Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe: Eine Handlungsanleitung
Von Marga Rothe
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Buchvorschau
Sozialpädagogische Familien- und Erziehungshilfe - Marga Rothe
Anhang
Vorwort
Wir freuen uns sehr, dass eine 6. Auflage unseres Buches notwendig geworden ist. Dies ist ein Beweis für die Bedeutung der familienorientierten Hilfen, deren hoher Wert für unsere Gesellschaft zunehmend erkannt wird.
Bei der gründlichen und umfassenden Vorbereitung dieser neuen Auflage bin ich wesentlich von zwei Mitarbeiterinnen der Regionalgruppe Heidelberg, Claudia Hippe und Beatrix Kowalski, unterstützt worden. Ihnen möchte ich an dieser Stelle herzlich danken.
Die Sozialpädagogische Familienhilfe und die Familienorientierte Schülerhilfe des Heidelberger Modells gewinnen immer mehr Anhänger. Das zeigt sich auch in der großen Zahl an Fortbildungen, die in allen Teilen Deutschlands stattgefunden haben und an der immer noch steigenden Zahl an Anfragen für zukünftige Fortbildungen. Die vorliegende Handlungsanleitung gibt Familien und Familienhelfern Sicherheit auf dem gemeinsamen Weg einer verantwortungsbewussten und erfolgreichen Lebensgestaltung unabhängig von öffentlicher Hilfe.
Dies ist besonders bedeutsam für das Hineinwachsen von Kindern und Jugendlichen in ein selbständiges Leben. Das Vorbild nichtarbeitender Eltern führt leider viele dieser Kinder in eine dauerhafte Abhängigkeit. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen durch die grundlegende Verbesserung der familiären und schulischen Voraussetzungen – das ist eine der Aufgaben der Sozialpädagogischen Familienhilfe und der Familienorientierten Schülerhilfe.
Die vorliegende Handlungsanleitung, vor mehr als 20 Jahren erstmalig formuliert, wurde in der Zwischenzeit von vielen Familienhelfern erprobt. Die praktische Umsetzung hat gezeigt, dass zum Beispiel Themen wie Nähe und Distanz oder der systemische Ansatz in der sozialpädagogischen Familienhilfe wichtig sind. Die neue Auflage wurde deshalb überarbeitet und um entsprechende Abschnitte ergänzt.
Da sich seit der Erstveröffentlichung weder die Lebenssituationen, in denen sich die begleiteten Familien befinden, noch der Unterstützungsbedarf wesentlich geändert haben, bleiben die Fallbeispiele mit den Begrifflichkeiten aus dieser Zeit bestehen.
Wichtige Ergänzungen für die praktische Umsetzung haben wir zusätzlich in folgendem Buch zusammengefasst:
„Heidelberger Modell der Sozialpädagogischen Familien- und Erziehungshilfe – von der Alltagsbewältigung zur Integration".
Auf der dort beiliegenden DVD befinden sich erprobte Fragebögen und Berichtsraster, die die Dokumentation und Strukturierung der Arbeit erleichtern und die Effizienzkontrolle möglich machen (siehe Anhang).
Um das Lesen zu vereinfachen, wurde die männliche Form gewählt, obwohl in der sozialpädagogischen Familienhilfe viel mehr Frauen als Männer tätig sind.
