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Ist die AfD zu stoppen?: Die Schweiz als Vorbild der neuen Rechten
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eBook211 Seiten2 Stunden

Ist die AfD zu stoppen?: Die Schweiz als Vorbild der neuen Rechten

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Über dieses E-Book

Wie verändert eine starke rechtspopulistische Partei ein Land? Dieser Frage geht Charlotte Theile, Korrespondentin der *Süddeutschen Zeitung,* am Beispiel der Schweiz nach, um von hier aus Schlüsse zur Lage in Deutschland zu ziehen. Basierend auf Gesprächen mit Vertretern aus Politik und Medien – u. a. Christoph Blocher, Roger Köppel, Alexander Gauland, Thilo Sarrazin, Alice Weidel, Armin Laschet – arbeitet sie die Verbindungen zwischen der schweizerischen und der deutschen Rechten heraus.
Ob im Positionspapier von Pegida oder im Parteiprogramm der AfD – immer wieder taucht die Schweiz als Vorbild der neuen Rechten in Deutschland auf. Das ist plausibel, schließlich haben sich in der Schweiz schon Anfang der 1990er-Jahre die Euroskeptiker durchgesetzt, Volksinitiativen ließen den Bau von Minaretten verbieten und trieben die Abschiebung »krimineller Ausländer« voran. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) ist mit diesem Programm seit mehr als einem Jahrzehnt stärkste Kraft des Landes – und hat es, trotz zum Teil radikal rechter Inhalte, geschafft, Themen wie Tradition und Bürgerlichkeit für sich zu besetzen.
Gleichzeitig zeigt das Beispiel Schweiz, welche Strategien gegen die Rechten Erfolg hatten und welche sie stärkten. Nicht zuletzt ist das Buch ein Plädoyer, die direkte Demokratie nicht den Rechten zu überlassen.
SpracheDeutsch
HerausgeberRotpunktverlag
Erscheinungsdatum5. Juli 2017
ISBN9783858697653
Ist die AfD zu stoppen?: Die Schweiz als Vorbild der neuen Rechten

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    Buchvorschau

    Ist die AfD zu stoppen? - Charlotte Theile

    Autorin

    1. Wie ist das möglich?

    Es war, zumindest aus heutiger Sicht, ein absolut durchschnittlicher Abend im Herbst 2014. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) im Kanton Aargau hatte zum Parteitag in die Mehrzweckhalle der Gemeinde Eiken geladen. Vor allem ältere Männer waren zusammengekommen, sie saßen an langen Tischen und wippten zur Blasmusik. Es roch nach geräucherter Wurst, wer wollte, konnte auch Kuchen bekommen. Der Parteivorsitzende sprach über die bevorstehenden Abstimmungen, stellte Gastredner vor und begrüßte die Presse aus dem Ausland. Für mich war es der erste Kontakt mit der SVP, drei Wochen zuvor hatte ich die Stelle als Schweiz-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Zürich angetreten. Während der Fotograf unbeeindruckt Würste und Bier ablichtete, versuchte ich, mitzuschreiben, legte aber immer wieder ungläubig den Stift nieder. In meinem Kopf schwirrte in diesem Moment nur eine Frage: Wie ist das möglich? Der Mann auf der Bühne las den anonym verfassten Brief einer Frau vor, sie schrieb von einem »Asylantenheim« in der Nachbarschaft, von ihrer Angst, »ausgerottet« zu werden. Ein Mann forderte mit erstickter Stimme: »Bitte, helft uns!«, in seinem Ort seien hundertdreißig Flüchtlinge untergebracht. Der Saal kochte. Es schien, als wäre jeder hier bereit, eigenhändig beim Abriss dieser Unterkunft mitzuhelfen. Kurz darauf wurde wieder gescherzt und Musik gespielt.

