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Ein Leben in Schwarz und Weiß
Ein Leben in Schwarz und Weiß
Ein Leben in Schwarz und Weiß
eBook203 Seiten3 Stunden

Ein Leben in Schwarz und Weiß

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Über dieses E-Book

Für den Kunststudenten Siyah erscheint das Leben wie ein bedrückendes Gemälde: chronische Kopfschmerzen, fern von Familie und unausgesprochene Gefühle gegenüber dem Mädchen seiner Träume. Hin- und hergerissen, zwischen Realität und Traumwelt, begegnet er rätselhaften Figuren, die ihn in Sachen Liebe und Philosophie eines Besseren belehren wollen. Siyah jedoch scheint sich unaufhaltsam zwischen den Welten zu verlieren.
SpracheDeutsch
Herausgeberkladdebuchverlag
Erscheinungsdatum1. Juni 2017
ISBN9783945431191
Ein Leben in Schwarz und Weiß

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    Buchvorschau

    Ein Leben in Schwarz und Weiß - Ismail Kayapınar

    Fragen.

    Erstes Kapitel: Schwarz

    Siyah war kein gewöhnlicher Mensch. Er war nicht einer von denen, die morgens, alle anderen grüßend, zur Arbeit schlenderten. Und auch nicht einer von denen, die nach der Arbeit auf dem Sessel einschliefen. Er war ungewöhnlich, doch keinesfalls etwas Besonderes. Das Kunststudium hatte er sich anders vorgestellt, doch es war, wie sein Vater sagte: ohne Fantasie und Brot und mit viel Theorie. Vielleicht hatte er Kunst aber auch nur studieren wollen, um ein einziges Mal seinem Vater gegenüber seinen Willen durchsetzen zu können. Um sich das Studium und das restliche Leben leisten zu können, musste er nebenher als Bürokaufmann arbeiten. Durch den stattlichen Lohn konnte er aber in wenigen Arbeitsstunden das nötige Geld für ein zufriedenstellendes Jugendleben zusammenkratzen.

    Außerdem war Siyah Künstler – nicht etwa nur Maler oder Schreiber, sondern ein Lebenskünstler. Doch hatte er sich diese Kunst keineswegs selbst zugeschrieben; sie war vielmehr gottgegeben. Denn jede Nacht bevor er einschlief, bekam er Kopfschmerzen. Nach der letzten Mahlzeit des Tages dachte er im Bett nur noch an seine Sorgen. Genau dann begann auch sein Leid. Irgendwas klopfte gegen seine Schädeldecke und beruhigte sich nicht, egal was Siyah tat. Schlafen war nahezu unmöglich. Kein allzu schönes Leben, doch das war längst nicht alles.

    Fast jeden Morgen war ihm so schwindelig, dass es schwierig, war ins Bad zu gehen. War er zu langsam, musste er zügig zurück ins Bett. War er dagegen zu schnell, stieß er sich an irgendwas an. Mit den richtigen Schritten schaffte er es, musste aber so schnell wie möglich sein Gesicht waschen, die Zähne putzen und dann zurück ins Bett.

    Dort musste er dann überlegen, ob er zur Arbeit sollte oder nicht. Letztlich entschied er sich immer für die Arbeit, kam aber wegen der Unentschlossenheit meistens zu spät. An Tagen, an denen ihm nicht schwindelig war, musste er in der grauen Früh los. Zu dieser Uhrzeit waren nur wenige Menschen unterwegs und hier grüßte man nicht etwa aus Freundlichkeit, sondern aus Solidarität. Schon nach kurzer Zeit im Büro begann der tägliche Schlaf anzuklopfen, den er nachts nicht bekam. Einen »Fünfminutengähner« nannten ihn seine Kollegen.

    Wieder zu Hause begann er, sein wirkliches Leben zu leben. In den ersten zwei Stunden war er aber nicht sonderlich kreativ, deshalb verwarf er die entstandenen Werke zerknittert in den Müll. Irgendwann vor Mitternacht begann dann die wirkliche Arbeit und sie dauerte meist bis tief in die Nacht.

