren nur für männliche Studenten, wie meistens. Die Vermieterinnen bevorzugen nun einmal Jungs. Da kann man nichts machen." Telse verabschiedete sich, nickte der großen Blondine, die der Tür jetzt am nächsten stand, zu und beschloß, sich ihr Quartier erst einmal anzusehen, bevor sie ihr Gepäck vom Bahnhof holte.

    Der Messehof war gar nicht so weit entfernt. Am Anfang der Ladenpassage, die unter dem mehrstöckigen Gebäude hindurchführte, fand sie sofort linker Hand die beiden Aufgänge A, die man ihr bezeichnet hatte. Sie hätte sie auch gar nicht verfehlen können, denn dort stand bereits ein Grüppchen, das sich allerdings bei ihrem Näherkommen auflöste. Zurück blieb nur die ‚Genossin‘. „Nanu, dachte Telse, hat man der keine Extrawurst gebraten?"

    „Anscheinend sind wir Leidensgefährten", rief ihr die Kommilitonin entgegen und stellte sich vor:

    „Sieglinde Kaiser, Germanistik und Anglistik, Staatsexamen. Aber bitte nenne mich Linda. Und außerdem duzt man sich an der Uni."

    Vorhin hatte Telse Linda tatsächlich gesiezt. Unbekannten gegenüber fand sie nicht leicht zum ‚Du‘ und ganz offensichtlich war Linda ein paar Jahre älter als sie.

    „Telse Beck, Romanistik, Diplom", erwiderte Telse und ergriff die dargebotene Hand. Inzwischen kam auch noch mit langen Schritten die überschlanke Blondine herbeigeeilt.

    „Nimm dir Zeit, rief ihr Linda entgegen, „deine Luxussuite ist reserviert. Dann stellte sie zuerst Telse vor und danach sich selbst:

    „Sieglinde Kaiser, genannt Linda, künftige Lehrerin für Deutsch und Englisch."

    „Marie-Luise Wolkenthin, Arabistik", verneigte sich der aschblonde Pagenkopf.

    Als sie die Eingangshalle betraten, kam der glatzköpfige, rundliche Portier im tadellos gebügelten blauen Kittel gerade ganz gemächlich die Treppe wieder heruntergeschlendert.

    „Wenn der die Beine anziehen würde, ginge es schneller", flüsterte Linda. Telse schenkte dem Männchen ein strahlendes Lächeln, das aber nicht erwidert wurde.

    „Noch eene Grubbe", klagte der Zerberus.

    „Und wir sind mit Sicherheit noch nicht die Letzten", sagte Marie-Luise.

    „Wir können auch zuerst unser Gepäck holen", beschwichtigte Telse den Mann. Warum sollte sie es gleich am ersten Tag mit dem geplagten Zerberus verderben.

    Vor der Tür trennten sich die drei. Telse ging mit Marie-Luise zum Bahnhof, während Linda ihren Koffer bei einer Bekannten gelassen hatte, bei der sie über Nacht geblieben war.

    „Genannt Linda, gluckste Marie-Luise, als diese außer Hörweite war, „wenn sie mich Mary-Lou nennt, drehe ich ihr den Hals um.

    Einige Minuten gingen die beiden schweigend nebeneinander her, dann fragte Marie-Luise:

    „Glaubst du, daß sie unser ‚Kuckucksei‘ ist?"

    „Weil sie in der Partei ist?" antwortete Telse mit einer Gegenfrage und fuhr gleich darauf fort:

    „Ich glaube nicht. Erstens wäre es zu offensichtlich, zweitens lohnt es sich nicht, in eine nur auf kurze Zeit zusammengewürfelte Gruppe einen Denunzianten einzuschleusen und drittens sind wir wirklich nicht wichtig genug."

    „Na, ich weiß nicht, zweifelte Marie-Luise, „wegen des Mauerbaus herrscht ziemliche Unruhe und es gab auch schon ein paar Kundgebungen, die allerdings im Keim erstickt wurden.

    „Nichts zu machen, schüttelte Telse den Kopf, „sobald wir aufmucken, sind die russischen Panzer da. Ich habe das als Zehnjährige miterlebt. Das Mansfelder Bergbaugebiet war neben Berlin ein Zentrum des Aufstandes vom 17. Juni.

    „Ich habe auch keine Lust, so jung den Heldentod zu sterben oder meine besten Jahre im Knast zu verbringen", stimmte Marie-Luise zu.