    In Deutschland, davon war ich an diesem Abend überzeugt, wäre so etwas nicht möglich. Niemals würden sich derart viele Menschen hinter fremdenfeindlichen Positionen versammeln – und in keinem Fall könnte man diese Parolen an einem Mittwochabend bei Wurst und Kuchen in einer Schulhalle unters Volk bringen. Undenkbar. Wer in Deutschland mit Angst vor Terroristen, vor Genitalverstümmelung, vor Zwangsehen und Blutrache Stimmung gegen Kriegsflüchtlinge machen wollte, müsste das unter Polizeischutz tun. Hier war alles anders. Bei den Wahlen im Herbst 2015 kam die SVP auf knapp 30 Prozent, im Kanton Aargau sogar noch auf deutlich mehr. Das, was ich gerade erlebt hatte, hatte nicht nur ausgesehen wie eine biedere Mittelstandsveranstaltung. Es war Schweizer Normalität.

    Einige Wochen später, im Dezember 2014, sprach ganz Deutschland über die Menschen, die jeden Montag als »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) in Dresden auf die Straße gingen. Ein ostdeutsches Phänomen, fanden die meisten und rechneten vor, dass die Ausländerquote praktisch nirgendwo so gering sei wie in Sachsen, wo Zehntausende »Spaziergänger«, wie man sie bald spöttisch nannte, nun glaubten, das Abendland vor dem Islam retten zu müssen. Das Positionspapier der Bewegung allerdings war mehr als nur eine Ansammlung von Vorurteilen. Die führenden Köpfe der Bewegung hatten konkrete Vorstellungen davon, wie die deutsche Gesellschaft verändert werden sollte – und nahmen dabei immer wieder Bezug auf die Schweiz. Zuwanderung und Asylbearbeitung sollten in Deutschland nach deren Vorbild geregelt werden, hieß es da – auch die Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Ausländern, die Kritik am »Gender Mainstreaming« und, natürlich, die Einführung von »Bürgerentscheiden« erinnerten an Forderungen der SVP oder an real existierende Politik in der Schweiz. Dreimal wurde das Land explizit genannt. In der schweizerischen Berichterstattung über Pegida kam das so gut wie nie vor. Man machte sich Sorgen um die Radikalisierung des Nachbarlandes. Dass sie etwas mit der Schweiz zu tun haben könnten, glaubte kaum jemand. Da die bürgerlichharmlosen Schweizer, dort die unterprivilegierten Menschen aus dem Dresdner Umland, die Journalisten beschimpften und in krasser Symbolik einen Galgen für die Kanzlerin durch die Stadt trugen. Die Unterschiede scheinen riesig. Für mich blieb diese Frage auch in den Jahren darauf immer zentral: Standen die SVP-Politiker, mit denen ich täglich zu tun hatte, den neuen Rechten in Deutschland nahe oder nicht? Ich war mir nicht sicher. Doch auch in Deutschland erlebte ich bald Veranstaltungen, die mich schockierten. Die Anhänger der AfD und ihre Gegner gingen in zunehmend aggressivem Ton aufeinander los, jeder Werbestand der Partei wurde zur Kampfzone.

    Auch beim Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in Köln im April 2017 hätten sich wohl viele Schweizer irritiert abgewendet. In den vergangenen Jahren haben sich der Ton und die Themen der deutschen Rechtspopulisten so verändert, dass die Reporter vor dem Maritim-Hotel schon düstere Verbindungen ziehen. »Sehen wir eine Wiederholung der Weimarer Zeit?«, wird zum Beispiel ein Politiker der AfD gefragt, der sich durch die Menge der Gegendemonstranten hindurchgekämpft hat und sagt, er sei geschlagen worden. Einige Hundert Meter weiter ruft eine junge Frau ins Mikrofon, man dürfe nicht zulassen, dass Faschisten in Deutschland wieder die Macht übernähmen. Tausende Polizisten müssen den Parteitag der Rechten vor ihren Gegnern schützen. Drinnen filmen die Delegierten der AfD aus sicherer Entfernung die Gegendemo. Für sie sind die Proteste ein Beleg dafür, dass Deutschland im Jahr 2017 keine echte Demokratie mehr sei.