    Sein Arbeits- und Studentenleben gerieten in den Hintergrund und stellten nur eine zeitlich festgelegte Qual für das täglich Brot dar. Er malte und schrieb, wie es ihm gerade beliebte und versuchte – wenn auch nur geringfügig – der Wirklichkeit zu entfliehen.

    Während seine Pinseleien trockneten, backte er etwas und betrachtete seine Werke in regelmäßigen Pausen.

    Unzufriedenheit bei seinen Bildern war ihm stets ein Segen. Immer gab es etwas zu verbessern in seinen Werken. Er konnte immer weitere Einzelheiten hinzufügen, doch brach er irgendwann voller Ungeduld ab. Wenn er die Werke allerdings später noch einmal betrachtete, fürchtete er, zu viele Fehler zu finden. Deshalb beließ er es auch dabei und seine Kunst blieb stetig fehlerhaft.

    Die Unzufriedenheit färbte auch auf sein Leben ab. Denn Fehler und die damit verbundenen Schmerzen oder Verluste griffen nach dem Sinn des Lebens. Seine Krankheit, so vermutete er, hingen auch stark mit diesen Fehlern zusammen. Doch was sollte so schlimm daran sein, wenn er durch diese Fehler und eben genau diesen Schmerz den Sinn des Lebens besser verstünde? Eine Heilung seiner Krankheit hielt er also für überflüssig und sogar widersprüchlich.

    Nur durch Schmerz konnte er sich lebendig fühlen. Nur durch ihn fiel er und fasste den lebensnotwendigen Schluss, wieder aufzustehen. Und das jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr. Nur durch die Tiefen konnte es Höhen geben. Denn ein stetig glückliches Leben stellte für ihn eine Last dar. Langeweile und Konstanz.

    Und der wichtigste Aspekt, der für den Schmerz sprach, war seine Religion. Tatsächlich bedeutete Schmerz für ihn Gottesnähe. Wie jeder Mensch, der Gott vergaß, wenn die Rosen blühten und der Fluss plätscherte, war auch Siyah nur Gott nah, wenn die Dornen stachen und die Dürre kam. Immer wenn er also Schmerz oder Angst verspürte, wusste er, dass er Gott nahe war. Und auch, dass er in diesem mickrigen Leben von Lügen alles richtig machte. So lehnte er alles Glück ab, weil er Angst vor sich Selbst hatte. Angst davor Pech zu haben.

    Denn wäre er wie alle anderen gewesen – dann hätte er das Glück nur im Pech gesehen und nicht andersherum. Er wäre kein Kopfschmerzer und kein Schwindeliger gewesen. Kein Künstler, kein Leser, kein selbsternannter Intellektueller. Das Wort Lebenskunst wäre ihm immer tiefer zwischen die Fugen des Arbeitslebens geraten, bis er vergessen hätte, was es gewesen war. Bis er eines Tages sein altes Ich geleugnet hätte und ihm jede Erinnerung daran peinlich gewesen wäre. Er hätte nicht hinterfraget und wäre nicht hinterfragt worden. Er hätte sich von Gott verlassen gefühlt und wäre nur für die Norm religiös gewesen. Er wäre ein gewöhnlicher Mensch geworden und dazu ein überaus zufriedener.

    Trotz seiner Selbstsicherheit und seiner großen Sammlung an Weisheit, wusste Siyah aber, dass er noch nicht ausgelernt hatte. Trotz der Entschlossenheit, wie er das Leben zu leben hatte, war er unwissend. Wissend sein – das ist ein unerreichbares Ziel und nicht ohne Grund so. Die Welt soll nicht aus Milliarden fauler Weisen bestehen, die alle von sich selbst behaupten, Erkenntnis erlangt zu haben. Eher aus vielen Einzelkämpfern, die jeden Tag mit Unmengen von Themen und Feinden zu kämpfen haben.

    Siyah betrachtete das Leben als Komplex aus Geschichten. Jeder Einzelne der Milliarden hatte eine Geschichte. Keine dieser Geschichten war langweiliger oder wertvoller als eine andere. Alle waren auf ihre Art und Weise wundervoll, schmerzhaft, herzzerreißend.

