Das Wunder der Entspannungshocke: Befreiter Rücken und ein gutes Bauchgefühl
Von Gerd Schnack
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Buchvorschau
Das Wunder der Entspannungshocke - Gerd Schnack
1. Natur-richtig oder natur-unrichtig – wir haben die Wahl
Wir leben in einer Sitzgesellschaft – was bleibt uns auch anderes übrig, als das zu tun, was uns die technische Entwicklung vorschreibt. Doch damit werden unsere Hände automatisch zu verlängerten Hebeln all der Maschinen um uns herum degradiert. Die großen Muskeln der Beine hängen teilnahmslos vor dem Stuhl, sie verkümmern, da sie täglich nur noch über maximal 1000 Meter gefordert werden. Nichts ist mehr, wie es einmal war, als wir noch pro Tag auf Schusters Rappen in Wald, Feld und Wiese über zehn bis fünfzehn Kilometer unterwegs waren.
In der einseitigen Anpassung an die Technik wurde aus dem Laufwesen das kränkelnde Sitzwesen.
In monotoner Frontalausrichtung auf unserem »Sitzthron« werden wir gekrümmt wie ein beladener Packesel. Nichts ist uns geblieben von unserer ehemals majestätischen Haltung, im kurzschrittigen Stakkato bewegen wir uns auf Absatzschuhen auf hartem, planiertem Beton, dabei zermürben die Erschütterungen nicht nur den Beckenboden, sondern auch die Beingelenke und im Besonderen die Wirbelsäule.
Wir bewegen uns zu wenig und im Sitzen sitzen wir auch noch verkehrt!
Was soll aus uns nur werden? Bei all diesem Fehlverhalten sitzen wir auch noch verkehrt, und das in einer Mittelstellung zwischen »Baum und Borke«. Körperstreckung oder tiefe Entspannungshocke – wir haben die Wahl, aber wir praktizieren weder das eine noch das andere richtig. Nun gut, Schreibarbeiten können in der absoluten Körperstreckung kaum durchgeführt werden, dazu muss man schon Platz nehmen. Aber nicht ständig in dieser Mittelstellung zwischen Hocke und Körperstreckung, denn dann werden wir weder dem einen noch dem anderen gerecht.
Dieses eine oder andere sind die beiden äußeren Erscheinungsformen unseres Körpers im Schwerkraftfeld der Erde, wenn man vom Liegen in Ruhe einmal absieht. Es geht um die bipolare Ausrichtung bei der Auseinandersetzung mit den Erfordernissen dieser Welt:
Im Vordergrund steht die absolute Körperstreckung, aus der heraus die gespeicherte Energie optimal zur Entfaltung gebracht werden kann. In vortechnischer Zeit konnte so die vorherrschende Feldarbeit ganzheitlich gestaltet werden.
Der absolute Kontrapunkt zu dieser aktiven Streckung ist die tiefe Hocke, die ohne jedes Hilfsmittel ihre Anwendung fand, einmal zur Erholung in ständiger Wiederholung, zum anderen aber auch zur Gestaltung aller Bodenarbeiten, wie das heute noch im natürlichen Verhalten bestimmter Völker zu beobachten ist.
Die natürliche Arbeitshocke, demonstriert von einem griechischen Fischer, die alles ausdrückt, was körperliche Entspannung unter extremen Arbeitsbedingungen bedeutet, dargestellt durch die komplexe Entspannung aller großen Gelenke in der Sammlung um den Körpermittelpunkt herum. Volle Konzentration der Achtsamkeit durch die Einheit der Hände zur aktiven Gestaltungsebene. Das Bild drückt alles aus, was im Buch thematisiert wird, körperliche Konzentration um den Mittelpunkt mit Hinwendung des Geistes auf das Tun!
009Hocke griechischer Fischer
Die Hocke auf der einen Seite, die Körperstreckung auf der anderen sind die tragenden Pfeiler unserer natürlichen, rhythmischen körperlichen Prägung. Sie sind signifikante Markenzeichen einer Welt der Bipolarität, wonach alle Erscheinungen auf die Konfrontation der Gegensätze ausgerichtet sind, Gegensätze, die aber durch die Aufteilung in Zeit und Raum auszuweisen sind. Was nichts anderes bedeutet, als dass jede Extremposition nach einer bestimmten Zeit ins Gegenteil umgekehrt werden muss, eine Feststellung, die schon im Alten Testament König Salomo im Buch Kohelet postuliert hat:
»Alles hat seine Stunde und für jedes Vorhaben unter dem Himmel gibt es eine Zeit: eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit, die Pflanzen abzuernten, eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Einreißen und eine Zeit zum Bauen, eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit zum Klagen und eine Zeit zum Tanzen, eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, sich der Umarmung zu enthalten, eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren, eine Zeit zum Aufbewahren und eine Zeit zum Wegwerfen, eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Nähen, eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden, eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden.«
In diesem Für und Wider der Gegensätze darf es keinen Stillstand geben. Ständig müssen wir uns auf den Weg machen von einer Extremstellung zur anderen, denn jeder Stillstand ist nicht nur mit Stress gleichzusetzen, Stagnation steht auch für Krankheit, im Extremfall sogar für Tod. Diese Aussage gilt genau so für unsere körperliche Erscheinung im ständigen Wechsel zwischen der tiefen Hocke und der absoluten Körperstreckung, denn aus beiden Positionen heraus ist der Energietransfer am größten, in der Hocke wird sie gespeichert und in der Streckhaltung an die Umgebung abgegeben. Auf diese Weise kann jedes Tier zwischen der geballten Kauerstellung und dem gestreckten Spagat seine hohe Lauf- und Sprungleistung abrufen.