    Der Kontrast zu der friedlichen Veranstaltung der SVP in Eiken zweieinhalb Jahre zuvor könnte kaum größer sein. Inhaltlich lassen sich diese Unterschiede nur schwer begründen: Das Wahlprogramm, das die Delegierten der AfD an diesem Wochenende beschließen, unterscheidet sich nicht wesentlich von den Vorstellungen der SVP. AfD-Politiker Marc Jongen, der im März 2017 in einem Zürcher Theater auftreten sollte und erst nach Protesten der deutschen und schweizerischen Kulturszene eine Absage erhielt, glaubt sogar, die AfD könne weniger konsequent rechte Politik machen als die SVP. Ein Minarettverbot etwa, das die Schweizer Rechte vor zehn Jahren anregte und das sich in einer Volksabstimmung klar durchsetzte, könne man in Deutschland nicht etablieren, glaubt Jongen. Probieren wolle man es trotzdem. Und auch wenn bei der AfD trotzig-aggressiv geklatscht wird, sobald das Wort »Deutschland« fällt, und auffällig viele kahl rasierte Männer das Bild im gut bewachten Achtzigerjahre-Bau prägen, ist die bürgerliche SVP hier nie weit. Selbst in der Publikation der »Patriotischen Plattform«, des Rechtsaußenarms der AfD, wird die Schweiz euphorisch besungen.

    Die AfD ist zu diesem Zeitpunkt in einer schwierigen Situation. Die Umfragewerte der Partei sind im Frühjahr des Wahljahres 2017 in den einstelligen Bereich gesunken. Doch das Potenzial, das der deutschen Rechten eingeräumt wird, steht dem der SVP in der Schweiz in nichts nach: Knapp 30 Prozent der Deutschen sind nach einer Erhebung der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung für die Rückbesinnung auf das Nationale und gegen die Europäische Union.

    Die 38-jährige Ökonomin Alice Weidel, die an diesem Wochenende in das Spitzenteam der Partei gewählt wird, betont immer wieder, wie gern sie Deutschland nach Schweizer Vorbild umbauen würde. Die AfD braucht diese Folie im Wahljahr 2017 dringender denn je. Sie will geschlossen, bürgerlich und vernünftig wirken, das spürt man in Köln bei fast jedem Tagesordnungspunkt.

    Der Aufstieg der SVP zeigt beispielhaft, wie eine rechte Partei ein politisches System für sich nutzen kann, welchen Einfluss ihre Themen und Strategien auf eine Gesellschaft haben können. In den Nachbarländern können die Erfahrungen mit der Schweizer Rechten als Blick in die Zukunft verstanden werden.

    Die AfD bezog sich seit ihrer Gründung 2013 immer wieder auf das Nachbarland. Dass die Euro-Skeptiker damit mehr meinen könnten als nur Volksentscheide und die Nichtmitgliedschaft in der EU, fiel damals noch kaum auf, die neuen Rechten* erschienen nicht wichtig genug. Doch je erfolgreicher ihre politische Vertretung wurde, desto stärker rückte ihr Bezug zur Schweiz in den Fokus. Die SVP musste ein Verhältnis zu den Lobeshymnen aus Deutschland finden. Die Parteispitze kam dabei zunehmend unter Druck. Christoph Blocher, der seit der Abstimmung gegen den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum 1992 die dominierende Figur der Partei ist, bemüht sich, einen möglichst großen Sicherheitsabstand zwischen sich und die zuweilen ungemütlichen Deutschen zu bringen. Dabei sind die Gemeinsamkeiten so erdrückend, dass selbst das bürgerliche Traditionsblatt Neue Zürcher Zeitung schreibt: »Wer hat den Rechtspopulismus erfunden? Die Schweizer!«

    Aus deutscher Perspektive kann das beruhigen: Die Demokratie der Schweiz ist intakt, vom Chaos, das etwa die Regierung Trump verbreitet, ist nichts zu spüren. Auch deshalb gelang es in der Recherche für dieses Buch meist problemlos, mit deutschen Rechten in Verbindung zu kommen. Sowohl Politiker der AfD als auch die Vertreter des »Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten«, der sich als konservativer Thinktank versteht und eine enge Verbindung zwischen deutschen und schweizerischen Rechten markiert, waren bereit, ausführlich Auskunft zu geben. Ganz anders verhielt es sich mit der SVP – deren Stratege Christoph Blocher wollte über die Gemeinsamkeiten so wenig wie möglich sprechen.