    »Das ist wieder mal interessant zu hören, Siyah«, unterbrach sie ihn im Rausch der Gedanken und lächelte dabei. Sie klang nicht ironisch, aber es schien auch nicht ihr voller Ernst zu sein. Sie? Sie war das Mädchen, das er liebte.

    »Nur so interessant, wie meine Zuhörer das möglich machen. Kleine Andeutung – das geht an dich.« Der Lebenskünstler lächelte zurück. Außer kleinen Andeutungen hatte er bisher nicht viel getan, um ihr seine Gefühle zu zeigen. Auf Siyahs Andeutung lachte sie herzlich. Ihre sonst so großen Rehaugen verkleinerten sich und er konnte genau erkennen, wo sie eines Tages ihre Lachfalten kriegen würde. Ob er dann noch bei ihr wäre, war eine andere Frage.

    Ihr Lachen war etwas, das er wahrhaftig an ihr liebte. Es war unbefangen und wild, frech und eilig, etwas männlich, aber dennoch süß. Das hatte er ihr natürlich nie gesagt. Er verschwieg es, genau wie die Gefühle, die er für sie empfand. Es sollte einfach nicht sein, dass die beiden zusammenkämen und deshalb hielt er es für klüger, das Ganze für sich zu behalten. Nicht die Schüchternheit hinderte ihn daran, seine Gefühle zu offenbaren, sondern reine Logik. Schüchtern war Siyah nicht. Das war er wenn überhaupt als Kind gewesen, doch mittlerweile war aus dem kleinen schlanken Jungen ein weltoffener junger Mann geworden. Seine schwarzen unordentlichen Haare waren jetzt ordentlich zusammengekämmt, seine großen braunen Augen waren zu kalten Perlen geworden. Seine Augenlider waren gesenkt, er schaute nicht mehr mit großen Augen auf die Welt. Denn alles was er von der Welt bekommen hatte, war schmerzhaft gewesen und er hatte verstanden, wie kalt sie ist. Dennoch sprach nichts gegen einen Funken Optimismus und genau dieser lag unweigerlich im Glanz seiner Iris. Wer weiß, vielleicht machte ihn das so sympathisch, beliebt und freundlich?

    »Oh, aber Entschuldigung!« Sie hob die Augenbrauen. »Eigentlich habe ich dich gerade unterbrochen. Es ging um den Blickwinkel des Menschen und wie er sich in seiner Geschichte sieht.«

    Das Lachen war verstummt und sie gewährte somit die Fortsetzung des philosophischen Monologs. Tatsächlich war es nichts weiter als ein Monolog gewesen, denn ob sie das Gesagte vollständig verstand, blieb offen.

    »Na ja, ehrlich gesagt ist es einfach, den Blickwinkel zu erklären.« Er ließ den Stift los und formte mit seinen Händen eine Art Würfel in der Luft.

    »Stell dir einen Quader vor. Stell dir vor, du betrachtest ihn aus mehreren Perspektiven. Du wirst immer etwas anderes sehen. Dreiecke, Vierecke, Striche. Nun gut, entgegengesetzte Winkel zeigen dir vielleicht Identisches. Aber das war‘s auch.«

    Zu seiner Verwunderung reichten seine Hände aber nicht, um zu verdeutlichen, was er meinte. Ihre Blicke waren immer wieder mal in seine Augen mal auf seine Hände gehuscht. Sie hatte ihn wohl nicht völlig verstanden und er wartete nur darauf, dass sie fragte, wovon er überhaupt sprach. Kamira sah aber nur auf die leere Stelle des Papiers, über der Siyahs Hände vor einem Moment noch waren, dann streichelte sie ihre Wange mit einem Finger. Schon war er vertieft in ihre Wangen. In ihre weichen Wangen, die er nie berühren würde. Ob sie bemerkte, dass Siyah sie manchmal länger ansah, als er eigentlich sollte? Scheinbar schon, denn sie unterbrach seine kurze Trance mit der erwarteten Aufforderung: »Jetzt nochmal so, dass ich es verstehen kann, bitte«.