011Kauerstellung und Spagat beim Tier
Dieser optimale Energietransfer kann durch eine Graphik demonstriert werden: Eine Spiralfeder wird komprimiert, was der tiefen Hocke entspricht, gegensätzlich ausgetauscht durch die maximale Erweiterung, analog zur Körperstreckung, wobei in der Hocke die Lageenergie ihr Maximum erreicht, wie aus dem Kurvenverlauf ersichtlich ist. Dazwischen liegt der Bewegungsausgleich, abzulesen im hohen Wert der kinetischen Energie. Und genau so verhält sich der Skispringer auf der Sprungschanze: Er startet mit der hohen potenziellen Lageenergie in der Hocke, und erst am Schanzentisch entlädt sich die Maximalkraft durch die Körperstreckung, abzulesen in der Weite des Sprunges.
012Auf all unseren Stühlen befinden wir uns ständig in einer Grenzflächensituation, dem Wasserwirbel in einer Strömung vergleichbar. Wir sind in dieser Reibungszone weder richtig entspannt in der Hocke, noch durch die Körperstreckung im Zenit der Leistung.
Nur noch selten befinden wir uns in diesen Extremstellungen. Während des Tages sitzen wir auf dem Stuhl, in unserer täglichen Routine wird ständig nur die Mittelstellung abgerufen, und somit werden wir weder der einen noch der anderen Extremstellung des Körpers gerecht. Dieses Verhalten entspricht dem Zwielicht in der Morgendämmerung, wenn die dunkle Nacht in den hellen Tag übergeht, eine besondere Stimmungslage, ausgelöst durch die faszinierende Tönung zwischen Licht und Schatten. Das sind die typischen Grenzflächensituationen, wie sie in der Natur zu beobachten sind und von denen oft eine ganz spezielle Dramaturgie ausgeht, im Wasser als spiralförmige Wirbel offenkundig, wenn schnelle Strömung auf langsame trifft oder wenn ein Stein die Passage behindert.
Die Welt in ihren prägenden Gegensätzen wird bildlich durch die logarithmische Spirale wiedergegeben, nicht durch den geraden Pfeil in seiner vorwärtsdrängenden Dynamik, dem Synonym für unsere schnelle, zielorientierte Gegenwart. Der Logarithmus in der Spirale steht für das explodierende Wachstum in der Natur, die nicht gleichmäßig gedeiht, sondern exponentiell, galoppierend. Nach einem extrem kalten Winter gibt es eine Vielzahl an Blumen, speziell im fernen, kalten Sibirien, wobei die Natur in ihrer Schönheit besticht, ausgedrückt durch die optimale Aufteilung ihrer Proportionen. Die logarithmische Spirale konvergiert gegen den Goldenen Schnitt, der schon Leonardo da Vinci, Michelangelo und Albrecht Dürer in seinen Bann gezogen hat. Auch unsere Lebensspirale gehorcht dieser Maxime, dem ständigen Wechsel in unserer bipolaren Ausrichtung, wobei die Zielrichtung mit Harmonie, Glück, Gesundheit, Werte, Sinn klar ausgewiesen ist. All diese Wunschvorstellungen sind aber nie unser fester Besitz, nie im Leben sind wir in voller Gesundheit, sondern immer mehr oder weniger vom Idealzustand entfernt. Der moderne Mensch ist allerdings in seiner Ungeduld stets darum bemüht, sein Glück ohne große Umstände und auf möglichst kurzem, direktem Wege zu erreichen. Jeden Umweg und jede Extremstellung in der Lebensspirale empfindet er als reine Zeitverschwendung, das entspricht der Grundausrichtung der linearen Mechanik.
Die moderne Bionik (Wissenschaft aus Biologie und Technik) betont dagegen, dass sich die Menschheit den Irrweg der linearen Mechanik hätte ersparen können. Alle dynamischen Prozesse sind Ausdruck extremer Energieverschwendung. Würde ein Space Shuttle auf direkter Bahn in die Erdatmosphäre zurückkehren, es würde verglühen, auf einer Spiralbahn jedoch nicht.