    Als sie ihre Koffer von der Gepäckaufbewahrung abgeholt hatten, sah Telse sich suchend um. Sie hatte nämlich außer einer Reisetasche noch einen riesigen Koffer, in dem sich neben Bettwäsche auch Bücher befanden und dachte nicht daran, dieses Monstrum bis zum Messehof zu schleppen. Als ein Gepäckträger seinen Karren an den beiden Mädchen vorbeischob, in denen er absolut keine potentiellen Kundinnen vermutete, rief Telse ihn an:

    „Bitte, bringen sie die beiden Koffer und die Tasche zum Taxistand." Als Marie-Luise protestieren wollte, stieß Telse sie mit dem Ellbogen an.

    „Willst du etwa laufen? Dein Koffer ist mindestens so schwer wie meiner. Gepäckträger und Taxi bezahle ich. Ich hätte es auch getan, wenn du nicht dabeigewesen wärst."

    „Hast du vielleicht eine Bank überfallen oder schwimmen deine Eltern im Geld? fragte Marie-Luise ungeniert, als der Gepäckträger außer Hörweite war, „mir ist schon aufgefallen, daß du eine Art Chanelkostüm anhast. Beifällig musterte sie das erdbeerfarbene, weinrot abgepaspelte Jackenkleid, das unter dem geöffneten Trenchcoat sichtbar war.

    „Das ist eine Kopie Marke Eigenbau. Das heißt, meine Mutter hat es genäht, und ich habe geholfen. Der Stoff und der Schnitt sind aus dem Westen. Aber mein Geld stammt nicht von meinen Eltern. Ich habe dafür ziemlich geschuftet, doch es hat sich gelohnt."

    „Wo gibt es denn noch gut bezahlte Arbeit für Oberschüler? Marie-Luise zog die im Verhältnis zu ihrem Haar ziemlich dunklen, gutgeschwungenen Brauen empor, „ich habe mir mit Nachhilfeunterricht etwas Geld verdient, aber es ist wirklich nicht der Rede wert.

    Telse lachte.

    „Wenn ich sage ‚geschuftet‘, dann meine ich es auch so. Ich war noch keine siebzehn, als am schwarzen Brett meiner Schule eine Mitteilung angeschlagen wurde, daß man auf zwei Kupferhütten in der Gegend Arbeitskräfte für Sonn- und Feiertage suchte. Eigentlich richtete sich das Angebot an die Jungs aus der Oberstufe, aber ich habe mich gemeldet. Ich war übrigens das einzige Mädchen."

    „Und man hat dich trotzdem genommen? Es war doch bestimmt körperlich schwere Arbeit?"

    „Deswegen sagte ich ja auch ‚geschuftet‘. Ich habe Loren mit Koks entladen und Katalysatoren auf die Loren mit Kupferschiefer geschippt, die in die Hochöfen gekippt wurden. Acht Stunden, mit wachsender Begeisterung, wie du dir vorstellen kannst. Als ich nach der ersten Schicht nach Hause kam, bin ich die Treppe zu meinem Zimmer auf allen Vieren hinaufgekrochen. Und ich hatte mir eingebildet, ich wäre sportlich! Das war eine ganz schöne Demütigung."

    „Aber du hast anscheinend weitergemacht", stellte Marie-Luise fest.

    „Klar. Erstens habe ich väterlicherseits einen Dithmarscher Bauernschädel geerbt. Wir sind schrecklich stur. Und zweitens lockte das Geld. Insbesondere die Feiertags- und Nachtschichten wurden fürstlich bezahlt. Ich habe ein reichliches Jahr lang in den Nächten von Samstag auf Sonntag, sowie an allen Feiertagen und teilweise in den Ferien gearbeitet. Und zum Vokabelpauken war der Rhythmus beim Schippen gar nicht schlecht. Ich hatte immer Zettel in den Taschen.

    Unus, solus, totus, ullus, uter, alter, neuter, nullus, alius erfordern alle –ius in dem zweiten Falle, und im Dativ enden sie stets mit einem langen i," rezitierte Telse, wobei sie die Augen verdrehte und im Takt mit der freien Linken wedelte.

    „Und wie haben sich die Arbeiter dir gegenüber benommen? Bestimmt waren sie nicht gerade nett zu einer Privilegierten des Regimes."