    Dabei blinzelte sie ihn grinsend an.

    Traumhaft. Welch traumhaftes Grinsen sie hatte. Ihre Zähne waren natürlich weiß und die obere Zahnreihe endete dabei genau auf ihrer Unterlippe. Unschuldiger und makelloser ging es vermutlich nicht.

    Auch dass sie etwas nicht verstand, konnte Siyah nicht ärgern. Wenn andere etwas nicht verstanden, wandte er sich oft ab, das wusste er. Bei ihr war das allerdings kein Problem, sie durfte so oft fragen, wie sie wollte und dabei auch gerne ihre Wange mit dem Zeigefinger streicheln. Am liebsten sollte sie dabei grinsen und künstlich oft blinzeln.

    Siyah zeichnete nun ein paar Quader aus verschiedenen Blickwinkeln auf das leere Blatt, dessen Rückseite mit Übungen vollgeschrieben war.

    »Das Geheimnis liegt darin, sich selbst zu formen.« Er sah sie ernst an. »Durch die Formung wird der Blick anderer und von sich selbst auf seine Geschichte perfekt.«

    »Perfekt?«, wiederholte sie mit großen Augen.

    »Natürlich nicht vollständig perfekt. Also eigentlich nicht perfekt und irgendwie doch.« Siyah schwang mit dem Stift in der Luft herum. »Die perfekte Form ist nämlich die Kugel.« Er zeichnete nun drei Kreise neben die Quader. »Egal, aus welchem Blickwinkel du eine Kugel ansiehst, du wirst immer einen Kreis sehen. Das ist perfekt – auch wenn es nur Theorie ist.« Er schattierte beim Erzählen die Kugeln ein wenig, streckte reflexartig die Zunge raus und hoffte, dass sie das nicht sah.

    Als die Kugeln mit Schatten versehen waren, sah er sie wieder an. Sie hatte seine Hand beim Zeichnen beobachtet und entgegnete nun seinen Blick. Der unbezahlbare Moment, wenn sich zwei Menschen fröhlich in die Augen sahen. Er war erstaunt. Denn für seine philosophischen Sätze machte er sich vorher nie Überlegungen. Er plante nicht voraus, was er sagen wollte. Der Wortfluss bildete sich einfach im Verlauf der Gedanken und war die natürlichste Form seiner Intelligenz. Es war kein Planen oder Auswendiglernen, sondern der freie Lauf seines Verstandes.

    »Eine Kugel, soso.« Sie hob eine Augenbraue und ihre Mimik schien skeptisch.

    Mit Gegenwind hatte er nicht gerechnet. Seine Theorien ergaben für ihn selbst doch immer Sinn. Seine Denkweise beinhaltete auch viele andere Denkweisen, denn er hatte mit so vielen Menschen über solche Dinge gesprochen; wie konnte es sein, dass es für Kamira keinen Sinn machte?

    »Ja, wieso, was ist denn dabei?«

    »Na, ganz einfach. Du sagst, eine Kugel sei perfekt. Eine Kugel sei das Endziel. Du sagst, die Kugel ist, was wir alle anstreben sollten. Allerdings hast du auch gesagt, dass wir alle anders sind – anders sein sollten. Eine Welt voller Kugeln als Ideal? Nein. Danke, aber, nein.«

    Ihr Hinterfragen war für ihn eine angewandte Intelligenz. Sicherlich ebenso ausschlaggebend für seine Gefühle für sie, wie ihr Aussehen.