Heidelberg, im Januar 2011
Marga Rothe
Einführung
„Nur wer Ehrfurcht vor dem geistigen Wesen anderer hat, kann andern wirklich etwas sein." (Albert Schweitzer)
Die sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) hat sich zu einem wichtigen ambulanten Angebot im System der Erziehungshilfen entwickelt. Die folgenden Ausführungen sind entstanden auf den Grundlagen einer mehr als 30-jährigen Erfahrung der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung von Kindern und Jugendlichen (AGFJ) in Heidelberg. Die AGFJ arbeitet eng mit drei Jugendämtern aus Stadt und Landkreisen zusammen. Hierdurch ist es möglich, Vergleiche zu ziehen, erstens im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den einzelnen Ämtern und zweitens im Hinblick auf die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Lebenszusammenhänge von Familien und Jugendlichen. Die Möglichkeiten einer in der Stadt lebenden Familie unterscheiden sich erfahrungsgemäß von der einer Familie im Dorf oder im Notwohngebiet einer Kleinstadt. Das Wissen um diese Unterschiedlichkeit ist eingeflossen in ein Konzept, in dem die Einzigartigkeit jedes Familienmitglieds und jedes Familienhelfers und die Einmaligkeit jeder Situation geachtet werden. Aus diesem Grund wird auch keine für die Familienhilfe allgemeingültige Methode empfohlen.
Der hier vorliegende Handlungsleitfaden ist inzwischen auch durch die bundesweit angebotene Weiterbildung (siehe Anhang 1) als „Heidelberger Modell der Sozialpädagogischen Familien- und Erziehungshilfe" bekannt geworden.
Der Familienhelfer geht mit der Familie auf die Suche nach ihrem Ziel, er versucht, verschüttete Fähigkeiten aufzudecken und bewusst zu machen. Hierbei orientieren sich beide nicht an den Defiziten, sondern an den vorhandenen Ressourcen. Der Familienhelfer ist Wegbegleiter auf dem Weg zu dem Ziel, das die Familie oder der Jugendliche als das ihre erkannt haben und das einen hohen Wert für die Betroffenen haben soll. Er vermittelt Vertrauen in die in jeder Familie und in jedem einzelnen schlummernden Möglichkeiten und Kräfte und ist ein Mittler zwischen dem vertrauten sozialen Umfeld und der so oft als feindlich erlebten „Außenwelt", deren andere Sprache und Kommunikationsregeln den Familien und Jugendlichen häufig Angst machen.
Angst erzeugt Aggression, Aggression erzeugt Abwehr bei vielen Vertretern von Schulen, Ämtern, Berufsbildung etc. Abgewehrt zu werden führt zu Minderwertigkeitsgefühlen bei Familien und Jugendlichen. Minderwertigkeitsgefühle schwächen das Vertrauen in die eigenen inneren Kräfte und Fähigkeiten. Aus diesem Teufelskreis kann und muss der Familienhelfer behutsam heraushelfen, indem er Mut macht und Vertrauen gibt, aber nicht, indem er selber macht.
Die logische Konsequenz aus einer solchen Haltung sind die Selbsthilfepläne, die auch als Berichtsgrundlage dienen. Sie verhindern, dass über andere Menschen berichtet wird, über ihre Probleme und ihr Versagen. So wird die Würde des Menschen geachtet! Die Selbsthilfepläne stehen unter dem Motto „Hinkommen zum Ziel statt Wegkommen vom Problem". Sie orientieren sich an den Fähigkeiten der Person und an den Möglichkeiten der Situation.
Halten eine Familie oder ein Jugendlicher den gemeinsam erarbeiteten Selbsthilfeplan trotzt angemessener Hilfestellung und vorhandener Rahmenbedingungen nicht ein, ist zusammen mit der Familie und dem zuständigen Kollegen des ASD zu prüfen:
ob die genannten Ziele die wirklichen Ziele sind,
ob die Familie sich andere Rahmenbedingungen wünscht,
ob die Familie im Grunde nicht bereit ist zu notwendigen Veränderungen.
Im letzteren Fall müsste die Maßnahme beendet und die Familie über eventuelle Konsequenzen informiert werden.
Das vorliegende Handlungskonzept basiert auf den gedanklichen Grundlagen:
der initiatischen Therapie (Karlfried Graf Dürckheim),
der Logotherapie (Viktor Frankl),
der positiven Psychotherapie (Nossrat Peseschkian),
der systemorientierten Familienarbeit (N. Selvini-Palazzoli u.a.).