In dieser schnellen, dynamischen Welt des Stressalltags müssen wir uns entscheiden: verglühen oder bestehen, wobei das Verglühen für einen Burnout besonderer psychosomatischer Prägung steht. Auch wenn all unsere gesundheitlichen Probleme im Kopf beginnen, sollten wir gerade die körperlichen Energieleckagen nicht übergehen.
portrait-a0170d16b1ecd93e6e9d1875b9aee6756portrait-a7ba272fcaff4c1099c62653957afde1eDer Mensch im Technikzeitalter sitzt falsch, arbeitet verkehrt am Boden, bewegt sich zu wenig. Und wenn er auf den Beinen ist, schreckt er auch vor hohen Absätzen nicht zurück.
Unsere ständige Mittelstellung zwischen absoluter Körperstreckung und tiefer Entspannungshocke ist mit einem halb geöffneten oder halb geschlossenen Klappmesser vergleichbar, das, in die Tasche gesteckt, im Körper Wunden reißen kann. Und genau das passiert Stunde um Stunde, ein Leben lang, auf allen Stühlen dieser Welt.
Laut und absatzbetont sind wir in Spitzfußstellung vorfußbelastend auf betoniertem Boden unterwegs, in unserer schnellen Gangart, die speziell im Sprint auf der Tartanbahn angemessen ist. Über 100 Meter fehlt ganz einfache die Zeit, um den ganzen Fuß regelrecht über Ferse und Vorfuß rhythmisch abzurollen, nur so können von Männern die zehn Sekunden Laufzeit ermöglicht werden. In dieser Technik kommt der Hauptantrieb aus den überaus kräftigen Gesäßmuskeln, unterstützt von den Wadenmuskeln, die final den Vorfuß zum Einsatz bringen. Das ist dann das »Ballett der Tartanbahn«. Doch der Preis dafür ist hoch, denn durch die monotone Überlastung der Wadenmuskeln geraten diese Sprintmuskeln schnell an ihre Grenzen. Muskelfaserrisse, Achillessehnenverletzungen sind die Folge, und jeder Sprinter hat in dieser Beziehung seine eigene Krankengeschichte. Fersenbetontes Laufen ist die neue Devise beim Faszientraining, wobei gleichzeitig federnd-schwingend der Vibrationseffekt mit eingesetzt wird. In dieser Technik wird dem Wadenmuskel die hohe Leistungsfähigkeit der Achillessehne durch den initialen Gegenschwung gleichwertig an die Seite gestellt.
Viele junge Frauen machen es den Sportlern nach, allerdings in riskanter Weise, denn sie stellen beide Füße auf ein Gerüst, das die Fersen vom Boden abhebt – bei High Heels bis zu dreizehn Zentimeter. Das sieht zwar sexy aus, provoziert aber eine Muskelverkürzung der Waden. Sicher, dadurch wird die deutliche Taillierung des Unterschenkels erst ermöglicht, und natürlich wirkt durch diesen Marlene-Dietrich-Effekt der weibliche Unterschenkel attraktiver. Nur über diesen Hingucker kann den Männern der Kopf verdreht werden, das ist es der Damenwelt wert. Daher traut sich heute keine Ballerina mehr ohne extreme High Heels auf den roten Teppich. Aber ganz ehrlich: Schwungvolles Schreiten ist auf extremen High Heels nicht möglich. Und was passiert mit diesen Tretern im stillen Kämmerlein, unbeachtet im Theater, im Kaffeehaus oder bereits im Taxi? Aber jedes Fest erhält erst durch seine High Heels seinen festlichen Rahmen, danken wir also diesen Frauen, dass sie sich freiwillig in diesen Engpass begeben. Aber, meine Damen, vergessen Sie nach dieser Folter nicht den entsprechenden Ausgleich, wenn Sie im hohen Alter immer noch auf Ihren eigenen Beinen unterwegs sein wollen, vergessen Sie nie nach jeder High-Heels-Attacke die tiefe Entspannungshocke, denn nur sie kann den Stress aus Rücken, Waden, Achillessehnen, Fußsohlen und Zehen durch spezielles Gegenschwungstretching vertreiben.
portrait-a893c2f704b2449ff054215104b11ffd1Von Sandalen über Absatzschuhe auf den »Keramikthron«
In früheren Epochen hat der Mensch auf der Erde noch seine direkten Impressionen hinterlassen, ganz persönliche Fußspuren, barfuß oder in einfachen Sandalen im Sand. Müde vom langen Gehen hat man sich bodennah hingehockt, um in dieser Kauerhaltung neue Kraft zu schöpfen, tiefe Bodenarbeiten zu erledigen oder seinem ganz natürlichen Bedürfnis des täglichen »Stuhlgangs« nachzukommen.
Lang ist es her, denn das Bestreben, sich von dieser festen Bodenhaftung zu befreien, war stark, zu stark, wie ich meine. Heute sind wir hoch über dem Boden mit Absatzschuhen unterwegs, nicht mehr auf natürlich gewellten Wiesen oder Waldböden, sondern betont auf hartem, planiertem Untergrund, dem jedes Schwingungsverhalten genommen wurde, festgestampft in Asphalt. Dafür zahlen wir mit unserer Gesundheit:
Absatzbetont bewegen wir uns auf hart-planiertem Untergrund