    „Na ja, anfangs mußte ich mir Spötteleien über die Intellektuelle, die zu den werktätigen Massen herabsteigt, anhören. Aber irgendwie muß denen das langweilig geworden sein, denn nach ein paar Schichten hörten sie mit den Frotzeleien auf. Ich bin ja auch nicht gerade auf den Mund gefallen. Allerdings habe ich mich vor verletzenden Äußerungen gehütet. Obwohl mir solche manchmal auf der Zunge brannten. Wenn die Leute auch zuerst hämisch gegrinst haben, waren sie dann später ganz schön hilfsbereit. Wenn der diensthabende Ingenieur sich in seiner Bretterbude Kaffee gebraut hatte und mir eine Tasse davon anbot, fand sich immer jemand, um für ein paar Minuten meinen Platz einzunehmen. Jedenfalls würde ich diese Erfahrung nicht missen wollen."

    Marie-Luise schüttelte den Kopf.

    „Ich glaube nicht, daß ich das durchgehalten hätte, obwohl ich nicht gerade unsportlich bin."

    „Ich mußte durchhalten, auch noch aus einem anderen Grund. Mein Motiv war durchaus nicht reine Geldgier, obwohl meine Mutter und mein Stiefvater mir nie ein Studium finanziert hätten. Für meine Arbeit bekam ich zwar keine Zensuren, wurde aber indirekt doch benotet, und die Schule wurde davon informiert. Ich brauchte nämlich alle Pluspunkte, um einen Uniplatz zu ergattern. Obwohl man mir zugeredet hat, wie einem kranken Huhn, bin ich nicht zur Jugendweihe, sondern zur Konfirmation gegangen. Dabei war mir völlig klar, daß ich als Ausgleich dafür überdurchschnittliche Leistungen bringen mußte. Meine Arbeit auf der Kupferhütte diente indirekt als Beweis dafür, daß ich mich trotz meiner Entscheidung für die Kirche mit den Zielen des sozialistischen Staates identifiziert habe."

    „Wieso mußtest du zwischen Konfirmation und Jugendweihe wählen? fragte Marie-Luise verständnislos, „ich habe beides.

    „Wie alt bist du? erkundigte sich Telse. „Wenn du älter bist als ich, ist das normal. Aber in meinem Jahrgang war es nicht mehr möglich, denn die Konfirmation wurde auf den Sonntag vor Pfingsten verlegt und die Jugendweihe war am Sonntag vor Ostern. Wer zur Jugendweihe gegangen war, wurde nicht konfirmiert. Die Katholiken hatten es besser. Wenn sie vier Jahre nach der Kommunion zur Jugendweihe gingen, hat kein Hahn danach gekräht.

    „Ich bin zwanzig, sagte Marie-Luise, „man hat mich aus gesundheitlichen Gründen erst mit sieben eingeschult und dann mußte ich ein Jahr auf meinen Studienplatz warten. Während dieses Jahres habe ich in der Landwirtschaft arbeiten müssen. Dich hat man anscheinend direkt nach dem Abitur angenommen. Wie hast du denn das geschafft, ohne zur Jugendweihe gegangen zu sein?

    „Schlimmer noch, mein Vater lebt im Westen, und ich bin erst ein Jahr vor dem Abitur auf dringendes Anraten meiner Lehrer in die FDJ eingetreten. Allerdings haben meine Lehrer selbst nicht daran geglaubt, daß ich einen der wenigen Studienplätze in Romanistik bekomme."

    „Vielleicht hat man ausnahmsweise nur nach Leistung geurteilt", meinte Marie-Luise nachdenklich.

    „Das wäre sehr schmeichelhaft für mich, erwiderte Telse, „aber eine andere Erklärung sehe ich auch nicht. Natürlich habe ich jedem, der es wissen wollte, verkündet, daß meine christliche Einstellung mich nicht daran hindern würde, mich voll und ganz für die DDR zu engagieren. Ich habe behauptet, daß Christen und Kommunisten schließlich dieselben Ziele verfolgen, selbst wenn sie sich über den Ursprung des Lebens nicht einig sind.

    „Ja, oft auch mit denselben Mitteln, wie die Inquisition beweist", verzog Marie-Luise die Mundwinkel.

    „Solche ketzerischen Gedanken solltest du lieber für dich behalten, grinste Telse, „aber meine Argumentation ist denen anscheinend runtergegangen wie Öl.