    Nimmt man die Vorbildfunktion der Schweiz ernst, zeigt sich, wie zentral das Land für die neue Rechte ist: Wer sich zur Schweiz und zu ihrem System bekennt, muss Alleinregierungsfantasien eine Absage erteilen. Das Volk als Souverän hat in der Schweiz die Macht, die Politik der SVP abzulehnen und zu begrenzen, was in den vergangenen Jahren immer wieder passiert ist. Auch die Gegner der SVP haben den Deutschen einige Erfahrungen voraus. Von ihnen lässt sich zum Beispiel lernen, wie sich die direkte Demokratie, eines der Lieblingsanliegen der AfD, gegen die Rechtspopulisten einsetzen lässt.

    Die Schweiz als Vorbild. Das klingt positiv-harmlos, birgt aber für die Rechten einige Gefahren: So wie die SVP verzweifelt versucht, sich von den unberechenbaren Deutschen abzugrenzen, so sehr kann diese Parallele auch für die AfD zum Bumerang werden. Wenn sie versucht, die Strategien der SVP zu kopieren, sind ihre Gegner in der komfortablen Situation, das Gegenmittel bereits zu kennen.

    *Der Begriff wird hier nicht als trennscharfer wissenschaftlicher Begriff gebraucht, sondern als beschreibende Klammer von rechten Bewegungen, die sich in den vergangenen Jahren etabliert haben. Obwohl es Gemeinsamkeiten mit verschiedenen europäischen Bewegungen gibt, liegt der Fokus auf den für Deutschland wichtigen Strömungen.

    2. Woher kommt die SVP?

    Polizisten mit Maschinengewehren sind in Zürich ein ungewöhnlicher Anblick. Abgesperrte Straßen, Wasserwerfer und Helikopter erst recht. Doch an diesem Frühlingssonntag im März 2017 bietet die Stadtpolizei alles auf: Wer in den Kongresssaal unweit des Zürichsees möchte, muss mit aufwendigen Taschen- und Personenkontrollen rechnen. Der Anlass drinnen im Saal steht im scharfen Kontrast zu diesen Sicherheitsvorkehrungen – gemütliche Schunkelmusik, langatmige historische Vorträge, Danksagungen, Blumen. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) feiert an diesem Tag ihr 100-jähriges Bestehen. Tatsächlich wurde die derzeit erfolgreichste Schweizer Partei im Frühjahr 1971 gegründet. Doch zum Selbstverständnis der Rechtskonservativen gehört eine lange Historie. Dabei sind den Rednern selbst die hundert Jahre, auf die sich die Partei an diesem Tag beruft, zu kurz.

    SVP-Politiker Christoph Mörgeli, der an diesem Tag seine mehr als sechshundert Seiten starke Festschrift Bauern, Bürger, Bundesräte bewirbt, setzt mit seinem Vortrag im »ausgehenden 18. Jahrhundert« an. Christoph Blocher spricht gleich von siebenhundert Jahren Schweizer Geschichte, dem Rütlischwur von 1291, einem der Gründungsmythen der Schweiz. Natürlich gehört alles irgendwie zusammen, der Unabhängigkeitskämpfer Wilhelm Tell, der Schwur, die SVP. Ein klassischer Chor singt in allen vier Landessprachen, die Würdenträger der Partei werden von Männern und Frauen in Tracht hereingeführt, auf den roten Krawatten der Sicherheitsleute prangt ein weißes Schweizerkreuz. Der Eindruck, der hier entstehen soll, ist klar: Die SVP ist die Hüterin der Schweiz. Sie sorgt dafür, dass Wurzeln und Geschichte des Landes in Ehren gehalten werden, dafür, dass die Identität der Schweiz bewahrt bleibt. Würden nicht immer wieder bewaffnete Polizisten durch den Raum schlendern, man könnte glauben, man habe es mit einem ziemlich unspektakulären nationalen Feiertag zu tun. Und auch die Anhänger der Partei interessiert die Feier nur mäßig: Fast die Hälfte der Sitze bleiben an diesem Sonntag leer.