Für den Erfolg der SPFH sind sowohl methodisches Vorgehen als auch die Persönlichkeit des Familienhelfers ausschlaggebend, sein Einfühlungsvermögen, sein Engagement und sein Respekt vor der Andersartigkeit, aber Gleichwertigkeit der Familienmitglieder, d. h. vor Menschen, die häufig den Glauben an die eigene Zukunft verloren haben und an ihre Fähigkeit, das Leben selbständig gestalten zu können.
1
Wo kann Familien- und Erziehungshilfe geleistet werden?
1.1 Bei welchen Anstellungsträgern?
Als Anstellungsträger kommen aus unserer Sicht alle freien Träger der Jugendhilfe in Frage. Sie müssen die Gewähr für eine fachlich fundierte Familien- und Erziehungshilfe geben können. Dazu gehören:
eine seriöse Auswahl der Familien- und Erziehungshelfer in Bezug auf persönliche, lebenspraktische und fachliche Kompetenz;
eine qualifizierte Praxisanleitung und Fortbildung;
ein tragfähiges Konzept zur Arbeit mit den Familien.
Jugend-, Sozial- und Gesundheitsämter sind nur bedingt als Anstellungsträger zu empfehlen. In der Familienhilfe sind vorwiegend Entwicklungsdefizite zu kompensieren, deren Ursache in der Regel in einem Mangel an sozialer Nähe und/oder sozialer Verantwortung in Familie und Gemeinwesen liegen. Der Familienhelfer muss sich auf eine Beziehung zur Familie einlassen, die in größerer Unabhängigkeit von einer Leistungs- und Eingriffsverwaltung besser herzustellen ist. Aufgrund der Gesamtverantwortung des öffentlichen Trägers muss jedoch eine enge Kooperation zwischen Familienhilfe und Ämtern bestehen.
1.2 Anstellungsformen und Rahmenbedingungen
Die Anstellungsform variiert von fest angestellten Kräften über Mitarbeiter mit geringfügiger Beschäftigung bis hin zu Honorarkräften. Für die Begleitung einer Familie sind im Durchschnitt je zehn Stunden wöchentliche Arbeitszeit pro Familie anzusetzen. Diese Zeit beinhaltet Vis-a-vis-Kontakte, Supervisionen, Teamsitzungen, Gespräche mit Kooperationspartnern, Zeiten für Verwaltungstätigkeiten und Fahrzeiten.
Ein Familienhelfer mit einer vollen Stelle begleitet in der Regel vier bis fünf Familien, mehr ist emotional und organisatorisch kaum zu bewältigen.
Geringfügig beschäftigt werden können Fachkräfte, die aus persönlichen Gründen nicht mehr als 10 Stunden in der Woche arbeiten möchten. Auch hat es sich für das anspruchsvolle Arbeitsfeld der sozialpädagogischen Familienhilfe als sinnvoll erwiesen, das Arbeitsvolumen allmählich zu steigern, so dass der Familienhelfer nach und nach die Begleitung weiterer Familien übernimmt.
In Familien mit psychischen Erkrankungen und einem besonderen Bedarf hat es sich als hilfreich herausgestellt, zwei Fachkräfte einzusetzen.
In Familien mit einem speziellen Unterstützungsbedarf kann eine Fachkraft mit einer besonderen Qualifikation zusätzlich auf Honorarbasis für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden.
1.3 In welchen Familien, bei welchen Jugendlichen?
Generelle Ausschluss-Kriterien für die Auswahl von Familien und Jugendlichen aufzustellen ist nicht sinnvoll. Zunächst hoffnungslos erscheinende Familien sind zum Ende einer Betreuungszeit oftmals die, in denen Eltern, Kinder und Jugendliche erstaunliche Entwicklungsschritte gemacht haben. Es gibt jedoch Familien und Jugendliche, die sich besonders für den Einsatz eines Familien- und Erziehungshelfers eignen und solche, bei denen der Einsatz weniger Aussicht auf Änderung verspricht. Besonders geeignet sind Familien, bei