    „Die Jesuiten hätten ihre helle Freude an dir gehabt. Oder vielleicht auch Machiavelli. Den wirst du sicher bald im Original lesen können."

    „In den ersten beiden Jahren habe ich nur Französisch und Spanisch, meinte Telse, „aber dann kann ich noch Italienisch oder Portugiesisch hinzunehmen.

    Telse bezahlte den Gepäckträger, wobei sie nicht mit dem Trinkgeld knauserte. Die kurze Strecke im Taxi legten die beiden Mädchen schweigend zurück. Man konnte nie wissen.

    Nachdem Telse den Taxifahrer bezahlt hatte, schleppte sie ihr Gepäck durch die Passage zum Eingang des Messehofs, wo der Portier durch Abwesenheit glänzte.

    „Sag mal Telse, fragte Marie-Luise im Flüsterton, „glaubst du wirklich, daß Christen und Kommunisten die gleichen Ziele verfolgen?

    „Theoretisch gesehen vielleicht, zumindest bei oberflächlicher Betrachtung. Schließlich wollen beide die Menschheit glücklich machen. Aber darüber, was Glück ist und wie man die Menschen glücklich machen kann, klaffen beide doch ganz schön auseinander. Irgendwie sagt mir die Ethik des Christentums mehr zu. Da ist von Geben die Rede und von Teilen, von Nachsicht und Güte, von Mitleid mit denen, die schwächer oder unglücklicher sind. Das braucht man im Kommunismus ja nicht, weil sowieso alle gleich sind. Und da liegt der Hund begraben. Nimm mich zum Beispiel: Ich habe zwar keine Mannequinfigur wie du, sehe aber nicht schlecht aus. In meiner Kindheit habe ich eine sehr gute Erziehung genossen und das Lernen fiel mir leicht. Wenn wir auch nie viel Geld hatten, habe ich selbst in der Nachkriegszeit nicht hungern müssen. Nimm dagegen jemanden, der unterernährt, kränklich, häßlich und nicht gerade intelligent ist. Der hat doch von Anfang an keine Chance."

    „Aber ich finde doch, daß christliche Nächstenliebe für so ein armes Schwein besser wäre als der Kommunismus, denn es könnte von der Gleichmacherei ja gar nicht profitieren."

    „Oh, das würde ich nicht so sehen, es brauchte nur alles gut zu heißen, überall mitzumachen und sich als Pfeiler des Regimes aufzuspielen. Dazu gehört weder Schönheit noch besondere Intelligenz, nur gesunder Opportunismus und eine gute Portion Rücksichtslosigkeit. Kennst du den Witz aus der Nazizeit? Man behauptet, daß ein guter Deutscher intelligent, ehrlich und in der Partei ist. Deshalb gibt es keine guten Deutschen. Wer intelligent und in der Partei ist, ist nicht ehrlich. Wer ehrlich ist und in der Partei, ist nicht intelligent. Und schließlich, wer intelligent und ehrlich ist, ist nicht in der Partei."

    „Sag das nur nicht so laut. Woher willst du wissen, daß ich nicht der falsche Fuffziger bin und euch alle provoziere, um eure Meinung zu erkunden?"

    „Na, eigentlich paßt du wirklich eher als Linda für diese Rolle. Es ist nicht so offensichtlich. Nun müßtest du nur noch Theologie studieren oder von altem preußischen Adel sein und du wärest der Agent provocateur par excellence", schmunzelte Telse.

    „Das zweite stimmt sogar."

    „Von Wolkenthin?" fragte Telse.

    „Mmm..." nickte Marie-Luise.

    „Aber, Scherz beiseite. Ich glaube, ich habe so ein Gespür dafür, sagte Telse nun wieder ernsthaft, „bei dir habe ich irgendwie keine Bedenken, aber Linda gegenüber werde ich doch etwas vorsichtiger sein, schon, um sie nicht in einen Zwiespalt zu bringen.

    „Sagt man nicht, daß Kinder und Hunde so ein Gespür für…"

    Telse knuffte Marie-Luise in die Seite.

    „Untersteh dich! Ich bin nun mal so, daß ich von jedem Menschen das Beste annehme, bevor er mir das Gegenteil beweist. Und ich habe äußerst nette und korrekte Parteimitglieder kennengelernt, gerade auf meiner Oberschule. Aber du hast recht. Ich muß doch etwas

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