    Die tatsächliche Geschichte der SVP ist weniger beschaulich: Die Rechtspopulisten haben das Land in den vergangenen Jahrzehnten gewaltig verändert, haben die politische Agenda, das Ansehen der Schweiz in der Welt und das interne Gefüge von tatsächlicher Macht und öffentlicher Meinung neu definiert. Wer heute über die Schweiz spricht, kommt nicht am SVP-Strategen Christoph Blocher vorbei. Mit dem Aufstieg seiner Partei sind auch radikal rechte Positionen mehrheitsfähig geworden, bei Volksabstimmungen haben in den vergangen Jahrzehnten euroskeptische, fremdenfeindliche und isolationistische Vorstöße durchgesetzt. Manches, was noch vor einigen Jahren als unsagbar galt, ist heute Allgemeingut. Und ganz ähnlich wie in Deutschland, wo die Politik noch nach Antworten auf die Rechtspopulisten sucht, haben sich Parteien und Medien auch in der Schweiz schwergetan, eine Antwort auf die SVP zu finden. Doch zunächst einmal schauen wir mit der SVP zurück: ins Jahr 1917, als angeblich alles begann.

    Am 4. März 1917 beschließen einige Hundert Delegierte des Landwirtschaftlichen Kantonalvereins Zürich, eine Partei zu gründen, die ihre Interessen auf politischer Ebene vertreten soll. »Zürcher Bauernpartei« war der folgerichtige Name. Bis heute gehört die Vertretung landwirtschaftlicher Interessen zum Markenkern der SVP. Parteihistoriker Christoph Mörgeli schreibt, schon damals sei die dominierende Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) »konsterniert« gewesen. Wenn sich die vorsichtigen, abwägenden Bauern politisch engagierten, müssten »die Probleme ernster, tiefliegender Natur« sein. Diese Art der Erzählung ist typisch für die SVP: Bis heute begründen fast alle ihre Vertreter ihr politisches Engagement mit der desaströsen politischen Lage, die ihnen keine Ruhe und schlussendlich keinen anderen Ausweg gelassen habe, als selbst aktiv zu werden. Dass es den Bauern 1917 um ganz normale Interessenvertretung ging, wie sie Apotheker, Anwälte und Beamte auch betreiben, gilt in der SVP fast als Beleidigung – würde sie das doch zu einer Partei wie jede andere machen, dem Mythos von der Verkörperung des Volkswillens entgegenstehen.

    1937 schlossen sich die Zürcher Bauern mit anderen lokalen Kleinparteien zusammen. Es ging jetzt nicht mehr nur um die Landwirtschaft, sondern auch um Gewerbelobbying und eine Gegenposition zum Sozialismus. Auf der Website der SVP werden insbesondere die »antimilitaristischen und internationalistischen Tendenzen« als entscheidend für die Gründung der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) genannt. Die BGB war nicht länger regional beschränkt, sondern wollte ihre Interessen in der ganzen Schweiz vertreten. Da ihre Wurzeln aber vor allem in der Deutschschweiz liegen, war von Beginn an klar, auf welche Bauern und Bürger sich die Vertretung konzentrierte. In der französischsprachigen Westschweiz hat die SVP bis heute große Schwierigkeiten, Wähler an sich zu binden – sowohl in Wahlen als auch bei Volksabstimmungen konnte sie hier nie an den Erfolg anschließen, den sie in den ländlichen Gebieten der Deutschschweiz hat.

    1971 schloss sich die BGB erneut zusammen, dieses Mal mit kleinen Parteien aus Graubünden und dem Kanton Glarus. Man wollte der »Zersplitterung« des politischen Spektrums entgegenwirken und gab sich einen Namen, der vor allem nach grotesker Selbstüberschätzung klang: Schweizerische Volkspartei.

    Die Volkspartei kam bei den Nationalratswahlen im Herbst auf 11 Prozent der Stimmen und stellte einen Bundesrat, also ein Mitglied im Schweizer Regierungskabinett. Für die meisten Schweizer blieb sie auch mit dem neuen Namen eine Bauern- und Gewerbelobby. Bieder, ländlich, ungefährlich. Man experimentierte mit neuen Themenfeldern: Ökologie, langsames Wachstum, Öffnung in gesellschaftlichen Fragen – ganz normale Themen, die in diesen Jahren die Schweizer bewegten und die bei einer naturverbundenen Bauernpartei nahelagen.

    1991, ganze zwanzig Jahre nach Gründung, erreichte die Partei, die immer noch viele Wähler mit dem Namen BGB in Verbindung brachten, bei den Nationalratswahlen 11,9 Prozent.

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