    Kamira ließ sich nicht immer belehren, aber ging gerne auf Diskussionen ein und wenn die andere Person doch Recht hatte, akzeptierte sie das. Wenn sie nicht seiner Meinung war, entstand nun mal eine Situation wie diese. Natürlich ergab beides Sinn. Sowohl das Formen in eine Kugel, als auch dessen Ablehnung. Auch das war eine Frage des Blickwinkels. Betrachtete man das Ganze nämlich in Bezug auf ein Kollektiv, bedeutete es Vergrauung. Wenn es allerdings um das Individuum ging, war es die Ausbildung zum Lebensguru. Das hätte Siyah hinzufügen können, wollte er aber nicht. Er musste nämlich nicht immer das letzte Wort haben, auch wenn er es in diesem Fall gerne gehabt hätte. Aber er wollte auch nicht andere immer belehren, obwohl das eine Lieblingsbeschäftigung seinerseits war. Außerdem wusste er nicht, ob sie den Gedanken mit der Vergrauung und den Gurus verstanden hätte, also ließ er es bleiben.

    Sie hörte kurz der Stille zu und drückte reflexartig den Stuhl mit ihren Beinen nach hinten.

    »Na ja«, sagte sie dabei.

    »Na ja«, murmelte es aus Siyah noch heraus.

    »Ich muss dann los, wir sehen uns.« Sie verabschiedete sich, packte ihre Sachen und verschwand.

    Ein toller Mensch – nur stürmisch irgendwie. Er konnte diesen letzten Gedanken nicht loswerden, über dessen Aussprechen er sich noch nicht sicher war. Im nächsten Gespräch würde es keinen Sinn mehr machen und er hätte diesen Gedanken, den er nicht aussprechen konnte, womöglich verdrängt. Oder aber es käme eigenartig rüber, als würde er nur über sie nachdenken was er in Wirklichkeit zwar tat, aber das durfte sie ja nicht wissen. Das schnelle Verschwinden war allerdings immer so eine Sache von ihr. Es war nichts Einmaliges – sie tat das öfter. Immer eigentlich. Eine Verabschiedung hielt dieser Mensch wohl für überflüssig. Es störte ihn sehr, wenn sich jemand nicht verabschiedete – er war ein großer Unterstützer altmodischer Manieren – aber bei ihr war eben alles anders. Ein solch schneller Abschied ließ allerdings Zweifel in ihm aufkommen und sie schien sich seelisch von ihm zu lösen. Einst waren sie sehr gute Freunde gewesen und oft war er nur ein haarbreit davon entfernt gewesen ihr seine Gefühle mitzuteilen. Doch gerade in letzter Zeit war ihr Leben von Stress heimgesucht. Sie war eine fleißige Studentin und er wollte nicht zusätzliche Probleme schaffen. An ein Geständnis der Gefühle war also nicht zu denken, und diesmal nicht nur der Logik wegen, nein. Es machte ihn zwar wehmütig, wenn sie so mit ihm umging, aber bei genauerer Betrachtung konnte er ihr nicht böse sein.

    Wer war er schon? Wie konnte sie wissen, dass ihm das nicht gefiel? Er sagte ihr das ja nie. Und wie sollte er erklären, warum ihm das Ganze nicht gefiel? Etwa indem er sagte, er mochte altmodische Manieren? Das würde sie ihm doch nicht abkaufen. Sie würde sofort verstehen, dass da Gefühle im Spiel sein mussten. Und Gefühle zwischen den beiden würden mehr als nur gefährlich für sie sein. Deshalb schwieg Siyah. Und jetzt länger hierzubleiben, machte auch keinen Sinn. Also begann er ebenfalls seine Sachen zu packen, um sich auf den Nachhauseweg zu machen. Schließlich war er nur für sie da gewesen. Er wollte weder lernen, noch Zeit in dieser stillen kalten Bibliothek verbringen. Als er aufgestanden war und seinen Stuhl unter den Tisch geschoben hatte, bemerkte er einen Blutstropfen auf seinem Kritzelpapier. Er wischte sich mit einem Taschentuch die Nase ab und schloss fest die Augen, als ein stechender Schmerz sein Gehirn festdrückte. Mit einem zweiten Tuch wischte er das Blut weg und das Papier trocken. Dann kam ihm der Geruch von altem Papier in die Nase, welcher ihn den Kopfschmerz kurz vergessen ließ. Der Aufenthalt in der Bücherei war immer wieder ein nostalgisches Erlebnis für Siyah.

    Gerade war eine Bibliothekarin

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